TE OGH 1979/12/20 7Ob55/79

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Veröffentlicht am 20.12.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Wurz und Dr. Jensik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Ernst L*****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 29.015 S sA und Feststellung (Streitwert 100.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. September 1979, GZ 5 R 206/79-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Juni 1979, GZ 10 Cg 324/78-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.199,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin keine Barauslagen, Umsatzsteuer 311,04 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Unbestritten ist folgender Sachverhalt:

Der Beklagte erhielt von seiner Dienstgeberin (Firma A*****) am 11. 6. 1975 den Auftrag, mit deren bei der Klägerin haftpflichtversicherten Lieferwagen, Marke Hanomag-Matador, Kennzeichen *****, Josef H***** nach Kundl zu bringen. Auf der Fahrt besuchten der Beklagte und Josef H***** ein Gasthaus in Kundl und tranken dort je 1 l Wein und 1 l Bier. In der Folge lenkte Josef H*****, der keinen Führerschein besaß und der infolge Alkoholgenusses bereits fahruntüchtig war, den Lieferwagen. Um ca 19:30 Uhr fuhr Josef H***** allein mit dem Lieferwagen - den Beklagten hatte er bei einer Bekannten zurückgelassen - auf der Bundesstraße Nr 171 in Richtung Wörgl. Bei dieser Fahrt streifte er den Mopedfahrer Peter K*****, der hiedurch zum Sturze kam und bewusstlos auf der Fahrbahn liegen blieb. Josef H*****, dessen Blutalkoholgehalt im Unfallszeitpunkt mindestens 2,6 ‰ betrug, setzte seine Fahrt ohne anzuhalten fort. Wegen dieses Unfalls wurde Josef H***** vom Landesgericht Innsbruck zum AZ 16 Vr 2662/75 wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB rechtskräftig verurteilt. Die Klägerin erbrachte an den beim Unfall schwer verletzten Peter K***** bisher Leistungen im Betrage von 29.015 S. In den zum AZ 9 Cg 77/78 beim Erstgericht anhängigen Rechtsstreit begehrt Peter K***** von Josef H***** und der Klägerin ab 1. 2. 1978 eine monatliche Rente von 2.089 S sowie die Zahlung von 166.363,18 S sA und erhebt außerdem ein Feststellungsbegehren. Mit Schreiben vom 10. 5. 1976 (Beilage ./G) teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie gegen ihn Rückgriff nehmen werde, falls Josef H***** ihre Regressansprüche nicht begleichen sollte.

Mit ihrer beim Erstgericht am 24. 5. 1978 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von Josef H***** und vom Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von 29.015 S sA und beantragte außerdem die Feststellung, dass ihr der Beklagte und Josef H***** zur ungeteilten Hand für ihre in Zukunft aufgrund des vorgenannten Schadensfalls als Haftpflichtversicherer an geschädigte Dritte zu erbringenden Leistungen zu haften haben. Gegen Josef H***** erging bereits ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens. Die Klägerin behauptet, sie sei nach Art 6 Abs 2 lit b AKHB leistungsfrei, weil der Beklagte den ihm anvertrauten Lieferwagen dem bereits erheblich alkoholisierten Josef H***** überlassen habe, von dem ihm bekannt gewesen sei, dass er keine Lenkerberechtigung besitze. Auch aufgrund des an den Beklagten gerichteten Schreibens vom 10. 5. 1976 (Beilage ./G) sei die Klägerin leistungsfrei. Sie sei daher dem Beklagten gegenüber regressberechtigt.

Der Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, dass er im Unfallszeitpunkt weder Halter noch berechtigter Lenker des von Josef H***** gesteuerten Lieferwagens gewesen sei. Die Klägerin habe daher als Haftpflichtversicherer für ihn keine Leistungen zu erbringen gehabt und könne somit auch gegen den Beklagten keine Regressansprüche (nach § 158f VersVG) geltend machen. In der Verhandlungstagsatzung vom 13. 6. 1979 (ON 28) behauptete die Klägerin, dass der Beklagte, wenn er im Unfallszeitpunkt nicht mehr Mitversicherter (der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung) gewesen sein sollte, durch die Überlassung des Lieferwagens an den infolge seines Alkoholgenusses fahruntüchtigen, über keine Lenkerberechtigung verfügenden Josef H***** eine Gefahrensituation geschaffen und im Rahmen seiner Haftung für die daraus entstandenen Schäden auch für die von der Klägerin erbrachten bzw noch zu erbringenden Leistungen einzustehen habe. Der Beklagte erblickte in diesem Vorbringen der Klägerin eine Klagsänderung und sprach sich gegen deren Zulassung aus.

Das Erstgericht ließ die Klagsänderung nicht zu und wies die Klage ab. Es war der Ansicht, dass die Klägerin zunächst einen Regressanspruch nach § 158f VersVG geltend gemacht und erst in der Verhandlungstagsatzung vom 13. 6. 1979 auch einen Anspruch nach § 67 VersVG erhoben habe. Letzterer sei jedoch von dem auf § 158f VersVG gestützten Regressanspruch verschieden und schließe diesen aus. Das ergänzende Vorbringen der Klägerin in der vorgenannten Verhandlungstagsatzung enthalte daher eine Klagsänderung, die eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung des Verfahrens zur Folge haben würde und daher nicht zuzulassen sei. Der von der Klägerin erhobene, auf § 158f VersVG gestützte Regressanspruch sei nicht berechtigt. Der Beklagte habe nämlich das Unfallsfahrzeug nicht gelenkt. Er sei daher im Unfallszeitpunkt nicht mehr Mitversicherter des von seiner Dienstgeberin für den Lieferwagen abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrags gewesen. Die Klägerin könne demnach gegen den Beklagten auch keine Regressansprüche nach § 158f VersVG erheben. Daran könne auch das an den Beklagten gerichtete Schreiben vom 10. 5. 1976 (Beilage ./G) nichts ändern.

Das Berufungsgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluss über die Nichtzulassung der Klagsänderung, gab der von der Klägerin gegen das Ersturteil erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, 60.000 S übersteigt. Es war gleich dem Erstgericht der Ansicht, dass der Lenker eines Kraftfahrzeugs nur solange Mitversicherter im Sinne des Art 1 Abs 2 AKHB sei, als er mit dem Fahrzeug auch tatsächlich gefahren sei. Im Zeitpunkt des Unfalls habe sich aber der Beklagte nicht mehr im Fahrzeug befunden. Dem von der Klägerin geltend gemachten, auf § 158f VersVG gestützten Regressanspruch fehle daher die Rechtsgrundlage. Ob die Klägerin aufgrund der Bestimmungen des § 67 VersVG vom Beklagten den Ersatz der von ihr aufgrund des Unfallereignisses erbrachten Leistungen begehren könne, brauche nicht erörtert zu werden, weil ein derartiger Anspruch im Hinblick auf die Nichtzulassung der Klagsänderung nicht Gegenstand des gegenständlichen Verfahrens sei.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichts mit Revision aus dem Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO. Sie beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass ihrem Klagebegehren stattgegeben werde, oder es aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht, allenfalls auch unter Aufhebung des Ersturteils, an das Prozessgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin ist der Ansicht, das Berufungsgericht hätte den in ihrer Klage und in dem vorbereitenden Schriftsatz (ON 8) behaupteten Sachverhalt nach allen Gesichtspunkten prüfen und daher auch untersuchen müssen, ob ihr gegen den Beklagten ein Regressanspruch nach § 67 VersVG zustehe.

Der Revisionswerberin ist darin beizupflichten, dass die Gerichte den behaupteten Sachverhalt in der Regel nach allen Gesichtspunkten zu prüfen haben und nicht an seine rechtliche Qualifikation durch die Parteien gebunden sind (Fasching III S 647). Wird aber die Klage ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund gestützt, so ist das Gericht daran gebunden und darf dem Begehren nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (SZ 23/74, 42/138; JBl 1951, 415, 1960, 391, 1962, 510, mit zustimmender Besprechung von Novak). Hier hat die Revisionswerberin in ihrer Klage und in ihrem Schriftsatz (ON 8) ausdrücklich behauptet, dass der Beklagte als Mitversicherter der für das Unfallsfahrzeug abgeschlossenen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung die Obliegenheitsverletzung nach Art 6 Abs 2 lit b AKHB begangen habe, weshalb sie gegenüber dem Beklagten leistungsfrei sei. Damit hat aber die Revisionswerberin einen bestimmten Rechtsgrund (Regressanspruch nach § 158f VersVG) geltend gemacht. Erst in ihrem Vorbringen in der Verhandlungstagsatzung vom 13. 6. 1979 stützte die Klägerin ihr Begehren auch auf die Legalzession des § 67 VersVG. Ein Eingehen auf diesen Rechtsgrund ist jedoch nicht möglich, weil die von der Revisionswerberin mit diesem Vorbringen vorgenommene Klagsänderung von den Untergerichten nicht zugelassen wurde. Die Prüfung des Klagsanspruchs hat daher nur unter dem Gesichtspunkt des geltend gemachten Rechtsgrundes nach § 158f VersVG zu erfolgen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf den von der Revisionswerberin gestellten Antrag auf Überweisung der Rechtssache an das Arbeitsgericht Innsbruck. Dem von der Revisionswerberin an den Beklagten gerichteten Ablehnungsschreiben vom 10. 5. 1976 (Beilage ./G) kommt schon deshalb nicht die Wirkung des § 12 Abs 3 VersVG zu, weil es eine Klagsfristsetzung im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht enthält.

Die Revisionswerberin beharrt schließlich auf ihrer Ansicht, dass der Beklagte Mitversicherter der für den Lieferwagen bestehenden Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung gewesen sei, wenn er auch im Zeitpunkt des Unfalls das Fahrzeug nicht gelenkt habe. Die Obliegenheitsverletzung nach Art 6 Abs 2 lit b AKHB (Überlassung des Fahrzeugs an den über keine Fahrerlaubnis verfügenden Josef H*****) habe nämlich der Beklagte noch als Fahrer des späteren Unfallsfahrzeugs begangen.

Auch diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. Nach Art 1 Abs 2 AKHB sind mitversicherte Personen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung der Eigentümer, der Halter und die Personen, die mit dem Willen des Halters bei der Verwendung des Kraftfahrzeugs tätig sind. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seinen Entscheidungen ZVR 1964/138 und ZVR 1979/10 in Übereinstimmung mit dem Schrifttum und der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland (Stiefel/Wussow/Hofmann, Kraftfahrversicherung10, S 445; Pienitz/Flöter zu § 10 AKHB, S 13; Prölss/Martin, VersVG21, 849; BGH in VersR 1960, 650 und 1962, 1147) ausgesprochen hat, ist der Fahrer eines Pkws nur dann Mitversicherter der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, wenn er das Fahrzeug auch tatsächlich gelenkt hat. Er bleibt allerdings auch dann Mitversicherter, wenn sich der Unfall ereignete, nachdem er das Fahrzeug auf einer öffentlichen Verkehrsfläche abgestellt hatte (Prölss/Martin aaO 849). Überlässt jedoch - wie hier - der berechtigte Lenker das Kraftfahrzeug einer anderen Person, die mit diesem einen Verkehrsunfall verursacht, so verliert er damit seine Eigenschaft als Mitversicherter im Sinne des Art 1 Abs 2 AKHB und hat daher auch hinsichtlich des Schadensfalls gegenüber der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung keinen Deckungsanspruch (Stiefel/Wussow/Hofmann aaO 445). Erbringt in einem solchen Fall die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Leistungen an die durch den Verkehrsunfall geschädigten Dritten, so kann sie gegen den seinerzeitigen Lenker des späteren Unfallsfahrzeugs Regressansprüche nach § 158f VersVG nicht geltend machen, weil diese nur gegen den Versicherungsnehmer oder mitversicherte Personen erhoben werden können (SZ 31/134; VersR 1968, 681; EvBl 1967/367; ZVR 1964/138). Die Abweisung des Klagebegehrens erfolgte somit zu Recht. Ob der Revisionswerberin gegen den Beklagten ein Regressanspruch nach § 67 VersVG zusteht, ist im Hinblick auf die Nichtzulassung der Klagsänderung in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

Der Revision der Klägerin war somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E94830

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0070OB00055.79.1220.000

Im RIS seit

16.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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