TE OGH 1979/9/11 9Os97/79

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Veröffentlicht am 11.09.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.September 1979

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Friedrich und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Simetzberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herwig A wegen des Vergehens der fahrlässigen Gefährdung durch Sprengmittel nach § 174 Abs 1 StGB über die von der Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 29.März 1979, GZ 14 Vr 91/79-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, der Ausführungen der Verteidigerin Dr. Prokopp und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der zur Tatzeit fünfzehnjährige Textilschüler Herwig A von der Anklage, er habe am 21.Dezember 1978 in Feldkirch-Gisingen dadurch, daß er einen aus Unkrautex, Schwefel und Zucker selbst hergestellten Sprengstoff als Sprengmittel durch die Beimengung von Karbid zur Explosion brachte, fahrlässig eine Gefahr für Leib und Leben eines anderen, nämlich des Gerhard A, und für fremdes Eigentum in großem Ausmaß, nämlich für das Haus seines Vaters Herwig A sen., herbeigeführt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Gefährdung durch Sprengmittel nach § 174 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Nach den Urteilsfeststellungen mischte der Angeklagte in seinem Schlafzimmer im elterlichen Wohnhaus die vorerwähnten Substanzen in einem Glas, weil er Knallkörper für Silvester herstellen wollte; dabei kam es zu einer Explosion des Gemisches, wodurch sein eben in den Raum eingetretener Bruder Gerhard A Verbrennungen im Gesicht erlitt und an Einrichtungsgegenständen ein Brand entstand, der von der Feuerwehr gelöscht wurde.

Den Anklagevorwurf hielt das Jugendschöffengericht deshalb für unbegründet, weil dem Angeklagten nicht bewußt gewesen sei, daß er mit einem Sprengmittel hantiere oder ein solches herstell; auch habe er die Mischung weder als Sprengmittel zur Explosion bringen wollen, noch entzündet und etwa deswegen mit einer Explosion rechnen müssen. Wegen fahrlässiger Körperverletzung hinwieder sei der Angeklagte mangels eines schweren Verschuldens gemäß § 88 Abs 2 Z 1 StGB nicht strafbar.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch kommt Berechtigung zu.

Objektiv verwirklicht das Tatbild der fahrlässigen Gefährdung durch Sprengmittel nach § 174 Abs 1 StGB

- gleichwie jenes des entsprechenden Vorsatzdeliktes (§ 173 Abs 1 StGB) -, wer einen Sprengstoff als Sprengmittel zur Explosion bringt und dadurch eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß herbeiführt. Unter einem Sprengstoff ist jeder Körper zu verstehen, der unter plötzlicher Veränderung seiner chemischen Beschaffenheit und seines Aggregatzustandes sein Volumen bedeutend zu vergrößern und durch die Gewalt des dadurch erzeugten Stoßes entgegenstehende Körper wegzuschleudern oder zu zertrümmern vermag (vgl. SSt. 13/100). Daß die vom Angeklagten zur Erzeugung von Knallkörpern hergestellte Mischung von Unkrautex, Schwefel, Karbid und Zucker bei der vorhandenen Dosierung geeignet war, unter der mechanischen Einwirkung des Mischvorganges eine Explosion herbeizuführen, ist durch den Tathergang bewiesen (vgl. KH. 1740). Rechtlich ohne Bedeutung ist es dabei, ob die Bestandteile des Gemisches für sich allein gleichfalls schon als Sprengstoff zu beurteilen gewesen wären:

denn auch bei der Zubereitung von Sprengstoff kann durch das Herbeiführen von dessen Explosion als Sprengmittel, also durch das Auslösen von dessen elementarer Explosionskraft, das umschriebene Tatbild verwirklicht werden (vgl. Leukauf-Steininger2 S. 1135, 1137).

Auf der inneren Tatseite kann das Vergehen nach § 174 Abs 1 StGB in bezug auf die tatbestandsmäßige Gefährdung nur mit Fahrlässigkeit und in Ansehung der Tathandlung selbst mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangen werden (vgl. Mayerhofer-Rieder S. 522, Foregger-Serini2 S. 312, Leukauf-Steininger2 S. 1137). Fahrlässig handelt aber schon, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen verpflichtet sowie nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild - hier dem des § 174 Abs 1 StGB - entspricht (unbewußte Fahrlässigkeit: § 6 Abs 1 StGB).

Bei richtiger Rechtsanwendung hätte daher das Erstgericht im vorliegenden Fall die Verwirklichung des Tatbestands nach § 174 Abs 1 StGB durch den Angeklagten nicht schon deshalb verneinen dürfen, weil er die Sprengstoffeigenschaft des von ihm hergestellten Gemisches nicht erkannte und dieses auch nicht bewußt entzündete oder als Sprengmittel zur Explosion bringen wollte. Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, ob das Nichterkennen der Tatbildverwirklichung durch den jugendlichen Angeklagten auf einem als unbewußte Fahrlässigkeit zu wertenden Mangel an objektiv gebotener und subjektiv möglicher Sorgfalt beruhte.

Das Fehlen der zur rechtsrichtigen Beurteilung dieser Frage erforderlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 281 Abs 1 Z 9 lit. a StPO) muß in Stattgebung der staatsanwaltschaftlichen Nichtigkeitsbeschwerde zu dessen Aufhebung und zur Anordnung der Verfahrenserneuerung in erster Instanz führen, ohne daß es einer Erörterung des übrigen Beschwerdevorbringens bedürfte.

Anmerkung

E02230

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00097.79.0911.000

Dokumentnummer

JJT_19790911_OGH0002_0090OS00097_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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