TE OGH 1968/11/5 4Ob44/67

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.1968
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schuster als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bachofner und Dr. Nedjela sowie die Beisitzer Scheiner und Dr. Opitz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** S.A., *****, Spanien, vertreten durch Dr. Max Vladimir Allmayer-Beck und Dr. Max Josef Allmayer-Beck, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Ludwig G*****, vertreten durch Dr. Ernst Schilcher, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen Nichtigerklärung der Urteile des Obersten Gerichtshofes vom 18. Oktober 1966, 4 Ob 57/66-28, des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 14. April 1966, 44 Cg 36/66-22, und des Arbeitsgerichtes Wien vom 18. Jänner 1966, 4 Cr 1325/65-17, (Streitwert S 28.000) in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Das Begehren der klagenden Partei, die Urteile des Obersten Gerichtshofes vom 18. 10. 1966, 4 Ob 57/66-28, des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 14. 4. 1966, 44 Cg 36/66-22, und des Arbeitsgerichtes Wien vom 18. 1. 1966, 4 Cr 1325/65-17, für nichtig zu erklären, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.962,50 bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem im Spruch genannten Urteil des Obersten Gerichtshofes wurden die im Spruch genannten Urteile der Untergerichte bestätigt und die klagende Partei zur Bezahlung eines Betrages von S 28.000 sA an die beklagte Partei verurteilt. Die klagende Partei ficht dieses Urteil nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO an, weil sie im Verfahren nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei und die Prozessführung auch nachträglich nicht genehmigt habe. Sie bringt vor, dass sie ihren Sitz im Ausland habe und in Österreich lediglich eine Repräsentanz, aber keinerlei Niederlassung oder Zweigstelle betreibe. An der Spitze dieser Repräsentanz sei Hok Rainer V***** tätig gewesen, der aber weder Prokura noch Handlungsvollmacht im Sinne des Handelsgesetzbuches gehabt habe. Die Klage 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien sei der Wiener Repräsentanz am 18. 1. 1967 (richtig wohl: am 24. 6. 1965) zugestellt und von V***** übernommen worden, ohne dass dieser gemäß § 106 ZPO entsprechend zur Übernahme der Klage bevollmächtigt gewesen sei. V***** habe es unterlassen, die klagende Partei von dieser Klage zu verständigen, sodass die Zustellung nichtig sei. Ohne einen Auftrag von der klagenden Partei zu haben oder hiezu bevollmächtigt zu sein, habe V***** RA Dr. Anton G***** mit der Vertretung der klagenden Partei in diesem Verfahren beauftragt. Dr. G***** sei somit nicht ordnungsgemäß von der klagenden Partei bevollmächtigt worden, V***** habe als falsus procurator gehandelt und sei deswegen am 1. 6. 1967 fristlos entlassen worden. Die klagende Partei habe vom Verfahren 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien erst kürzlich erfahren; die angefochtenen Entscheidungen seien ihr am 23. 6. 1967 erstmalig ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Monatsfrist des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO sei für die auf § 529 Abs 1 Z 2 ZPO gestützte und am 30. 6. 1967 eingebrachte Klage eingehalten worden.

Die beklagte Partei hat bestritten und vorgebracht, dass ihr erst vor einigen Wochen bekannt geworden sei, dass V***** für die klagende Partei in Österreich nicht vertretungsbefugt gewesen wäre. Sie habe vor Einbringung der Klage 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien beim Handelsgericht Wien und beim Magistrat Wien Erhebungen über die Rechtsform der klagenden Partei und deren vertretungsberechtigten Personen in Wien geführt, die aber deshalb ergebnislos geblieben seien, weil eine Eintragung im Handelsregister nicht erfolgt und gewerberechtlich eine Genehmigung nicht erforderlich gewesen sei. Am 8. 6. 1965 habe ihr Vertreter in der Konsularabteilung der spanischen Botschaft in Wien erfahren, dass die klagende Partei eine Aktiengesellschaft sei, von der sich die Hälfte der Aktien im Besitz des spanischen Staates befänden, und dass für die Wiener Niederlassung der beklagten Partei Direktor Hok Rainer V***** vertretungsbefugt sei. Die klagende Partei habe gewusst, dass gegen V***** zahlreiche Exekutionen liefen und dass der Gehalt V*****s gepfändet wurde. Sie habe die Prozessführung zu 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien genehmigt.

Mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage werden die Urteile aller drei Instanzen des Verfahrens 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien angefochten, sodass gemäß § 532 Abs 1 ZPO der Oberste Gerichtshof ausschließlich zuständig ist. Die am 30. 6. 1967 eingebrachte Nichtigkeitsklage ist auch rechtzeitig, weil die 3 angefochtenen Urteile den Rechtsanwälten der klagenden Partei Dr. Max Vladimir und Dr. Max Josef Allmayer-Beck am 23. 6. 1967 zugestellt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsklage ist aber nicht begründet. Nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch welche eine Sache erledigt ist, mit Nichtigkeitsklage angefochten werden, wenn eine Partei in dem Verfahren gar nicht vertreten war, sofern die Prozessführung nicht nachträglich ordnungsgemäß genehmigt wurde. Im Verfahren 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien ist in allen drei Instanzen Dr. Anton G***** für die dort beklagte, hier klagende Partei, eingeschritten. Die Vollmacht, die er vorgelegt hatte, liegt nicht mehr im Akt; sie wurde von der klagenden Partei auch nicht vorgelegt. Auch V***** und Dr. G***** wurden von der an sich beweispflichtigen klagenden Partei nicht als Zeugen über Form und Inhalt der Vollmacht Dris. G***** geführt. Da die beklagte Partei nicht ausdrücklich bestritten hat, dass V***** die Vollmacht an Dr. G***** namens der I***** unterschrieben hat, kann von dieser Behauptung der klagenden Partei als unbestritten ausgegangen werden. V***** war nach den gleichfalls unbestrittenen Angaben der klagenden Partei und der Aussage des Zeugen M***** Verkaufsleiter der Wiener Repräsentanz der klagenden Partei. Als solcher war er Handlungsbevollmächtigter der klagenden Partei im Sinne des § 54 HGB und zur Prozessführung nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis besonders erteilt worden ist. V***** war daher nicht kraft Gesetzes, sondern allenfalls kraft besonders erteilter Befugnis berechtigt, Dr. G***** Prozessvollmacht namens der I***** zu erteilen. In welcher Form die Ermächtigung zur Prozessführung nach § 54 Abs 2 HGB zu erteilen ist, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Da es sich hiebei um eine Willenserklärung handelt, kann eine solche Ermächtigung ausdrücklich oder stillschweigend erteilt werden (so auch Schlegelberger, Kommentar zum HGB4, S 303, Anm 5, und Reichsgerichtsrätekommentar zum Handelsgesetzbuch3 S 562, Anm 6). Ob V***** eine ausdrückliche Befugnis zur Prozessführung erteilt wurde, konnte nicht geklärt werden, weil aus der zu ON 12 vorgelegten Urkunde vom 10. 6. 1967 nur hervorgeht, dass im Aktenbuch der Sitzungen des Verwaltungsrates der klagenden Partei über eine solche Ermächtigung keine Beschlussfassung vorkommt. Der Zeuge M***** war bei der Anstellung V*****s nicht zugegen und weiß nicht, was mit ihm anlässlich der Anstellung besprochen wurde. V***** wurde, wie erwähnt, von keiner Partei als Zeuge geführt.

Es ist daher zu untersuchen, ob V***** stillschweigend im Sinne des § 863 ABGB von der klagenden Partei ermächtigt wurde, für die klagende Partei einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Hiebei kommt es, wie überhaupt bei stillschweigenden Willenserklärungen, darauf an, ob nach objektivem Maßstab, nach der Verkehrssitte (Gschnitzer im Klang2 IV/1 S 74), Handlungen gesetzt wurden, welche mit Überlegungen aller Umstände keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln übrig lassen.

Diesbezüglich stellt der Oberste Gerichtshof fest: Die klagende Partei hat ihren Sitz in Madrid, sie unterhält in verschiedenen Orten Bezirksdirektionen und an anderen Orten diesen untergeordnete Repräsentanzen. In Wien war nur eine Repräsentanz errichtet, die die Aufgabe hatte, Flugkarten zu verkaufen, bzw durch Reiseagenturen verkaufen zu lassen. Aufgabe des mit der Leitung der Wiener Repräsentanz betrauten Hok Rainer V***** war, den Flugkartenverkauf zu vermitteln und Kontakte mit Reisegesellschaften zu pflegen (Zeuge M*****). Die klagende Partei war im Wiener Handelsregister nicht eingetragen und auch bei der Gewerbebehörde war nicht zu erfahren, wer für die klagende Partei in Österreich vertretungsbefugt sei (Zeugen Dr. Otto G***** und Dr. Ernst S*****). Gegen Hok Rainer V***** hat die W***** GesmbH zu 18 E 9050/64 des Exekutionsgerichts Wien Gehaltsexekution geführt; das Zahlungsverbot an die klagende Partei hat V***** und dem Vermerk „Chef" übernommen. Desgleichen hat Dr. Walter S***** zu 18 E 7042/64 des Exekutionsgerichtes Wien Gehaltsexekution gegen V***** geführt (Akt 4 Cr 1325/65-11 des Arbeitsgerichtes Wien). Auch Silvia L***** hat zu 18 E 7378/64 des Exekutionsgerichtes Wien gegen V***** Gehaltsexekution geführt. Das Zahlungsverbot an die klagende Partei hat am 8. 9. 1964 gleichfalls V***** übernommen und mit „Chef der Firma" unterzeichnet (Akt 18 E 7378/64 des Exekutionsgerichtes Wien). Dr. Otto G***** hat namens der Silvia L***** der klagenden Partei in mehreren Schreiben über die Exekutionsführung berichtet. Die klagende Partei hat am 8. November 1965 Dr. G***** ua geantwortet: „Wir wenden uns neuerlich an unseren Delegierten in Zürich, von dem das Büro der I***** abhängt, damit er dafür Sorge trage, Herrn V***** anzuraten, die Erledigung dieser Angelegenheiten endgültig vorzunehmen. Jedenfalls können wir Ihnen keine Zusagen machen, weshalb es Ihnen freisteht, in einer Weise vorzugehen, die Ihnen als richtig erscheinen mag, um die Ihnen übertragenen Interessen Ihres Mandanten zu wahren" (Zeuge Dr. Otto G*****, Zeuge M***** und Beilage I). Gehaltsexekution gegen V***** wurde auch im August 1965 beim Betreibungsamt Zürich I zu Arrest Nr 57 geführt. Das Drittverbot wurde der Schweizer Bezirksdirektion der I***** (Direktor D*****) zugestellt (Beil J-R). Dr. Anton G***** hat gegen die I***** eine Klage auf Bezahlung des Honorars in der Höhe von S 7.311,03 für die Vertretung in der Rechtssache 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes eingebracht und in I. Instanz obsiegt. Dieses Urteil wurde von der I***** nicht angefochten, weil es sich um einen verhältnismäßig geringen Betrag gehandelt hat (Zeuge M*****). Die Steuerangelegenheiten der I***** besorgte Dr. Kurt C*****, und zwar aufgrund einer Steuervollmacht, die Stampiglie der klagenden Partei und die Unterschrift V*****s trug. C***** stand wegen der Steuer- und Lohnbuchhaltung in Kontakt mit der Schweizer Bezirksleitung der klagenden Partei (Zeuge Dr. Kurt C***** im Akt 4 Cr 1325/65 des Arbeitsgerichtes Wien).

Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass die klagende Partei in Wien eine Repräsentanz eröffnet und Handelsgeschäfte geführt hat, ohne ausdrücklich jemanden zu bestellen, der zu ihrer Vertretung bei österreichischen Behörden, Gerichten usw berechtigt gewesen wäre. Die klagende Partei musste aus ihrem übrigen Geschäftsbetrieb wissen, dass sich bei der Abwickung von Handelsgeschäften, insbesondere bei der Führung der Repräsentanz einer Fluggesellschaft immer wieder die Notwendigkeit ergibt, einen befugten Vertreter für die Wahrung der Belange der Gesellschaft am Sitz der Repräsentanz zu haben. Sie hat geduldet, dass V***** für sie Steuervollmachten erteilt, sie hat mindestens von zwei gegen sie erlassenen, zum Teil von V***** übernommenen Zahlungsverboten gewusst, hat sich nicht gegen die Zustellung der Verbote an V***** gewehrt und hat keinen Bevollmächtigten in diesem Exekutionsverfahren bestellt. Im Gegenteil, sie hat an den Vertreter der betreibenden Partei L*****, an Dr. Otto G***** geschrieben, dass ihr Delegierter in Zürich V***** anraten würde, „die Erledigung dieser Angelegenheit endgültig vorzunehmen". Sie hat also in Kenntnis des ergangenen Zahlungsverbotes Dr. G***** an V***** verwiesen, damit dieser „die Angelegenheit endgültig erledige". Diese Verweisung kann nur dahin verstanden werden, dass die klagende Partei Dr. G***** an V***** als ihren Vertreter in der genannten Exekutionssache verwiesen hat und nicht dahin, dass sie Dr. G***** an den Schuldner V***** verwiesen habe, weil der klagenden Partei als großem Unternehmen und dem das Schreiben unterfertigenden Zeugen M***** als Rechtsanwalt bewusst gewesen sein muss, dass es nicht angeht, bei einer Forderungsexekution den betreibenden Gläubiger einfach an die verpflichtete Partei zu verweisen.

Zusammenfassend muss also gesagt werden, dass die klagende Partei, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch durch schlüssige Handlungen, die zu keinem Zweifel Anlass geben, es Hok Rainer V***** überlassen hat, auch gegenüber Gerichten und anderen Behörden die Interessen der I***** in Österreich zu vertreten. Darin ist die Erteilung der Befugnis zur Prozessführung im Sinne des § 54 Abs 2 HGB und die Befugnis zur Bestellung eines Prozessbevollmächtigten für die klagende Partei zu erblicken.

Selbst wenn noch irgend ein Zweifel geblieben wäre, ob Hok Rainer V***** stillschweigend zur Vertretung der I***** vor österreichischen Behörden und Gerichten befugt war, wäre ein solcher Zweifel dadurch zerstreut, dass die I***** das von Dr. G***** verlangte Honorar für sein Einschreiten im Verfahren 4 Cr 1325/65 bezahlt hat, ohne den Instanzenzug auszuschöpfen. Auf das Motiv dieser Zahlung kommt es nicht an, sondern auf die objektive Wertung der Tatsache der freiwilligen Zahlung. Objektiv muss aber nach der Verkehrssitte in dieser freiwilligen Zahlung des Honorars die nachträgliche Genehmigung der von V***** vorgenommenen Bestellung Dr. G*****s als Prozessbevollmächtigter der klagenden Partei erblickt werden. Die Nichtigkeitsklage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E80406 4Ob44.67

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1968:0040OB00044.67.1105.000

Dokumentnummer

JJT_19681105_OGH0002_0040OB00044_6700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten