TE OGH 1961/11/22 3Ob499/60

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Veröffentlicht am 22.11.1961
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Rat des Obersten Gerichtshofes Dr. Dinnebier als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Liedermann, Dr. Berger, Dr. Überreiter und Dr. Schopf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Franz L*****, zuletzt Kaufmann, ***** vertreten durch Dr. Ludwig Biro, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Gottfried P*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Dr. Ferdinand Siegmund, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen 200.000 S s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 17. Oktober 1960, GZ 2 R 127/60-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Handelsgerichtes vom 28. Mai 1960, GZ 8 Cg 290/60-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind wie solche des Berufungsverfahrens anzusehen.

Text

Begründung:

Unbestritten ist folgender Sachverhalt:

Der am 22. 9. 1959 verstorbene Franz L***** war Eigentümer eines Textil- und Konfektionswarengeschäftes in *****. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Jahre 1941 wurde er verhaftet und mit seiner Familie zwangsweise nach Serbien umgesiedelt. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt, ohne dass ihm hiefür eine Entschädigung gewährt worden wäre. Am 15. 3. 1943 erwarb der Beklagte das Geschäft durch die Deutsche Umsiedlungstreuhandgesellschaft (DUT.). Ende 1944 verlagerte er hievon 27 Kisten mit Strümpfen, Socken und anderen Textilien im Wert von 20.000 - 30.000 RM nach Leibnitz. Dort wurden die Waren von der vorrückenden jugoslawischen Armee beschlagnahmt und weder Franz L***** noch dem Beklagten ausgefolgt. Was damit geschehen ist, konnte nicht näher festgestellt werden.

Der Kläger Franz L*****, der im Laufe des Rechtsstreites verstorben ist, begehrt für den Verlust der in Leibnitz beschlagnahmten Waren als Schadenersatz den Betrag von 200.000 S und vertritt die Ansicht, dass der Beklagte für alle Nachteile aufzukommen habe, weil er den Eintritt des Schadens durch seine unredliche Besitzesausübung veranlasst habe. Der Beklagte wendet ein, er habe das Geschäft ordnungsgemäß erworben, auch stammt die 27 Kisten nicht aus dem bei Übernahme des Geschäftes vorhandenen Lager. Vielmehr habe der Beklagte die Waren von seinem Gelde angeschafft. Im Übrigen wendet der Beklagte Verjährung ein, da dem Kläger der Schade und die Person des Beklagten mehr als 3 Jahre vor Einbringung der Klage bekannt gewesen sein müsse.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, dass der Beklagte zwar unrechtmäßiger Besitzer des Unternehmens gewesen sei, doch habe er sich dabei im guten Glauben befunden, da er die Unrechtmäßigkeit nicht habe erkennen können. Es fehle zum Schadenersatzanspruch die adäquate Verursachung und ein Rechtswidrigkeitszusammenhang. Im Übrigen sei der Klageanspruch verjährt. Es sei anzunehmen, dass Franz L***** spätestens im Laufe des Sommers 1955 vom Verlust der Waren erfahren habe. Die Klage sei aber erst mehr als 3 Jahre später, nämlich am 1. 6. 1959 eingebracht worden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es trat der Ansicht des Erstgerichtes, dass sich der Beklagte bei Erwerb und beim späteren Besitz des Unternehmens in gutem Glauben befunden habe, nicht bei. Hätte die Entziehung in Österreich stattgefunden, so wäre sie unter das 3. RStG gefallen. Der Umstand, dass nicht der Kläger Franz L*****, sondern ohne dessen Zustimmung die DUT. das Geschäft verkauft habe, sei dem Beklagten bekannt gewesen, er habe daher gewusst, dass es sich um ein unberechtigtes Vorgehen gehandelt habe. Trotzdem erachtet das Berufungsgericht den Schadenersatzanspruch nicht für begründet. Es meint, dass von einer Verursachung im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden könne, weil die Beschlagnahme der Waren durch jugoslawische Truppen keine adäquate Folge des unredlichen Erwerbes und Besitzes sei. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung werde aber nur für Schäden aus einer adäquaten Verursachung gehaftet.

Zur Frage der Verjährung nimmt das Berufungsgericht keine nähere Stellung, bemerkt jedoch, dass in diesem Punkt Beweisaufnahmen und Feststellungen ergänzungsbedürftig seien.

Gegen das Urteil zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, allenfalls es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Der Kläger macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Es ist dem Berufungsgericht jedenfalls darin zu folgen, dass der Erwerb des Geschäftes durch den Beklagten nicht nur unrechtmäßig, sondern auch unredlich war. Es handelt sich hier um keine gewöhnliche Kriegsmaßnahme, sondern um einen Akt der vom Nationalsozialismus in den besetzten Gebieten betriebenen Entvölkerungspolitik. Der Beklagte konnte unmöglich darüber in Zweifel gewesen sein, dass der Verkauf ohne die Zustimmung des rechtmäßigen Eigentümers, der durch politische Verfolgung verhindert war, sich dagegen zu wehren, durchgeführt wurde. Darin ist die Unredlichkeit bereits gegeben. Sie wurde von der Rechtsprechung der Rückstellungskommission jedenfalls dann angenommen, wenn der geschädigte Eigentümer politischen Verfolgungen ausgesetzt und überdies nicht in der Lage war, den Erwerber auszusuchen und die Bedingungen des Kaufvertrages frei zu vereinbaren. Diesbezüglich wird im Übrigen auf die zutreffenden Darlegungen des Urteiles zweiter Instanz verwiesen. Die Ausführungen des Beklagten in der Revisionbeantwortung S 187, er habe geglaubt, die DUT. könne rechtmäßig über das Geschäft verfügen, sind unzutreffend. Der Umstand, dass Franz L***** nach Serbien umgesiedelt wurde, musste ihm deutlich zeigen, dass dieser trotz seines deutschen Namens als Slave behandelt und deshalb politisch verfolgt wurde. Es ist dem Berufungsgericht auch darin beizutreten, dass es nicht darauf ankommt, ob die 27 Kisten Ware schon aus dem Lager, das im Jahre 1941 bestand, stammten. Ein Unternehmen ist eine Gesamtsache, zu dem der jeweilige Warenbestand gehört (§ 302 ABGB). Die Unredlichkeit des Beklagten bezog sich daher auf alle Sachen, die während der Zeit seines Besitzes zum Unternehmen gehörten. Seine Bemerkung in der Revisionsbeantwortung, das Geschäft habe kein Unternehmen dargestellt, ist unverständlich, denn er kann nicht bestreiten, dass es in Betrieb war, bevor er es erworben hatte. Ob er seine Gewerbeberechtigung und auch sein Betriebskapital dazugenommen hat, ist unerheblich.

Hingegen kann sich der Oberste Gerichtshof der Meinung des Berufungsgerichtes, es bestehe mangels adäquater Verursachung keine Haftung, nicht anschließen. Es ist richtig, dass Lehre und Rechtsprechung demjenigen, der eine Bedingung für den Eintritt eines Schadens setzt, nicht unter allen Umständen haften lassen, so dass er für jeden Schaden einzustehen hätte, der nicht erfolgt wäre, wenn er die Bedingung nicht gesetzt hätte. Für den Fall, dass jemand unerlaubt die Gewahrsame an Sachen verändert, haben die Gesetze in verschiedenen Einzelfällen besondere Regelungen getroffen. Die §§ 965, 978 ABGB lassen den Verwahrer oder Entlehner für jeden Zufall haften, den die Sache bei ihm nicht getroffen hätte, wenn er sie ohne Zustimmung des Vertragsgegners einem anderen in Verwahrung gibt, oder verleiht. Dasselbe bestimmt § 460 ABGB selbst für die Afterverpfändung. Diese Bestimmungen würden vollkommen ihrer Wirksamkeit entkleidet werden, wenn Voraussetzung der Haftung ein adäquater Zusammenhang zwischen der Weitergabe der Gewahrsame und dem Eintritt des Schadens wäre. Denn gerade weil der Inhaber unerlaubt die Gewaltverhältnisse geändert hat, muss er für den Schaden aufkommen, den die Sache bei den Geschädigten nicht getroffen hätte. Mit Recht sagt Stanzl (Klang2 IV, S 688) das Gesetz entscheide hier selbst die Frage des Ursachenzusammenhanges. Eine ähnliche Bestimmung enthält Art 8 Z 20 der 4. VO zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften in Österreich. Beim Versendungskauf haftet der Veräußerer unter allen Umständen für die Folgen, die daraus entstehen, dass er ohne Not eine andere Versendungsart als vereinbart gewählt hat.

Nun handelt es sich hier allerdings um Sonderbestimmungen, doch lässt sich aus ihnen der allgemeine Grundsatz entnehmen, dass jeder, der rechtswidrig und schuldhaft die Gewahrsame an einer Sache verändert, für den Zufall aufzukommen hat, der die Sache sonst nicht betroffen hätte. Dies folgt aus einem einfachen Größenschluss. Es wäre sinnwidrig, denjenigen, der eine ihm zur Aufbewahrung übergebene Sache einem anderen übergibt, damit dieser sie verwahre, für den Schaden, der daraus durch einen außerordentlichen Zufall entsteht, haften zu lassen, nicht aber etwa den Dieb, der die entwendete Sache scheinbar sicher verwahrt, dem sie aber doch etwa durch Blitzschlag zugrunde geht. Es folgt daraus, dass, wer unrechtmäßigerweise Sachen an sich bringt oder fortschafft, für jeden Zufall haftet, der sie sonst nicht getroffen hätte. In diesem Sinn sind §§ 335, 1311 ABGB auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

Mit Unrecht beruft sich die zweite Instanz auf mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Rückstellungskommission. Bei der Entscheidung JBl 1954 S 70 handelt es sich um einen Fall, in welchem dem redlichen Verwahrer Sachen von der Besatzungsmacht unter Drohung mit Gewalt weggenommen wurden. Die Entscheidung der Obersten Rückstellungskommission Heller-Rauscher IV zu § 15 Abs 1 3. RStG Nr 51, S 35, lehnt eine Haftung des Entziehers für Schaden durch Plünderung ab, aber nur deshalb, weil nicht erweislich war, dass die Sachen nicht auch geplündert worden wären, wenn sie der geschädigte Eigentümer noch besessen hätte. Hingegen machen die Entscheidungen der Obersten Rückstellungskommission Heller-Rauscher III Nr 5g S 30, IV Nr 5n S 36 zu § 15 Abs 1, den Entzieher einer Wohnung dafür verantwortlich, dass sie von der Besatzungsmacht beschlagnahmt wurde, weil dies dem geschädigten Eigentümer infolge seiner politischen Verfolgung nicht widerfahren wäre. Es liegt auf der Hand, dass die Beschlagnahme einer Wohnung keine adäquate Folge der Entziehung war. Trotzdem macht die Oberste Rückstellungskommission den Entzieher dafür haftbar, weil er eben auch für jede zufällige Auswirkung seiner unredlichen Handlung aufzukommen hat.

Im vorliegenden Fall kann nun der Beklagte in keiner Weise behaupten, dass etwa im Geschäft Franz L*****s in ***** Beschlagnahmen durch die jugoslawischen Truppen im Jahre 1945 vorgekommen wären. Daraus ergibt sich, dass die Entziehung des Geschäftes durch ihn im Zusammenhang mit der Verbringung der 27 Kisten Ware für den Schaden ursächlich war.

Das Verhalten des Beklagten wäre nur dann nicht rechtswidrig, wenn es objektiv zur Rettung der erwähnten Waren geboten gewesen sein sollte. Diesbezüglich hat der Beklagte in seinem Parteivorbringen erster Instanz keine näheren Behauptungen aufgestellt, in seiner Parteiaussage aber erklärt, er habe die Waren über behördlichen Auftrag wegen Bombengefahr verlagert. Dieser Umstand ist aufklärungsbedürftig. Es wäre insbesondere festzustellen, warum die Waren in Leibnitz vor Bomben sicherer gewesen sein sollten als in *****.

Was die Einrede der Verjährung anlangt, so kommt es nicht, wie die Untergerichte meinen, darauf an, ob der Kläger Franz L***** rechtzeitig die Anschrift des Beklagten erfahren hat. Gemäß § 1489 ABGB läuft die Verjährung von dem Zeitpunkt an, zu welchem dem Verletzten der Schade und die Person des Beschädigers bekannt wird. Wenn im Inland ein Gerichtsstand gegen den Beklagten gegeben war, so wäre es möglich gewesen hier die Klage zu Handen eines zu bestellenden Abwesenheitskurators einzubringen.

Die Feststellungen des Berufungsgerichtes sind also unvollständig, was die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Folge hat. Mit Rücksicht darauf, dass das Berufungsgericht unter Umständen in die Lage kommen kann, die Sache durch Entscheidung über die Frage der Verjährung spruchreif zu machen, war diese Rechtssache an das Gericht zweiter Instanz und nicht an das Erstgericht zurückzuweisen. Es war daher der Revision im obigen Sinne Folge zu geben. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 52, 50 ZPO.

Anmerkung

E76666 3Ob499.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0030OB00499.6.1122.000

Dokumentnummer

JJT_19611122_OGH0002_0030OB00499_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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