Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Zweiten Präsidenten Dr. Fellner als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schuster, Dr. Gitschthaler, Dr. Zierer und Dr. Bachofner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Emma H*****, vertreten durch Dr. Karl Zingher, Rechtsanwalt in Wien I., wider die beklagten Parteien 1.) Dkfm Kurt H*****, 2.) Maria H*****, beide vertreten durch Dr. Friedrich Aichberger, Rechtsanwalt in Wien VIII., wegen Aufhebung eines Vertrages (Streitwert 100.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. Februar 1960, GZ 7 R 51/60-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 14. Jänner 1960, GZ 2a Cg 325/59-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.608,77 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht hat das Klagebegehren des Inhalts, 1.) der zwischen den Streitteilen am 18. 8. 1952 vor dem Notar Dr. Julius Friebe in Matzen abgeschlossene Leibrentenvertrag sei aufgehoben, 2.) die beklagten Parteien seien schuldig, in die Einverleibung des Eigentumsrechtes für die klagende Partei ob des zum Bestand der Liegenschaft EZ 34, GB *****, gehörigen Halblehens Nr. 34 in *****, Grundstücke Nr. 131 Wohnhaus und Hof sowie 63 Garten, *****, zu bewilligen, 3.) der Erstbeklagte sei schuldig, der Klägerin das im Hause Nr. 34 in ***** von ihm betriebene Gemischtwarengeschäft, jedoch ohne Warenbestand zu übergeben, und 4.) die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin den Betrag von 2.874 S samt 4 % Zinsen ab 1. 7. 1959 zu bezahlen, abgewiesen. Dieses Urteilsbegehren begründete die Klägerin im Wesentlichen mit folgendem Vorbringen: Sie habe im Prozess 1 Cg 286/55 des Kreisgerichtes Korneuburg die Nichtigkeit des am 18. 8. 1952 mit den Beklagten abgeschlossenen Leibrentenvertrages wegen Willensmängeln geltend gemacht, die Beklagten hätten dagegen dieses Begehren bestritten und die Gültigkeit des Leibrentenvertrages behauptet. Solange die Nichtigkeit des Vertrages nicht feststehe, seien die Beklagten zur Leistung der bedungenen wertgesicherten monatlichen Leibrente verpflichtet. Dieser Verpflichtung seien die Beklagten nicht nachgekommen, weil sie nur 1.900 S monatlich, nicht aber die sich auf Grund der Wertsicherungsvereinbarung ergebenden Mehrbeträge bezahlt hätten. Aus diesem Titel seien die Beklagten den eingeklagten Betrag von 2.874 S für die Zeit vom Juli 1957 bis Juni 1959 schuldig geworden. Sie hätten eine Bezahlung der Erhöhungsbeträge ausdrücklich abgelehnt. Diese Ablehnung stelle einen wichtigen Grund zur vorzeitigen Auflösung des Leibrentenvertrages dar, weshalb die Klägerin den Vertrag vom 18. 8. 1952 für vorzeitig aufgelöst erkläre. Die Beklagten wendeten ein, dass sie sich nur geweigert hätten, die Erhöhungsbeträge zu bezahlen, solange die Klägerin im Prozess 1 Cg 286/55 des Kreisgerichtes Korneuburg die Nichtigkeit des Vertrages behaupte. Die Erhöhungsbeträge betrügen nicht einmal 10 % der Grundrente, die die Beklagten monatlich zahlten. Die Beklagten weigerten sich jetzt auch nicht mehr, diese Erhöhungsbeträge zu bezahlen, was sich daraus ergebe, dass sie den von der Klägerin verlangten Betrag gemäß § 1425 ABGB beim Bezirksgerichte Gänserndorf zu 1 Nc 196/59 hinterlegt hätten.
Das Erstgericht stellte die Richtigkeit der Einwendungen der Beklagten und darüber hinaus noch Folgendes fest: Dem Rekurs der Erlagsgegnerin (Klägerin im gegenwärtigen Streit) gab das Rekursgericht nicht Folge. Es führte in der Begründung aus, dass die Rekurswerberin die Bestimmungen des § 1425 ABGB völlig verkenne; denn nach dieser Gesetzesstelle stehe es dem Schuldner frei, bei Abwesenheit oder Unbekanntheit des Gläubigers, bei Unzufriedenheit desselben mit der angebotenen Leistung oder überhaupt aus anderen wichtigen Gründen die abzutragende Sache bei Gericht mit schuldbefreiender Wirkung zu hinterlegen. Ob solche Gründe vorliegen, habe das Gericht nicht zu prüfen, es genüge, dass einer der angeführten Gründe behauptet werde.
Rechtlich argumentierte das Erstgericht: Leibrentenverträge gehörten zu den Glücksverträgen. Bei Verzug in der Rentenzahlung stehe dem Rentennehmer kein Rücktrittsrecht zu, weil die Rente nicht Teilzahlung sei. Damit sei die von der Klägerin in ihrer Klage erklärte vorzeitige Auflösung des Leibrentenvertrages unwirksam. Über die von ihr im Streite 1 Cg 286/55 des Kreisgerichtes Korneuburg angestrebte Nichtigerklärung des mit dem Beklagten abgeschlossenen Leibrentenvertrages sei noch nicht rechtskräftig entschieden. Käme es zur Entscheidung der Nichtigkeit des Leibrentenvertrages, so hätten die beiden Beklagten inzwischen die monatlichen Leibrentenzahlungen ohne Rechtsgrund geleistet. Eine solche Unklarheit der Rechtslage bilde aber einen wichtigen Grund nach § 1425 ABGB, der den Schuldner zur Hinterlegung mit schuldbefreiender Wirkung berechtige. Das Berufungsgericht verweigerte der Berufung gegen das erstgerichtliche Urteil den Erfolg. Ob der Verzug der Rentenschuldner in der Entrichtung der Rente der Klägerin das Recht zum Rücktritt oder zur vorzeitigen Vertragsauflösung in Analogie zu § 1118 ABGB nicht gewähre, könne, so meint das Berufungsgericht, dahingestellt bleiben. Jedenfalls behaupte aber die Klägerin selbst, dass der Leibrentenvertrag nichtig sei; schon deshalb sei sie nicht berechtigt, von den Beklagten Erfüllung des Vertrages durch Nachzahlung von Mehrbeträgen zu verlangen. Vielmehr seien die Beklagten berechtigt, ihre Leistungen zurückzuerhalten, weil ihnen aus der nicht gehörigen Vertragserfüllung kein Vorwurf gemacht werden könne, sobald sich die Klägerin selbst an den Vertrag nicht gebunden halte. Würde nämlich der Leibrentenvertrag als nichtig aufgehoben, dann müsste jeder Teil das zurückgeben, was er aus diesem Vertrage zu seinem Vorteile erhalten habe. Die Klägerin habe auch nicht als Rechtsgrund die Herausgabe der von den Beklagten aus dem nach ihrer Meinung nichtigen Leibrentenvertrag bezogenen Vorteile verlangt. Da die Beklagten berechtigt seien, die Rentenleistung überhaupt zurückzuerhalten, bestehe auch kein Recht der Klägerin auf Bezahlung der durch die Wertsicherung eingetretenen Rentenerhöhungen. Ebenso brauche nicht erörtert zu werden, ob die Beklagten mit Recht den Klagsbetrag nach § 1425 ABGB hinterlegt haben. Die Hinterlegung habe jedenfalls keinen Einfluss auf den Anspruch der Beklagten auf Kostenersatz.
Das Berufungsurteil ficht die klagende Partei seinem gesamten Inhalt nach aus den Revisionsgründen der irrigen rechtlichen Beurteilung der Sache und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit Revision an, in der sie den Antrag stellt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, allenfalls das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht oder an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die beklagten Parteien beantragen dagegen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt. Sie beschäftigt sich zunächst mit der Frage, ob bei Leibrentenverträgen der Verzug in der Rentenleistung einen Aufhebungsgrund bildet. Einer Beantwortung dieser Frage ist das angefochtene Urteil wegen Entbehrlichkeit mit Recht ausgewichen. Bereits in der Entscheidung vom 3. 2. 1954, 1 Ob 36/54 = SZ XXVII/21, hat der Oberste Gerichtshof erkannt, dass dann, wenn ein Teil die Aufhebung des Vertrages wegen Irreführung beantragt, der andere Teil seine Leistung zurückerhalten kann. Wer Erfüllung auf Grund eines abgeschlossenen Vertrages verlangt, muss selbst den Vertrag zu erfüllen bereit sein. Ist dies nicht anzunehmen, weil der die Erfüllung verlangende Teil bereits klar zu erkennen gegeben hat, dass er sich an den abgeschlossenen Vertrag nicht gebunden erachtet, so kann dem anderen Teil nicht etwa Verzug in der Vertragserfüllung zum Vorwurf gemacht werden. Vielmehr ist der andere Teil bei einer solchen Haltung eines Vertragspartners, der die Aufhebung des Vertrages infolge Irreführung im Rechtsweg anstrebt, berechtigt, gestützt auf § 1052 ABGB seine Leistung zurückzuhalten, zumal bei tatsächlicher Aufhebung des Kaufvertrages infolge Vorliegens von Willensmängeln jeder Vertragsabschließende alles zurückzustellen hat, was er aus diesem Vertrag vom anderen Teil erhielt. In der Entscheidung vom 6. 6. 1957, 1 Ob 320/57, die einen ähnlichen wie den vorliegenden Fall betrifft, hielt der Oberste Gerichtshof an der Rechtsansicht der vorhin genannten Entscheidung fest und nahm darüber hinaus auch zu dem Argument, dass die Klägerin durch Übergabe der Liegenschaft den Vertrag erfüllt habe und daher auf Erfüllung bestehen könne, zumal die Beklagte die Früchte genieße, mit folgenden Sätzen Stellung: „Erfüllung iSd § 1052 ABGB ist nicht im bloß formalen, sondern im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen und umfasst auch die Bereitschaft des Verkäufers, die verkaufte Sache seinem Vertragspartner zu belassen. Eine Erfüllung unter gleichzeitiger oder nachfolgender Bestreitung des Titels ist eben keine wirkliche, sondern eine bloß scheinbare Erfüllung. Aus dieser Auffassung folgt, dass der vertragsgetreue Teil seine Leistung zurückerhalten kann, wenn der andere Partner ihm den Titel streitig macht". Von der hier wiedergegebenen Rechtsansicht abzugehen, bietet der vorliegende Fall keine Veranlassung. Mit der Behauptung, dass der Vertrag wegen Willensmängeln nicht giltig zustande gekommen sei, hat die Klägerin die von ihr bewirkte Erfüllung des Vertrages wieder in Frage gestellt, den Vertrag also nicht gehörig erfüllt. Die Mängel der Leistung können verschiedener Art sein, und zwar Quantitäts- oder Qualitätsmängel, Sach- oder Rechtsmängel; jedenfalls rechtfertigt die Einstellung der Klägerin zu dem von ihr abgeschlossenen Geschäft die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrages. Diese Einrede wird durch ihren Zweck bestimmt und begrenzt: Die Verweigerung der Gegenleistung soll den Leistungsberechtigten sichern und zugleich auf den Willen des Gegners einen Druck ausüben. Um dieses zweiten Zweckes willen kann der Berechtigte, auch wenn der Vertrag schon zum größten Teil erfüllt ist, immer noch die ganze Gegenleistung verweigern (Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, § 322 V). Entgegen der Meinung der Revisionswerberin besteht eine gehörige Erfüllung des Vertrages nur in der vorbehaltlosen, uneingeschränkten Überlassung und Belassung der vertragsmäßigen Leistung, nicht aber darin, dass nach Übergabe der Sache das rechtmäßige Zustandekommen des Vertrages bestritten und gemäß dieser Bestreitung der Vertrag im Prozessweg als nichtig angefochten, somit die Rückübergabe der geleisteten Sache gefordert wird. Ob die Beklagten wegen des Grundsatzes des § 877 ABGB verpflichtet wären, wenigstens ein Entgelt für die Benützung der Liegenschaft bis zur tatsächlichen Rückstellung zu leisten, kann dahingestellt bleiben, weil ein solches Verlangen im Verfahren vor dem Erstgerichte nicht gestellt wurde. Den Beklagten, die ohnedies die Grundrente laufend weiterzahlen und nur den aus der Wertsicherungsklausel sich ergebenden Mehrbetrag der Rente gerichtlich hinterlegten, kann also kein Vorwurf aus ihrer Reaktion gegen das Verhalten der Klägerin gemacht werden. Obwohl dies bei dem vom Obersten Gerichtshof vertretenen Standpunkt gar nicht notwendig wäre, soll noch mit ein paar Worten auf die Erlagsfrage eingegangen werden. § 1425 ABGB führt nebst den ausdrücklich genannten ganz allgemein auch „andere wichtige" Gründe für die gerichtliche Hinterlegung einer geschuldeten Leistung an. Wie Swoboda in seinem „Recht der Schuldverhältnisse" auf Seite 172 richtig bemerkt, verleugnet das Gesetzbuch auch an dieser Stelle nicht seine Schmiegsamkeit, indem es allgemein bestimmt, dass das Recht des Schuldners zur Hinterlegung auch „aus anderen wichtigen Gründen" erwächst. Auch Unklarheit der Rechtslage kann daher einen wichtigen Grund iSd § 1425 ABGB bilden (E. vom 27. 10. 1931, SZ XIII 228). Ist aber an der Bestätigung des erstrichterlichen Urteils durch das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht nichts auszusetzen, braucht auf die Mängelrüge, die sich nur mit der Frage, ob der Erlag der eingeklagten Rückstände schuldbefreiend war und ob nicht wenigstens zur Leistung eines angemessenen Benützungsentgeltes zu verurteilen gewesen wäre, nicht eingegangen zu werden. Der Revision war mithin kein Erfolg zuzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E85237 1Ob123.60European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1960:0010OB00123.6.0428.000Dokumentnummer
JJT_19600428_OGH0002_0010OB00123_6000000_000