TE Vfgh Beschluss 2001/6/12 G193/01 ua

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Veröffentlicht am 12.06.2001
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Index

60 Arbeitsrecht
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AKG 1992 §7
ASGG §40

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags eines Rechtsanwaltes auf Aufhebung der Bestimmung über den Rechtsschutz der Arbeiterkammern für ihre Mitglieder und die Vertretungsbefugnis ihrer Funktionäre vor Gericht; keine rechtliche Betroffenheit des Antragstellers, allenfalls wirtschaftliche Reflexwirkungen

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit Antrag vom 21.5.2001 begehrt der Antragsteller - ein Rechtsanwalt - die Aufhebung des §7 AKG 1992 "und damit korrespondierend" die Bestimmung des §40 Abs1 Z2 ASGG 1985" als verfassungswidrig bzw. in eventu die Aufhebung der Wortfolgen "... und ihnen insbesondere Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe eines, von der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer zu beschließenden Rahmen-Regulativs zu gewähren ..." in §7 Abs1 sowie §7 Abs2 bis 5 AKG 1992 und ".. gesetzliche Interessenvertretung oder" in §40 Abs1 Z2 ASGG 1985 als verfassungswidrig.

Zu seiner Antragslegitimation bringt der Antragsteller folgendes vor:

"Der Antragsteller ist in die Liste der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt und übt den Beruf des Rechtsanwaltes an seinem Kanzleisitz in 6850 Dornbirn aus.

Die prüfungsgegenständlichen Gesetzesbestimmungen bilden die gesetzlichen Grundlagen für die zu bekämpfende Legitimation der Arbeiterkammern, kammerzugehörige Arbeitnehmer in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten zu beraten und ihnen Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe näherer Rahmen-Regulative (Verordnungen) zu gewähren. In dieser Tätigkeit treten die Arbeiterkammern als Rechtsberater und gerichtliche Rechtsvertreter in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten für kammerzugehörige Arbeitnehmer und damit in direkter Konkurrenz zu den Rechtsanwälten auf, welchen nach §8 Abs2 Rechtsanwaltsordnung (RAO) die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung iSd §8 Abs1 RAO vorbehalten ist. Dabei sind die Arbeiterkammern bzw. deren Funktionäre und Arbeitnehmer weder an die strengen Ausbildungs- und Zulassungsvoraussetzungen für Rechtsanwälte gebunden noch an die strengen Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (RL-BA 1977) oder das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl. Nr. 474/1990 idgF.

Wie durch das nachfolgende Fallbeispiel des Antragstellers belegt, treten sohin die Arbeiterkammern bzw. deren Funktionäre und Angestellte auf Basis der bekämpften generellen Normen den Rechtsanwälten wie dem Antragsteller bei deren Berufsausübung als ungleiche Konkurrenten entgegen und greifen diese dadurch unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers ein, ohne daß es hiefür einer behördlichen Entscheidung bedarf. Der Antragsteller ist daher durch die Verfassungswidrigkeit der dargestellten Gesetze unmittelbar in seinen Rechten verletzt. Mangels behördlicher Entscheidungsmöglichkeiten steht dem Antragsteller auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um sich gegen die verfassungswidrigen Gesetzesstellen zur Wehr setzen zu können. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Provozierung von gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren für den Betroffenen unzumutbar und kein von der Judikatur verlangter Umweg zur Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes. Die zitierten Gesetzesstellen werden für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam und greifen diese nachteilig und unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers ein. Diese Beeinträchtigung ist nicht bloß potentiell, sondern auch aktuell gegeben. Die Verfassungswidrigkeit der in den genannten Gesetzen normierten Rechtsschutzlegitimation der Arbeiterkammern begegnet dem Antragsteller täglich in seiner Berufsausübung und stellt eine stets aktuelle Beeinträchtigung dar. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind sohin sämtliche Voraussetzungen für die Antragslegitimation des Antragstellers gegeben (vgl VfSlg 10.511/1985 uva.)

Zur Verdeutlichung der aktuellen, unmittelbaren und tatsächlichen Beeinträchtigung der Rechtssphäre des Antragstellers durch die bekämpften Normen sei folgende Begebenheit kurz dargestellt und durch den Schriftverkehr bescheinigt:

In rechtsfreundlicher Vertretung eines Vorarlberger Handwerksbetriebes hat der Antragsteller eine offene Werklohnforderung beim Werkbesteller betrieben. Dieser wendete sich an die Arbeiterkammer Vorarlberg und dieser wiederum korrespondierte mehrfach trotz ausgewiesener Rechtsvertretung durch den Antragsteller mit der Mandantschaft des Antragstellers direkt. Die Arbeiterkammer ist nämlich nicht an die Bestimmung des §18 RL-BA gebunden, wonach der Rechtsanwalt den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen und es auch nicht ablehnen darf, mit diesem zu verhandeln (bei sonstiger disziplinärrechtlicher Verfolgung des Rechtsanwaltes gem §1 DSt; demnach begeht ein Rechtsanwalt ein Disziplinarvergehen, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt, welche zB in den RL-BA statuiert sind).

Die beschriebene Vorgangsweise der Arbeiterkammer, welche den zitierten Vorschriften zur Berufsausübung der Rechtsanwälte und deren Disziplinarstatut nicht unterliegt, war zum erheblichen Nachteil des Antragstellers (insbesondere durch wesentlich erhöhten Korrespondenzaufwand mit dem Mandanten und erheblicher Verunsicherung des Mandanten, welche beinahe zum Verlust des Mandates geführt hätte.) Als der Antragsteller in einem Schreiben vom 27.12.2000 an die Arbeiterkammer Vorarlberg das beschriebene Vorgehen der Arbeiterkammer als rechtsmißbräuchlich rügte, wurde der Antragsteller von der Arbeiterkammer Vorarlberg sogar mit Schreiben vom 9.1.2001 bei der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer disziplinarrechtlich angezeigt und sohin ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller vor der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer eröffnet. Diese hat zwar im Schreiben vom 22.1.2001 kein Standesvergehen im Verhalten des Antragstellers erkannt, doch war die in den verfassungswidrigen Gesetzesstellen grundgelegte Legitimation der Arbeiterkammer zur Rechtsvertretung kammerzugehöriger Arbeitnehmer ein wesentlich nachteiliger, unmittelbarer und konkreter Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers."

2. §7 Arbeiterkammergesetz 1992 (AKG), BGBl. Nr. 626/1991, lautet:

"Rechtsschutz

§7. (1) Die Arbeiterkammern haben kammerzugehörige Arbeitnehmer in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten zu beraten und ihnen insbesondere Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe eine, von der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer zu beschließenden Rahmen- Regulativs zu gewähren.

(2) Das Rahmen-Regulativ ist so zu gestalten, daß durch die Rechtsschutztätigkeit die Besorgung der übrigen gesetzlichen Aufgaben der jeweiligen Arbeiterkammer nicht wesentlich beeinträchtigt wird.

(3) Die Vollversammlungen der Arbeiterkammern können im Rahmen des von der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer beschlossenen Rahmen-Regulativs nähere Regelungen über die Durchführung des Rechtsschutzes in ihrem Wirkungsbereich treffen.

(4) Rechtsschutzregulative der einzelnen Arbeiterkammern bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer. Das von der Hauptversammlung zu beschließende Rahmen-Regulativ bedarf zu seiner Wirksamkeit der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.

(5) Rechtsschutz muß nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt werden, wenn

1. er offenbar mutwillig oder in einem aussichtslosen Fall oder gegen eine hinlänglich ausjudizierte Rechtsmeinung verlangt wird oder

2. er im Vergleich zu dem zu erwartenden Erfolg einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde oder

3. die Prozeßführung im Einzelfall den von den Arbeiterkammern gemäß §1 wahrzunehmenden allgemeinen Interessen der Arbeitnehmer widersprechen würde."

3. §40 Abs1 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, lautet auszugsweise folgendermaßen:

"Vertretung

§40. (1) Zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz qualifizierte Personen sind:

1. Rechtsanwälte;

2. Funktionäre und Arbeitnehmer einer gesetzlichen Interessenvertretung oder freiwilligen kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung, die nach ihrem Wirkungsbereich für die Partei in Betracht kommt oder in Betracht käme, wenn diese noch berufstätig wäre oder ihren Aufenthalt im Inland hätte; die Funktionäre oder Arbeitnehmer bedürfen einer Befugnis der Interessenvertretung oder Berufsvereinigung;"

4. Der Antrag ist unzulässig:

4.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation im Normenprüfungsverfahren ist, daß die Norm nicht bloß faktische Wirkung zeitigt, sondern in die Rechtssphäre der betreffenden Person eingreift und sie im Fall der Rechtswidrigkeit verletzt. Anfechtungsberechtigter ist also - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat (vgl. zB VfSlg. 8009/1977, 8060/1977, 12751/1991, 12909/1991, 13082/1992, 13814/1994 und 14488/1996) - von vornherein nur ein Rechtsträger, an den oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (Normadressat). Bei der Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

4.2. Mit seinem Vorbringen vermag der Antragsteller nicht darzutun, daß §7 AKG oder §40 Abs1 Z2 ASGG in seine Rechtssphäre eingreifen. Der Antragsteller ist nämlich nicht Normadressat der genannten Gesetzesbestimmungen. §7 AKG regelt die Beratungs- und Rechtsschutztätigkeit der Arbeiterkammern in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten sowie die Erlassung des nähere Regelungen treffenden Rahmen-Regulativs durch die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer. Gem. §40 Abs1 Z2 ASGG sind Funktionäre und Arbeitnehmer einer gesetzlichen Interessenvertretung oder freiwilligen kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung, die nach ihrem Wirkungsbereich für die Partei in Betracht kommt bzw. käme, zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz qualifizierte Personen. Diese Bestimmungen richten sich nicht an Rechtsanwälte im Sinne der Rechtsanwaltsordnung. Adressaten dieser Regelung sind ausschließlich u.a. die Arbeiterkammern bzw. das zur Überprüfung der Vertretungsbefugnis zuständige Gericht. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die vom Antragsteller angefochtenen Bestimmungen unter Umständen die wirtschaftliche Position von Rechtsanwälten beeinflussen können; dabei geht es jedoch nur um wirtschaftliche Reflexwirkungen der angefochtenen Regelungen. Dies ändert aber nichts daran, daß die in Rede stehenden Bestimmungen die Rechtsstellung des Antragstellers nicht gestalten, weshalb die bekämpften Bestimmungen nicht in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen können (vgl. zB VfSlg. 14274/1995, 14463/1996, 15445/1999, 15219/1998, 15184/1998; vgl. ähnlich jüngst B vom 28.11.2000, G116/00).

5. Der Antrag erweist sich sohin mangels Legitimation des Einschreiters als unzulässig. Er war daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen, ohne daß zu prüfen war, ob er den strengen Formerfordernissen des §62 Abs1 VerfGG entspricht.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Arbeiterkammern, Arbeits- u Sozialgerichtsbarkeit, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G193.2001

Dokumentnummer

JFT_09989388_01G00193_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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