TE OGH 1961/1/20 2Ob497/60

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Veröffentlicht am 20.01.1961
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leopoldine J*****, Inhaberin einer Strickwarenerzeugung, *****, vertreten durch Dr. Franz Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Anton P***** sen, Landwirt, *****, vertreten durch Dr. Werner Payr, Rechtsanwalt in Melk, wegen 1.992 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Berufungsgerichtes vom 20. Oktober 1960, GZ R 600/60-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Melk vom 23. August 1960, GZ C 34/60-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Zwischenurteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil erster Instanz wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 751,74 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am Abend des 4. 10. 1959 bei Dunkelheit sprang der Schäferhund des Beklagten unweit Winden auf die Autobahn. Dabei prallte er mit dem Kraftwagen der Klägerin zusammen, der dadurch beschädigt wurde. Die Klägerin verlangt Schadenersatz und wurde in erster Instanz abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat den Rechtsbestand des Anspruches mit Zwischenurteil bejaht.

Der Beklagte bekämpft das Zwischenurteil des Berufungsgerichtes seinem ganzen Inhalt nach mit Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, das angefochtene Urteil im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen diente der zur Unfallszeit etwa eineinhalb Jahre alte Hund - ein Rüde - auf dem Anwesen des Beklagten als Wachhund. Er war tagsüber angekettet, abends oder wenn alle Bewohner das Haus verließen, wurde er von der Kette gelassen und konnte im Hof des Anwesens frei herumlaufen. Manchmal wurde er abends durch das Hoftor auf die Straße gelassen, von wo er regelmäßig nach kurzer Zeit freiwillig zurückkehrte. Der Hof wird von zwei Wohntrakten, einem 2,20 m, an einer Stelle nur 1,60 m hohen Zaun und dem nicht versperrten Tor umschlossen. Der Hund hatte weder die Gewohnheit, über den Zaun zu springen oder etwa das Hoftor selbst zu öffnen, noch zu wildern und zu streunen. Am Unfallsabend wurde er um etwa ½ 7 Uhr und wenig später von zwei verschiedenen Hausbewohnern im Hof gesehen. Ungefähr eine Viertelstunde später wurde der Beklagte auf den Unfall aufmerksam gemacht.

Während das Erstgericht der Meinung war, dass dem Beklagten der ihm als dem Tierhalter obliegende Beweis, für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes gesorgt zu haben, gelungen sei, vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, der Beklagte wäre mit Rücksicht auf die Nähe der Autobahn verpflichtet gewesen, durch Absperren des Hoftores zu verhindern, dass der Hund unkontrolliert ins Freie gelange.

Worin die von der Revision behauptete Aktenwidrigkeit, also eine Feststellung auf aktenwidriger Grundlage, bestehen soll, kann den Revisionsausführungen nicht entnommen werden.

Einen Verfahrensmangel erblickt die Revision im Unterbleiben der Beweisaufnahme durch Parteienvernehmung und Ortsaugenschein. Aufgrund der vorliegenden, voneinander stark abweichenden Beweisergebnisse hätte - so wird ausgeführt - nicht angenommen werden dürfen, dass das Anwesen des Beklagten der Autobahn so nahe liege, dass dies ein Absperren des Hoftors erfordert hätte. Es hätte sich auch ergeben, dass die Autobahn an der Unfallstelle auf einer bedeutend erhöhten Trasse verlaufe und dass die Unfallsstelle im Bereich eines durch Verkehrszeichen angezeigten Wildwechsels liege, weshalb Kraftfahrer ihre Fahrweise auf die Möglichkeit einstellen müssten, dass Wild auf der Fahrbahn sei.

Der letzte Einwand geht schon deshalb ins Leere, weil die Fahrweise des Lenkers des beschädigten Wagens nur im Fall eines diesem anzulastenden Mitverschuldens bedeutsam wäre, der Beklagte aber ein solches in erster Instanz nicht behauptet hat und diese Behauptung im Rechtsmittelverfahren nicht nachholen kann. Ob aber das Haus zwanzig oder zweihundert Meter - so lauten die Mindest- und Höchstangaben der Zeugen P***** und T***** - von der Autobahn entfernt und die Fahrbahn nur über eine Böschung erreichbar ist, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Denn ein Hund von der Art der des Beklagten kann an sich eine Entfernung im angegebenen Höchstmaß ebenso leicht in kurzer Zeit zurücklegen wie ihm die Überwindung einer Straßenböschung kaum Schwierigkeiten zu bereiten vermag. Die allgemein gehaltene Schlussfolgerung des Berufungsgerichtes, das Anwesen des Beklagten liege "in Autobahnnähe", beruht daher auch keineswegs auf einem mangelhaften Verfahren.

Rechtlich ist in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass nach der Vorschrift des hier in Betracht kommenden § 1320 ABGB die Haftung dann eintritt, wenn der Tierhalter (2. Satz) oder derjenige, den zur Zeit des schädigenden Ereignisses die Verwahrungspficht trifft (1. Satz) die nach den ihm bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrsauffassung von ihm vernünftiger Weise zu erwartende Verwahrungspflicht vernachlässigt hat und infolgedessen durch ein Tier ein Schaden angerichtet worden ist. Die Umkehrung der Beweislast gilt allerdings nur für den Tierhalter selbst. Die Unterlassung der nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen ergibt ein Verschulden der verantwortlichen Person. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung im Einzelfall geboten ist, hängt immer von den Umständen ab. Wenn es sich um Haustiere handelt, von denen dem Besitzer eine bösartige Eigenschaft nicht bekannt ist oder sein konnte, muss die allgemein übliche, nach Gattung und Verwendung des Tieres verschiedene Verwahrungsart genügen.

Mit dem Hinweis des Berufungsgerichtes auf die in ÖRZ 1960 S 150 veröffentlichte Entscheidung des Höchstgerichtes ist nun für den gegenständlichen Fall nichts gewonnen. Dieser Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass ein Hundebesitzer mit einem nicht angeleinten Hund eine verkehrsreiche Großstadtstraße beging, dass der Hund plötzlich den Gehsteig verließ und die Fahrbahn überquerte. Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich dort um einen völlig andersgearteten Sachverhalt handelte. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, der Beklagte habe jederzeit damit rechnen müssen, dass Personen, die sein Anwesen betreten, dem Hund die Möglichkeit geben, durch das Tor ins Freie zu gelangen, vermag sich aber der erkennende Senat nicht anzuschließen. Vor allem ist gar nicht festgestellt, dass der Hund durch das Hoftor das Anwesen verlassen habe. Es ist aber auch von Bedeutung, dass er als Wachhund diente. Es entspricht allgemeiner Erfahrung, dass Wachhunde, wenn jemand die von ihnen zu bewachende Örtlichkeit betritt, nicht eine sich dabei etwa bietende Gelegenheit benützen, um sich von dieser Örtlichkeit zu entfernen, sondern dass sie die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllen, die vorzüglich darin gesehen werden muss, den Ankömmling entweder zu melden oder zu stellen oder zu verscheuchen. Nach Ansicht des Revisionsgerichtes hat daher der Beklagte dadurch, dass er bei Dunkelheit seinen Hund bei unversperrtem Tor im Hof seines ländlichen Anwesens frei herumlaufen ließ - nur auf diese Weise konnte der Hund überhaupt seiner Aufgabe gerecht werden -, auch bei Bedachtnahme auf die Nähe der Autobahn seine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht nicht schuldhaft verletzt, dies um so weniger, als nicht festgestellt ist, dass er sich, wenn er fallweise abends durch das Tor auf die Straße gelassen wurde, von dieser entfernte.

Diese Erwägungen führen zur Abänderung des angefochtenen Zwischenurteils im Sinn der Wiederherstellung des Urteils erster Instanz.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E75734 2Ob497.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0020OB00497.6.0120.000

Dokumentnummer

JJT_19610120_OGH0002_0020OB00497_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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