TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/27 2003/14/0091

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Veröffentlicht am 27.04.2005
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Index

32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

UStG 1994 §12 Abs10;
UStG 1994 §12 Abs11;
UStG 1994 §29 Abs5;
UStG 1994 §6 Abs1 Z19;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des M S in S, vertreten durch Grassner Lenz Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Elisabethstraße 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates (Außenstelle Linz) vom 24. September 2003, GZ. RV/436-L/02, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.088 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Arzt, begann im Jahr 1993 mit der Errichtung eines Eigenheims, wobei ein (untergeordneter) Teil des Gebäudes als Privatordination Verwendung finden sollte.

Im Rahmen einer im Jahr 1998 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Herstellungskosten der in seinem Privathaus gelegenen Ordinationsräume als "Praxiskosten" aktiviert und dafür u. a. im Jahr 1995 einen Vorsteuerabzug vorgenommen habe. Dieser Vorsteuerabzug sei zu Unrecht erfolgt, weil die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt ab 1. Jänner 1997 unecht befreit seien und die Praxis erst im Dezember 1997 eröffnet worden sei, sodass die angefallenen Errichtungskosten mit unecht befreiten Umsätzen in Zusammenhang stünden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Steuererklärung für 1995 zwar angegeben, dass eine Inbetriebnahme der Praxis (noch im Jahr) 1996 erfolgen werde, diese Ankündigung jedoch nicht in die Tat umgesetzt. Dem Umatzsteuerbescheid 1995 seien somit - basierend auf den Angaben des Beschwerdeführers - unrichtige Sachverhaltselemente zu Grunde gelegt worden. Diese Tatsachen seien erst im Zuge der Prüfung neu hervorgekommen, weswegen das Verfahren wiederaufzunehmen und die Vorsteuer 1995 um 41.465,66 S zu kürzen sei.

Das Finanzamt schloss sich dieser Rechtsansicht an und nahm mit Bescheid vom 16. November 1998 das Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 1995 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ einen geänderten Sachbescheid, mit dem die Umsatzsteuer für 1995 mit 197.490 S neu festgesetzt wurde.

In der gegen den Wiederaufnahmebescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass "nach alter Rechtslage" der Vorsteuerabzug gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 zugestanden sei, weil die Praxis noch im Jahr 1996 eröffnet werden sollte. Dies sei auch offengelegt worden. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen seien nur Lieferungen und Leistungen, soweit sie der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwende. Dieser Sachverhalt sei zum Zeitpunkt der Erstellung der Steuererklärung nicht vorgelegen. Mit der erstmaligen Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 hätten Ärzte die seinerzeit für die zum 31. Dezember 1996 im Umlauf- und Anlagevermögen befindlichen Wirtschaftsgüter geltend gemachte Vorsteuer zu berichtigen. Erst durch die "Umsatzsteuergesetznovelle 1996", welche im Herbst 1996 veröffentlicht worden sei, hätte sich die Rechtslage geändert. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuererklärung für 1995 (am 30. Juli 1996) bzw. der Bescheiderlassung (am 7. August 1996) hätte die geänderte Rechtslage nicht berücksichtigt werden können. Eine Änderung der Rechtslage könne nicht auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung zurückwirken. Sie sei keine neue Tatsache.

In seiner Stellungnahme zur Berufung entgegnete der Prüfer, der Vorsteuerabzug wäre nur dann zu Recht erfolgt, wenn es sich um ein Wirtschaftsgut gehandelt hätte, welches vor dem 1. Jänner 1997 zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze verwendet worden wäre. Dies sei gegenständlich nicht der Fall. Aufgrund des Baufortschrittes, ersichtlich aus den Sachkonten, ergebe sich, dass 1995 und 1996 noch umfangreiche Bauarbeiten erfolgt seien, sodass mit einer Praxiseröffnung im Jahr 1996 kaum zu rechnen gewesen wäre. Auch sei eine Bewilligung zur Führung der Praxis an diesem Standort nicht vorgelegen und seien die Einrichtungsgegenstände für die Praxis erst ab dem Jahr 1997 angeschafft worden. Die Vorsteuern stünden somit eindeutig mit unecht befreiten Umsätzen in Zusammenhang. Aus Sicht des Jahres 1995 wäre mit der Erzielung von steuerpflichtigen Umsätzen im Jahr 1996 nicht zu rechnen gewesen. Der die Umsatzsteuerbefreiung der ärztlichen Leistung regelnde Gesetzestext einschließlich der Inkrafttretensbestimmung sei zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung bereits bekannt gewesen, sodass nicht von einer "rückwirkenden Gesetzesauslegung" gesprochen werden könne.

In seiner Gegenäußerung hielt der Beschwerdeführer zum einen seinen Rechtsstandpunkt aufrecht, zum anderen legte er einen Meldezettel vom Juli 1996 sowie die mit 30. März 1994 datierte Bewilligung des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung zur Führung einer Privatordination vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Begründend wird ausgeführt, dass § 29 Abs. 5 UStG 1994, die Bestimmung über das Inkrafttreten des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994, sowohl im Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuererklärung als auch im Zeitpunkt der Erlassung des wiederaufzunehmenden Bescheides bereits in Geltung gestanden sei. "Zu diesem Zeitpunkt" habe der Beschwerdeführer "sicherlich schon abschätzen" können, ob die Praxiseröffnung noch im Jahr 1996 erfolgen werde. Eine Änderung der Rechtslage - eine "Umsatzsteuergesetzesnovelle 1996" - habe es nicht gegeben. Die Wiederaufnahme sei gerechtfertigt, weil sich im Zuge der Betriebsprüfung ergeben habe, dass die Praxis nicht 1996, sondern erst 1997 eröffnet worden sei und die bezogenen Vorleistungen daher nur mit der Erzielung unecht befreiter Umsätze in Zusammenhang stünden. Auch wenn der Beschwerdeführer im Juli 1996 seinen Hauptwohnsitz im neu errichteten Eigenheim begründet habe, könne daraus nicht abgeleitet werden, dass gleichzeitig die Praxis eröffnet und die Ordination als Anlagevermögen verwendet worden sei, zumal die Einrichtungsgegenstände für die Praxis erst 1997 angeschafft worden seien. Daraus ergebe sich, dass eine Eröffnung der Praxis bis 31. Dezember 1996 nicht möglich bzw. gar nicht geplant gewesen sei. Aus dem vorgelegten Schreiben der oberösterreichischen Landesregierung gehe nur hervor, dass die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung im Ausmaß von zwei Wochenstunden befristet auf die Dauer von fünf Jahren ab Praxiseröffnung bewilligt worden sei, nicht könne daraus ersehen werden, dass die Praxis bereits eröffnet worden sei.

Die durch Art. XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 21/1995 geschaffene Ausnahme von der Nachversteuerung geltend gemachter Vorsteuern greife nur dann, wenn die Praxis vor dem 1. Jänner 1997 tatsächlich als Anlagevermögen verwendet worden wäre. Dies sei gegenständlich "definitiv" nicht der Fall gewesen. Bei einer Verwendung der Praxisräume nach dem 1. Jänner 1997 sei der Zusammenhang mit der Erzielung unecht befreiter Umsätze gegeben, sodass auch die im § 12 Abs. 10 UStG 1994 angesprochene Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse nicht vorliege.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In seinen Erkenntnissen vom 2. Juli 2002, 2001/14/0153, und vom 24. September 2003, 99/14/0232, brachte der Verwaltungsgerichtshof zum Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit im Jahr 1996 angeschafften Wirtschaftsgütern, welche für gemäß § 29 Abs. 5 UStG 1994 ab 1. Jänner 1997 steuerfreie Umsätze (im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 19 bzw. Z 20 UStG 1994) verwendet werden sollten, zum Ausdruck, dass die Frage, ob Gegenstände oder sonstige Leistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet werden, an Hand des wirtschaftlichen Zusammenhanges im Zeitpunkt der Lieferung bzw. Erbringung der Leistung an den Unternehmer zu beurteilen ist. Eine spätere Änderung des Zusammenhanges ist eine Änderung der Verhältnisse, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, sodass (lediglich) eine Korrektur nach Maßgabe des § 12 Abs. 10 oder 11 UStG 1994 in Betracht kommt.

Im Beschwerdefall bestand zu den Zeitpunkten der jeweiligen Lieferungen oder sonstigen Leistungen an den Beschwerdeführer, für welche der Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde, - diese lagen unstrittig im Jahr 1995 - der wirtschaftliche Zusammenhang mit (noch) steuerpflichtigen Umsätzen des Beschwerdeführers, weil die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 gemäß § 29 Abs. 5 leg.cit auf entsprechende Umsätze noch nicht anwendbar war. Der Umstand, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt ab 1. Jänner 1997 steuerfrei waren, ändert nichts an der Vorsteuerabzugsberechtigung im Jahr 1995. Der ab 1. Jänner 1997 gegebene Zusammenhang mit steuerbefreiten Umsätzen aus der ärztlichen Tätigkeit führt vielmehr zu einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 12 Abs. 10 oder 11 UStG 1994. Anzumerken bleibt, dass die Sonderregelung des Art. XIV Z 3 BGBl. Nr. 21/1995 in der Fassung BGBl. Nr. 756/1996, die eine Vorsteuerberichtigung im gegebenen Zusammenhang ausschloss, nach dem Urteil des EuGH vom 3. März 2005, Rs. C-172/03, eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 87 EG) darstellt.

Nach § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens erfordert somit nicht nur das Hervorkommen neuer Tatsachen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, sondern hängt auch von der weiteren Voraussetzung ab, dass die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Diese Voraussetzung ist wie oben ausgeführt nicht erfüllt, weil der von der belangten Behörde gesehene Ausschließungsgrund für den Vorsteuerabzug nicht vorliegt.

Da der vom Finanzamt aufgegriffene Wiederaufnahmsgrund - die erst im Jahr 1997 erfolgte Inbetriebnahme der Ordination - nicht geeignet ist, einen anders lautenden Umsatzsteuerbescheid 1995 herbeizuführen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Antrags auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. April 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003140091.X00

Im RIS seit

01.06.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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