TE OGH 1978/4/20 7Ob17/78 (7Ob16/78)

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Veröffentlicht am 20.04.1978
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Norm

Allgemeine Feuerversicherungsbedingungen Art4 Abs2
ABGB §870
ABGB §871
ABGB §1295
Versicherungsvertragsgesetz §6
ZPO §519

Kopf

SZ 51/52

Spruch

Wer Arglist behauptet, muß hiefür den vollen Beweis erbringen

Die Rechtsmittelbeschränkung des § 519 ZPO gilt für alle im Berufungsverfahren ergehenden Beschlüsse des Gerichtes zweiter Instanz, nicht nur für berufungsgerichtliche Beendigungsbeschlüsse

OGH 20. April 1978, 7 Ob 16, 17/78 (OLG Innsbruck,; R 318/77; LG Feldkirch, 7 Cg 456/74)

Text

Helmut und Walter B versicherten bei der Beklagten unter der Bezeichnung "Firma Gebrüder B" für die Zeit vom 24. Feber 1972 bis 24. Feber 1982 ihre "im Lager S" befindlichen Fahrnisse gegen Brandschaden. Die Versicherungssumme betrug 1 833 990 S. Dem Versicherungsantrag wurden die Allgemeinen Feuerversicherungsbedingungen (AFB i. d. F. 1971), die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS i. d, F. 1971) und die Klauseln Nr. 29 und Nr. 52 zugrunde gelegt. Art. 12 ABS lautet wie folgt:

(1) Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeiführt oder sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadensfall frei.

(2).....

Die Klausel 52 (Verkaufspreis als Ersatzwert) hat folgenden Wortlaut: Sofern der Versicherungsnehmer den Nachweis erbringt, daß er für verbrannte, festverkaufte Handelsware Ersatz in gleicher Güte weder aus den unversehrt gebliebenen Beständen liefern, noch gleichwertigen Ersatz auf dem Markt erhalten kann, gilt als Ersatzwert für die verbrannte, festverkaufte Handelsware der vereinbarte Verkaufspreis abzüglich der durch die Nichtlieferung ersparten Kosten, sofern der Käufer ohne Eintritt des Versicherungsfalles die Abnahme nicht hätte verweigern können.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1972 brach "im Lager S" ein Brand aus, bei dem ein Großteil der dort befindlichen Fahrnisse des Helmut und des Walter B vernichtet wurde. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 21. August 1972, GZ S 8, 9/72, wurde über das Vermögen des Helmut und des Walter B das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Der Höhe nach stellten die Streitteile die Klagsforderung mit 1 S außer Streit.

In seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 1 704 955 S samt Anhang. Bei dem Brand seien verschiedene Fahrnisse der Brüder Helmut und Walter B mit einem Gesamtwert in der Höhe des Klagsbetrages vernichtet worden. Unter den verbrannten Gegenständen haben sich auch eine Bootsform "Marina" befunden, die bereits vor Eintritt des Schadensfalles am 28. April 1972 an die Firma H in Kairo um 70 000 DM verkauft worden sei. Hinsichtlich dieser Bootsform sei daher die Klausel Nr. 52 anzuwenden. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, bei dem Kaufvertrag vom 28. April 1972 handle es sich nur um ein Scheingeschäft. Ein Teil der Fahrnisse für die Ersatz begehrt werde, sei außerdem im Zeitpunkte des Schadensfalles im Eigentum der Firma Helmut und Walter B Gesellschaft m. b. H. gestanden. Die Brüder Helmut und Walter B hätten daher die Beklagte bei der Schadensermittlung arglistig getäuscht. Die Beklagte sei demnach im Sinne des Art. 12 Abs. 1 ABS leistungsfrei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren nach Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches ab. Es war der Ansicht, Helmut B hätte mit seinen bewußt wahrheitswidrigen Erklärungen in seiner Schadensmeldung vom 21. Juni 1972, wonach die Bootsform "Marina" bereits fix um 70 000 DM an die Firma H verkauft worden sei, bei der Schadensermittlung die Beklagte arglistig getäuscht. Diese sei daher nach Art. 12 ABS leistungsfrei. Hingegen könne Helmut B eine arglistige Täuschung der Beklagten über die Eigentumsverhältnisse eines Teiles der durch den Brand vernichteten Sachen nicht angelastet werden, weil die mit der Errichtung des Gesellschaftsvertrages vom 7. November 1969 und des Kaufvertrages vom 19. Jänner 1970 eingetretenen Vermögensverschiebungen nicht völlig durchschaubar gewesen seien.

Das Berufungsgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es wiederholte die vom Erstgericht aufgenommenen Beweise und traf folgende Feststellungen:

Die Brüder Helmut und Walter B betrieben unter der Bezeichnung "Firma Gebrüder B" in H, H-Weg 26, ein Bootsbauunternehmen. Helmut B war mehr für den kaufmännischen Bereich, Walter B hingegen für die technischen Belange zuständig. Seit dem Jahre 1970 hatten die Brüder Helmut und Walter B mit dem örtlichen Vertreter der Beklagten, Walter M, zu dem ein besonderes Vertrauensverhältnis bestand, schon mehrere Feuerversicherungsverträge abgeschlossen. Der Antrag auf Abschluß des gegenständlichen Feuerversicherungsvertrages wurde am 6. März 1972 gestellt und von Walter B für die Firma Gebrüder B unterfertigt. Auf Grund dieses Versicherungsantrages wurde von der Beklagten die Feuerversicherungspolizze ausgestellt und von Walter M, der bei der Firma Gebrüder aus- und einging, in eine eigene Versicherungsmappe eingelegt. Die Brüder Walter und Helmut B haben den Text dieser Versicherungspolizze, insbesondere die beigeheftete Klausel Nr. 52, nicht durchgelesen. Über diese Verkaufspreisklausel wurde Helmut B erst nach Eintritt des Schadensereignisses, anläßlich der Abfassung der Schadensmeldung, von Walter M oder seinem Buchhalter Eduard M informiert. Die schriftliche Schadensmeldung mit einer Aufzählung der beim Brand vernichteten Gegenstände wurde am 21. Juni 1972, erstattet. Die Aufstellung wurde vom Buchhalter Eduard M unter Anleitung des Helmut B verfaßt. Sie enthielt unter Punkt C, den Hinweis, daß eine Bootsform der Type "Marina" bereits um 70 000 DM an die Firma H in Kairo, laut Kaufvertrag, Sicherheitsleistung durch Dokumentenakkreditiv in der Höhe von 20 000 US-Dollar Raika-H, verkauft sei. Die Schadensausstellung wurde von Helmut B unterfertigt. Über Ersuchen der Beklagten verfaßte Helmut B gemeinsam mit dem Buchhalter Eduard M die Aufstellung vom 5. Juli 1972, die die kalkulatorischen Unterlagen für die Schadensmeldung vom 21. Juni 1972 enthält. Auch in dieser Urkunde ist unter der Position C eine Bootsform der Type "Marina" zum Verkaufswert von 70 000 DM angeführt. Die Richtigkeit der Angaben der Beilage G wurde von Helmut B durch seine eidesstättige Unterschrift bestätigt. Mit der Schadensaufstellung, Beilage I, oder der Aufstellung, Beilage G, wurden der Beklagten zum Nachweis des Verkaufes der Bootsform "Marina" die Schreiben der Firma H vom 11. März 1972 (Beilage C), der Firma Gebrüder B vom 27. März 1972 (Beilage E), das Telegramm der Firma H vom 10. April 1972 (Beilage E), "der contract of sale" vom 28. April 1972 (Beilage F) und das Schreiben der Raika-H vom 10. Mai 1972 übermittelt. Der Leiter der Schadensabteilung der Beklagten, Gerhard B, erkundigte sich in der Folge rein informativ bei der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, ob die Abwicklung des fraglichen Ägypten-Geschäftes überhaupt möglich gewesen wäre. Er erhielt die Auskunft, daß nach den in Ägypten geltenden Devisenvorschriften keine Geschäfte ohne Einfuhrgenehmigung abgeschlossen werden können, wobei für unwichtige Güter keine Einfuhrgenehmigungen erteilt werden. Am 31. Oktober 1972 fand in der Kanzlei des Klägers eine Unterredung statt, an der dieser, Helmut B, dessen Rechtsanwalt Dr. St., der Buchhalter Eduard M, Ing. B, Dr. F und Hubert R teilnahmen. Das Ergebnis dieser Unterredung wurde in einem Erhebungsprotokoll festgehalten. Im Auftrag der Beklagten führte der Oberpolizeirat Dr. Gerhard H Erhebungen über den Kaufvertrag mit der Firma H in Ägypten durch, die folgendes Ergebnis brachten: Die zur Herstellung eines Kunststoffbootes der Typ "Marina" dienende Bootsform ist eine Entwicklung der Marina-Werft in F (BRD), deren technischer Leiter Ing. Günther T ist. Mit dieser Werft stand die Firma Gebrüder B schon längere Zeit in geschäftlicher Verbindung, weil die Brüder B Lizenznehmer hinsichtlich der Erzeugung von "Marina-Booten" waren. Am 11. März 1972 erhielt die Firma Gebrüder B das Schreiben der Firma H (Beilage C). Helmut B fragte hierauf bei der Marina-Werft an, ob er mit diesem ägyptischen Kunden Verbindung aufnehmen könne. Als sich Ing. Günther T damit einverstanden erklärt hatte, sandte Helmut B an die Firma H das Schreiben vom 27. März 1972 (Beilage E), in dem er drei Bootsformen verschiedener Größen, unter anderem ein Boot des Types "Marina" (Rumpf und Deck) zum Preis von 70 000 DM anbot. Helmut B erhielt hierauf am 10. April 1972 das Telegramm der Firma H (Beilage D), in dem er aufgefordert wurde, so rasch wie möglich zum Abschluß eines Vertrages nach Kairo zu kommen. Helmut B verständigte hievon Ing. Günther T, der den contract of sale (Beilage F) in englischer Sprache verfaßte und dessen Inhalt dem über keine Englischkenntnisse verfügenden Helmut B übersetzte. Mit diesem Vertragsentwurf flog Helmut B nach Ägypten, wo er mit dem Eigentümer der Firma H, Ali el T, zusammentraf. Bei den Verhandlungen mit diesem fungierte dessen verhältnismäßig gut deutsch sprechender Sohn als Dolmetsch. Ali el T unterfertigte den contract of sale (Beilage F). Weitere Vereinbarungen oder Absprachen wurden zwischen Helmut B und Ali el T nicht getroffen. Helmut B hatte von Ali el T keine hundertprozentige Zusage, daß dieser ein Boot des Typs "Marina" übernimmt, war allerdings davon überzeugt, daß Ali el T seine "Marina-Form" kaufen werde. Nach Punkt 2 des Vertrages (Beilage F) hätte nämlich der Verkäufer im Beisein des Käufers (Ali el T) oder des Kommissionärs ein Muster jeder Schalungsform zu fertigen gehabt. Erst wenn die Verwendungsmöglichkeit durch ein Muster bewiesen gewesen wäre, wäre der Käufer verpflichtet gewesen, den Kauf zweier kompletter Schalungsformen vorzunehmen. Im Zeitpunkte des Abschlusses des Vertrages (Beilage F) hatte Helmut B in seinem Betrieb eine ihm gehörige "Marina-Form" auf Lager, von der bis zum Jahre 1967 schon mehrere Abzüge gemacht worden waren. Nach der Rückkehr des Helmut B aus Ägypten wurden von der Marina-Werft die von Ing. Günther T bereits früher versprochenen Bootsformen geliefert und in der später abgebrannten Lagerhalle gelagert. Das Dokumentenakkreditiv über 20 000 US-Dollar, auf das in der Schadensmeldung (Beilage I) Bezug genommen wird, wurde nicht von der Firma H, sondern von Ing. Günther T bei einer liechtensteinischen Bank errichtet. Am 9. November 1972 wurde Helmut B von der Beklagten unter einem Vorwand in ihr Büro nach Wien eingeladen, wo er verhaftet wurde. Das gegen ihn beim Erstgericht zur GZ Vr 1800/72 eingeleitete Strafverfahren wurde in der Folge nach § 109 StPO eingestellt. Nach dem Tode des Jakob B, des Vaters der Gemeinschuldner, wurde dessen Verlassenschaft den Erben Helmut B, Walter B, Elwina B, Lina B, und Ella B auf Grund der gesetzlichen Erbfolge eingeantwortet. Am 7. November 1969 wurde die Firma Helmut und Walter B Gesellschaft m. b. H. mit einem Stammkapital von 140 000 S gegrundet und zu HRB 489 im Handelsregister des Erstgerichtes eingetragen. Diese Gesellschaft m. b. H. hat allerdings nie einen Geschäftsbetrieb geführt und auch die im Kaufvertrag vom 19. Jänner 1970 genannten Gegenstände darunter eine Bootsform des Typs "Marina" zum Preis von 45 000 S nicht übernommen. Im Zeitpunkte der Erstattung der Schadensmeldung (Beilage I) war Helmut B der Überzeugung, mit der Firma H in Kairo einen gültigen Kaufvertrag über eine "Marina-Bootsform" abgeschlossen zu haben. Er ist auch heute noch dieser Ansicht. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß der Beklagten der Beweis, sie sei von Helmut B arglistig bei der Schadensermittlung getäuscht worden, nicht gelungen sei. Arglist setze nämlich eine bewußte Täuschung des Vertragspartners voraus, von der hier keine Rede sein könne. Der Klagsanspruch bestehe somit dem Gründe nach zu Recht. Das von der Beklagten erst in der Berufungsverhandlung vom 17. Jänner 1978 (ON 40 a) erstattete Vorbringen, Helmut B sei noch vor Abschluß des Versicherungsvertrages über die Bedeutung der Verkaufspreisklausel Nr. 52 aufgeklärt worden, die Gemeinschuldner hätten außerdem ihre Obliegenheit nach Art. 4 Abs. 2 AFB verletzt, wies das Berufungsgericht als unzulässige Neuerung zurück und nahm den diesbezüglichen Beschluß in seine Urteilsausfertigung auf.

Der Oberste Gerichtshof wies den Rekurs der Beklagten gegen dem Beschluß der Berufungsgerichtes zurück und gab ihrer Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Rekurs:

Im Berufungsverfahren ergehende Beschlüsse des Gerichtes zweiter Instanz können nach der mit der herrschenden Lehre (Fasching IV, 405 ff.), übereinstimmenden, überwiegenden Rechtsprechung des OGH nur in den im. 519 ZPO angeführten, drei - hier nicht vorliegenden - Fällen mit Rekurs bekämpft werden (SZ 27/319; JBl. 1952, 498; EvBl. 1961/410; JBl. 1968, 156; 5 Ob 26/65; 5 Ob 67, 68/67; 5 Ob 184/73 zuletzt 6 Ob 670/77). Die in der Entscheidung SZ 40/111 vertretene Meinung, § 519 ZPO sei nur auf berufungsgerichtliche Beendigungsbeschlüsse anwendbar, beruft sich auf die Vorentscheidung JBl. 1958, 238. Diese setzt sich jedoch mit den Argumenten der Entscheidung SZ 27/319 überhaupt nicht auseinander, in der die vorerwähnte, auf der Lehrmeinung Novaks ("Zur Tragweite des § 519 ZPO" im JBl. 1953, S. 57 ff. und 84 ff.) beruhende Auffassung abgelehnt wurde. Der Oberste Gerichtshof hält daher an der in seiner Entscheidung SZ 27/319 ausgesprochenen Rechtsansicht fest. Die Zurückweisung des von der Rekurswerberin erst im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringens durch das Berufungsgericht ist somit unanfechtbar.

Unzutreffend ist die Ansicht der Rekurswerberin, das Berufungsgericht hätte das erstinstanzliche Verfahren im Sinne des § 496 Abs. 3 ZPO ergänzt, weshalb auf die von ihm durchgeführte Verhandlung die Vorschriften auf das Verfahren erster Instanz anzuwenden seien. Aus der durchgeführten vollen Beweiswiederholung ergibt sich eindeutig, daß das Berufungsgericht die erstgerichtliche Beweiswürdigung überprüfen und nicht die in erster Instanz gepflogene Verhandlung ergänzen wollte. Hiezu wäre außerdem, wie die Rekurswerberin selbst einräumt, die vorherige Aufhebung des Ersturteils erforderlich gewesen (Fasching IV, 215).

2. Revision:

Als Verfahrensmangel rügt die Revisionswerberin, daß das Berufungsgericht wohl eine Beweiswiederholung beschlossen, jedoch den auch für das Berufungsverfahren vorgeschriebenen Beweisbeschluß nicht gefaßt habe.

Die Beweisdurchführung ohne Beweisbeschluß muß jedoch von der Partei, die diesen Vorgang im Rechtsmittelverfahren geltend machen will, nach § 196 ZPO gerügtwerden (Fasching III, 301; SZ 43/150; 8 Ob 170/70; 4 Ob 93/76 u. a. m.). Da die Revisionswerberin eine derartige Rüge unterließ, kann sie auf den fraglichen Verfahrensmangel im Revisionsverfahren nicht mehr zurückkommen.

Einen weiteren Verfahrensverstoß des Berufungsgerichtes erblickt die Revisionswerberin in der Zurückweisung ihres ergänzenden Vorbringens in der Berufungsverhandlung (ON 40 a) als unzulässige Neuerung. Sie habe sich zu diesem Vorbringen im Hinblick auf die Behauptungen des Helmut B in seiner Parteienvernehmung veranlaßt gesehen. Im Berufungsverfahren sei aber das Neuerungsverbot insoweit durchbrochen, als sich die Notwendigkeit zur Erstattung neuen Vorbringens und zur Stellung neuer Beweisanträge aus der beschlossenen Beweiswiederholung oder -ergänzung ergebe.

Dem Berufungsgericht ist jedoch darin beizupflichten, daß es sich bei der von der Revisionswerberin erst im Berufungsverfahren behaupteten Obliegenheitsverletzung des Helmut und des Walter B nach Art. 4 Abs. 2 AFB tatsächlich um eine Neuerung handelt. Daß der in der Schadensmeldung vom 21. Juni 1972 (Beilage I) erwähnte "Marina-Bootsanhänger" im Eigentum des Rechtsanwaltes Dr. St gestanden sei, ergab sich nämlich schon aus der von Helmut B vor dem Erstgericht abgelegten Parteienaussage (S. 146). Mit Recht wies daher das Berufungsgericht dieses Vorbringen der Revisionswerberin als unzulässige Neuerung zurück. Ob es sich auch bei dem von der Revisionswerberin in der Berufungsverhandlung erstatteten Vorbringen, die in den Versicherungsantrag aufgenommene Verkaufspreisklausel (Nr. 52) sei mit dem Gemeinschuldner Helmut B erörtert worden, um eine unzulässige Neuerung handelt, kann dahingestellt bleiben. Selbst eine dem Berufungsgericht unterlaufene Verfahrenverletzung bildet namlich nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO, wenn sie abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz herbeizuführen. Ob Helmut B bei Stellung des Versicherungsantrages über den Inhalt der vorerwähnten Verkaufspreisklausel aufgeklärt wurde, ist aber für die Frage der ihm angelasteten arglistigen Täuschung der Revisionswerberin bei der Schadensermittlung ohne Belang.

Mangelhaft soll schließlich das Berufungsverfahren noch deshalb sein, weil auch das Berufungsgericht - wie das Erstgericht - von der Einvernahme der Zeugen Ali el T und Amalie E Abstand genommen habe. Der Beweis der arglistigen Irreführung durch den Gemeinschuldner Helmut B könne von der Revisionswerberin, wie sie meint, nur sehr schwer erbracht werden; das Berufungsgericht hätte daher das Beweisverfahren mit größerer Sorgfalt und Grundlichkeit durchführen und die vorgenannten Zeugen unbedingt vernehmen müssen.

Mit diesen Ausführungen zeigt jedoch die Revisionswerberin nicht eine dem Berufungsgericht unterlaufene Verfahrensverletzung auf, sondern bekämpft in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Gerichtes zweiter Instanz. Das Berufungsgericht begnügte sich nämlich mit der Wiederholung der vom Erstgericht aufgenommenen Beweise und brachte damit zum Ausdruck, daß es die Einvernahme der vorerwähnten Zeugen für entbehrlich erachtet. Die Mängelrüge ist somit verfehlt.

In ihrer Rechtsrüge vertritt die Revisionswerberin die Auffassung, für den vom Versicherer zu erbringenden Beweis der arglistigen Täuschung durch den Versicherten bei der Schadensermittlung genüge der Prima-facie Beweis. Der Versicherer müsse daher nur einen Sachverhalt dartun, aus dem sich - ein typischer Geschehensverlauf vorausgesetzt - mit großer Wahrscheinlichkeit auf die arglistige Täuschung schließen lasse. Der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt lasse aber keinen anderen Schluß zu, als daß Helmut B mit großer Wahrscheinlichkeit den Versuch unternommen habe die Revisionswerberin bei der, Schadensermittlung zu täuschen.

Die Zulässigkeit und der Anwendungsbereich des Prima-facie-Beweises ist im österreichischen Prozeßverfahren umstritten (Fasching III, 235 f., Rechberger in ÖJZ 1972, S.425 und 457; Dolinar in ÖJZ 1968, S. 431 ff.; Fenyves in Versicherungsrundschau 1976, S. 376, Anm. 88). Aber auch soweit die Zulässigkeit des Prima-facie-Beweises in Lehre und Rechtsprechung bejaht wird, beschränkt sich sein Anwendungsgebiet auf die Feststellung des Kausalablaufes (Fasching III, 236; 8 Ob 265/74). Hier geht es jedoch nicht um die Beurteilung eines Kausalablaufes, weshalb schon aus diesem Gründe kein Raum für die Anwendung des Prima-facie-Beweises ist. Die Revisionswerberin muß somit den vollen Beweis der von ihr behaupteten arglistigen Täuschung durch die Gemeinschuldner bei der Schadensermittlung erbringen.

Arglist setzt ein für die Entstehung eines Irrtums vorsätzliches und ihn bezweckendes Verhalten des Irreführenden voraus. Wer daher bloß seine subjektive, (objektiv) unrichtige Meinung äußert, hat den Irrtum eines anderen, der auf die Richtigkeit dieser Meinung vertraut, nicht listig veranlaßt (Gschnitzer in Klang[2]IV/1, 110; Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes[4] I, 111; SZ 41/33; JBl. 1971, 304, 1976, 145). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes war aber Helmut B im Zeitpunkte der Erstattung der Schadensmeldung (Beilage I) der subjektiven Überzeugung, mit der Firma H in Kairo über eine "Marina-Bootsform" einen Kaufvertrag abgeschlossen zu haben. Die von der Revisionswerberin behauptete arglistige Täuschung liegt somit nicht vor. Der Umstand, daß hinsichtlich der "Marina-Bootsform" ein Kaufvertrag nicht zustande kam, wird daher nur für die Höhe der von der Revisionswerberin zu leistenden Entschädigung von Bedeutung sein.

Mit Recht rügt allerdings die Revisionswerberin, daß das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichtes nach allen rechtlichen Richtungen hin hätte überprüfen müssen. Ergibt sich nämlich die, Leistungsfreiheit des Versicherers bei einem bestimmten Sachverhalt schon aus dem Gesetz, so muß er nur diesen Sachverhalt behaupten und allenfalls den Klagsanspruch bestreiten. Bei vereinbarter Leistungsfreiheit muß hingegen der Versicherer auch die getroffene Vereinbarung behaupten und beweisen (7 Ob 59/77). Hier wurde jedoch von der Revisionswerberin behauptet und ist überdies unbestritten, daß dem fraglichen Feuerversicherungsvertrag die AFB und die ABS (i. d. F. 1971) zugrundegelegt wurden. Die Einrede der Revisionswerberin, Helmut B hätte sie über den Verkauf eine "Marina-Bootsform" an die Firma H arglistig getäuscht, schließt aber die Behauptung in sich, der Vorgenannte habe auch seine Obliegenheit, alle schriftlichen und mündlichen Angaben im Zuge der Schadenserhebung dem Versicherer richtig und vollständig zu machen (Art. 4 Abs. 2 AFB), verletzt. Das Berufungsgericht hätte daher auch prüfen müssen, ob Helmut B diese Obliegenheit verletzt habe und die Revisionswerberin daher allenfalls nach Art. 4 Abs. 3 AFB leistungsfrei geworden wäre. Damit ist jedoch für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts zu gewinnen, weil nur eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheit nach Art. 4 Abs. 2 AFB durch den Versicherten die Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge hat. Eine vorsätzliche Verletzung dieser Obliegenheit durch Helmut B ist jedoch schon deshalb auszuschließen, weil dieser der Überzeugung war, eine "Marina-Bootsform" tatsächlich an die Firma H in Kairo verkauft zu haben. Im Hinblick auf den etwas unklaren Inhalt des in englischer Sprache abgefaßten "contract of sale" (Beilage F) konnte ein juristischer Laie der Auffassung sein, daß es sich bei diesem um einen rechtswirksamen Kaufvertrag handle. Wenn daher Helmut B in der Schadensmeldung vom 21. Juni 1972 (Beilage I) ohne vorher eingeholter Rechtsauskunft eine "Marina-Bootsform" als bereits an die Firma H verkauft bezeichnete, kann darin eine grobe Fahrlässigkeit nicht erblickt werden. Eine die Revisionswerberin von ihrer Leistung befreiende Obliegenheitsverletzung des Helmut B nach Art. 4 Abs. 2 AFB ist somit ebenfalls zu verneinen.

Warum es sich bei der in der Revisionsschrift wiederholten Behauptung, Helmut B habe durch die Aufnahme des im Eigentum des Dr. St. stehenden "Marina-Bootsanhängers" in die Schadensmeldung (Beilage I), seine Obliegenheit nach Art. 4 Abs. 2 AFB verletzt und außerdem die Revisionswerberin über diesen Umstand arglistig getäuscht, um eine unzulässige Neuerung handelt, wurde bereits bei Erörterung der Mängelrüge dargelegt. Eine Feststellung, daß nur im Eigentum der Firma Gebrüder B stehende Sachen gegen Feuer versichert werden sollten, erübrigt sich daher. Hinsichtlich der Gegenstände, die angeblich im Eigentum der Helmut und Walter B Gesellschaft m. b. H. gestanden sein sollen, hat hingegen das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt, daß deren Übernahme durch die Gesellschaft nicht erfolgt ist. Damit hat aber auch die Gesellschaft an diesen Gegenständen nicht Eigentum erworben.

Anmerkung

Z51052

Schlagworte

Arglist, Beweislast, Rechtsmittelbeschränkung § 519 Z. 90

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00017.78.0420.000

Dokumentnummer

JJT_19780420_OGH0002_0070OB00017_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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