TE OGH 1978/11/7 11Os156/78 (11Os157/78)

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Veröffentlicht am 07.11.1978
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.November 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl A und andere wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den § 142 Abs. 1, 143 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.August 1976, GZ 20 Vr 3922/74-75, und den Vorgang, wonach das Landesgericht für Strafsachen Wien über die bedingte Entlassung des Karl A gemäß dem § 46 Abs. 2 StGB nicht schon in der Hauptverhandlung vom 29.Jänner 1976 entschieden hat, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

Spruch

Durch die Festsetzung der Probezeit mit drei Jahren im Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.August 1976, GZ 20 Vr 3922/74-75, wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 48 Abs. 1 StGB verletzt.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6.Juni 1974, GZ 2 a E Vr 2550/74-37, (rechtskräftig seit dem 14.November 1974) wurde der am 10.Jänner 1955 geborene Tischlergeselle Karl A des Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Diebstahls nach den § 171, 173, 174 I lit. d, II lit. a und 8 StG sowie des Vergehens des teils vollbrachten, teils versuchten unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach den § 467 b und 8 StG schuldig erkannt und zu zehn Monaten schwerem Kerker verurteilt, wobei ihm gemäß dem § 55 a StG die Vorhaft vom 8.März 1974, 9,30 Uhr, bis zum 6.Juni 1974, 14 Uhr, auf die Strafe angerechnet wurde.

Weiters wurde Karl A mit dem Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 29.Jänner 1976, GZ 20 Vr 3922/74-65, (im zweiten Rechtsgang) des Verbrechens des schweren Raubes nach den § 142

(Abs. 1), 143 StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das obenbezeichnete Urteil gemäß dem § 31 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von neunzehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß dem § 38 StGB wurde ihm hiebei die Vorhaft vom 8.März 1974, 9,30 Uhr, bis zum 22.November 1974, 12 Uhr, und vom 24.Juni 1975, 7,30 Uhr, bis zum 15.Oktober 1975, 10 Uhr, auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Mit dem Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (als Drei-Richter-Senat gemäß dem § 13 Abs. 3 StPO) vom 11.August 1976, GZ 20 Vr 3922/74-75, wurde Karl A - ersichtlich unter Heranziehung der Bestimmung des § 265 Abs. 1 StPO - gemäß dem § 46 Abs. 2 StGB mit Stichtag 15.Oktober 1975 bedingt entlassen und der Strafrest von neun Monaten und 22 Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Da der Verurteilte schon im Zeitpunkt der Urteilsfällung durch seine ununterbrochene Haft (teils Vor-, teils Strafhaft) vom 8.März 1974 bis zum 15.Oktober 1975 (zu welchem Zeitpunkt er gegen Gelöbnis aus der Untersuchungshaft entlassen wurde) insgesamt neunzehn Monate und 8 Tage, sohin mehr als die Hälfte der Gesamtstrafe von 29 Monaten verbüßt hatte, erachtete das Gericht die zeitlichen Voraussetzungen, unter Hinweis auf das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Dr. Otto B, das bisherige Verhalten des Verurteilten während der Haft und sein Wohlverhalten nach Haftentlassung aber auch die übrigen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung gemäß dem Abs. 2 des § 46 StGB für gegeben. In der Folge wurde Karl A mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Mai 1977, GZ 6 b E Vr 998/77-23, des Vergehens nach dem § 9 Abs. 1 Z 2 SuchtgiftG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten rechtskräftig verurteilt. Auf Grund dieser Verurteilung wegen einer auch während der Probezeit begangenen Straftat (Deliktszeit: 1971 bis Anfang Februar+

1977) wurde sodann mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9.September 1977, GZ 20 Vr 3922/74-85, die bedingte Entlassung des Karl A widerrufen und der Vollzug des Strafrestes von neun Monaten und 22 Tagen angeordnet. Der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde des Karl A gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 14.Oktober 1977, AZ 13 Bs 525/77, nicht Folge.

Danach verbüßte der Verurteilte den genannten Strafrest (Strafende:

22. Oktober 1978, vgl. ON 60 des Aktes 6 d Vr 3184/77 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).

Nach Auffassung der Generalprokuratur stehen die Vorgangsweise des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bei der Beschlußfassung über die bedingte Entlassung des Karl A und teilweise auch der Inhalt des hierüber gefaßten Beschlusses vom 11.August 1976 mit dem Gesetz nicht im Einklang. Sie ist damit im Recht, soweit sie in ihrer Beschwerde die Festsetzung einer dreijährigen Probezeit als gesetzwidrig rügt. Denn bei bedingter Entlassung aus einer zeitlichen Freiheitsstrafe dauert die Probezeit so lange wie der bedingt nachgesehene Strafrest, mindestens aber ein Jahr und höchstens fünf Jahre. Es war daher unzulässig, die Probezeit bei einem Strafrest von weniger als einem Jahr auf drei Jahre auszudehen (vgl. ÖJZ-LSK 1975/ 173 u.v.a.E.).

Rechtliche Beurteilung

Diese Gesetzesverletzung war daher festzustellen.

Die Generalprokuratur vertritt aber darüber hinaus auch die Ansicht und leitet ihren Standpunkt aus der Bestimmung des § 265 Abs. 1 StPO (nF) ab, das Landesgericht für Strafsachen Wien (als erkennendes Gericht) wäre verpflichtet gewesen, noch innerhalb der Hauptverhandlung (vom 29.Jänner 1976) über die bedingte Entlassung des Karl A Beschluß zu fassen. Sie führt dazu im einzelnen aus:

'Es stand nicht im Belieben des Gerichtes, über die bedingte Entlassung des Karl A nach Eintritt der Urteilsrechtskraft in der Hauptverhandlung (vgl. S 365 des Bezugsaktes) - und allfälliger ergänzender Erhebungen - in irgend einem späteren Zeitpunkt außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden. Dieses war vielmehr verpflichtet, die bedingte Entlassung schon in der Hauptverhandlung selbst auszusprechen, sofern schon in diesem Zeitpunkt nicht nur die zeitlichen Voraussetzungen, sondern auch die materiellen Voraussetzungen, deren Beurteilung dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes obliegt, für eine bedingte Entlassung vorlagen; dies insbesondere auch dann, wenn sich der Verurteilte, wie hier, im Zeitpunkt des Urteils (nach Aufhebung der auf die Strafe anzurechnenden Untersuchungshaft) bereits auf freiem Fuß befand.

Die Vorgangsweise des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die bedingte Entlassung des Karl A nicht unmittelbar in der Hauptverhandlung, sondern erst Monate später durch gesonderten Beschluß zu entscheiden, obwohl es schon bei Urteilsfällung neben den zeitlichen Voraussetzungen seiner auf Grund der Verfahrensergebnisse gewonnenen überzeugung zufolge auch die materiellen Erfordernisse gemäß dem § 46 Abs. 2 StGB für gegeben erachtete, entspricht sohin nicht dem Gesetz. Schon diese beträchtliche Verzögerung der Entscheidung war geeignet, den Verurteilten zu benachteiligen, weil die gemäß dem § 48 Abs. 1 StGB festgesetzte Probezeit mit dem dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses folgenden Tag zu laufen beginnt.' Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Liegen die zeitlichen Voraussetzungen für die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (die nicht mehr die Verbüßung einer bestimmten Zeit in Strafhaft erfordert) infolge Anrechnung einer Vorhaft oder einer im Ausland verbüßten Strafe schon im Zeitpunkt der Urteilsfällung vor, so hat gemäß dem § 265 StPO (in der Fassung des Strafprozeßanpassungsgesetzes) das Gericht dem Angeklagten den Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit mit Beschluß bedingt nachzusehen, wenn auch die übrigen im § 46 StGB genannten Voraussetzungen vorliegen. Grundsätzlich hat daher das erkennende Gericht schon bei der Urteilsfällung zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung gegeben sind, und, wenn es diese Voraussetzungen bejaht, die bedingte Entlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung auszusprechen. Eine Verzögerung dieses Ausspruches - hierin ist der Generalprokuratur beizupflichten - steht nicht im Belieben des Gerichtes.

Eine solche Entscheidung wird jedoch in jenen Ausnahmefällen nicht sofort getroffen werden können, in denen die verläßliche Beurteilung, ob auch die übrigen (materiellen) Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach dem § 46 Abs. 1 StGB erfüllt sind, von dem Ergebnis ergänzender Erhebungen abhängt. Diesfalls (wie auch im Falle erst nachträglich eingetretener Urteilsrechtskraft - vgl. ÖJZ-LSK. 1976/291) hat das Gericht unbeschadet der Bestimmung des § 16 Abs. 2 Z 12 StVG -

im geschwornen- und schöffengerichtlichen Verfahren in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des 28. Hauptstückes der StPO (§ 265 Abs. 2 StPO) in der Zusammensetzung des § 13 Abs. 3 StPO - mit gesondertem Beschluß außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden. Eben so liegen aber die Verhältnisse im Verfahren 20 Vr 3922/74 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien.

Denn wie sich aus den in der Folge veranlaßten Erhebungen (Einholung einer neuen Strafregisterauskunft /ON 72 /, eines Polizeiberichtes /ON 73 / und eines Führungsberichtes der Gefangenenhausdirektion /ON 74 / über Karl A) in Verbindung mit dem schon am 9.Februar 1976 gesetzten pro domo-Vermerk (ON 68) ergibt, unterblieb die sofortige Beschlußfassung nach dem § 265 Abs. 1 StPO deshalb, weil das Gericht eine Verfahrensergänzung zur Beurteilung der Frage, ob nach der Person des Verurteilten, seinem Vorleben, seinen Aussichten für ein redliches Fortkommen und seiner Aufführung während der (Straf-) Vollstreckung künftiges Wohlverhalten des Rechtsbrechers anzunehmen ist, noch für erforderlich erachtete. Diese in den Ermessensspielraum fallende Beurteilungskomponente entzieht sich aber einer Prüfung auf Gesetzmäßigkeit im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Daß es in diesem Verfahrensstadium zu einer - von der Generalprokuratur zutreffend erwähnten - erheblichen Verzögerung in der Beschlußfassung kam, ist auf zwischenzeitige Aktenabforderungen durch das Strafregisteramt (ON 69) und den Jugendgerichtshof Wien (ON 71) zurückzuführen, die an sich bei geeigneter Vorsorge (etwa durch Anlegung eines Teilaktes oder andere Maßnahmen) die noch vorzunehmenden Verfahrensschritte nicht in diesem Maße hätten hemmen müssen. Das ändert jedoch nichts daran, daß in der der Hauptverhandlung erst einige Zeit nachfolgenden Beschlußfassung über eine bedingte Entlassung des Verurteilten durch das erkennende Gericht der von der Generalprokuratur angenommene Verstoß gegen das Gesetz nicht erblickt werden kann.

Mit dieser Erkenntnis fallen aber auch die auf solcher vermeintlicher Gesetzesverletzung aufbauenden weiteren Anträge der Generalprokuratur dahin.

Es ergibt sich nämlich, daß - ausgehend von jenem Zeitpunkt, zu dem der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.August 1976, GZ 20 Vr 3922/76-75, in Rechtskraft erwuchs, - sowohl die Tat, die den Anlaß für den Widerruf der bedingten Entlassung bildete, innerhalb der Probezeit von einem Jahr (wie sie richtig zu bestimmen gewesen wäre) begangen, als auch daß der Beschluß über den Widerruf (Landesgericht für Strafsachen Wien vom 9.September 1977, GZ 20 Vr 3922/76-85) innerhalb der möglichen Widerrufsfrist (§ 56 StGB) gefaßt wurde.

Dem Verurteilten Karl A ist daher durch die - gemäß den vorstehenden Ausführungen - allein festzustellende Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 48 Abs. 1 StGB ein Nachteil nicht erwachsen. Mithin war wie im Spruche zu erkennen.

Anmerkung

E01538

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0110OS00156.78.1107.000

Dokumentnummer

JJT_19781107_OGH0002_0110OS00156_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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