TE OGH 1963/11/26 8Ob292/63

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Veröffentlicht am 26.11.1963
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lenk als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachout, Dr. Bauer, Dr. Schopf und Dr. Rothe als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Hans W*****, vertreten durch Dr. Fritz Blosch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Helvi Inkeri W*****, vertreten durch Dr. Otto Tuma, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. Juli 1963, AZ 4 R 163/63, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Mai 1963, GZ 29 Cg 57/61-83, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 950,44 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das auf § 55 EheG gestützte Scheidungsbegehren ab. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus. Die Streitteile haben am 1. 8. 1953 vor dem Kommunalbürgermeister in Helsinki die Ehe geschlossen. Die Ehe ist kinderlos. Der Kläger lernte die Beklagte kennen, als er seiner wissenschaftlichen Ausbildung als mittelloser Student in Nordschweden - Abisko - oblag. Schon vor der Eheschließung und auch während des Bestandes der Ehegemeinschaft unterstützte die Beklagte den Kläger, um ihm das Studium zu erleichtern. Der Kläger hingegen hat der Beklagten nie einen Unterhalt geleistet. Die Ehe litt schon nach kurzer Zeit unter Zerwürfnissen, die ihre Ursache hauptsächlich im lieblosen Verhalten des Klägers sowie in der Tatsache hatten, daß der Kläger Beziehungen zu einer anderen Frau anknüpfte (1954). Er traf sich mit dieser Frau - Helene L***** -, während die Beklagte im Krankenhaus lag. Den Beziehungen des Klägers zu Helene L***** entsprang ein im Jahre 1956 geborenes Kind. Die Beklagte brachte am 22. 9. 1954 ein totes Kind zur Welt. Während eines Aufenthaltes in Wien, von dem die Beklagte am 31. 1. 1955 allein nach Schweden zurückkehrte, kam es zwischen den Streitteilen zur Erörterung der allfälligen Scheidung ihrer Ehe. Die Beklagte trug sich jedoch nie ernstlich mit der Absicht, die Ehe auflösen zu lassen. Sie lehnte die Aufforderung des Klägers vom 16. 3. 1955, einer Trennung der Ehe zuzustimmen, ab und versuchte, den Kläger dazu zu bringen, die Ehegemeinschaft mit ihr fortzusetzen. Die Ehegemeinschaft ist seit 31. 1. 1955 aufgelöst, weil der Kläger, als er im Mai 1955 nach Schweden fuhr, nicht mehr zur Beklagten zurückkehrte. Ein Versuch der Beklagten, mit dem Kläger über eine Wiederaufnahme der Ehegemeinschaft zu sprechen, wurde vom Kläger verhindert. Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt wie folgt. Die Zerrüttung der Ehe sei durch den Kläger allein verschuldet. Dieser habe während der Krankheit und Schwangerschaft der Beklagten Beziehungen zu einer anderen Frau angeknüpft. Dem Ehebruch mit dieser Frau entstammte ein Kind. Obwohl der Kläger im Sommer 1955 ganz in der Nähe der Beklagten gelebt habe, habe er sich trotz Aufforderung der Beklagten geweigert, die Ehegemeinschaft mit ihr wieder aufzunehmen. Er habe sich nicht mehr um seine Frau gekümmert und ihr auch keinen Unterhalt geleistet. Die Beklagte hingegen trage an der Zerrüttung der Ehe keine Schuld. Ihr Widerspruch gegen das vom Kläger auf § 55 EheG gestützte Scheidungsbegehren sei daher zulässig. Der von ihr erhobene Widerspruch sei aber auch beachtlich. Denn die Beklagte habe den Kläger zu einer Zeit geheiratet, als er ein mittelloser Student gewesen sei. Sie habe ihn vor und während der Ehe unterstützt, um ihm das Studium zu erleichtern. Sie habe sich während des Bestandes der Ehegemeinschaft nichts zu Schulden kommen lassen und habe auch seit der Aufhebung der Ehegemeinschaft am 31. 1. 1955 keine schwere Eheverfehlung gesetzt. Sie habe immer wieder versucht, den Kläger zur Aufnahme der Ehegemeinschaft zu bewegen. Das Erstgericht vertrat daher zusammenfassend den Standpunkt, daß nicht das Beharren der Beklagten auf den Fortbestand der Ehe, sondern das Begehren des Klägers auf Scheidung der Ehe, nur weil der Kläger seiner Gattin nach kurzer Ehedauer überdrüssig geworden sei, welche Scheidung die Beklagte in die problematische Stellung einer geschiedenen Frau bringen würde, sittenwidrig sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die erstrichterlichen Feststellungen als unbedenklich und teilte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes aus dem Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO. Er beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Scheidungsbegehren stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet

Die Zulässigkeit des Widerspruches nach § 55 Abs 2 EheG setzt voraus, daß der die Scheidung begehrende Ehegatte die Zerrüttung der Ehe ganz oder überwiegend verschuldet hat. Das trifft hier nach den Feststellungen der Untergerichte zu. Wenn der Kläger darzutun versucht, daß bei Beurteilung der Zulässigkeit des Widerspruches nicht allein auf ein schuldhaftes Verhalten der Ehegatten abzustellen sei, sondern auch andere Umstände berücksichtigt werden müßten, die zur Zerrüttung der Ehe geführt haben, setzt er sich mit dem Gesetz in Widerspruch, das ausdrücklich von dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden an der Zerrüttung der Ehe spricht, wenn auch das Gesetz hiebei nicht die Bestimmung des § 49 EheG bezieht. Während das Alleinverschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe feststeht, hat die Beklagte nach den Feststellungen der Untergerichte überhaupt keine Handlungen gesetzt, die ihr als schwere Eheverfehlungen angelastet werden könnten. Wenn die Untergerichte daher zu der Auffassung gelangt sind, daß von einem Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe nicht gesprochen werden könne, ist dies unbedenklich. Welche Pflichten aus dem Ehevertrage im Sinne des § 44 EheG die Beklagte verletzt haben soll, ist den untergerichtlichen Feststellungen nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, die Beklagte war es, die dem Kläger das Studium erleichtert hat und die auch während der Ehe dem Kläger nie ihren Beistand versagt hat. Wenn die Ehegemeinschaft seit Jahren aufgehoben ist, ist dies dem Kläger allein anzulasten, der durch die Aufnahme ehewidriger und ehebrecherischer Beziehungen zu einer anderen Frau und durch seine ständige Weigerung, die Ehegemeinschaft mit der Beklagten wieder aufzunehmen, die Ehe zerrüttet hat.

Der von der Beklagten erhobene Widerspruch ist aber auch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes beachtlich (vgl SZ XXI/28, XXII/84, XXIV/275, RiZtg 1959, S 71 uva). Erst in letzter Zeit hat sich der Oberste Gerichtshof mit dem Problem der Beachtlichkeit des Widerspruches in der eingehend begründeten Entscheidung 6 Ob 11/63 neuerlich auseinandergesetzt. In dieser Entscheidung führt der Oberste Gerichtshof aus - und diese Ausführungen gelten uneingeschränkt auch im Gegenstandsfall - daß die Aufrechterhaltung der Ehe grundsätzlich den Sittengesetzen entspreche und daß sie daher nur ausnahmsweise als sittlich nicht gerechtfertigt angesehen werden könne, nämlich dann, wenn auch der widersprechende Ehegatte jede eheliche Gesinnung verloren habe und auch bei ihm eine wirkliche Bereitschaft zur Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht vorhanden sei, sodaß sein Widerspruch selbst als sittenwidriger Rechtsmißbrauch erscheine. Eine andere Auslegung des § 55 EheG würde es dem Ehezerstörer ermöglichen, gegen den Willen des anderen Teiles die Ehe zu beenden. Das widerspräche aber der sittlichen Auffassung vom Wesen der Ehe. Die Schließung der Ehe legt jedem Ehegatten die sittliche Pflicht auf, an der Ehe festzuhalten, und gibt dem anderen Teil das Recht, dieses Festhalten an der Ehe zu verlangen. Das Gericht darf den Gattenteil, der ausschließlich oder vorwiegend an der Zerrüttung der Ehe Schuld trägt, nicht behilflich sein, sich entgegen dem Willen des an der Ehe festhaltenden anderen Eheteiles von einer durch die Eheschließung übernommenen, ihm lästig gewordenen Verpflichtung durch die Scheidung zu befreien. Das würde den Fortbestand der Ehe der Willkür eines der Ehe überdrüssig gewordenen Eheteiles anheimstellen. Die Ernstlichkeit der von der Beklagten erklärten Bereitschaft, die Ehegemeinschaft mit dem Kläger fortzusetzen, bezweifelt der Kläger gar nicht. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, die gegen die eheliche Gesinnung der Beklagten sprechen würden.

Aus diesen Erwägungen war wie im Spruch zu entscheiden. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E77670 8Ob292.63

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0080OB00292.63.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19631126_OGH0002_0080OB00292_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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