TE OGH 1968/10/24 2Ob310/68

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Veröffentlicht am 24.10.1968
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Pichler, Dr. Höltzel und Dr. Piegler als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Liane G*****, vertreten durch ihren Vater Alfred G*****, und vertreten durch Dr. Armin Santner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Rudolf F*****, vertreten durch Dr. Heinz Bauer und Dr. Harald Hummel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 52.976,20 S und Feststellung infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 25. Juni 1968, GZ 1 R 118/68-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. Februar 1968, GZ 23 Cg 461/66-19, abgeändert wurde, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision des Beklagten wird keine Folge gegeben. Der Revision der Klägerin wird dahin Folge gegeben, dass die Entscheidung zu lauten hat:

Der Beklagte hat der Klägerin 42.380,96 S samt 4 % Zinsen seit 5. September 1966, weiter an Prozesskosten für die I. Instanz 11.229,63 S, für die II. Instanz 1.614,15 S und für die III. Instanz 1.234,35 S zu bezahlen, all dies binnen 14 Tagen bei Exekution. Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall, der sich am 21. Dezember 1965 gegen 12 Uhr 30 auf der Bundesstraße im Ortsgebiet K***** ereignet hat, zu 4/5 ersatzpflichtig ist.

Das Mehrbegehren, der Beklagte habe weitere 10.595,24 S samt 4 % Zinsen seit 6. Mai 1966 zu bezahlen, sowie das Mehrbegehren an Feststellung werden abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte wegen schwerer Verletzungen, die sie bei einem Verkehrsunfall erlitt, vom Beklagten den Ersatz der Behandlungskosten von 1.051,20 S, der Kosten für die Besuchsfahrten ihrer Eltern ins Krankenhaus in der Höhe von 11.925 S, welchen Anspruch sie sich vorsichtshalber von ihrem Vater abtreten hatte lassen, weiter die Bezahlung eines Schmerzengeldes von 60.000 S sowie die Feststellung, dass der Beklagte ihr für alle künftigen Schäden aus diesem Verkehrsunfall ersatzpflichtig sei.

Der Beklagte bestritt die Berechtigung der Forderung dem Grunde und der Höhe nach und machte ein Mitverschulden von 90 % geltend. Der Erstrichter gab dem Klagebegehren mit dem Teilbetrag von 52.976,20 Folge. Er bemaß das Schmerzengeld mit 40.000 S, begründete aber die Teilabweisung nicht und brachte sie auch nicht im Urteilsspruch zum Ausdruck.

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest: Die am 14. 12. 1957 geborene Klägerin war am 21. Dezember 1965 mittags mit mehreren Mitschülerinnen an der Bundesstraße in K***** auf dem Weg von der Schule nach Hause. Sie stand mit zwei anderen Kindern mit Blickrichtung nach Kufstein am Straßenrand, während die beiden anderen Kinder in die entgegengesetzte Richtung blickten. Aus dieser Richtung kam der Beklagte mit seinem VW-Bus. Kurz bevor der Beklagte die Kindergruppe erreichte, lief die Klägerin in die Fahrbahn des Beklagten. Dieser bremste und versuchte auszuweichen, doch wurde die Klägerin noch von der rechten Türklinke des Wagens im Gesicht erfasst und auf die Straße geschleudert. Sie erlitt dabei eine Nasen- und Wangenamputation. Der Beklagte wurde nach § 335 StG rechtskräftig verurteilt, weil er zu rasch und ohne hinlänglichen Kontakt an die Kinder herangefahren war. Im Einzelnen wurde im Zivilprozess festgestellt, dass die Geschwindigkeit des Wagens des Beklagten mindestens 63 km/h betrug, die Klägerin in sprungbereiter Stellung mit vorgeneigter Schulter und vorgeneigtem Oberkörper am Straßenrand stand, der Beklagte bei Annäherung an die Kindergruppe hupte und die Klägerin - kurz bevor der Beklagte die Höhe der Kinder erreichte - in die Fahrbahn zu laufen begann.

Die Klägerin war bis 24. März 1966 in stationärer Behandlung des Krankenhauses Innsbruck. Der Versuch, den abgerissenen Teil der Gesichtshaut wieder anzunähen, misslang, da sich die Haut wieder abstieß. Die Ablederung der Haut, vor allem im Gesicht und an der Nase mit Beteiligung der Nasenscheidewand, war sehr schmerzhaft. Sehr starke Schmerzen verursachten auch die entzündlichen Veränderungen im Wundgebiet, die bei dem Versuch, den alten Hautlappen anzuheilen, auftraten. Die Klägerin hatte ungefähr einen Monat lang starke Schmerzen und bis zum Abstoßen des Hautlappens durch etwa zwei Monate mittelstarke Schmerzen. Leichte Schmerzen waren noch für einen weiteren Monat anzunehmen. Dazu kommen noch die Schmerzen, die der Klägerin dadurch verursacht wurden, dass ihr fast jedes Essen und Trinken unmöglich war, weil sie die Mundhöhle nicht schließen konnte. Die Verletzung brachte auch eine grässliche Verunstaltung mit sich. Die von der Klägerin selbst zu tragenden Kosten für die Krankenhausbehandlung betrugen 1.051,20 S. Der Vater der Klägerin hat seinen Ersatzanspruch gegen den Beklagten mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes an die Klägerin abgetreten.

Die Klägerin wurde von ihren Eltern in der ersten Zeit täglich, später zwei- bis dreimal pro Woche, insgesamt 53 mal besucht. Diese Besuche erfolgten mit dem eigenen PKW, wobei pro Fahrt 150 km zurückgelegt werden mussten. Der Kilometersatz wurde vom Erstgericht mit 1,50 S angenommen.

Der Erstrichter war der Ansicht, dass den Beklagten das Alleinverschulden treffe; ein Mitverschulden der Klägerin sei mangels ihrer Deliktsfähigkeit auszuschließen. Ein Schmerzengeld von 40.000 S sei unter Bedachtnahme auf die mit der Verletzung verbundenen seelischen Schmerzen angemessen. Die häufigen elterlichen Besuche seien bei der Art der Verletzung, die einen Trost durch die Eltern erforderlich machten, verständlich und gerechtfertigt. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, war aber der Ansicht, dass auch der Klägerin ein Eigenverschulden von 1/3 an dem Unfall anzulasten sei. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes lautete daher dahin, dass der Beklagte schuldig sei, der Klägerin 35.317,47 S samt 4 % Zinsen seit 5. 9. 1966 zu bezahlen. Außerdem wurde festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin für künftige Schäden zu 2/3 ersatzpflichtig sei. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien. Die Klägerin macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und begehrt die Wiederherstellung des Ersturteils.

Auch der Beklagte erhebt nur eine Rechtsrüge. Er beantragt, das über den Betrag von 5.262,75 S hinausgehende Begehren der Klägerin abzuweisen und festzustellen, dass er nur für 1/4 des künftigen Schadens hafte.

Die Klägerin stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Gegenantrag, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist teilweise berechtigt, die des Beklagten ist nicht begründet.

Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte wenden sich zunächst gegen die Verschuldensteilung.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass man ihr keine oder doch nur eine ganz geringe Mitverschuldensquote anlasten könne, weil man in ihrem Alter ein verkehrsgerechtes Benehmen nicht verlangen könne, wogegen sich der Beklagte grob fahrlässig verhalten habe.

Der Beklagte meint hingegen, von einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung könne keine Rede sein, da er höchstens mit einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 63 km/h gefahren sei und nicht erwiesen sei, dass er die angenommene Sprungstellung der Klägerin erkannt habe. Im Strafverfahren zweiter Instanz sei die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht als Verschuldensgrundlage anerkannt worden, sondern lediglich der Mangel der offenbar erforderlichen Kontaktnahme. Deshalb sei eine Verschuldensteilung 3 :

1 zu Lasten der Klägerin gerechtfertigt.

Soweit der Beklagte die getroffenen Feststellungen anzuzweifeln versucht, kann er damit in dritter Instanz kein Gehör finden, weil der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist. Festgestellt ist aber, dass die Geschwindigkeit des Beklagten mindestens 63 km/h betrug. Wenn er nicht gesehen haben sollte, dass die Klägerin sprungbereit dastand, würde dies lediglich auf seine mangelnde Aufmerksamkeit hinweisen. Hinsichtlich der Verschuldensteilung kann aber dem Berufungsgericht nicht völlig gefolgt werden. Die Klägerin hatte zwar im Zeitpunkt des Unfalles bereits das achte Lebensjahr vollendet und ging längst in die Schule, sodass von ihr ein gewisses Maß an verkehrsgerechtem Verhalten verlangt werden konnte. Andernfalls hätte sie von ihren Eltern auf dem Schulweg begleitet werden müssen. Dass dies bei der Klägerin und ihren Schulkameradinnen nicht der Fall war, zeigt, dass man sie eben schon für fähig halten musste, den Schulweg allein zu bewältigen. Trotzdem unterlief der Klägerin ein sehr grober Verstoß gegen die einfachste Verkehrsregel, indem sie plötzlich über die Straße lief, ohne in die Richtung des herankommenden Beklagten geschaut zu haben.

§ 1308 ABGB bedeutet zwar eine Ausnahme von der Regelung des § 1304 ABGB zugunsten der Unmündigen, die aber nur dann Platz greift, wenn der Beschädigte das schädigende Verhalten des Unmündigen geradezu veranlasst hat, ansonsten ist das Klagebegehren nach § 1310 ABGB zu beurteilen (SZ XXXIII 54 ua). Letztere Bestimmung ist über ihren Wortlaut hinaus auch auf Fälle anzuwenden, in denen nicht der Unmündige einen anderen beschädigt hat, sondern selbst von diesem beschädigt worden ist und es sich darum handelt, ob sein Schadenersatzanspruch durch sein eigenes Verhalten ausgeschlossen oder gemindert wird (DREvBl 1944 Nr 205). Selbst wenn der Unfall durch pflichtgemäßes Verhalten des Beklagten zu vermeiden gewesen wäre, kann daher eine Kürzung der Ersatzansprüche des verletzten Kindes nur dann entfallen, wenn dem Kinde kein Verschulden iS des § 1310 1. Fall ABGB anzulasten ist.

Dem Beklagten ist hingegen anzulasten, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr und bei Annäherung an die Kindergruppe lediglich hupte, obwohl er von vornherein nicht darauf vertrauen durfte, dass sich die Klägerin (und ihre Begleiterinnen) vorschriftsmäßig verhalten würden, da es sich um Kinder handelte (§ 3 StVO). Er musste im Gegenteil mit der Möglichkeit eines unbedachten Verhaltens der Klägerin umsomehr rechnen, als diese in sprungbereiter Stellung von ihm abgewendet am Straßenrand stand. Der Beklagte hätte sich daher nicht darauf beschränken dürfen, ein Hupzeichen zu geben, sondern hätte mit vermidnerter Geschwindigkeit und in Bremsbereitschaft heranfahren sollen.

Wägt man das beiderseitige Fehlverhalten ab und berücksichtigt dabei gebührend das geringe Alter und die deshalb sehr geminderte Verantwortlichkeit der Klägerin, so erscheint eine Verschuldensteilung 4 : 1 zum Nachteil des Beklagten als angemessen (§§ 1310, 1304 ABGB).

Der Beklagte bekämpft aber auch den Zuspruch eines Schmerzengeldes von (rechnungsmäßig) 40.000 S und meint, bis zur Urteilsfällung erster Instanz sei ein Betrag von 20.000 S angemessen. In der Klage (S. 3) wurde ausgeführt, dass die Verletzungen der Klägerin ein Schmerzengeld von bisher 40.000 S rechtfertigten. Im Zuge der mündlichen Streitverhandlung wurde dieses Begehren um 20.000 S erweitert (S. 98). Das Erstgericht sprach sodann 40.000 S zu. Die Klägerin erhob keine Berufung und ließ daher die Abweisung von weiteren 20.000 S unangefochten. Das dem Ersturteil zugrunde liegende Sachverständigengutachten hat lediglich die bis dahin der Klägerin entstandenen Schmerzen berücksichtigt, musste aber offen lassen, wie es der Klägerin bei künftigen plastischen Operationen ergehen werde. Es ist daher zwar der Hinweis richtig, dass mit dem von den Untergerichten zugesprochenen Betrag nur die bisher überschaubaren Schmerzen abgegolten wurden, doch ist in Anbetracht der schweren, schmerzhaften und von Dauerfolgen begleiteten Verletzungen der Klägerin der in diesem Rahmen zugesprochene Betrag von 40.000 S keineswegs überhöht.

Zuletzt wendet sich die Revision des Beklagten dagegen, dass der Klägerin Besuchskosten von 11.925 S zugesprochen wurden, weil das Oberlandesgericht selbst darauf verweise, dass die Beweislage äußerst dürftig erscheine. Die in diesem Zusammenhang aufgenommenen Beweise seien daher nicht annäherend ausreichend, um diesen Anspruch rechtlich richtig beurteilen zu können.

Der Beklagte macht also einen Feststellungsmangel geltend, dessen Behebung allerdings einen Aufhebungsantrag erfordern würde. Einen solchen hat der Beklagte aber nicht gestellt. Davon abgesehen reichen jedoch die getroffenen Feststellungen jedenfalls aus, um im Sinne des § 273 ZPO über diesen Anspruch urteilen zu können. In der Vorgangsweise des Erstgerichtes, das die Kosten für 53 Fahrten von je 150 km mit dem eigenen PKW des Vaters der Klägerin mit 1,50 S pro Kilometer in Rechnung stellte, kann eine fehlerhafte Anwendung der zitierten Gesetzesstelle nicht gefunden werden.

Wegen der somit notwendigen Abänderung des Urteils des Berufungsgerichtes mussten auch die Kosten aller Instanzen neu bestimmt werden.

Hiebei waren der Klägerin, die zu 4/5 obsiegt hat, zu einem Fünftel aber nicht durchgedrungen ist, 3/5 ihrer Kosten in der I. und II. Instanz zuzusprechen.

Im Revisionsverfahren ist die Klägerin mit ihrer Revision zu 2/15 siegreich geblieben, mit 3/15 nicht durchgedrungen. Der Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet. Der Klägerin wurden daher für ihre Revision keine Kosten zuerkannt.

Der Klägerin gebühren aber die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung (auf der Grundlage des Revisionsinteresses des Beklagten von 71.721,38 S), weil die Revision des Beklagten erfolglos blieb.

Anmerkung

E75701 2Ob310.68

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1968:0020OB00310.68.1024.000

Dokumentnummer

JJT_19681024_OGH0002_0020OB00310_6800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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