TE OGH 1952/5/7 3Ob226/52

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Veröffentlicht am 07.05.1952
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Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den Zweiten Präsidenten Dr. Etz als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernard, Dr. Deutsch und Dr. Dinnebier sowie den Rat des Oberlandesgerichtes Dr. Meyer-Jodas als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Otto K*****, vertreten durch Dr. Franz Klaban, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gemeinde Wien, vertreten durch Dr. Max Scheffenegger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zuhaltung eines Mietvertrages (Streitwert 1.500 S), infolge Revision der geklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 26. Februar 1952, GZ 45 R 219/52-9, womit infolge Berufung der geklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 10. Dezember 1951, GZ 4 C 536/51-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Klagebegehren des Inhaltes, die geklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei das Siedlungshaus Wien *****, F*****gasse *****, zur Benützung als Mieter zu übergeben, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der geklagten Partei die mit 15 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 236 S 50 g bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Zwangsfolge zu ersetzen.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger mietete von der Geklagten das Siedlungshaus in Wien *****, F*****gasse *****. Während seiner Abwesenheit aus Wien im Jahre 1945 wurde in die Wohnung Siegmund H***** mit vorläufiger Benützungsbewilligung eingewiesen. Da der Kläger als Nationalsozialist registriert war, schloß die Geklagte mit dem Eingewiesenen am 31. 12. 1948 einen Mietvertrag. Am 7. 4. 1951 wurde die vorläufige Benützungsbewilligung mit Rücksicht auf den Bescheid der Beschwerdekommission beim Bundesministerium für Inneres vom 13. 1. 1950, wonach der Kläger nicht verzeichnungspflichtig ist, aufgehoben. Der Kläger begehrt nun die Zuhaltung seines Bestandvertrages. Die Geklagte, die sich zum Weiterbestand des Mietvertrages nicht äußerte, wendete rechtliche Unmöglichkeit der begehrten Leistung ein.

Beide Untergerichte gaben dem Klagebegehren Folge. Eine rechtliche Unmöglichkeit liege nicht vor. Es sei zwar richtig, daß nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als Kündigungsgrund nach § 19 Abs 1 MietG nur solche Tatbestände geltend gemacht werden können, die dem Abschluß des Mietvertrages nachfolgten. Hier sei aber dem Abschluß des Mietvertrages die Aufhebung der Benützungsbewilligung und die Feststellung, daß der Kläger nicht registrierungspflichtig ist, nachgefolgt. Der Bescheid der Beschwerdekommission wirke konstitutiv und bilde daher einen wichtigen Kündigungsgrund. Wem die Verdrängung eines Vormieters aus politischen Gründen bekannt sei, müsse damit rechnen, daß der Verdrängte den Nachweis erbringt, nicht Gegenstand einer solchen speziellen politischen Betrachtung zu sein. Wer solche Rechte in Anspruch nehme, könne sich nicht darüber beklagen, daß die Folgen eines Vertragsbruches vom Vermieter zu Unrecht auf ihn abgewälzt werden. Ein Mietvertrag teile das Schicksal des öffentlichrechtlichen Titels ohne Rücksicht auf die Gutgläubigkeit bei Abschluß des Vertrages, wenn der Vertrag auf Grund eines öffentlichrechtlichen Titels und gerade im Hinblick auf diesen abgeschlossen worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die zulässige Revision der Geklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne der Klagsabweisung abzuändern. Die klägerische Forderung auf Vertragserfüllung basiere auf dem aufrechten Bestand seines Mietvertrages. Durch eine urteilsmäßige Verpflichtung zur Zuhaltung des Mietvertrages entstünde kein neuer Kündigungsgrund, der nach § 19 Abs 1 MietG gegenüber dem neuen Mieter geltend gemacht werden könnte. Die Verpflichtung der Geklagten sei nach § 1447 ABGB erloschen.

Rechtliche Beurteilung

Es ist der Revision beizupflichten, daß die Erfüllung des Bestandvertrages mit dem Kläger der Geklagten dauernd unmöglich geworden ist. Zu Unrecht nehmen die Untergerichte an, daß das Bestandverhältnis mit dem neuen Mieter gemäß § 19 Abs 1 MietG aufgekündigt werden könnte. Der Oberste Gerichtshof hat in wiederholten Entscheidungen (EvBl 1951/358, 2 Ob 64/51, 2 Ob 312/51, 3 Ob 262/52) ausgesprochen, daß ein den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegendes Bestandverhältnis aus dem Kündigungsgrund nach § 19 Abs 1 MietG nur dann aufgekündigt werden kann, wenn ein Tatbestand als Kündigungsgrund geltend gemacht wird, der dem Abschluß des Mietvertrages nachgefolgt ist. Dieser Tatbestand wäre hier aber, entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Meinung, nicht die urteilsmäßige Verpflichtung der Geklagten zur Zuhaltung des Vertrages, sondern das noch aufrechte Mietrecht des Klägers, dessen Rechtsfolge die Verpflichtung der Geklagten zur Zuhaltung des Vertrages ist. Diese Tatsache bestand aber bereits vor Abschluß des Mietvertrages mit H*****. Daran ändert auch nichts, daß nach Abschluß des zweiten Mietvertrages die Beschwerdekommission festgestellt hat, daß der Kläger nicht als Nationalsozialist registrierungspflichtig ist und daß deshalb die vorläufige Benützungsbewilligung aufgehoben wurde. Dies wäre nur dann bedeutsam, wenn man annähme, daß der Bestandvertrag des Klägers auf Grund der Vorschrift der Z. 8 des XIV. Hauptstückes des NSGesetzes 1947 erloschen und mit der Feststellung der Beschwerdekommission, daß der Kläger nicht registrierungspflichtig ist, wieder aufgelebt wäre, eine Rechtsmeinung, der nicht beigetreten werden kann. Die Geklagte ist daher nicht in der Lage, durch Kündigung das Bestandverhältnis mit H***** zur Auflösung zu bringen. Eine Behauptung in der Richtung, daß der derzeitige Benützer der Wohnung freiwillig sein Bestandrecht aufgeben würde, wurde von keiner Seite aufgestellt. Kann aber der zweite Mietvertrag weder durch Vertrag mit dem derzeitigen Mieter, noch durch Kündigung aufgelöst werden, ist der Geklagten die Erfüllung des Klagebegehrens rechtlich unmöglich (so auch 3 Ob 731/51). Daß eine solche Unmöglichkeit eine dauernde ist, bedarf bei der derzeitigen Mietengesetzgebung keiner weiteren Erörterung. Aus diesem Grunde war das Klagebegehren abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Im Revisionsverfahren wurden Kosten nicht zugesprochen, weil die obsiegende Geklagte Kosten nicht verzeichnete.

Anmerkung

E73422 3Ob226.52

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0030OB00226.52.0507.000

Dokumentnummer

JJT_19520507_OGH0002_0030OB00226_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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