TE OGH 1979/6/17 7Ob636/79

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Veröffentlicht am 17.06.1979
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reithofer, Dr. Petrasch, Dr. Wurz und Dr. Jensik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Charlotte K*****, vertreten durch Dr. Günther Hagen, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Ulrike B*****, vertreten durch Dr. Walter Derganz jun., Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 28. November 1978, GZ R 366/78-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 15. Juni 1978, GZ C 1899/76-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.311,74 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 192 S Barauslagen und 82,94 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist zu einem Viertelanteil Miteigentümerin des Hauses *****, dessen weitere Dreiviertelanteile im Miteigentum ihres Sohnes stehen. Sie führt die Verwaltung des Hauses und ist seitens ihres Sohnes ermächtigt, das Mietverhältnis mit der Beklagten aufzukündigen. Im vorliegenden Verfahren kündigt sie die von der Beklagten im Hause gemietete Wohnung, bestehend aus den Zimmern im Parterre samt Mitbenützung der Toilette, des Dachbodens (mit Ausnahme des Dachbodenzimmers auf der Westseite), des Kellers, der Waschküche und des Gartens auf. Als Kündigungsgrund werden § 19 Abs 1 und Abs 2 Z 3 MietG mit der Begründung geltend gemacht, die Beklagte habe ohne Wissen der Klägerin auch die nicht vermieteten Teile des Hauses zur Unterbringung ihrer Gäste verwendet. Nachdem ihr die Klägerin die Auflösung des Mietverhältnisses erklärt habe, habe die Beklagte das Schloss zum Haus geändert und der Klägerin dessen Betreten verwehrt. Seither sei es der Klägerin nicht möglich, die ihr verbliebenen Teile des Hauses zu benutzen, weil ihr die Beklagte nach wie vor den Zutritt verweigere und wider besseres Wissen sämtliche Räumlichkeiten des Hauses für sich in Beschlag genommen habe.

Die Beklagte wendete ein, ihr Mietvertrag erstrecke sich auf das gesamte Haus, die Klägerin hätte nur gefälligkeitshalber einige Räume fallweise benützen dürfen. Infolge des von ihr unternommenen Versuches einer Beendigung des Bestandverhältnisses sei die Beklagte nicht mehr gewillt, ihr im Haus Unterkunft zu gewähren. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf. Hiebei ging es von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Bereits vom Bestandvertrag mit der Vorgängerin der Beklagten waren das nordseitige Zimmer im ersten Stock mit anschließendem „Schlupf" und das darüber befindliche Dachbodenzimmer ausgenommen. Diesbezüglich hatte sich die Klägerin eine eigene Benützung vorbehalten. Bezüglich der Toilette war eine gemeinsame Benützung durch die Klägerin und ihre Mieterin vorgesehen. Die Klägerin verbrachte alljährlich ihren Sommerurlaub im Haus, das sie nach ihrem Belieben betreten konnte. Etwa im Jahre 1970 trat die Beklagte als Tochter der Vormieterin in den Mietvertrag ihrer Mutter ein. Auch ab diesem Zeitpunkt änderte sich an der Benützungsart nichts. Gegenstand der Vermietung an die Beklagte waren die selben Räumlichkeiten, die Gegenstand des Mietvertrages mit der Mutter waren.

Die Beklagte verwendete in Abwesenheit der Klägerin auch die dieser vorbehaltenen Räumlichkeiten für ihre Gäste, ohne dass die Klägerin hievon Kenntnis erlangte. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 15. 1. 1976 das Mietverhältnis zum 31. 7. 1976 aufgekündigt hatte, ließ die Beklagte das Schloss zum Haus ändern, wobei sie der Klägerin keinen Schlüssel aushändigte. Als die Klägerin am 18. 6. 1976 mit ihrem Lebensgefährten, wie alljährlich, das Haus zur Verbringung ihres Sommerurlaubes betreten wollte, wurde ihr der Zutritt verweigert. Grund hiefür war die Verärgerung der Beklagten über die vorangegangene Kündigung. Seither ist die Beklagte von ihrem Standpunkt nicht abgegangen.

Das Erstgericht vertrat die Meinung, das Verhalten der Beklagten sei zwar ungerechtfertigt, weil der Klägerin ein einwandfreies Recht zur Benützung bestimmter Räumlichkeiten zustehe, doch reiche dieser Umstand zur Herstellung des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs 1 Z 3 MietG nicht aus, weil ein einmaliges Verhalten eine Kündigung nach dieser Bestimmung nicht rechtfertigen könne. Im Übrigen sei die Verärgerung der Beklagten über die ihr zugegangene Kündigung begreiflich. Einen zusätzlichen Umstand, der eine Kündigung nach § 19 Abs 1 MietG rechtfertigen würde, habe die Klägerin gar nicht behauptet.

Das Berufungsgericht erklärte die Kündigung für rechtswirksam. Es nahm zwar zu der Frage, ob ein Kündigungsgrund nach § 19 Abs 2 Z 3 MietG vorliege, nicht Stellung, erblickte aber in der gänzlichen Aussperrung der Klägerin durch die Beklagte einen Kündigungsgrund nach der Generalklausel des § 19 Abs 1 MietG.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten aus den Gründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteiles. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Was mit näheren Feststellungen über die Äußerung der Klägerin, sie wolle im Hinblick auf das Verhalten der Beklagten im Hause gar nicht mehr wohnen, für dieses Verfahren gewonnen werden soll, ist unerfindlich. Dass die Klägerin damit auf eine Kündigung verzichtet hätte, behauptet nicht einmal die Beklagte. Selbst wenn eine solche Äußerung gefallen sein sollte, kann eine derartige Reaktion auf das rechtswidrige Verhalten der Beklagten keinerlei Einfluss auf die Beurteilung der Frage haben, ob ein Kündigungsgrund vorliegt oder nicht.

Dass die Beklagte der Klägerin bis heute den Zutritt zum Haus verweigert, bestreitet sie selbst nicht. Dies ist vielmehr ihr ausdrücklicher Prozessstandpunkt. Auch das Erstgericht hat eine solche Feststellung getroffen. Die an diese Feststellung geknüpfte Hoffnung des Erstgerichtes, die Beklagte werde ihr Verhalten ändern, weil es im Urteil als rechtswidrig qualifiziert worden sei, hat mit einer Feststellung, von der das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung nicht abgehen dürfte, nichts zu tun. Der Akt C 1122/76 des Bezirksgerichtes Dornbirn wurde im Verfahren erster Instanz verlesen. Aus ihm hat schon das Erstgericht zahlreiche Feststellungen getroffen. Demnach liegt in der Verwertung dieses Aktes durch das Berufungsgericht kein Verfahrensverstoß. Ob und wann die Klägerin von der Unterbringung von Gästen in den nicht vermieteten Räumen Kenntnis erlangt hat, ist ohne Bedeutung, weil die Beklagte die Feststellung, dass diese Unterbringung nicht mit Zustimmung der Klägerin erfolgte, nicht bekämpft hat. Entscheidend ist aber an sich schon eine Anmaßung von Rechten an Räumen ohne Zustimmung des Berechtigten.

Im Übrigen zeigt die Revision kein konkretes Abweichen des Berufungsgerichtes von den erstrichterlichen Feststellungen auf. Geht man aber von den getroffenen Feststellungen aus, erweist sich auch die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes im Ergebnis als zutreffend. Schon die wiederholte eigenmächtige Verwendung von nicht in Bestand gegebenen Räumen stellt einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Vermieters dar, dass darin ein Kündigungsgrund nach § 19 Abs 1 MietG erblickt werden kann. Wenn nämlich der Mieter eigenmächtig von einer fremden leerstehenden Wohnung im Haus, in dem seine Mietwohnung liegt, Besitz ergreift, geht dies über ein bloß ungehöriges Verhalten iSd § 19 Abs 2 Z 3 MietG weit hinaus, sodass jedenfalls ein wichtiger Grund zur Kündigung nach § 19 Abs 1 MietG vorliegt, wenn schon der Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 3 MietG deshalb nicht gegeben wäre, weil der Mieter durch sein Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenwohnen mit ihm nicht verleidet (MietSlg 23.325). Grundsätzlich ist ein Kündigungsgrund nach dieser Generalklausel dann gegeben, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der den im § 19 Abs 2 MietG angeführten Kündigungsgründen an Wichtigkeit gleichkommt (MietSlg 28.281, 27.332, 23.326 ua). Dies ist bei der länger andauernden oder wiederholten Anmaßung von Rechten an einer nicht vermieteten Wohnung der Fall, insbesondere wenn dies, wie im vorliegenden Fall, hinter dem Rücken des Vermieters geschieht und offenbar das Bestreben besteht, dessen Abwesenheit zum eigenen Vorteil auszunützen. Ein derartiges Verhalten muss dem nicht ortsansässigen Vermieter jedes Vertrauen zu seinen Mieter nehmen.

Aus der in der Revision angeführten Judikatur lässt sich zugunsten der Beklagten nichts ableiten. Die Ausnützung der Abwesenheit des Vermieters, um sich durch die eigenmächtige Inbesitznahme von Räumen einen Vorteil zu verschaffen, ist eben ein zusätzliches Tatbestandselement, das das Verhalten des Mieters an Wichtigkeit den Kündigungsgründen des § 19 Abs 2 MietG gleichkommen lässt. Die zitierten Entscheidungen haben nicht die Behinderung des Vermieters am Betreten seiner Wohnung, sondern am Betreten der Wohnung des Mieters sowie Vertragsverletzungen bezüglich des eigenen Mietvertrages (Übertretung des Untermietverbotes, vertragswidrige Verwendung und dergl) zum Gegenstand. Sie sind daher auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Durch die dauernde Aussperrung der Klägerin durch die Beklagte wurde aber auch der Kündigungsgrund nach § 19 Abs 2 Z 3 MietG erfüllt. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus (MietSlg 22.338, 21.419, 20.379 ua). Er dient dem Schutz der Mitbewohner gegen erhebliche Beeinträchtigung im Genuss ihrer Wohnung (MietSlg 25.269, 12.101 ua). Die schwerste Beeinträchtigung des Mitbewohners im Genuss seiner Wohnung erfolgt jedenfalls dadurch, dass man ihm die Benützung dieser Wohnung durch Verweigerung des Zutrittes zum Haus gänzlich unmöglich macht. Wenn sogar ohne eine derart weitgehende Vereitelung der Wohnungsbenützung schon deren bloße Beeinträchtigung den Kündigungstatbestand erfüllt, muss dies um so mehr für die Vereitelung der Ausübung des Wohnrechtes durch Aussperrung des Vermieters gelten. Inwieweit dieser Kündigungsgrund bereits durch einen einmaligen und vorübergehenden Vorfall erfüllt wird, muss hier nicht erörtert werden, weil die Beklagte die Aussperrung der Klägerin bereits jahrelang aufrecht erhält und bisher nicht zu erkennen gegeben hat, dass sie dieses Verhalten zu ändern beabsichtige. Von einer Verwirkung des Kündigungsrechtes kann keine Rede sein. Das österreichische Recht kennt nämlich keine allgemeine Anspruchsverwirkung (MietSlg 16.073, 7865 ua). Bei der Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Vorsicht geboten (EvBl 1960/178, EvBl 1957/253 ua). Nur dann, wenn mit Überlegung aller Umstände des Einzelfalles und mit Rücksicht auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, kann gemäß § 863 ABGB ein stillschweigender Verzicht angenommen werden (MietSlg 29.370, 24.306, 23.438 ua). Der Grundsatz, dass Kündigungsgründe bei sonstigem Verlust des Kündigungsrechtes ohne Verzug geltend gemacht werden müssen, kann im Übrigen nicht angewendet werden, wenn der Kündigungsgrund in einem Dauerzustand oder in der Wiederholung eines einen Kündigungsgrund darstellenden Verhaltens besteht (MietSlg 21.428, 16.318, 9.081 ua). Gerade dies ist hier der Fall. Im Übrigen ist die Klägerin sofort gegen das Verhalten der Beklagten gerichtlich vorgegangen (C 1122/76 des Bezirksgerichtes Dornbirn). Hiemit hat sie einwandfrei zu verstehen gegeben, dass sie nicht gewillt sei, das Verhalten der Beklagten in Kauf zu nehmen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E76444 7Ob636.79

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0070OB00636.79.0617.000

Dokumentnummer

JJT_19790617_OGH0002_0070OB00636_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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