Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Hammer, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****-Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Dr. Heinz Baldinger, Rechtsanwalt in Wels, Oberösterreich, wider die beklagte Partei Heinrich B*****, technischer Angestellter in *****, vertreten durch Dr. Oskar Koss, Dr. Hermann Eiselsberg, Rechtsanwälte in Wels, Oberösterreich, wegen 19.862,25 S s. A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 2. Dezember 1959, GZ 1 R 383/59-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 30. September 1959, GZ 1 Cg 201/59-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 807,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Untergerichte haben folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am 9. 5. 1954 um 14,20 h ereignete sich auf der Salzburger-Straße am wesentlichen Ortsausgang der Stadt Wels bei Straßenkilometer 209,4 ein schwerer Verkehrsunfall. Roman T***** fuhr damals mit seinem Solokrad BMW, auf dessen Soziussitz der Gend. Beamte Friedrich N***** sass, aus der Richtung Lambach kommend in Richtung Wels. Zur gleichen Zeit kam der Beklagte mit seinem Beiwagenkrad aus der entgegengesetzten Richtung. Im Beiwagen sass dessen Gattin Maria B*****. T***** fuhr mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h, schnitt eine Kurve und kam dabei auf seine linke Straßenhälfte. Der Beklagte, der mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h fuhr, wollte eine am rechten Straßenrand fahrende Gruppe von 4 Radfahrern, die je zu zweit nebeneinander fuhren und eine Breite von 1,60 m benötigten, überholen. Als er den auf seiner falschen Fahrbahnseite entgegenkommenden T***** bemerkte, riss er seine Beiwagenmaschine nach links, um einen Unfall hintanzuhalten. Die beiden Fahrzeuge stießen jedoch mit unverminderter Geschwindigkeit zusammen. Dabei wurde die Beiwagenmaschine des Beklagten im Uhrzeigersinne zurückgedreht, der Beiwagen zertrümmert und von der Maschine abgerissen. Friedrich N***** wurde beim Zusammenstoß vom Motorrad des T***** 26 m weit nach vorne geschleudert; er erlitt eine tödliche Verletzung und starb bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus. Maria B*****, die Gattin des Beklagten, wurde auf der Stelle getötet. Als sich T***** der Unfallstelle näherte, befand er sich weit auf seiner linken, falschen Straßenseite. So hatte er, als er noch ca. 50 m von der Unfallstelle entfernt fuhr, von zwei dort in Richtung Lambach am rechten Straßenrand hintereinander fahrenden Radfahren einen Seitenabstand von nur ca. 1/2 m. An der Unfallstelle ist die Fahrbahn 7 m breit; rechts und links schließt an die Fahrbahn je ein 0,80 m breites Bankett an. Es beginnt dort in Richtung Lambach gesehen eine leichte, auf 150 - 180 m übersichtliche Rechtskurve. Roman T***** wurde zu 11 E Vr 624/54 des KG Wels wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens rechtskräftig verurteilt, weil er diesen Verkehrsunfall dadurch verschuldet habe, dass er bei dem herrschenden regen Verkehr mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren sei und die vorgeschriebene Fahrtrichtung insofern nicht eingehalten habe, als er die Kurve geschnitten habe und auf seiner linken Fahrbahnhälfte gefahren sei. Der Beklagte wurde in erster Instanz ebenfalls wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens verurteilt, vom Berufungsgericht jedoch freigesprochen.
Die klagende Partei hat als Versicherer des Roman T***** an die Witwe
des tödlich verunglückten Friedrich N***** und deren Kinder einen
Abfindungsbetrag von 20.000,-- S
und an Anwaltskosten 3.500,-- S
bezahlt.
Weiters hat sie an die Pensions-
versicherung der Angestellten in
Wien zur Abfindung der gegen
T***** bestehenden Regress-
ansprüche dieser Anstalt einen
Betrag von 55.000,-- S
und aufgelaufene Anwaltskosten in
der Höhe von 950,-- S
bezahlt. Sie hat sohin als Ver-
sicherer des Roman T*****Leistungen
in der Gesamthöhe von 79.450,-- S
erbracht.
Sie begehrt mit der vorliegenden
Klage 1/4 dieses von ihr
geleisteten Betrages sohin 19.862,25 S
(mathematisch richtig wären es S 19.862,50) mit der Begründung, dass den Beklagten ein 25%iges Mitverschulden an dem Unfall treffe und die Regressansprüche, die T***** gegen den Beklagten habe, gemäß § 67 VersVG und § 1358 ABGB auf die klagende Partei übergegangen seien. Das Erstgericht hat das Klagebegehren, nachdem sein erstes abweichendes Urteil vom Berufungsgericht aufgehoben worden war, mit Urteil vom 30. 9. 1959, ON 33, neuerlich abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dieses erstgerichtliche Urteil bestätigt. Dagegen richtet sich die auf § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO gestützte Revision der klagenden Partei. Beantragt wird Abänderung dahingehend, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, allenfalls Aufhebung des Urteiles des Berufungsgerichtes und Rückverweisung der Sache an dieses Gericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht begründet.
Zur Mängelrüge ist zu sagen:
Die klagende Partei hat bereits in ihrer Berufung als einen Mangel des Verfahrens I. Instanz gerügt, dass das erste Gericht nicht festgestellt habe, wo sich eine Frau mit einem Kinderwagen, auf die der Beklagte vor dem Unfall sein Augenmerk gerichtet habe, befunden habe.
Das Berufungsgericht hat diesen Mangel als nicht gegeben erachtet, weil der Erstrichter ausgesprochen habe, dass die Existenz einer solchen Frau mit einem Kinderwagen überhaupt nicht erwiesen sei (S. 163); diese Beweiswürdigung wurde vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommen.
Wenn die Revision nunmehr einen Mangel des Berufungsverfahrens deshalb behauptet, weil der Erstrichter das Vorhandensein einer Frau mit einem Kinderwagen nicht festgestellt habe und das Berufungsgericht dies als unbedenklich übernommen habe, so greift sie nur in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen an. Insofern sie aber die Ansicht des Berufungsgerichtes (S. 200), der Beklagte habe bei seiner neuerlichen Einvernahme strikte in Abrede gestellt, durch Beobachten des Kindeswagens in seiner Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr abgelenkt worden zu sein, als aktenwidrig bezeichnet, weil der Beklagte anlässlich seiner ersten Einvernahme als Partei (S. 64/65) ausdrücklich gesagt habe, er habe auf das Kind im Kinderwagen geschaut, während er bei seiner ergänzenden Einvernahme im Zuge der mündlichen Streitverhandlung vom 26. 9. 1958 erklärt habe, "er glaube sich erinnern zu können, dass rechts am Straßenrand nächst der Unfallstelle eine Frau mit einem Kinderwagen gefahren sei, doch habe er dies nur registrierend mit einem Auge wahrgenommen (S. 147)", greift sie wieder in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Untergerichte an; denn wenn diese den Angaben des Beklagten anlässlich seiner ergänzenden Vernehmung (S. 147) gefolgt sind, und daraus abgeleitet haben, dass seine Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr entsprechend seinen Angaben durch den Kinderwagen - dessen Existenz übrigens von den Tatsachengerichten nicht als erwiesen angenommen wurde - nicht abgelenkt worden sei, weil er ihn ja nur registrierend mit einem Auge wahrgenommen habe, so haben sie keineswegs den Inhalt der Parteiaussage unrichtig wiedergegeben - und nur dies könnte eine Aktenwidrigkeit begründen -, sondern diese Aussage im Rahmen der ihnen zustehenden freien Beweiswürdigung in dem von ihnen angeführten, keineswegs denkgesetzwidrigen Sinne gewertet. In längeren Ausführungen befasst sich die Revision hierauf unter Anrufung der Z 3 des § 503 ZPO damit, dass das Berufungsgericht angenommen habe, der Zusammenstoß sei noch auf der linken, also falschen Seite des Motorradfahrers T***** erfolgt, während das Strafgericht festgestellt habe, dass der Zusammenstoß in der Straßenmitte erfolgt sei.
Hiezu ist zunächst darauf zu verweisen, dass das Strafgericht (S. 204 des Strafaktes) ausführt, es komme der Feststellung jener Stelle, an der der Unfall erfolgt sei, keine, jedenfalls aber nicht die entscheidende Bedeutung zu, welche ihr von Roman T***** beigemessen werde, weil er jedenfalls vor dem Unfall auf seiner falschen Seite mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Das Strafgericht hat (S. 206 des Strafaktes) auch die Behauptung des T*****, dass er im Momente des Zusammenstoßes bereits auf seiner rechten richtigen Fahrbahnseite gefahren sei, als unhaltbar abgelehnt. Wenn das Berufungsgericht aus diesen Ausführungen in der Begründung des Strafurteils ableitet, dass dieses Gericht mit der "Mitte der Fahrbahn" nur eine ungefähre Bezeichnung der Stelle des Zusammenstoßes geben wollte, so ist dies keineswegs aktenwidrig, zumal vollkommen exakte Feststellungen über die örtlichen Verhältnisse erfahrungsgemäß kaum getroffen werden können. Der Feststellung des genauen Ortes des Zusammenstoßes kommt auch - und hier ist bereits auf die Rechtsrüge überzuleiten - keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Denn Roman T***** ist vor dem Unfall, nachdem er eine Kurve geschnitten hatte, mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h auf seiner falschen (linken) Straßenseite weiter gefahren und hat dadurch allein den Unfall verschuldet. Er hat nicht nur gegen den Fundamentalgrundsatz unseres Straßenverkehrsrechtes, lt. welchem er grundsätzlich auf seiner rechten Seite zu bleiben hatte (§ 13 Abs 1 StPolG. = § 15 Abs 1 StPol-O.) verstoßen, sondern auch - obwohl er auf seiner falschen Seite war - eine Fahrgeschwindigkeit gewählt, die unter den gegebenen Umständen (§ 18 StPolG. = § 20 StPolO.) viel zu hoch war. Demgegenüber haben die Untergerichte irgendein Mitverschulden des Beklagten ohne Rechtsirrtum verneint.
Aus § 16 Abs 4 StPolG. = § 18 Abs 4 StPolO. ist nur abzuleiten, dass in einer unübersichtlichen oder sonst gefährlichen Kurve das Überholen verboten ist (5 Os 433/57). Von einer Unübersichtlichkeit kann nun deshalb nicht gesprochen werden, weil sich die Kurve in der Fahrtrichtung des Beklagten (Richtung Lambach) als eine leichte, auf ca. 150 - 180 m übersichtliche Rechtskurve darstellt. Aber auch eine sonstige Gefährlichkeit war nicht gegeben, weil der Beklagte bei der festgestellten Straßenbreite von 7 m die vor ihm fahrenden Radfahrer ohneweiteres überholen konnte, ohne hiebei seine eigene rechte Fahrbahnhälfte verlassen zu müssen; der Beklagte konnte nach den Feststellungen der Untergerichte das von T***** gelenkte Motorrad zwar schon sehen, als es noch ca. 100 m von der Unfallstelle entfernt war, er konnte aber damals noch nicht erkennen, dass T***** auf der falschen Seite fuhr. Nach dem sogenannten Vertrauensgrundsatz durfte er sich darauf verlassen, dass sich T***** auf seiner rechten Fahrbahnhälfte aufhalten werde, es bestand für ihn daher in diesem Zeitpunkte kein Anlass, vom Überholen der Radfahrer abzustehen, weil er ja hiebei noch immer leicht auf seiner rechten Fahrbahnhälfte bleiben konnte und nicht befürchten musste, mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des T*****, wenn es auf seiner richtigen rechten Seite fuhr, in Kollision zu kommen. Hierauf war T***** - auf eine Entfernung von 100 - 150 m von der Unfallstelle - durch die vor dem Beklagten fahrenden Radfahrer verdeckt. Als ihn der Beklagte 50 m vor der Unfallstelle aus der Verdeckung durch die Radfahrer wieder auftauchen sah, erkannte er dessen Fahrweise auf der falschen Straßenseite. Dass er nunmehr, um einen Zusammenstoß mit dem sehr rasch (90 km/h) fahrenden T***** zu vermeiden, sein eigenes Fahrzeug nach links riss, kann ihm nicht als Verschulden angelastet werden, mag auch seine Reaktion auf das grob vorschriftswidrige Verhalten des T***** dem Wortlaute des § 15 Abs 1 StPolG. = § 17 Abs 1 StPolO. nicht entsprochen haben (vgl 2 Ob 353/58). Denn diese Reaktion des Beklagten, der vorher nicht gegen die Verkehrsvorschriften verstoßen hatte, wurde nur durch das grob vorschriftswidrige Verhalten des T***** ausgelöst.
Wenn die Revision dem Beklagten vorwirft, er habe den Unfall verschuldet, weil er - da er ja die vor ihm fahrenden Radfahrer überholen wollte - nicht ganz rechts, sondern mehr zur Straßenmitte zugefahren sei - wobei er aber nach den Feststellungen der Vorinstanzen immer noch auf seiner rechten Fahrbahnmitte geblieben ist -, so übersieht sie, dass T***** jedenfalls auf seiner falschen Straßenseite überhaupt nichts zu suchen hatte und daher nur sein Verhalten den Unfall verursacht hat. Denn wenn T***** auf seiner richtigen Fahrbahnhälfte gefahren wäre, so wäre es nicht zum Unfall gekommen.
Insofern die Revision dem Beklagten aber vorwirft, er habe die Fahrbahn zu wenig beachtet, weil er eine Frau mit einem Kinderwagen betrachtet habe, geht sie nicht von der entgegengesetzten Feststellung der Untergerichte aus und ist daher in diesem Punkte nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.
Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage trifft den Beklagten kein Verschulden am Unfall. Es kommt aber auch eine Ausgleichungspflicht im Sinne des § 17 KraftVerkG. nicht in Betracht, weil der Unfall, wie bereits oben gesagt wurde, nur durch das grob vorschriftswidrige Verhalten des T***** verursacht wurde.
Da sich somit keiner der geltendgemachten Revisionsgründe als stichhältig erwiesen hat, war der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E75733 2Ob49.60European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00049.6.0427.000Dokumentnummer
JJT_19600427_OGH0002_0020OB00049_6000000_000