TE OGH 1978/6/29 12Os78/78

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Veröffentlicht am 29.06.1978
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Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Juni 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Kral, Dr. Schneider und Dr. Steininger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Haindl als Schriftführer in der Strafsache gegen Fikret A wegen Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13.Jänner 1978, GZ 1 a Vr 9456/77-30, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bernhauser und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Stöger, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

                        Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 7.April 1930 geborene

Hilfsarbeiter Fikret A 1.)  des Verbrechens des Beischlafes mit

Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB , 2.)  des Vergehens der Nötigung

zur Unzucht nach § 204

Abs 1 StGB , 3.)  des Vergehens des Mißbrauchs eines

Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB und 4.)  des

Verbrechens der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z. 1 StGB

schuldig erkannt, weil er in Perchtoldsdorf zu 1.)    in der Zeit

zwischen November 1975 und 29.Juli   1977 an der am 29.Juli 1963

geborenen Anica   B, somit einer Unmündigen, insgesamt   neunmal den

außerehelichen Beischlaf unternahm;

zu 2.)    im August 1977 und am 13.November 1977 die   nunmehr

jugendliche Anica B außer den   Fällen der §§ 201 und (richtig: bis)

203 StGB

mit Gewalt, nämlich durch Versetzen von Schlägen   und durch

Festhalten (zur Unzucht nötigte, indem   er sie) veranlaßte, ihre

Brüste und ihren   Geschlechtsteil, in den er auch seine Finger

einführte, betasten zu lassen und ihrerseits mit   seinem

Geschlechtsteil zu spielen;

zu 3.)    in der Zeit zwischen November 1975 bis einschließlich

13. November 1977 durch die unter   Punkt 1.) und 2.) beschriebenen

Handlungen   seine Stieftochter Anica B zur Unzucht   mißbrauchte;

und zu 4.)    in der Zeit zwischen November 1975 bis zum   August

1977 seine Stieftochter Anica B   jeweils nach den unter Punkt 1.)

bis 3.) näher   beschriebenen strafbaren Handlungen - mit Ausnahme

der Straftat vom 13.November 1977 - durch   die öußerung, er werde

sie umbringen, sollte sie   irgend jemandem von diesen Straftaten

erzählen,   somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zum

Unterlassen einer Mitteilung an ihre Mutter und   Erstattung einer

Anzeige nötigte.

Von dem weiteren Anklagevorwurf in Richtung des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1, zweiter Fall, StGB erfolgte ein (rechtskräftig gewordener) Freispruch gemäß § 259 Z. 3 StPO

Gegen die Schuldsprüche wendet sich der Angeklagte mit einer auf die Z. 4 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Eine Urteilsnichtigkeit im Sinne des erstangeführten Nichtigkeitsgrundes erblickt der Beschwerdeführer in der Abweisung seiner in der Hauptverhandlung gestellten Anträge (S. 106 d.A.) auf

1.) Einholung eines (gerichtsärztlichen) Sachverständigengutachtens zum Nachweis dafür, daß die minderjährige Anica B nach wie vor virgo intacta sei, sodaß ihre Darstellung, der Angeklagte sei mit seinem Glied in die Scheide eingedrungen, unrichtig sei; und 2.) Einholung eines jugendpsychiatrischen Gutachtens zur Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugin (Anica B).

Das Erstgericht lehnte die Durchführung dieser Beweise mit der Begründung ab (vgl. S. 107 d.A.), daß zu 1.) ein Eindringen des Gliedes in die Vagina des Opfers (zur Herstellung des Tatbestandes nach dem § 206 Abs 1 StGB ) nicht erforderlich sei, sondern die Berührung bzw. das Aneinanderreiben (der Geschlechtsteile) genüge

und es überdies eine Erfahrungstatsache sei, daß ein Eindringen

des männliches Gliedes in die Vagina nicht notwendigerweise eine Verletzung des Hymens bewirken müsse, und zu 2.) sich weder aus

dem Vorverfahren noch aus dem Hauptverfahren (gemeint: in der Hauptverhandlung) Anhaltspunkte dafür ergaben, die gegen die Aussageehrlichkeit der Zeugin Anica B sprechen.

Diesen Erwägungen ist im wesentlichen zuzustimmen:

Abgesehen davon, daß die Zeugin Anica B nach den bisherigen Verfahrensergebnissen gar nicht behauptet hat, nicht mehr virgo intacta zu sein, betonte sie stets, daß es dem Angeklagten bei seinen wiederholten Versuchen infolge ihrer Gegenwehr niemals gelungen sei, sein Glied in ihren Geschlechtsteil einzuführen, es sei hiebei vielmehr nur zu einer Berührung der Geschlechtsteile gekommen (vgl. S. 29/30, 50, 101, 102 d.A.). Daher könnte aus dem zu beweisenden Umstand, nämlich daß das Opfer noch jungfräulich ist, kein Schluß auf eine Unrichtigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben des Mädchens gezogen werden.

Durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines gerichtsärztlichen Sachverständigengutachtens zur behaupteten geschlechtlichen Unberührtheit der Zeugin Anica B konnte demnach der Beschwerdeführer in seinen Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt werden, sodaß das Erstgericht mit Recht von der Durchführung dieses Beweises Abstand nahm.

Das Erstgericht war aber auch nicht zur Einholung eines jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachtens zwecks überprüfung der Glaubwürdigkeit der genannten Zeugin verhalten. Denn die Beweiswürdigung, insbesondere die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen, und zwar auch bei Kindern, steht grundsätzlich gemäß § 258 Abs 2 StPO nur dem erkennenden Gericht zu, wobei es allein den Richtern obliegt, sich auf Grund der Beweisergebnisse, des vom Zeugen gewonnenen persönlichen Eindrucks sowie ihrer Berufs- und Lebenserfahrung über die Verläßlichkeit einer Aussage schlüssig zu werden.

Eine psychiatrische oder psychologische Untersuchung von Zeugen ist im Gesetz nicht vorgesehen. Das Gericht kann allerdings eine solche in besonders gelagerten Fällen, so etwa bei festgestellter, vom Normalfall abweichender Veranlagung in psychischer und charakterlicher Hinsicht, bei Entwicklungsstörungen oder sonstigen Defekten von Jugendlichen, für angezeigt erachten (EvBl 1959/276), wobei es jedoch Zweck eines solchen Gutachtens nur sein kann, das Gericht allenfalls auf für die Beweiswürdigung erhebliche Umstände aufmerksam zu machen. Keinesfalls kann durch ein solches Sachverständigengutachten das ausschließlich dem Gericht zustehende Recht der freien Beweiswürdigung auch nur beschränkt oder gar aufgehoben werden (EvBl 1972/69).

Unter Berücksichtigung der völlig übereinstimmenden Angaben der Zeugin Anica B im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung sowie ihres in der Hauptverhandlung hinterlassenen persönlichen Eindrucks bestanden nach überzeugung des Erstgerichtes gegen die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben keine Bedenken, zumal es bei der Einvernahme dieser Zeugin keinerlei Anhaltspunkte für eine Lügenhaftigkeit oder Fabuliersucht finden konnte (vgl. S. 107, 118, 119 d.A.). Damit fehlte es aber an jenen besonderen Umständen, welche die Einholung eines jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachtens über die (allgemeine) Aussageehrlichkeit der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits vierzehneinhalbjährigen Zeugin auch nur nahelegen hätten können, sodaß die Ablehnung des in Rede stehenden Beweisantrags den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z. 4 StPO nicht zu begründen vermag (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer, Das Österreichische Strafverfahrensrecht, II/2, Entscheidungen Nr. 85 und 87 zu § 258 StPO).

Aber auch die ziffernmäßig auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte, sachlich jedoch jenen der Z. 10 der zitierten Gesetzesstelle relevierende Rechtsrüge schlägt nicht durch. Der Beschwerdeführer erachtet die gleichzeitige Unterstellung seiner als Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und als Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB beurteilten Tathandlungen auch unter die Bestimmung des § 212 Abs 1 StGB deshalb für rechtlich verfehlt, weil die beiden erstangeführten Bestimmungen im gleichen Maß wie § 212 Abs 1 StGB nur dem Schutz desselben Rechtsguts, nämlich der geschlechtlichen Integrität, dienen, sodaß die Beurteilung seines gesamten Tatverhaltens nach §§ 206 Abs 1 und 204 Abs 1 StGB den darin enthaltenen Unwert bereits vollständig erfasse und somit im Verhältnis dieser beiden Tatbestände zu dem des § 212 Abs 1 StGB jeweils nur ein Fall unechter Idealkonkurrenz vorliege. Hiezu ist dem Beschwerdeführer vorerst entgegenzuhalten, daß weder das Verbrechen des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB noch das Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB den Mißbrauch eines gegenüber einem unmündigen oder minderjährigen Opfer bestehenden Autoritätsverhältnisses durch den Täter zur Voraussetzung hat. Entgegen seiner Meinung wäre daher bei wertender Betrachtung der Unrechtsgehalt der Tathandlungen allein durch deren Unterstellung unter die Bestimmungen der §§ 206 Abs 1 und 204 Abs 1 StGB

nicht vollständig erfaßt, wenn dem Täter - so wie vorliegend dem Angeklagten als Stiefvater seines Opfers -

auch eine erzieherische Autorität gegenüber dem zur Unzucht mißbrauchten minderjährigen (und bei einem Teil der deliktischen Angriffe sogar noch unmündigen) Mädchen zukommt. In solchen Fällen ist daher echte Idealkonkurrenz zwischen den vorerwähnten Delikten und dem Vergehenstatbestand des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB möglich (vgl. hiezu ÖJZ-LSK. 1976/60 und EvBl 1976/241).

Es kann aber auch der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers nicht beigepflichtet werden, daß der Tatbestand nach § 212 Abs 1 StGB in jenen Fällen nicht in Betracht komme, in denen - wie vorliegend - die Willensbeugung des zur Unzucht mißbrauchten Opfers durch Gewaltanwendung und gefährliche Drohung bewirkt werde. Zunächst übersieht hiebei der Beschwerdeführer, daß sich in der ersten im § 212 Abs 1 StGB angeführten Begehungsform, in der Tatobjekt das minderjährige Kind, Wahlkind, Stiefkind oder Mündel des Täters ist, die Tathandlung im Mißbrauch der geschützten Person zur Unzucht erschöpft und dieser Deliktsfall - im Gegensatz zu den im § 212 Abs 1, letzter Fall, oder Abs 2, letzter Fall, StGB umschriebenen Begehungsarten -

ein Verleiten im Sinne einer durch Einwirken auf den Willen des Opfers bewirkten Bestimmung desselben, sich dem Täter willfährig zu erweisen und freiwillig die unzüchtigen Handlungen zu verüben oder zu dulden (vgl. Leukauf-Steininger, 935), nicht voraussetzt. Im übrigen erfordert das Vergehen nach § 212 Abs 1

StGB beim Mißbrauch des minderjährigen Kindes, Wahlkindes, Stiefkindes oder Mündels zum Unterschied von dem weiteren dort angeführten Fall des Mißbrauchs einer der Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht des Täters unterstehenden minderjährigen Person nicht den Nachweis der Tatbegehung unter Ausnützung der Stellung des Täters gegenüber seinem Opfer, weil der Mißbrauch des Autoritätsverhältnisses in diesen zuerst genannten Fällen als typisch vorausgesetzt werden kann (Dokumentation zum Strafgesetzbuch zu § 212 StGB , 195). Es bedurfte sohin im vorliegenden Fall keiner ausdrücklichen Feststellung des Erstgerichtes in dieser Richtung. Es kann aber auch nicht gesagt werden, daß die Anwendung von Gewalt oder Drohung als Mittel zum sexuellen Mißbrauch eines minderjährigen oder sogar unmündigen Kindes, wenn - so wie im vorliegenden Fall - das Opfer hiebei nicht völlig widerstandsunfähig gemacht, demnach dessen Willen nicht gebrochen, sondern nur gebeugt wird, einen Mißbrauch zur Unzucht im Sinne des § 212 Abs 1 StGB ausschließt. Nach den Urteilsannahmen hatte der Angeklagte seine unmündige bzw. in der zeitlichen Folge minderjährigen Stieftochter Anica B jeweils durch Versetzen von Schlägen unter Niederhalten am Bett oder Andrücken an die Wand, aber auch durch Drohung (mit dem Umbringen) zur Begehung und Duldung der unzüchtigen Akte veranlaßt, ohne sie aber hiebei völlig widerstandsunfähig zu machen. Durch den Grad der von ihm benützten Mittel der Gewalt und Drohung wurde demnach ihre Selbstbestimmung nicht völlig aufgehoben - so hatte sie etwa den Vollzug des vom Angeklagten wiederholt angestrebten Geschlechtsverkehrs jeweils durch ihren Widerstand verhindert - sondern sie wurde vielmehr zur Begehung und Duldung der Unzuchtsakte bloß gefügig gemacht, wobei hier aber auch die Stellung des Angeklagten als Stiefvater des mißbrauchten Kindes die Vornahme bzw. Duldung der unzüchtigen Handlungen durch seine Stieftochter ermöglichte, sodaß letztlich bei dieser Fallgestaltung auch die im Gesetz a priori vorausgesetzte (und daher nicht im besonderen nachzuweisende) Ausnützung des Autoritätsverhältnisses durch den Angeklagten als Stiefvater des Opfers zu bejahen ist. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 1/2 (zweieinhalb) Jahren. Dabei wertete es als erschwerend die Tatwiederholung während eines Zeitraums von ca. zwei Jahren sowie das Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen, als mildernd hingegen die Unbescholtenheit des Angeklagten. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe an.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Daß die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Verurteilten in auffallendem Widerspruch steht, bildet zusammen mit der Unbescholtenheit einen einzigen Milderungsgrund, den das Erstgericht der Sache nach ohnedies angenommen hat. Dem steht als erschwerend gegenüber, daß der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben und verschiedener Art begangen hat (§ 33 Z. 1 StGB ) und daß er - was als erschwerend hinzukommt - bei Begehung des Beischlafs mit Unmündigen jeweils Gewalt, also eines der Mittel des § 202 StGB , angewendet hat (Leukauf-Steininger, 940). Gerade diese Aggressivität des Angeklagten bei Begehung der strafbaren Handlungen, die letztlich auch in der Verurteilung wegen Verbrechens der Nötigung zum Ausdruck kommt, bestimmt sehr wesentlich das Maß der für die Strafbemessung ausschlaggebenden Schuld des Angeklagten. So gesehen erweist sich aber das vom Erstgericht gefundene Strafmaß als nicht überhöht; es entspricht vielmehr der Schwere der Schuld. Demgegenüber kommt dem vom Berufungswerber angeführten Umstand, daß er nach der Strafverbüßung in sein Heimatland abgeschoben werden wird, keine Bedeutung zu.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzestelle.

Anmerkung

E01323

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0120OS00078.78.0629.000

Dokumentnummer

JJT_19780629_OGH0002_0120OS00078_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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