TE OGH 1979/5/9 10Os37/79

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Veröffentlicht am 09.05.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, Dr. Bernardini, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Ackerl als Schriftführer in der Strafsache gegen Friedrich A wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 364 StPO gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 11. Dezember 1978, GZ 7 d Vr 5520/78-32, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Dem Angeklagten wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung erteilt.

Der Beschluß vom 5.Februar 1979, ON. 37, wird aufgehoben. Über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wird gesondert entschieden werden.

Text

Gründe:

Ein Schöffensenat des Landesgerichts für Strafsachen Wien verurteilte am 11.Dezember 1978 Friedrich A wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs 1

StGB, der Nötigung gemäß § 105 Abs 1 StGB und der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs 1 StGB Nach der Urteilsverkündung meldete der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Eine Urteilsabschrift wurde dem gemäß § 41 Abs 2 StPO bestellten Verteidiger Dr. Hugo B (ON. 12) am 16.Jänner 1979 zugestellt (S. 177). Da innerhalb der Frist des § 285 Abs 1 StPO

eine Beschwerdeausführung nicht eingelangt ist und auch anläßlich der Anmeldung ein Nichtigkeitsgrund nicht bezeichnet worden war, wurde die Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluß vom 5.Februar 1979, ON. 37, gemäß § 285 a Z 2

StPO zurückgewiesen. Dieser Beschluß wurde dem Rechtsanwalt Dr. B am 6.Februar 1979 zugefertigt.

Am 14.Februar 1979 brachte Dr. B beim Landesgericht für Strafsachen Wien eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel, ein (ON. 39). Im Wiedereinsetzungsantrag wird vorgebracht, daß die von den Rechtsanwälten Dr. B, Dr. C, Dr. D und Dr. E gemeinsam geführte Kanzlei alle Verfahrenshilfesachen substituiert. Dementsprechend war schon in der Hauptverhandlung für Dr. B als Substitutin Rechtsanwalt Dr. Maria F eingeschritten (siehe S. 143). Gemäß den Gepflogenheiten der Kanzlei Dr. B, Dr. C, Dr. D, Dr. E sollte die Substitutin auch die in dieser Sache angefallenen Rechtsmittel ausführen, wozu ihr das Urteil nach Einlangen zu übermitteln war. Dies oblag der Kanzleiangestellten Eva G. Als die Urteilsausfertigung zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten am 16.Jänner 1979 in der Kanzlei einlangte, nahm der mit der Sache überhaupt nicht befaßte Rechtsanwalt Dr. D das Gerichtsstück aus der Postmappe, weil ihn der Kriminalfall interessierte (S. 216). Als er das Urteil in den Handakt legen wollte, fand er diesen nicht, weil Frau G denselben zwischenweilig zwecks Kostenverrechnung dem Rechtsanwalt Dr. B vorgelegt hatte. Dr. D vermerkte zwar nunmehr den Ablauf der Rechtsmittelfrist im Terminkalender, behielt aber die Urteilsausfertigung vorläufig bei sich. Am nächsten Tag fand er den Handakt, heftete das Urteil ein und ließ ihn für Frau G in der Annahme liegen, diese werde, wie gewöhnlich, die Urteilsausfertigung an die Substitutin übersenden. Die Angestellte hinwiederum war, als sie auf den Handakt stieß, der Meinung, es handle sich nur um die Erledigung des Kostenverzeichnisses und legte den Akt in ihre Evidenzmappe; das inzwischen von Dr. D eingeheftete Urteil, das sich ja bei der Bearbeitung des Faszikels durch sie vor der Vorlage an Dr. B noch gar nicht im Akt befunden hatte, fiel G nicht auf. Der Terminvormerk wurde in der Kanzlei nicht beachtet, weil Dr. D demselben beigesetzt hatte: 'Sub. Dr. F', was in der Kanzlei als Zeichen gilt, daß sich der Akt beim Substituten befindet und der Termin von diesem wahrgenommen wird.

Die Fristversäumnis kam dem bestellten Verteidiger Dr. B erst zur Kenntnis, als ihm am 6.Februar 1979

der Zurückweisungsbeschluß zugestellt wurde (siehe Rückschein blau S. 199).

Die vom Untergericht bereits durchgeführten Einvernahmen des Dr. Rudolf D und der Eva G erbrachten eine Übereinstimmung mit dem vorstehend wiedergegebenen tatsächlichen Vorbringen im Restitutionsantrag. Darnach ergibt sich (in Zusammenfassung auf das Wesentliche), daß das Unterbleiben der Absendung der Urteilsausfertigung an die Substitutin und daraus folgend der unbemerkte Ablauf der Ausführungsfrist auf die Eigenmacht des Rechtsanwalts Dr. D zurückzuführen sind, der erstens, ohne mit der Kausa befaßt zu sein, das Gerichtsstück seinem vorgesehenen Bearbeitungslauf entnahm und damit der sofortigen Weiterbeförderung entzog, zweitens dieses Gerichtsstück in einer Art in den Handakt heftete, daß es - als noch der Expedierung harrend - leicht übersehen werden konnte und drittens einen Vermerk im Terminkalender anbrachte, der regelmäßig die Fristwahrnehmung durch den Substituten anzeigt.

Rechtliche Beurteilung

Diese Eigenmacht seines Kanzleikollegen war für den Verfahrenshelfer Dr. B ein nicht voraussehbarer, demnach unabwendbarer Umstand, an dem ihn kein Verschulden trifft und der es ihm unmöglich machte, die Frist zur Ausführung der beiden Rechtsmittel, sei es in eigener Person, sei es mit Hilfe seiner Substitutin, einzuhalten (§ 364 Abs 1 Z 1 StPO). Da der Verteidiger des weiteren innerhalb der Frist des § 364 Abs 1 Z 2 StPO (Aufhören des Hindernisses mit der Beschlußzustellung am 6.Februar 1979) um die Wiedereinsetzung angesucht und zugleich die Beschwerde- und Berufungsschrift überreicht hat (analog § 364 Abs 1 Z 3 StPO), schließlich die Wiedereinsetzung nach ständiger Rechtsprechung nicht nur wider die Versäumung der Frist zur Anmeldung, sondern auch wider die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels gegen ein Urteil bewilligt werden kann, sind die Voraussetzungen für die Stattgebung des Antrags erfüllt.

Im Hinblick auf die Erteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war der Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Februar 1979, ON. 37, mit dem die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mangels (rechtzeitiger) Ausführung zurückgewiesen worden war, aufzuheben (9 Os 121, 122/71).

In die sachliche Prüfung der erhobenen Rechtsmittel wird gesondert eingetreten werden.

Anmerkung

E02043

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00037.79.0509.000

Dokumentnummer

JJT_19790509_OGH0002_0100OS00037_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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