TE OGH 1955/7/1 5Os558/55

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.1955
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juli 1955 unter dem Vorsitze des Rates des Obersten Gerichtshofes Dr. Mironovici, in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. de Pers-Susans und Dr. Zierer, des Rates des OLG. Dr. Heidrich und des OLGR. Dr. Spernoga als Richter, dann des Richteramtsanwärters Dr. Reissig als Schriftführers, in der Strafsache gegen Karl B*****, Otto K***** und Franz W***** wegen des Verbrechens der Schändung nach dem § 128 StG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Staatsanwaltschaft Steyr bezüglich der Angeklagten Otto K***** und Franz W***** gegen das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Schöffengerichtes vom 10. März 1955, GZ 3 Vr 635/54-111, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters - OLGR. Dr. Spernoga -, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur - Generalanwaltes Dr. Zehetgruber - und der Ausführungen der Verteidiger - Dr. Erhard Lanner und Dr. Eduard Stampfl -

1. zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch der Angeklagten Otto K***** und Franz W***** von der Anklage wegen des Verbrechens des Missbrauches der Amtsgewalt nach dem § 101 StG aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Die Angeklagten Otto K***** und Franz W***** sind schuldig - ersterer als Bürgermeister und Obmann des Ortsschulrates der Gemeinde Losenstein, letzterer als Volksschuldirektor der Volksschule Losenstein - im Dezember 1953 in Losenstein in dem Amte, in dem sie verpflichtet waren, von der ihnen anvertrauten Gewalt, um dem Staate in seinem Rechte auf Strafverfolgung Schaden zuzufügen, Missbrauch gemacht zu haben, indem sie das im Urteil des Kreis- als Schöffengerichtes Steyr vom 10. März 1955, GZ 3 Vr 635/54-111, bezeichnete Verbrechen des Karl B***** zwar erhoben, es aber unterließen, gemäß dem § 84 StPO die strafbare Handlung sofort dem Staatsanwalte anzuzeigen.

Sie haben hiedurch das Verbrechen des Missbrauches der Amtsgewalt nach dem § 101 StG begangen und werden hiefür nach dem § 103 StG unter Anwendung der §§ 54 und 55 StG zur Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von je

5 (fünf) Monaten,

verschärft und ergänzt durch zwei harte Lager monatlich, und gemäß dem § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Gemäß den §§ 1 und 2 des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949 in der Fassung des Art II der StP-Novelle 1952 wird bei beiden Angeklagten die Vollziehung der über sie verhängten Freiheitsstrafe vorläufig aufgeschoben und ihnen eine Probezeit in der Dauer von je drei Jahren bestimmt. Zugleich wird angeordnet, dass alle mit der Verurteilung nach dem Gesetze verbundenen Rechtsfolgen vorläufig nicht einzutreten haben.

Gemäß dem § 390a StPO haben die Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Anschließend hat der Oberste Gerichtshof nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Berufung des Angeklagten Karl B*****

2. den Beschluss

gefasst:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schändete der Lehrer Karl B***** der Volksschule in Losenstein zahlreiche schulpflichtige Mädchen, die ihm zum Unterrichte anvertraut waren. Raimund Ko*****, der von seiner Tochter Monika Ko***** erfahren hatte, dass B***** ihr unter dem Rock bis zum Gesäß gegriffen habe, begab sich vor Weihnachten 1953 zum Bürgermeister von Losenstein, dem Angeklagten Otto K*****, und teilte ihm diesen Vorfall mit. Otto K***** erklärte ihm zunächst, dass er noch eine Nacht darüber schlafen wolle, und lud ihn einige Tage später zum Gemeindeamt vor. Zu dieser Besprechung bestellte er auch den Direktor der Volksschule, den Angeklagten Franz W*****, den Pfarrer H***** und den Angeklagten B*****. Raimund Ko***** erzählte in Gegenwart dieser Personen noch einmal, seine Tochter Monika habe ihm gesagt, dass ihr Karl B***** unter den Rock bis zum Gesäß gegriffen habe. Der Pfarrer H***** erwähnte dazu, dass ihm ein zweiter Fall einer derartigen Verfehlung des B***** bekannt sei. Karl B***** gestand darauf, dass die Erzählung der Monika Ko***** richtig sei. Otto K***** und Franz W***** machten dem B***** heftige Vorwürfe, unterließen es aber, die Strafanzeige gegen ihn zu erstatten. Am Ende des Schuljahres 1953/54 erfuhr K***** von Frau Maria G*****, dass sich B***** auch an deren Tochter vergangen habe. B***** wurde darauf in die Gemeindekanzlei gerufen und von K***** und W***** aufgefordert, um den Austritt aus dem Schuldienst anzusuchen, widrigenfalls gegen ihn die Anzeige erstattet werde. Dieser Aufforderung kam B***** nach. K***** und W***** erstatteten keine Strafanzeige; das Verhalten des B***** wurde vielmehr von der Gendarmerie aus eigenem Antrieb erhoben und angezeigt.

Das Erstgericht erkannte Karl B***** des Verbrechens der Schändung und Verführung zur Unzucht schuldig. Hingegen sprach es die Angeklagten K***** und W***** von der Anklage des Missbrauches der Amtsgewalt, begangen durch Unterlassung der Strafanzeige gegen Karl B*****, frei. Es nahm an, dass der Angeklagte K***** als Bürgermeister gemäß § 84 StPO zur Anzeige verpflichtet gewesen wäre; dagegen habe für den Angeklagten W***** eine derartige Verpflichtung nicht bestanden, weil er als Volksschuldirektor nicht der Leiter einer öffentlichen Behörde oder eines Amtes iSd § 84 StPO sei. Abgesehen davon, liege aber der Tatbestand des § 101 StG bei beiden Angeklagten deswegen nicht vor, weil sie nicht in der Absicht gehandelt hätten, dem Staate Schaden zuzufügen, was vorliegendenfalls darin bestanden haben müsste, dass sie konkrete Maßnahmen zur Strafverfolgung B*****s verhindert und dessen strafbares Verhalten verheimlicht hätten.

Der Schuldspruch des Karl B***** ist unangefochten geblieben. Der Freispruch der Angeklagten Otto K***** und Karl W***** wird von der Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Z 5 und 9a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.

In der Beschwerde wird zunächst gerügt, dass der Ausspruch des Erstgerichtes darüber, ob die Angeklagten erkannt haben, dass das ihnen zur Kenntnis gekommene Verhalten des B***** eine strafbare Handlung darstelle, undeutlich sei. Ferner stehe die Annahme des Erstgerichtes, die Angeklagten hätten damit gerechnet, dass Raimund Ko***** die Anzeige erstatten werde, mit der Aussage dieses Zeugen im Widerspruch. Es sei auch die Ansicht des Erstgerichtes, dass für den Angeklagten W***** keine Anzeigepflicht bestanden habe, unrichtig. Schließlich sei auch die Meinung des Erstgerichtes rechtsirrig, dass zur Erfüllung des Tatbestandes nach § 101 StG erforderlich gewesen wäre, dass die Angeklagten das strafbare Verhalten der Tat B*****s verheimlichen wollten.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Es ist zunächst zu prüfen, ob für die Angeklagten K***** und W***** die Pflicht zur Anzeige des ihnen bekannt gewordenen Verbrechens bestand. Eine allgemeine Anzeigepflicht ist - abgesehen von wenigen hier nicht in Betracht kommenden Delikten - dem österreichischen Recht fremd. Gemäß § 84 StPO sind jedoch alle öffentlichen Behörden und Ämter schuldig, die entweder von ihnen selbst wahrgenommenen oder sonst zu ihrer Kenntnis gelangten strafbaren Handlungen, wenn sie nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten zu untersuchen sind, sogleich dem Staatsanwalt des zuständigen Gerichtes anzuzeigen. Durch diese Bestimmung ist nicht ein aus der Pflicht zur Beaufsichtigung abzuleitendes Gebot, sonder der hievon ganz verschiedene Gedanke ausgesprochen, dass nichts, was in ämtlicher Weise zur Kenntnis gelangt, ignoriert werde. Aus diesem Grunde wird von Behörden und nicht von einzelnen Beamten gesprochen; als selbstverständlich muss hiebei angesehen werden, dass ein einzelner Beamter, wenn er eine selbständige Amtshandlung wahrzunehmen hat, die Behörde vertritt; die Anzeige an die Staatsanwaltschaft hat aber darum doch nicht durch ihn zu geschehen, sondern ihm obliegt nur die Pflicht der Berichterstattung an seine Behörde, welche das Weitere darüber verfügt. Hiedurch bleibt einerseits die besondere für Aufsichtsorgane gegebene Vorschrift unberührt, andererseits wird in das Privatleben gar nicht eingegriffen (Kommissionsberatungen von 1863, abgedruckt bei S. Mayer, II. Band, S 319). Es hat somit jeder Beamte die ihm amtlich bekannt gewordenen strafbaren Handlungen dem Leiter seines Amtes zu melden, damit dieser die Anzeige erstatte, oder, wenn er selbst Leiter des Amtes ist, namens des Amtes die Anzeige zu erstatten. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte K***** in seiner Eigenschaft als Bürgermeister und Obmann des Ortsschulrates, der Angeklagte W***** in seiner Eigenschaft als Direktor der Volksschule von der strafbaren Handlung des Angeklagten B***** Kenntnis erhalten. Das Erstgericht hat daher mit vollem Recht diese Anzeigepflicht beim Angeklagten K***** als Bürgermeister, dem diese Pflicht noch besonders durch § 24 StPO auferlegt ist, und als Obmann des Ortsschulrates angenommen. Dieselbe Verpflichtung bestand aber auch für den Angeklagten W***** als Leiter der Volksschule. Wenn das Erstgericht diese Verpflichtung beim Angeklagten W***** mit der Begründung verneint, eine Schule sei keine Behörde und kein Amt iSd § 84 StPO, weil öffentliche Behörden und Ämter Organe des Staates, der Länder, Bezirke und Gemeinden seien, die nach außen mit entscheidender und verfügender Gewalt ausgestattet und dauernd organisiert seien, um innerhalb einer sachlich und örtlich festgesetzten Wirkungskreises die gestellten Aufgaben der Verwaltung und Rechtsprechung zur erfüllen, so kann dieser Ansicht nicht beigepflichtet werden. Die vom Erstgericht angeführten für das Wesen öffentlicher Behörden und Ämter entscheidenden Merkmale treffen auch für die Schule zu. Denn auch der Unterricht und die Erziehung der Jugend gehört zu den Verwaltungsaufgaben des Staates, die er durch die Schule erfüllt; den Schulen kommt auch innerhalb dieses Wirkungskreises entscheidende Gewalt, so insbesondere die Entscheidung über den Lernerfolg der Schüler zu. Der Oberste Gerichtshof ist auch bereits in der Entscheidung vom 8. 10. 1948, 2 Os 349/48, SSt XIX/166, zum Ergebnis gekommen, dass die Direktion einer Unterrichtsanstalt in ihrem Wirkungskreis Befugnisse der Unterrichtsverwaltung ausübt und zwar selbst keine Behörde, aber ein Ausläufer der Organisation der öffentlichen Verwaltung und bei ihrer Tätigkeit Vertreter der Behörde, der sie unmittelbar untersteht, und nach ihrem Wirkungskreis ein Amt ist. In der Entscheidung vom 3. 10. 1951, 5 Os 611/51, SSt XXII/74, hat der Oberste Gerichtshof darüber hinaus ausgesprochen, dass Schulen als öffentliche Behörden anzusehen seien. Der Charakter der Schulen als öffentlicher Ämter oder Behörden ergibt sich auch daraus, dass die von ihnen ausgestellten Urkunden öffentliche Urkunden iSd § 199d StG sind (SSt XXII/74, EvBl 116/52) und dass Lehrer als Beamte iSd §§ 101 und 153 StG anzusehen sind (SSt XIX/141).

Es ist somit davon auszugehen, dass auch der Angeklagte W***** Leiter eines öffentlichen Amtes ist. Daraus folgt aber, dass er gemäß § 84 StPO zur Anzeige des ihm amtlich zur Kenntnis gelangten Verbrechens verpflichtet war.

Die Angeklagten K***** und W***** konnten von dieser Verpflichtung zur Anzeigeerstattung auch nicht durch den Umstand enthoben werden, dass das Verbrechen möglicherweise auch ohne ihr Zutun dem Staatsanwalt hätte zur Kenntnis kommen können. Es betrifft daher der an sich berechtigte Vorwurf der Nichtigkeitsbeschwerde, es stehe die Feststellung des Urteils, dass die Angeklagten mit der Möglichkeit einer Anzeigeerstattung durch Raimund Ko***** rechnen mussten, mit der Aussage dieses Zeugen im Widerspruch, keinen entscheidenden Umstand, sodass der mit diesem Vorwand geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 281 Z 5 StPO nicht vorliegt. Das Erstgericht erachtete den Tatbestand des § 101 StG selbst bei Vorliegen einer Anzeigepflicht der Angeklagten mangels der Absicht, dem Staate Schaden zuzufügen, für nicht gegeben; dazu wäre nach Ansicht des Erstgerichtes erforderlich gewesen, dass sie konkrete Maßnahmen zur Strafverfolgung des Karl B***** verhindert und dessen Straftat verheimlicht hätten. Diese Ansicht des Erstgerichtes beruht, wie die Nichtigkeitsbeschwerde mit Recht geltend macht, auf einer Verkennung des Tatbestandes des § 101 StG. Diesen Tatbestand verwirklicht auch ein Beamter, der zu einer Amtshandlung verpflichtet wäre, sie aber in Schädigungsabsicht unterlässt. Wenn daher jemand, der gemäß § 84 StPO zur Anzeige eines ihm bekannt gewordenen Verbrechens verpflichtet ist, diese Anzeige nicht erstattet, um die Bestrafung des Verbrechers zu verhindern und dadurch den Staat in seinem konkreten Rechte auf strafgerichtliche Verfolgung des Verbrechers zu schädigen, verantwortet er das Verbrechen nach § 101 StG, ohne dass noch eine weitere aktive Tätigkeit des Anzeigepflichtigen erforderlich wäre. Auch die Angeklagten K***** und W***** haben demgemäß das Verbrechen nach § 101 StG zu verantworten, wenn sie erkannt haben, dass das ihnen bekannt gewordene Verhalten des Karl B***** eine strafbare Handlung darstellt, und sie die Anzeige deshalb unterlassen haben, weil sie nicht wollten, dass B***** dafür bestraft werde.

Hiezu muss noch betont werden, dass diese Verpflichtung zur Anzeigeerstattung nicht etwa in das Ermessen des Beamten gestellt ist oder von seinem Wohlwollen gegenüber dem Übeltäter abhängen darf. Es muss vielmehr bei Vorliegen strafbarer Handlungen von den verpflichteten Beamten die notwendige Anzeige ohne Rücksicht auf die Person des Täters unter Vermeidung jeglicher Vertuschungsmanöver erfolgen. Wie bereits erwähnt, ist die Rechtsansicht des Erstgerichtes, die vermeint, die Angeklagten hätten konkrete Maßnahmen zur Strafverfolgung des Mitangeklagten B***** verhindern müssen, irrig. Die Angeklagten haben vielmehr das Verbrechen nach dem § 101 StG schon dann zu verantworten, soweit sie erkannt haben, dass das ihnen bekannt gewordene Verhalten eine strafbare Handlung darstellt. Es ist nicht erforderlich, dass die Angeklagten erkannt haben, die gegenständliche Straftat bilde ein Verbrechen im Sinne des Strafgesetzes. Der bereits zitierte § 84 StPO spricht ausdrücklich von „strafbaren Handlungen" d. h. der Gesetzgeber will damit sagen, dass die Anzeigepflicht sich auf jedwede den Strafgesetzen zuwiderlaufende Handlungsweise, ausgenommen die Privatanklagedelikte, bezieht. Es genügt also durchaus, wenn die Angeklagten erkannt haben, dass hier eine strafbare Handlung vorgelegen ist, zumal im gegenständlichen Fall allenfalls auch die Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit nach dem § 516 StG vorliegen konnte, da das Abtasten verschiedener Mädchen durch den Angeklagten B***** in Gegenwart zahlreicher anderer Mädchen erfolgte.

Der Oberste Gerichtshof ist schließlich der Ansicht, dass das Erstgericht auch in der Richtung des subjektiven Tatbestandes ausreichende Feststellungen getroffen hat, wenngleich seine Ausdrucksweise nicht gerade glücklich gewählt ist. Aus den Urteilsgründen des Erstgerichtes (S 7 und 8) geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass es von der Annahme ausgehe, beide Angeklagten, die als durchaus intelligente Menschen, noch dazu in öffentlichen Stellungen tätig waren, seien sich völlig klar darüber gewesen, dass es sich hier nicht bloß um geringfügige Ungehörigkeiten und disziplinäre Verfehlungen, sondern um strafbare Handlungen des Angeklagten B***** gehandelt hat. Hinzuweisen ist noch, dass die Verantwortung beider Angeklagten, sie hätten in den Verfehlungen B***** keine strafbare Handlungen erkannt, keineswegs stichhältig ist. Schon das Erstgericht hatte daher die Überzeugung gewonnen, dass beiden Angeklagten zum Bewusstsein gekommen war, dass B***** strafbare Handlungen, nämlich Verbrechen, zumindest aber Übertretungen nach dem § 516 StG begangen hat. Dass beiden Angeklagten diese Umstände wohl bewusst waren, geht auch schon daraus hervor, dass sie, nachdem ihnen zum zweiten Mal Verfehlungen B*****s zur Kenntnis gelangten, diesem dringlich nahelegten, auf die weitere Mitwirkung im Schuldienst zu verzichten. Eine so weitgehende Maßnahme wäre wegen einer bloßen Ungehörigkeit oder disziplinären Verfehlung wohl kaum in die Wege geleitet worden. Schon aus dieser von den Angeklagten bezüglich B***** gezogener Konsequenz geht hervor, dass sie sich über die Lage des Falles völlig klar waren. Diese Feststellung hat auch das Erstgericht in seinem Urteil getroffen. Der Oberste Gerichtshof war daher in der Lage, das angefochtene Urteil im Umfange der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben und in der Sache selbst zu erkennen. Aus den angeführten Gründen waren die Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauches der Amtsgewalt schuldig zu sprechen.

Bei der Strafbemessung war bei beiden Angeklagten mildernd ihr Geständnis und der bisherige untadelhafte Wandel, erschwerend die Wiederholung der Unterlassung einer Strafanzeige. Angesichts dieser Strafzumessungsgründe erscheint die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes nach dem § 54 StG gerechtfertigt und die über beide Angeklagten verhängten Strafen schuldangemessen.

Mit Rücksicht auf das bisherige unbescholtene Vorleben und die Persönlichkeit der Angeklagten und ferner den Umstand, dass sie offenbar nur aus einem falsch verstandenen Menschengefühl sich zur Unterlassung der Anzeige gegen B***** verstanden haben, erachtete der Oberste Gerichtshof den vorläufigen Aufschub der verhängten Freiheitsstrafen für zweckmäßiger als deren sofortige Vollziehung. Es wurde deshalb vom Gesetz über die bedingte Verurteilung Gebrauch gemacht und gleichzeitig auch angeordnet, dass alle mit der Verurteilung verbundenen Rechtsfolgen vorläufig nicht einzutreten haben.

Mit dem gleichen Urteil verhängte das Erstgericht über den Angeklagten Karl B***** wegen des Verbrechens der teils vollbrachten, teils versuchten Schändung sowie des Verbrechens der teils vollbrachten, teils versuchten Verführung zur Unzucht, gemäß dem § 128 StG, zweite Strafstufe, unter Bedachtnahme auf § 34 StG eine schwere Kerkerstrafe in der Dauer von fünf Jahren, verschärft durch ein hartes Lager vierteljährlich. Bei der Strafbemessung wurde mit Rücksicht auf die erschwerenden Umstände der zweite Strafsatz des § 128 StG zur Anwendung gebracht und im Übrigen als erschwerend die Wiederholung der Straftaten fast nach Art einer Gewohnheit, ihre Verübung an verschiedenen Kindern, der Umstand, dass sie vom Angeklagten als Lehrer beim Unterricht verübt wurden und das Zusammentreffen zweier Verbrechen; als mildernd die bisherige Unbescholtenheit, das teilweise Geständnis, der gute Leumund und die vom Angeklagten nicht unglaubwürdig dargetane, den Verstand in gewissen Beziehungen abschwächende Veranlagung und schließlich der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, angenommen. Mit seiner Strafberufung begehrt der Angeklagte B***** eine Herabsetzung der verhängten Freiheitsstrafe.

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Berufungswerber wendet sich insbesonders gegen die Anwendung der zweiten Strafstufe unter gleichzeitiger Wertung verschiedener Umstände als erschwerend. Wenngleich das Erstgericht im Urteilsspruche von der Anwendung der zweiten Strafstufe des § 128 StG spricht, ist jedoch in Wirklichkeit nur von der ersten Strafstufe dieser Gesetzesstelle Gebrauch gemacht worden. Hätte das Erstgericht de facto die zweite Strafstufe anwenden wollen, so wäre, wenn nicht vom außerordentlichen Milderungsrecht Gebrauch gemacht wird, eine fünf Jahre übersteigende Strafe zu verhängen gewesen. Tatsächlich hat also das Erstgericht nur von der ersten Strafstufe des § 128 StG, die einen Strafrahmen von einem bis zu fünf Jahren anführt, Gebrauch gemacht. In diesem Falle wurden aber vollkommen zu Recht die erschwerenden Umstände angeführt und auch entsprechend gewürdigt. Das Erstgericht hat dabei zu Unrecht als mildernd die Unbescholtenheit und den guten Leumund selbständig gewertet, obgleich diese Umstände nur in ihrem Zusammentreffen den Milderungsgrund des untadelhaften Wandels darstellen. Es wurde ferner unterlassen, als weiteren Erschwerungsumstand die erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit, nämlich dadurch, dass die unsittlichen Handlungen vor einer Anzahl weiterer Schüler begangen wurden, zu berücksichtigen. Der etwas abnormalen Veranlagung des Angeklagten wurde vom Erstgericht durchaus entsprechend Rechnung getragen, eine weitere und eingehendere Würdigung des besonderen Gelegenheitsverhältnisses ist nicht zu rechtfertigen. Der Berufungswerber kann schließlich als mildernd nicht ins Treffen führen, dass er zufolge seiner Straftaten auch seiner ihm andernfalls aus seinem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis zukommenden Pension verlustiggegangen ist. Dieser Umstand ist nun eben mit der Verurteilung von Verbrechen verbunden und hat u. a. auch den Zweck, öffentliche Angestellte im besonderen Maße von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die vorliegenden erschwerenden Umstände die mildernden sowohl der Zahl als insbesonders dem Gewichte nach dergestalt übertreffen, dass mit Rücksicht auf den eminenten Unrechtsgehalt der Straftaten des Angeklagten die Verhängung der Höchststrafe innerhalb der ersten Strafstufe des § 128 StG durchaus gerechtfertigt war. Der Berufung des Angeklagten Karl B***** war daher der Erfolg zu versagen.

Die übrigen Entscheidungen gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Anmerkung

E85428 5Os558.55

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0050OS00558.55.0701.000

Dokumentnummer

JJT_19550701_OGH0002_0050OS00558_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten