TE OGH 1955/12/7 2Ob687/55

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Veröffentlicht am 07.12.1955
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Ullrich als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bistritschan, Dr. Elsigan, Dr. Lenk und Dr. Novak als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martin und Franziska B*****, vertreten durch Dr. Dipl. Kfm. Kurt Sailer, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Johann und Juliane K*****, vertreten durch Dr. Alexander Puttinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen Unterlassung (Streitwert 3.000 S), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgerichtes vom 11. Oktober 1955, GZ R 310/55-25, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Raab vom 6. Juni 1955, GZ C 12/55-16, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Berufungsgericht aufgetragen, über die Berufung der beklagten Partei ohne Rücksicht auf den gebrauchten Aufhebungsgrund zu entscheiden.

Die Rekurskosten werden als Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln sein.

Text

Begründung:

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hatten die Vorbesitzer der Beklagten einen Teil der Parzelle 229 Garten EZ ***** ersessen, bevor noch die Kläger im Jahre 1933 das Eigentum an dieser Parzelle durch Kauf buchmäßig erlangt haben. Die Beklagten, die es unterlassen haben, das ersessene Eigentum an einem Teil der vorbezeichneten Parzelle ins Grundbuch eintragen zu lassen, werden von den Klägern auf Anerkennung des Alleineigentumes der Kläger an dieser Parzelle und Unterlassung jeglicher Besitz- und Benützungshandlung daran geklagt. Das Erstgericht hat im Sinne des Klagebegehrens erkannt. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes ist von den Beklagten der Nachweis nicht erbracht worden, dass die Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages oder des Ansuchens um seine Verbücherung von der Ersitzung eines Teiles der Parzelle 229 gewusst oder nur aus ihrem Verschulden nicht gewusst haben. Das Erstgericht folgerte daher, dass gemäß § 1500 ABGB die Ersitzung dieses Grundstückteiles durch die Beklagten den Klägern, die im Vertrauen auf das öffentliche Buch die ganze Parzelle 229 käuflich erworben haben, nicht zum Nachteil gereichen könne; dass deshalb den Klägern das uneingeschränkte Eigentumsrecht an dieser Parzelle zustehe. Dieses Urteil wurde von den Beklagten mit Berufung angefochten. Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Gemäß § 519 Abs 3 ZPO behielt das Berufungsgericht die Rechtskraft seines Aufhebungsbeschlusses vor.

Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes wird von den Klägern mit Rekurs angefochten.

Der Rekurs ist begründet.

Rechtliche Beurteilung

Dem angefochtenen Beschluss liegt die Auffassung zugrunde, es könne sich der gutgläubige Erwerber einer Liegenschaft auf die Vorschrift des § 1500 ABGB nur berufen, wenn er sofort nach erlangter Kenntnis von der Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Sachverhalt und dem Grundbuchsstand nötigenfalls mit Klage einschreitet, weil sonst der gute Glaube durch die Duldung der Ausübung des ersessenen, aber nicht verbücherten Rechtes verloren ginge. Dabei stützt sich die zweite Instanz auf die Entscheidung GlUNF 7720 und auf Klang 2. Auflg. 6. Bd., S 660/661. Die erwähnte Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof auch in zwei Entscheidungen aus jüngster Zeit vertreten (vgl 1 Ob 595/53 - JBl 1954 S 357 - und 7 Ob 338/55). Dabei hat es sich aber in allen diesen Fällen um die Ersitzung dinglicher Rechte an fremden Sachen, in keinem Fall aber um einen Widerstreit zwischen bücherlichem und außerbücherlichem Eigentum wie hier gehandelt. Der Oberste Gerichtshof vermag sich der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsmeinung nicht anzuschließen.

Es war durch längere Zeit streitig, ob der gute Glaube des Liegenschaftserwerbers, um diesen des Schutzes des § 1500 ABGB teilhaftig werden zu lassen, nur beim Erwerbsgeschäft oder auch noch beim Ansuchen um Einverleibung vorliegen müsse (vgl Ehrenzweig 6. Auflg., S 120, Fußnote 7; insbesondere Schauer "Mala fides superveniens beim Erwerb nach § 1500 ABGB", GerZtg 1903, Nr. 47). Nunmehr hat sich die Meinung aber durchgesetzt, dass der gute Glaube des Erwerbers in beiden Zeitpunkten vorhanden sein müsse, auch die Vorinstanzen gehen von dieser herrschenden Meinung aus. Trifft dies aber zu, so erlangt der Erwerber das eingetragene Recht frei von einer laufenden oder einer schon vollendeten Ersitzung (vgl Klang, 2. Auflg., 6. Bd., S 668, Ehrenzweig 6. Auflg., S 252). Da guter Glaube gem § 1500 ABGB für einen späteren Zeitpunkt nicht erforderlich ist, vermag nachträgliche Kenntnis von dem bestandenen, aber noch nicht eingetragenen außerbücherlichen Eigentum an dem unanfechtbaren Recht des bücherlichen Erwerbers nichts mehr zu ändern. Die Wirkung des § 1500 ABGB vermöchte nur nach Maßgabe der §§ 70, 71 GBG ausgeschaltet zu werden. Ist der Voreigentümer aber nicht nach § 1489 ABGB auf Zuerkennung des ersessenen Rechtes geklagt worden und war daher im Zeitpunkt des Ansuchens um Eigentumseinverleibung keine Streitanmerkung eingetragen, dann geht durch den Erwerb im Vertrauen auf das öffentliche Buch das Eigentum wieder verloren und es beginnt eine Neuersitzung zu laufen. Die in der Entscheidung GlUNF 7720 und von dort in die beiden anderen Entscheidungen - übrigens ohne jede normative Grundlage - übernommene Ansicht, dass zwar nachträgliche Kenntnis des wahren Sachverhaltes für sich allein noch nicht, wohl aber bei weiterer Duldung der Ausübung des nicht verbücherten Rechtes durch den Usucapienten verloren gehe, beruht offenbar auf ähnlichen Erwägungen, die in Deutschland zur Ausbildung des Instituts der "Verwirkung infolge Unterlassung der Rechtsausübung" geführt haben (vgl Klang, 2. Auflg. 6 Bd. S 564, EvBl 1953 Nr. 160). Eine solche Verwirkung ist aber vom österreichischen Obersten Gerichtshof nur für den Fall anerkannt worden, als die Unterlassung der Rechtsausübung gegen Treu und Glauben verstößt, insbesondere also gegenüber Vertragspartnern. Wollte man diese Gedankengänge auf den vorliegenden Fall anwenden, dann würde die Unterlassung der rechtzeitigen Rechtsausübung in erster Linie dem außerbücherlichen Eigentümer vorzuwerfen sein, der infolge seiner Untätigkeit in Bezug auf die Herbeiführung eines der tatsächlichen Lage entsprechenden Grundbuchstandes die Voraussetzungen für den Verlust des bereits ersessenen Eigentums nach Maßgabe des § 1500 ABGB und § 71 GBG geschaffen hat. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes kommt es daher für die Entscheidung des Rechtsstreites nicht auf die Frage einer mala fides superveniens auf Seite des bücherlichen Erwerbers, sondern auf dessen guten Glauben beim Erwerb (d.i. beim Abschluss des Erwerbungsgeschäftes und beim Ansuchen um Verbücherung) an. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann guter Glaube nur angenommen werden, wenn keine Umstände vorlagen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchsstand abweichenden Sachverhalt erkennen ließen (GlUNF 6189, 6384, ZBl 1936 Nr. 221, SZ XXIII/225, 287, 3 Ob 43/55, 3 Ob 320/55, 3 Ob 497/55). Das nachträgliche Verhalten der Kläger wird daher nicht unter dem Gesichtswinkel des Verlustes des durch § 1500 ABGB gewährten Rechtsschutzes, sondern vielmehr allenfalls als Indiz für das Nichtvorhandensein der Voraussetzung des guten Glaubens nach dieser Gesetzesstelle in Betracht kommen.

Da nach der Ansicht des Obersten Gerichtshofes die vom Berufungsgericht angeordneten Feststellungen entbehrt werden können, das Berufungsgericht aber die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes in der Richtung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1500 ABGB nicht zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht hat, war der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes zu kassieren und ihm eine neue Entscheidung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E85423 2Ob687.55

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0020OB00687.55.1207.000

Dokumentnummer

JJT_19551207_OGH0002_0020OB00687_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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