TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/26 2002/06/0025

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.04.2005
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E05202010;
E3L E15102050;
E6J;
L80005 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Salzburg;
L82000 Bauordnung;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
59/04 EU - EWR;

Norm

11997E010 EG Art10;
11997E249 EG Art249 Abs3;
11997E249 EG Art249;
31996L0082 Seveso-II-RL Anh1;
31996L0082 Seveso-II-RL Art12 Abs1;
31996L0082 Seveso-II-RL Art12;
31996L0082 Seveso-II-RL Art2 Abs1;
31996L0082 Seveso-II-RL Art3 Z1;
61983CJ0014 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann VORAB;
61989CJ0106 Marleasing VORAB;
61992CJ0334 Wagner Miret / Fondo de garantia salarial VORAB;
61997CJ0270 Sievers VORAB;
62001CJ0160 Mau VORAB;
BauRallg;
EURallg;
ROG Slbg 1998 §17 Abs1 Z6;
ROG Slbg 1998 §17 Abs5 litf;
ROG Slbg 1998 §17 Abs6;
ROG Slbg 1998 §19 Z1;
ROG Slbg 1998 §2 Abs1 Z4;
ROG Slbg 1998 §22 Abs1;
ROG Slbg 1998 §22 Abs2 litf;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der Gemeinde A, vertreten durch Dr. Wolfgang Lirk, Dr. Dietmar Lirk und Mag. Hanna Spielbüchler, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Rochusgasse 4/Franz-Huemer-Straße 16, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 8. Jänner 2002, Zl. 20703- 3/01816/10-2002, betreffend Versagung der aufsichtsbehördlichen Genehmigung der Änderung eines Flächenwidmungsplanes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Salzburg Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Gemeindevertretung der Gemeinde A hat am 25. Jänner 2001 den Beschluss gefasst, laut einem Erläuterungsbericht samt planlicher Darstellung im Bereich der Grundstücke Nr. 1111/2, 1111/5 und 1037/173, jeweils in der KG A, den bestehenden Flächenwidmungsplan von Grünland/ländliche Gebiete gemäß § 19 Z. 1 ROG 1998 in Bauland/Gewerbegebiete gemäß § 17 Abs. 1 Z. 6 ROG 1998 im Ausmaß von etwa 8.000 m2 zu ändern. Diesem Beschluss waren entsprechende Kundmachungen über die beabsichtigte Flächenwidmungsplan-Änderung, Mitteilungen an die Haushalte, Nutzungserklärungen der Grundbesitzer sowie Kundmachungen über die Auflage und ein Erläuterungsbericht der Dipl. Ing. UB über die Flächenwidmungsplanänderung vorausgegangen. In diesem Erläuterungsbericht wird ausgeführt, dass sich die verfahrensgegenständliche Fläche im Bereich der Gewerbeflächen südlich der A 10, zwischen Salzachtal Bundesstraße (B 159) und Königsseeache befinde. Östlich grenze die umzuwidmende Fläche unmittelbar an das Betriebsareal der "Firma Y" an, westlich an die Betriebe um den Recyclinghof der Gemeinde bzw. die A GmbH (später unbenannt in: L-GmbH). Die unbebauten Flächen zwischen Autobahn und Salzweg seien langfristig grundsätzlich alle als Gewerbegebiete vorgesehen, die Nutzung sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der in diesem Bereich befindlichen ehemaligen und nicht sanierten Deponie, die gemäß § 16 Abs. 2 lit. c ROG 1998 als Altlast-Altablagerung gekennzeichnet sei, nur zum Teil möglich. Die verfahrensgegenständliche Fläche befinde sich am südlichen Rand dieser ehemaligen Deponie. Im Zuge einer Untersuchung durch die bautechnische Versuchs- und Forschungsanstalt Salzburg sei festgestellt worden, dass nur ein kleiner Bereich im Norden der von der Umwidmung betroffenen Fläche von der Verunreinigung durch die Deponie betroffen sei. Ein großer Teil der Fläche zwischen Y und dem Recyclinghof sei als Biotop ausgewiesen, eine Abstimmung des Vorhabens mit der zuständigen Fachabteilung des Naturschutzfachdienstes habe im August 2000 stattgefunden. Die Gp Nr. 1037/173 sei Wald. Auf der zur Umwidmung vorgesehenen Teilfläche solle ein weiteres Betriebsobjekt errichtet werden, um die erforderliche Rodungsbewilligung werde angesucht.

In dem von der Gemeindevertretung im Dezember 1997 beschlossenen räumlichen Entwicklungskonzept der Gemeinde fänden sich zum gegenständlichen Bereich die Aussagen, dass die Gemeinde auch in Zukunft ihre überörtliche Bedeutung als Betriebsstandort bewahren wolle, mittelfristig die Wirtschaftsentwicklung in erster Linie durch Erweiterung schon ansässiger Betriebe dominiert sei und in geringem Ausmaß durch Ansiedlung neuer Betriebe. Betriebsschwerpunkt sei das bestehende Betriebsgebiet östlich der Salzachtal Bundesstraße zwischen Autobahn, Fa. Y und am nördlichen Ortsrand von N. Langfristig solle dieser Bereich mit Betrieben aufgefüllt und abgerundet sowie auch auf die Flächen der ehemaligen Deponie ausgedehnt werden können (derzeit sei eine Sanierung und Baureifmachung wirtschaftlich noch nicht durchführbar). Von der Königsseeache bis zur Bundesstraße müsse ein Grünkeil erhalten bleiben (siehe Freiraumkonzept), der die Wohnbebauung am nördlichen Ortsrand von N vom Betriebsgebiet trenne. Erweiterungsmöglichkeiten für die Fa. Y sollten am Betriebsstandort auch Richtung Osten (Wald) gegeben sein, dabei sei aber jedenfalls der Auwald in ausreichender Tiefe sowohl zur Salzach als auch zur Königsseeache hin zu erhalten. Die Größe der vom Grünland in Bauland-Gewerbegebiet umzuwidmenden Fläche betrage rund 8.000 m2. Die 10-Jahres-Baulandbilanz werde durch diese Neuwidmung nicht betroffen, da keine Wohngebietswidmung vorgesehen sei. Hinsichtlich der Verkehrserschließung sei festzuhalten, dass die verfahrensgegenständliche Fläche von der westlich gelegenen Gemeindestraße Gp 1069/7 erschlossen werden solle, wobei die Aufschließungsstraße entlang der nördlichen Grundgrenze und nicht über den Salzweg erfolgen solle. Anschlüsse an das öffentliche Verkehrsnetz, die Wasserversorgung durch die Gemeinde, ein Kanalanschluss seien gegeben, "Gefährdungsbereiche durch Hochwasser, Lawinen und dgl." lägen nicht vor.

In einem Prüfbericht der bautechnischen Versuchs- und Forschungsanstalt Salzburg vom 23. Mai 2000, Abteilung Geotechnik, vom 23. Mai 2000 ist zusammenfassend festgestellt, dass der Aufbau des Untergrundes des Grundstückes Gp 1111/5, mit Ausnahme des durch einen charakteristischen Bewuchs gekennzeichneten Bereiches, aus Salzachschottern bestehe, die unterhalb der Grasnarbe mit einem Sand-Schluffgemisch abgedeckt seien. Der Untergrund des Bereiches innerhalb der Grenze der Aufschüttung sowie des Bereiches, der eindeutig durch den "anderen Bewuchs" gekennzeichnet sei, bestehe laut einer näher angeführten Deponieuntersuchung A aus einer Auffüllung mit Müll, Fundamenten und Bauschutt.

Mit Schreiben vom 31. Jänner 2001 an die Salzburger Landesregierung ersuchte die Gemeinde A um aufsichtsbehördliche Genehmigung der Änderung des Flächenwidmungsplanes.

Mit dem an die belangte Behörde gerichteten Schreiben vom 12. Februar 2001 teilte die L-GmbH mit, dass sich auf ihrem Grundstück neben dem Grundstück Nr. 1069/1 der KG A ein Acetylenwerk (Dissousgaswerk) befinde, das im Jahr 1952 unter der Zl. V-4507-1952 durch das Amt der Salzburger Landesregierung gewerbebehördlich genehmigt worden sei. Im Zuge der Genehmigung habe die Behörde damals festgehalten, dass die Bestimmungen der Acetylenverordnung auch hinsichtlich des Abstandes zu den Grundstücksgrenzen eingehalten worden seien. Trotzdem sei im Bescheid unter Punkt B bei der Beurteilung in chemisch-technischer Hinsicht erwähnt worden, dass ein engerer Gefahrengürtel von 50 m Breite von jeder Gebäudekante der Werksteile, in welchen mit Acetylen oder Karbid manipuliert werde, bestehe. Außerdem sei noch angeführt worden, dass sich Explosionen im Umkreis von 100 m vom Explosionsherd schädigend auswirken könnten. Weiters habe die L-GmbH der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung mit Schreiben vom 30. November 2000 mitgeteilt, dass auf ihrem "Betriebsgelände ca. 6 Tonnen Acetylen vorhanden sind", wodurch das Unternehmen unter die Bestimmungen des Abschnittes 8a der Gewerbeordnung 1994 in der Fassung des BGBl. I Nr. 88, die Umsetzung der so genannten "Seveso-II-Direktive" fiele.

Mit Bescheid vom 2. April 2001 wurde von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung nach Maßgabe eines Lageplanes die Rodungsbewilligung für eine 2.938 m2 große Teilfläche des Waldgrundstückes Nr. 1037/173 der KG A erteilt.

Zum Vorhaben der Änderung des Flächenwidmungsplanes nahm weiters die Abteilung VII, Referat 7/03, des Amtes der Salzburger Landesregierung mit Schreiben vom 23. April 2001 Stellung und teilte mit, dass auf dem Grundstück Nr. 1111/5 zwar kein Deponiegas mehr nachgewiesen werden hätte können, wohl aber noch auf dem Grundstück Nr. 1111/2. An angrenzenden, insbesondere nördlich gelegenen Sondierpunkten hätten immer wieder zum Teil deutlich erhöhte Emissionen von Deponiegas gemessen werden können. Wie auch aus dem Gutachten der "bvfs" hervorgehe, liege das Grundstück Nr. 1111/5 noch innerhalb des Deponiegeländes und somit auch das Grundstück Nr. 1111/2. Aus abfalltechnischer Sicht sei im Hinblick auf mögliche Migrationen von Deponiegas eine Bebauung dieser Grundstücke nicht möglich. Davon könne nur abgegangen werden, wenn die Abfallablagerungen ausgetauscht würden und eine dauernd wirksame Gasdrainage zur Verhinderung des Eintrittes von Deponiegas aus dem Ablagerungskörper der Altlastdeponie hergestellt und dauernd betrieben werde.

Der chemisch und umwelttechnische Amtssachverständige des Amtes der Salzburger Landesregierung, Dipl. Ing. Dr. JH, nahm in einem Gutachten vom 19. April 2001 zum Vorhaben auszugsweise wie folgt Stellung (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"BEFUND

Im Schreiben der L-GmbH an das Amt der Salzburger Landesregierung, Abteilung 7, vom 12. Februar 2001 wird ausgeführt, dass im Genehmigungsbescheid für die Betriebsanlage aus dem Jahr 1952 (Zahl V-4507-1952) bei der Beurteilung in chemisch-technischer Hinsicht erwähnt wurde, dass ein engerer Gefahrengürtel von 50 m Breite von jeder Gebäudekante der Werksteile, in welchen mit Azetylen oder Carbid manipuliert wird, besteht. Außerdem wurde noch angeführt, dass sich Explosionen im Umkreis von 100 m vom Explosionsherd schädigend auswirken können. (Nach eigener Recherche ist anzunehmen, dass hier nach der Verordnung zur Durchführung des Schieß- und Sprengmittelgesetz, BGBl Nr. 483/1938, vorgegangen wurde, wobei diese Gefährdungsbereiche bei Einzel-Druckgasflaschen heranzuziehen wären.) In diesem Schreiben heißt es auch, dass von der L-GmbH der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung mit Schreiben vom 30. November 2000 mitgeteilt wurde, dass auf dem Betriebsgelände ca. 6 Tonnen Azetylen vorhanden sind, wodurch die Bestimmungen des Abschnitts 8 a der Gewerbeordnung 1994 in der Fassung des BGBl. I Nr. 88/2000, als Umsetzung der so genannten 'Seveso II-Direktive', anzuwenden sind.

...

Im Falle der L-GmbH in A wären mehrere Gefahrenmomente, die bei einem schweren Unfall von der Betriebsanlage ausgehen können, als maßgeblich zu betrachten. Neben den Auswirkungen des Explosionsdruckes einer Explosion von Azetylen-Flaschen oder einer Gaswolkenexplosion nach einer Freisetzung im Entwickler- oder Abfüllbereich (Flaschen(bündel)-Füllstation) wäre auch der dadurch verursachte Trümmerflug zu betrachten. Zudem wäre im Fall einer Azetylen-Freisetzung und Gaswolkenexplosion die Auswirkung der Wärmestrahlung zu betrachten. Außerdem lagern am Betriebsgelände Gasflaschen mit toxischen Stoffen, deren Freisetzung ein weiteres Gefahrenpotenzial darstellt.

..."

Zusammengefasst kam der Gutachter zu folgendem Schluss:

"In Zusammenschau der für die verschiedenen Gefahrenmomente aufgezeigten Abstände zeigt sich, dass bei Abständen < 300 m ein Gefahrenpotenzial durch Explosionsauswirkungen wie Druck, Hitzestrahlung und Trümmerflug und durch toxische Gase besteht, wobei anerkannte Richtwerte überschritten werden.

Restrisiken, welche vom Freisetzungs- oder Explosionsszenario her nicht den hier verwendeten realistischeren Annahmen entsprechen bzw vom Ereignisablauf nicht abschätzbar sind, bestehen auch in größeren Abständen.

Als Planungsgrundlage für die Flächenausweisung oder Änderung der Flächennutzung (Bebauung) in der Umgebung der L GmbH in A wird zur Verringerung des Risikopotenzials schwerer Unfälle (im Zusammenhang mit Artikel 12 der Seveso II-Richtlinie) die Einhaltung eines Mindestabstandes von 300 m von den Betriebsgrenzen aus sicherheitstechnischer Sicht empfohlen."

Diese Gutachten wurden der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde mit Schreiben vom 2. Mai 2001 zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Mit Schreiben der belangten Behörde an den Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde vom 10. Juli 2001 wurde auf Art. 12 der Richtlinie 96/82/EG hingewiesen und ausgeführt, dass der Betrieb der L-GmbH im Gemeindegebiet der beschwerdeführenden Gemeinde unter die Einstufungskriterien dieser Richtlinie falle. Die insgesamt kritische Situation zeige sich daran, dass bei Berücksichtigung von Störfällen bei diesem Betrieb mögliche Schädigungen in einem Radius von 300 m (Trümmerflug, Wärmeabstrahlung) gegeben seien. Dass dieses Szenario nicht von der Hand zu weisen sei, werde durch einen Unfall an einem praktisch identen Werk in der Steiermark im Jahr 1967 verdeutlicht.

Die beschwerdeführende Gemeinde nahm dazu mit Schreiben vom 10. August 2001 zusammengefasst dahingehend Stellung, dass der Seveso-II-Richtlinie, 96/82/EG, ohne Umsetzung im innerstaatlichen Recht grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zukomme. Auch folge aus dem Wort "langfristig" des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, dass durch ihre Durchsetzung keinesfalls in bestehende Rechte eingegriffen werden dürfe. Eine Verringerung des Risikos schwerer Unfälle und deren Folgen sei durch innerbetriebliche Maßnahmen nach Art. 10 der Richtlinie zu verwirklichen.

Mit dem angefochtenen Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 8. Jänner 2002 wurde der am 25. Jänner 2001 von der Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Gemeinde beschlossenen Flächenwidmungsplanänderung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 4, § 17 Abs. 5 lit. e und f und § 22 Abs. 2 lit. f des Salzburger Raumordnungsgesetzes 1998 (ROG 1998), LGBl. Nr. 44, die aufsichtsbehördliche Genehmigung versagt.

Im angefochtenen Bescheid wurden die Gutachten des chemischumwelttechnischen Amtssachverständigen vom 19. April 2001 sowie der chemisch-abfalltechnischen Amtssachverständigen vom 23. April 2001 wiedergegeben und der Verfahrensgang sowie die angewendeten Rechtsvorschriften dargestellt. Sodann führte die belangte Behörde wie folgt aus:

"1. Wie sich sowohl aus dem Gutachten des chemisch-

umwelttechnischen Amtssachverständigen als auch der chemischabfalltechnischen Amtssachverständigen schlüssig und widerspruchsfrei ergibt, sind Grundflächen der gegenständlichen Abänderung des Flächenwidmungsplanes für eine Baulandausweisung nicht geeignet.

Die chemisch-abfalltechnische Amtssachverständige stellt fest, dass im Hinblick auf mögliche Migrationen von Deponiegas eine Bebauung dieser Grundstücke nicht möglich ist. Seitens des chemisch-umwelttechnischen Amtssachverständigen wird unter Hinweis auf Art. 12 der Seveso-II-Richtilinie festgestellt, dass im Falle eines schweren Unfalls des sich im Nahbereich befindlichen - unter die Seveso-II-Richtlinie fallenden - Betriebes für die gegenständlichen Grundflächen ein Gefahrenpotenzial durch Explosionsauswirkungen wie Druck, Hitzestrahlung und Trümmerflug und durch toxische Gase besteht, wobei anerkannte Richtwerte überschritten werden. Seitens der Gemeinde A wurden diese fachlichen Äußerungen nicht bestritten. Seitens der Gemeinde A wurde jedoch die Anwendbarkeit der Seveso-II-Richtlinie verneint, zumal diese im Raumordnungsrecht noch nicht umgesetzt wurde. Hiezu ist festzuhalten, dass unabhängig von der Anwendbarkeit der Seveso-II-Richtlinie die geltenden Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes den Schutz der Bevölkerung vor Gefährdung durch Unglücksfälle außergewöhnlichen Umfangs (§ 2 Abs. 1 Z. 4 ROG 1998) vorsehen. Dies gilt auch für die Ausweisung von Gewerbegebieten, ist doch zu bedenken, dass in der Widmung Bauland/Gewerbegebiete gemäß § 17 Abs. 1 Z. 6 ROG 1998 neben gewerblichen Betriebsbauten auch Betriebswohnbauten und Bauten der öffentlichen Verwaltung mit gewöhnlich hohem Publikumsverkehr errichtet werden dürfen. Dass dem Schutz von Gut und Leben ein hohes öffentliches Interesse zukommt, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.

Da der Beschluss der Gemeindevertretung über die Abänderung des Flächenwidmungsplanes diesen Zielsetzungen offensichtlich nicht Rechnung trägt, die Beachtung der Raumordnungsziele und - grundsätze jedoch Grundlage für jede raumplanerische Entscheidung zu sein haben, ist wegen Nichtbeachtung dieser Bestimmungen und Nichtberücksichtigung dieser Umstände in der Interessensabwägung bereits aus diesem Grund die aufsichtsbehördliche Bewilligung zu versagen.

2. Nach Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes

ist das nationale Recht, das die von einer Richtlinie geregelte Materie betrifft im Sinne der Richtlinie auszulegen (Rs 19/83 'Harz' (Slg. 1984, 1921), Rs 14/83 'Von Colson' (Slg. 1984, 1891), RsC-106/89 'Marleasing' (Slg. 1990, I-4135).

§ 17 Abs. 5 lit. f ROG 1998 normiert, dass als Bauland Flächen nicht ausgewiesen werden dürfen, die aus anderen öffentlichen Gründen für eine Bebauung nicht geeignet sind. Unter anderen öffentlichen Gründen sind bei gemeinschaftskonformer Auslegung dieser Bestimmung auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 12 der Seveso-II-Richtlinie zu verstehen.

...

Dass durch die gegenständliche Änderung des Flächenwidmungsplanes und die damit einhergehende heranrückende Bebauung (Büro-, Dienstleistungs- und sonstige Betriebsbauten, Betriebswohnbauten und Bauten der öffentlichen Verwaltung) der bisher unverbauten Grundflächen das Risiko eines schweren Unfalls vergrößert wird oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmert werden, ergibt sich schlüssig aus dem oben zitierten Gutachten und ist daher auch der Tatbestand des § 17 Abs. 5 lit. f ROG 1998 als erfüllt anzusehen.

3. Unabhängig davon war im Zeitpunkt der

Beschlussfassung über die Abänderung des Flächenwidmungsplanes (25.01.2001) ein Teilbereich der gegenständlichen Grundfläche (GP 1037/173, KG A) Wald im Sinne des Forstgesetzes 1975 (auf diesen Umstand wurde im Erläuterungsbericht zum Flächenwidmungsplan durch die Ortsplanerin bereits hingewiesen) und daher ein Baulandausschließungsgrund gemäß § 17 Abs. 5 lit. e ROG 1998 vor. Gemäß herrschender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 89/05/0217 ist bei der aufsichtsbehördlichen Genehmigung auf die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gemeindevertretung abzustellen. Eine bloß teilweise Genehmigung der Umwidmung ist nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 13633) nicht zulässig.

Bei diesem Ergebnis braucht auf die Frage der unmittelbaren Wirksamkeit der Richtlinie nicht weiter eingegangen zu werden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Salzburger Raumordnungsgesetzes 1998 (ROG 1998), LGBl. Nr. 44/1998 i. d.F. LGBl. Nr. 77/1999 und 108/1999, lauten:

"§ 2

Raumordnungsziele und -grundsätze

(1) Die Raumordnung hat folgende Ziele zu verfolgen:

...

4. Die Bevölkerung ist vor Gefährdung durch

Naturgewalten und Unglücksfälle außergewöhnlichen Umfanges sowie vor Umweltschäden, -gefährdungen und -belastungen durch richtige Standortwahl dauergenutzter Einrichtungen und durch Schutzmaßnahmen bestmöglich zu schützen.

...

§ 17

Bauland

(1) Zum Bauland gehören und können besonders ausgewiesen werden:

...

     6.        Gewerbegebiete; das sind Flächen, die bestimmt sind

     a)        vorwiegend für Betriebe, die die Umgebung nicht

übermäßig beeinträchtigen;

     b)        daneben für Bauten der öffentlichen Verwaltung

sowie für betrieblich bedingte Wohnbauten;

...

(2) In allen im Abs. 1 genannten Gebieten sind auch Bauten für Kultuszwecke und Bauten zulässig, die Zwecken der Sicherheitsüberwachung oder des Feuerschutzes dienen, wenn sie sich der jeweiligen Flächenwidmung entsprechend in die Umgebung einordnen.

(3) In den im Abs. 1 Z 1 bis 5 und 8 genannten Gebieten sind Betriebe, die der Lagerung und der Abgabe von Treibstoffen für Kraftfahrzeuge dienen, nicht zulässig. Bauten mit einer oder mehreren Zweitwohnungen, insbesondere auch in der Form von Apartmenthäusern und Feriensiedlungen, sind nur in Gebieten gemäß Abs. 1 Z 8, Handelsgroßbetriebe nur in Gebieten gemäß Abs. 1 Z 9, Beherbergungsgroßbetriebe nur in Gebieten gemäß Abs. 1 Z 10 zulässig.

(4) Die Landesregierung hat nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaften durch Verordnung Grenzwerte für die einzelnen Widmungen des Baulandes festzulegen, bis zu denen die von Betrieben verursachten Einwirkungen auf die Nachbarschaft einschließlich dem von ihnen verursachten Straßenverkehr zulässig sind. Auf diese Grenzwerte ist ferner bei der Ausweisung der Nutzungsarten und Widmungen, insbesondere von Bauland für Wohnzwecke im Lageverhältnis zu anderen Baulandwidmungen und Verkehrsflächen, Bedacht zu nehmen.

     (5) Als Bauland dürfen Flächen nicht ausgewiesen werden, die

     a)        auf Grund ihrer ungünstigen natürlichen

Gegebenheiten keine Baulandeignung besitzen;

     b)        im Gefährdungsbereich von Hochwasser, Lawinen,

Murgängen, Steinschlag udgl gelegen sind;

     ...

     e)        Waldflächen im Sinn des Forstgesetzes 1975 sind;

     f)        aus anderen öffentlichen Gründen für eine Bebauung

nicht geeignet sind.

(6) Die Lage der Gebiete mit unterschiedlicher Widmung im Bauland ist so aufeinander abzustimmen, dass eine gegenseitige Beeinträchtigung oder Gefährdung möglichst vermieden wird.

...

§ 22

Genehmigung des Flächenwidmungsplanes

(1) Der beschlossene Flächenwidmungsplan und der erforderliche Wortlaut sind in vierfacher Ausfertigung samt den vorgebrachten Einwendungen und der Niederschrift über die Beschlussfassung der Gemeindevertretung (in der Stadt Salzburg des Gemeinderates) und unter Anschluss des übrigen Verwaltungsaktes der Landesregierung zur Genehmigung vorzulegen.

(2) Die Landesregierung hat die Genehmigung zu versagen:

...

f) bei Nichtbeachtung der sonstigen für die

Aufstellung des Flächenwidmungsplanes geltenden Bestimmungen dieses Gesetzes, insbesondere des Grundsatzes des sparsamen Umganges mit Bauland, oder bei fehlender oder unzureichender Interessenabwägung."

Die Art. 2, Art. 3 Z. 1 und Art. 12 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-Richtlinie) lauten:

"Artikel 2

Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie gilt für Betriebe, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die den in Anhang I Teil 1 Spalte 2 und Teil 2 Spalte 2 genannten Mengen entsprechen oder darüber liegen; eine Ausnahme bilden die Artikel 9, 11 und 13, die für alle Betriebe gelten, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die den in Anhang I Teil 1 Spalte 3 und Teil 2 Spalte 3 genannten Mengen entsprechen oder darüber liegen. Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet 'Vorhandensein von gefährlichen Stoffen' ihr tatsächliches oder vorgesehenes Vorhandensein im Betrieb oder das Vorhandensein von gefährlichen Stoffen, soweit davon auszugehen ist, dass sie bei einem außer Kontrolle geratenen industriellen chemischen Verfahren anfallen, und zwar in Mengen, die den in Anhang I Teile 1 und 2 genannten Mengenschwellen entsprechen oder darüber liegen.

(2) Diese Richtlinie gilt unbeschadet bestehender Gemeinschaftsvorschriften für die Arbeitsumwelt, insbesondere der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit

...

Artikel 3

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. 'Betrieb' den gesamten unter der Aufsicht eines

Betreibers stehenden Bereich, in dem gefährliche Stoffe in einer oder in mehreren Anlagen, einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen und Tätigkeiten vorhanden sind;

...

Artikel 12

Überwachung der Ansiedlung

     (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihren Politiken

der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen

einschlägigen Politiken das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und

ihre Folgen zu begrenzen, Berücksichtigung findet. Dazu überwachen

sie

     a)        die Ansiedlung neuer Betriebe,

     b)        Änderungen bestehender Betriebe im Sinne des

Artikels 10,

     c)        neue Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender

Betriebe wie beispielsweise Verkehrswege, Örtlichkeiten mit Publikumsverkehr, Wohngebiete, wenn diese Ansiedlungen oder Maßnahmen das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können.

Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt und dass bei bestehenden Betrieben zusätzliche technische Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt.

(2) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass alle zuständigen Behörden und alle für Entscheidungen in diesem Bereich zuständigen Dienststellen geeignete Konsultationsverfahren einrichten, um die Umsetzung dieser Politiken nach Absatz 1 zu erleichtern. Die Verfahren haben zu gewährleisten, dass bei diesbezüglichen Entscheidungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls oder nach allgemeinen Kriterien auf fachliche Beratung über die von dem Betrieb ausgehenden Risiken zurückgegriffen werden kann."

Teil 1 des Anhanges I der Richtlinie sieht als Mengenschwellen in Spalte 2 fünf Tonnen Acetylen für die Anwendung der Art. 6 und 7 und in Spalte 3 50 Tonnen Acetylen für die Anwendung des Art. 9 der Richtlinie vor.

Die beschwerdeführende Gemeinde hält den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde völlig im Unklaren gelassen habe, in welchem Ausmaß die L-GmbH zur Lagerung und Verarbeitung gefährlicher Stoffe berechtigt sei, und sich nicht damit befasst habe, ob ihr Betrieb nicht in der derzeitigen Form einzuschränken oder mit zusätzlichen Auflagen zu versehen sei. Auch seien nur theoretische Überlegungen über mögliche Gefahrenpotenziale angestellt worden, ohne einen konkreten Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten im Betrieb der L-GmbH herzustellen, und ohne darzulegen, ob es im Betrieb der L-GmbH zu solchen Explosionen überhaupt kommen könne.

Damit zeigt die Beschwerdeführerin deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren von der belangten Behörde Gelegenheit gegeben wurde, zum Gutachten des chemischumwelttechnischen Amtssachverständigen vom 19. April 2001 und damit auch der in dessen Befund enthaltenen Aussage, auf dem Betriebsgelände der L-GmbH seien etwa 6 t Acetylen vorhanden, Stellung zu nehmen, und die beschwerdeführende Gemeinde diese Feststellungen im Verfahren vor der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen hat.

Auch der im Gutachten des chemisch-umwelttechnischen Amtssachverständigen vom 19. April 2001 enthaltenen Schlussfolgerung, der die belangte Behörde gefolgt ist, dass durch die Lagerung der angeführten Mengen von Acetylen bei Abständen von weniger als 300 m ein Gefahrenpotenzial durch Explosionsauswirkungen wie Druck, Hitzestrahlung und Trümmerflug und durch toxische Gase bestehe, wobei anerkannte Richtwerte überschritten würden, ist die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde nicht entgegen getreten. Auch der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, dass diese Beurteilung unschlüssig wäre.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 4 ROG 1998 ist es u.a. ein Ziel der Raumordnung, die Bevölkerung vor Gefährdung durch Unglücksfälle außergewöhnlichen Umfanges sowie vor Umweltschäden, -gefährdungen und -belastungen durch richtige Standortwahl dauergenutzter Einrichtungen und durch Schutzmaßnahmen bestmöglich zu schützen. Gemäß § 17 Abs. 5 lit. f ROG 1998 dürfen Flächen, die aus "anderen öffentlichen Gründen" für eine Bebauung nicht geeignet sind, als Bauland nicht ausgewiesen werden. Gemäß § 17 Abs. 6 ROG 1998 ist die Lage der Gebiete mit unterschiedlicher Widmung im Bauland so aufeinander abzustimmen, dass eine gegenseitige Beeinträchtigung oder Gefährdung möglichst vermieden wird.

Die Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-Richtlinie), wurde am 14. Jänner 1997 im Amtsblatt der EG L, S. 13 kundgemacht und ist ihrem Art. 25 zufolge am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt, sohin am 3. Februar 1997 in Kraft getreten. Nach ihrem Art. 24 Abs. 1 war sie im Recht der Mitgliedstaaten spätestens 24 Monate nach ihrem Inkrafttreten, also bis zum 3. Februar 1999 umzusetzen. Der Salzburger Landesgesetzgeber hatte seine Verpflichtung zur Umsetzung des Art. 12 der Richtlinie sohin ab 3. Februar 1997 vor Augen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes obliegt die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 10 EG, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten (vgl. etwa die Urteile vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83, Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 26, und vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C-160/01, Karen Mau, Slg. 2003, Seite I-04791, Randnr. 35, m.w.N.). Ein nationales Gericht, das nationales Recht auszulegen hat - gleich, ob es sich um vor oder nach der betreffenden Richtlinie erlassene Vorschriften handelt -, muss seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit dieser verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 249 Absatz 3 EG nachzukommen (vgl. u. a. die Urteile vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-106/89, Marleasing, Slg. 1990, I-4135, Randnr. 8, vom 10. Februar 2000 in den Rechtssachen C-270/97 und C-271/97, Deutsche Post, Slg. 2000, I- 929, Randnr. 62, und vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C-160/01, Karen Mau, Slg. 2003, Seite I-04791, Randnr. 35, m.w.N.). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung gilt für ein nationales Gericht besonders dann, wenn ein Mitgliedstaat der Ansicht ist, dass die bereits geltenden Vorschriften seines nationalen Rechts den Anforderungen der betreffenden Richtlinie genügten (vgl. das Urteil des EuGH vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache C-334/92, Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911, Randnr. 21). Diese Aussagen gelten angesichts der Art. 10 und 249 Absatz 3 EG nicht nur für die nationalen Gerichte, sondern für alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also auch für Verwaltungsbehörden und die Gemeindevertretung einer Gemeinde bei Änderung eines Flächenwidmungsplanes.

Die Grenzen des möglichen Wortsinns der § 2 Abs. 1 Z. 4 und § 17 Abs. 5 lit. f und Abs. 6 ROG 1998 lassen eine Auslegung dieser Bestimmungen dahingehend zu, dass bei Änderung eines Flächenwidmungsplanes auf die in Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz der Seveso-II Richtlinie übernommene Verpflichtung Bedacht zu nehmen ist, im Rahmen der Raumordnung für die Wahrung des in dieser Bestimmung vorgesehenen angemessenen Abstandes zwischen einem in die Richtlinie fallenden Betrieb einerseits und Wohngebieten und öffentlich genutzten Gebieten anderseits zu sorgen. Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher die Auffassung der belangten Behörde, dass eine solche Auslegung angesichts der Art. 10 und 249 Absatz 3 EG geboten war. Eine Einzelperson wird durch eine solche Auslegung deswegen nicht belastet, weil weder das ROG 1998, noch sonst eine Rechtsvorschrift ein subjektives Recht auf die von der Gemeindevertretung beschlossene Umwidmung einräumt.

Die Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Gemeinde hätte sich daher vor Beschlussfassung über die gegenständliche Flächenwidmungsplanänderung, etwa im Rahmen der Erarbeitung des Grundlagenkonzeptes, mit der Frage auseinander setzen müssen, ob im gegenständlichen Bereich ein unter die Seveso-II Richtlinie fallender Betrieb besteht und ob gegebenenfalls ein gemäß Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz der Richtlinie vorgesehener Abstand zu wahren ist.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass es sich bei der Änderung einer Flächenwidmung von Grünland/ländliche Gebiete in Bauland/Gewerbegebiete nicht um eine bloß kurzfristige, sondern um eine langfristige Maßnahme im Sinne des Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz der Richtlinie handelt, weil eine solche Umwidmung schon im Hinblick auf die damit ermöglichten Investitionen auf Dauer angelegt ist.

Die Auffassung der Beschwerdeführerin, es wäre bei der Beurteilung, ob es sich beim Betrieb der L-GmbH um einen Betrieb im Sinne des Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 der Richtlinie handle, darauf abzustellen gewesen, ob eine gewerberechtliche Bewilligung zur Lagerung und Verarbeitung gefährlicher Stoffe bestehe, kann vom Verwaltungsgerichtshof angesichts des Art. 3 Z. 1 der Richtlinie nicht geteilt werden. Diese Bestimmung - wie auch Anhang I der Richtlinie - stellt nämlich darauf ab, dass die gefährlichen Stoffe in einem Betrieb tatsächlich vorhanden sind und tatsächlich vorhanden sein werden, nicht aber, ob dafür allenfalls eine Berechtigung besteht. Dies ist auch im Hinblick darauf sachgerecht, dass mit der Richtlinie konkreten Gefahren begegnet werden soll.

Schließlich kann auch der Beurteilung der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, dass die gegenständlichen Flächen mit ihrer Widmung in die Widmungskategorie Bauland/Gewerbegebiete gemäß § 17 Abs. 1 Z. 6 ROG 1998 in eine Kategorie von Gebieten umgewidmet werden sollten, zu denen nach Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz der Richtlinie von den von der Richtlinie erfassten Betrieben ein angemessener Abstand zu wahren ist. Gewerbegebiete gemäß § 17 Abs. 1 Z. 6 ROG 1998 sind nämlich nach der lit. a leg. cit. nicht nur für Betriebe bestimmt, die die Umgebung nicht übermäßig beeinträchtigen, sondern gemäß lit. b dieser Bestimmung auch "daneben für Bauten der öffentlichen Verwaltung sowie für betrieblich bedingte Wohnbauten". Eine derartige Widmung lässt die Errichtung von "Örtlichkeiten mit Publikumsverkehr" im Sinne des Art. 12 Abs. 1 erster Satz der Richtlinie und (betrieblich bedingten) Wohngebäuden und damit von Gebäuden zu, in denen sich eine größere Zahl von Menschen dauerhaft aufhält. Die Ansiedlung solcher Einrichtungen ohne angemessenen Abstand von gefährlichen Betrieben würde aber die Folgen eines schweren Unfalls vergrößern, gerade dies soll durch Art. 12 Abs. 1 der Seveso-II Richtlinie verhindert werden.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 26. April 2005

Gerichtsentscheidung

EuGH 61983J0014 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann VORAB
EuGH 61989J0106 Marleasing VORAB
EuGH 61997J0270 Sievers VORAB
EuGH 62001J0160 Mau VORAB
EuGH 61992J0334 Wagner Miret / Fondo de garantia salarial VORAB

Schlagworte

Planung Widmung BauRallg3Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Gemeinschaftsrecht Terminologie Definition von Begriffen EURallg8Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002060025.X00

Im RIS seit

30.05.2005

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten