TE OGH 1979/3/8 12Os28/79

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Veröffentlicht am 08.03.1979
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Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 1979

unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Dr. Friedrich, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Umlauft als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 29. März 1977, GZ. 4 U 2211/76-10, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

Spruch

Durch die Unterlassung der überprüfung der behaupteten Ortsabwesenheit des Beschuldigten zur Zeit der Zustellung der Strafverfügung des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 29. Oktober 1976, GZ 4 U 2211/76-5, und durch die Beschlußfassung des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 29. März 1977, GZ 4 U 2211/76-10, womit der Einspruch des Beschuldigten gegen die Strafverfügung als verspätet zurückgewiesen wurde, ist das Gesetz in den Bestimmungen der § 80 und 462 StPO verletzt worden.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Vöcklabruck aufgetragen, dem Gesetze gemäß zu verfahren.

Text

Gründe:

I.) Aus den Akten 4 U 2211/76 des Bezirksgerichtes Vöcklabruck ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der am 24. April 1950 geborene kaufmännische Angestellte und Kraftfahrer Josef A stellte am 3. September 1976 den LKW-Anhänger, Kennzeichen O-233.610, in der Telefunkenstraße in Vöcklabruck ab, um ihn dort über das Wochenende zu parken. Noch in der darauffolgenden Nacht fuhr der Tischlerlehrling Christian B mit seinem Moped gegen den unbeleuchteten und zu diesem Zeitpunkt völlig im Dunkeln stehenden Anhänger und wurde hiedurch schwer verletzt. Auf Grund dieses Sachverhaltes erkannte das Bezirksgericht Vöcklabruck Josef A mit der Strafverfügung vom 29. Oktober 1976, GZ 4 U 2211/76-5, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4 StGB schuldig (wobei es dem Beschuldigten offenbar irrtümlich das Abstellen eines 'PKW', statt richtig eines LKW-Anhängers, auf einer nach Mitternacht unbeleuchteten Straße, zur Last legte) und verhängte über ihn eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 200 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen.

Diese Strafverfügung wurde am 8. November 1976 beim Postamt Thomasroith hinterlegt, nachdem der Beschuldigte der Aufforderung des Zustellorganes vom 5. November 1976, am 8. November 1976 zwecks Zustellung anwesend zu sein, nicht Folge geleistet hatte. Der hinterlegte Gerichtsbrief mit der Strafverfügung wurde beim Postamt nicht behoben und langte am 23. November 1976 wieder an das Bezirksgericht Vöcklabruck zurück (siehe das in den Akten befindliche, allerdings nicht einjournalisierte, verschlossene Kuvert).

Das Bezirksgericht Vöcklabruck erließ hierauf am 14. Dezember 1976 die Endverfügung (ON 6) u.a. mit dem Auftrag zur Einhebung der Geldstrafe. Der Zahlungsauftrag wurde dem Beschuldigten am 25. Jänner 1977 zugestellt (S. 31). Unter Bezugnahme darauf ersuchte der Beschuldigte mit einer am 28. Jänner 1977 beim Gericht eingelangten Eingabe vom 25. d. M. um Aufklärung über den Zahlungszweck, weil es sich bei dem Zahlungsauftrag nur um einen Irrtum handeln könne (ON 7). Daraufhin wurde er zum nächsten Amtstag zur Akteneinsicht geladen (S 33).

Nach Inhalt des später zu erörternden Beschlusses vom 29. März 1977 (ON 10) nahm der Beschuldigte hierauf - ohne daß dies im Akt ersichtlich wäre - tatsächlich Akteneinsicht, wobei ihm geraten wurde, er solle sich rechtsfreundlich beraten lassen. Die Strafverfügung wurde ihm dabei nach der Aktenlage nicht ausgefolgt. Am 21. Februar 1977 langte beim Bezirksgericht Vöcklabruck ein mit dem 18. Februar 1977 datierter Antrag des Beschuldigten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, mit dem er den Einspruch gegen die Strafverfügung verband. Als Wiedereinsetzungsgrund machte der Beschuldigte geltend, daß er vom 31. Oktober bis zum 13. November 1976, daher auch zur Zeit der Zustellung, infolge einer Geschäftsreise nach Tunesien nicht ortsanwesend gewesen sei und die Strafverfügung 'niemals' erhalten habe. Zum Beweis für seine Ortsabwesenheit legte der Beschuldigte eine Bestätigung seines Vaters (in dessen Unternehmen er beschäftigt war) vom 18. Februar 1977 vor, wonach er 'vom 30.10. bis 13.11.1976 mit dem LKW O-93.019 mit einer Fracht mit Bestimmungsland Tunesien' unterwegs gewesen sei, und bot überdies die Einsichtnahme in den vorzulegenden Reisepaß sowie seine Vernehmung an (ON 8).

Nachdem der Beschuldigte einer - von ihm persönlich übernommenen - Ladung für den 29. März 1977 zum Thema 'Einspruch, Wiedereinsetzung', in welcher ihm auch die Mitnahme des Reisepasses oder sonstiger Belege für die Tunesienreise aufgetragen worden war, keine Folge geleistet hatte (S. 39), wies das Bezirksgericht Vöcklabruck mit Beschluß vom 29. März 1977, GZ 4 U 2211/ 76-10, den Einspruch gegen die Strafverfügung und, der Begründung des Beschlusses nach (S. 42 letzter Absatz), auch den Wiedereinsetzungsantrag als verspätet zurück.

Das Erstgericht ging dabei davon aus, daß der Beschuldigte seit dem 25. Jänner 1977 'Kenntnis zumindest davon gehabt hatte, daß gegen ihn etwas beim Bezirksgericht Vöcklabruck anhängig ist', und er 'mit absoluter Sicherheit seit dem 3. Februar 1977, als er die Ladung zur Akteneinsicht erhielt, wußte, daß es sich um keinen Irrtum handelte'.

Rechtliche Beurteilung

II.) Der Beschluß des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 29. März 1977, GZ 4 U 2211/76-10, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang. Strafverfügungen sind in sinngemäßer Anwendung des § 79 Abs. 2 und 3 StPO gleich Urteilen zu eigenen Handen des Beschuldigten oder des von diesem bestellten Vertreters zuzustellen.

Nach den § 461 Z 4, 462 Abs. 1 StPO beträgt die Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung 14 Tage, von deren Zustellung an gerechnet.

Bei Versäumen dieser Frist kann dem Beschuldigten, wenn die Voraussetzungen des § 364 Abs. 1 Z 1 und 2 StPO vorliegen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt werden (§ 462 Abs. 2 StPO).

Im vorliegenden Fall macht der Beschuldigte aber, was das Erstgericht übersieht, in seinem mit der Erhebung des Einspruches verbundenen Antrag auf Wiedereinsetzung der Sache nach keine - einen Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 364 Abs. 1 Z 1 StPO bildende - unabwendbare Umstände, die es ihm unmöglich gemacht hätten, die Einspruchsfrist einzuhalten, geltend, sondern Unwirksamkeit der Zustellung der Strafverfügung infolge Ortsabwesenheit zur Zeit der Zustellung.

Gemäß dem § 80 Abs. 1, letzter Satz, StPO ist nach den Bestimmungen der Absätze 2 und 3 des § 106 ZPO vorzugehen, wenn eine Zustellung, die zu eigenen Handen des Empfängers vorzunehmen ist, nicht bewirkt werden kann. Danach ist aber Voraussetzung für die Zustellung durch Hinterlegung (§ 104 ZPO), daß der Empfänger ortsanwesend, d. h. in der Lage war, der Aufforderung des Zustellorganes, an einem bestimmten Termin zwecks Entgegennahme der Sendung anwesend zu sein, Folge zu leisten (Gebert-Pallin-Pfeiffer III/1 Nr. 27 ff, 59 f, 72, 75 bis 77 zu § 80 StPO; E.Nr. 1 zu § 104 ZPO, MGA13).

Das Erstgericht hätte daher vor Zurückweisung des Einspruches wegen Verstreichens der Einspruchsfrist zu erheben und festzustellen gehabt, ob der Beschuldigte, wie er behauptete, tatsächlich vom 30. Oktober bis zum 13. November 1976 vom Orte der Zustellung abwesend und daher nicht in der Lage war, von der Aufforderung des Zustellorganes vom 5. November 1976, am 8. November 1976 am Zustellungsort anwesend zu sein, Kenntnis zu nehmen und dieser Aufforderung Folge zu leisten. Zutreffendenfalls wäre die Strafverfügung mangels Wirksamkeit der Zustellung neu zuzustellen gewesen. Denn dem Beschuldigten ist die für ihn bestimmte Ausfertigung der Strafverfügung, die sich in dem von der Post nach Hinterlegung rückgemittelten Kuvert bei den Akten befindet, auch nicht tatsächlich zugekommen, sodaß eine Heilung des Zustellungsmangels im Sinne der im Strafverfahren analog anzuwendenden Bestimmung des § 108 ZPO (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/1 zu § 80 StPO vor Nr. 87, Nr. 87, 89 bis 92 und vor Nr. 90 a) nicht eingetreten. Die bloße Akteneinsicht (siehe dazu S. 33 i. V. mit S. 41) ersetzt die Zustellung nicht (Gebert-Pallin-Pfeiffer a. a.O. Nr. 90 a; SZ. 23/264).

Im Falle der Unwirksamkeit der Zustellung infolge Ortsabwesenheit des Beschuldigten wäre aber der Einspruch gegen die Strafverfügung jedenfalls rechtzeitig und es hätte gemäß dem § 462 Abs. 1 StPO das ordentliche Verfahren einzutreten.

Durch die Zurückweisung des Einspruches als verspätet ohne vorherige Klärung der Frage, ob die Zustellung der Strafverfügung rechtswirksam erfolgt ist und daher die Einspruchsfrist überhaupt zu laufen begonnen hat, wurde somit das Gesetz in den den Einspruch und die Frist zu dessen Erhebung regelnden Bestimmungen des § 462 StPO verletzt.

Es war daher im Sinne der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E01858

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0120OS00028.79.0308.000

Dokumentnummer

JJT_19790308_OGH0002_0120OS00028_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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