TE Vfgh Erkenntnis 2001/6/27 B242/01

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Veröffentlicht am 27.06.2001
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Index

65 Pensionsrecht für Bundesbedienstete
65/01 Allgemeines Pensionsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
PoststrukturG §17 Abs8 Z1
PoststrukturG §17a Abs2

Leitsatz

Quasianlassfall; Anlassfallwirkung der Aufhebung ua des Art3 Z2, Z4, Z28 und Z36 des PensionsreformG 2000 mit E v 16.03.01, G150/00.

Spruch

1. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

2. Der Bescheid wird aufgehoben.

3. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit ATS 29.500,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin begehrte mit Antrag vom 16. Februar 2000 unter Hinweis auf ihre dauernde Dienst- und Erwerbsunfähigkeit ihre Ruhestandsversetzung. Diesem Antrag wurde mit Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 24. August 2000 stattgegeben und die Ruhestandsversetzung mit Ablauf des 30. September 2000 verfügt.

Mit Bescheid des Bundespensionsamtes vom 19. Oktober 2000 wurde - unter Zugrundelegung einer ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit von 26 Jahren und 11 Monaten und einer Ruhegenussbemessungsgrundlage von 80% - die Höhe des der Beschwerdeführerin gebührenden Ruhegenusses festgestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung; dies im Wesentlichen mit folgender Begründung: Mit dem ihre Ruhestandsversetzung verfügenden Bescheid des genannten Bundesministers vom 24. August 2000 sei der Beschwerdeführerin gemäß §9 PensionsG ein Zeitraum von 8 Jahren und 26 Tagen zu ihrer ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit (hinzu) gerechnet worden, woraus sich eine ruhegenussfähige Gesamtdienstzeit von 35 Jahren ergeben hätte. Dieser Bescheid des genannten Bundesministers vom 24. August 2000 sei in Rechtskraft erwachsen. Das Bundespensionsamt habe sich jedoch in seinem Bescheid vom 19. Oktober 2000 rechtswidrig über diesen rechtskräftigen Bescheid hinweggesetzt und dazu ausgeführt, dass gemäß §9 PG idF des PensionsreformG 2000 eine solche Zurechnung nicht stattfinden könne.

Mit dem nunmehr vorliegenden Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 10. Jänner 2001 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den zuletzt genannten Bescheid des Bundespensionsamtes abgewiesen. Begründend wird dazu ausgeführt:

Der Bescheid, mit dem die Zurechnung nach §9 PG erfolgt sei, stamme vom 24. August 2000. Zu diesem Zeitpunkt habe §9 Abs1 PG wie folgt gelautet:

"Ist der Beamte ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden, so hat ihm seine oberste Dienstbehörde aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand den Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch zehn Jahre, zu seiner ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit zuzurechnen".

Entsprechend dieser Bestimmung sei die oberste Dienstbehörde auch vorgegangen. Maßgeblich für die Berechnung des Ruhegenusses seien jedoch die Bestimmungen zum Zeitpunkt des ersten Fälligkeitstages des Ruhegenusses. Das sei der 1. Oktober 2000 gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe §9 PG idF des PensionsreformG 2000, wie folgt gelautet:

"Dem wegen dauernder Dienstunfähigkeit ... in den Ruhestand versetzten Beamten, der die für den Anspruch auf Ruhegenuss im Ausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage erforderliche ruhegenussfähige Gesamtdienstzeit nicht erreicht hat, ist bei der Bemessung des Ruhegenusses zwischen dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand und dem Ablauf des Tages, zu dem der Beamte frühestens seine Versetzung in den Ruhestand durch Erklärung bewirken können hätte, höchstens jedoch zehn Jahre, zu seiner ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit zuzurechnen."

Gleichzeitig besage §62j Abs2 PG idF des PensionsreformG 2000, dass auf Personen, die vor dem 1. Oktober 2000 Anspruch auf eine monatliche wiederkehrende Leistung nach diesem Bundesgesetz hätten, §9 PG in der am 30. September 2000 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden sei. Die hier für die weitere Anwendung des §9 PG in der am 30. September 2000 geltenden Fassung normierte Voraussetzung sei aber bei der Beschwerdeführerin nicht gegeben, da sie vor dem 1. Oktober 2000 noch keinen Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach dem PG gehabt habe. Hingegen finde in ihrem Fall der folgende Satz des §62j Abs2 PG idF des BudgetbegleitG 2001 Anwendung, der mit 1. Oktober 2000 in Kraft getreten sei:

"Bei mit Ablauf des 30. September 2000 oder später erfolgten Ruhestandsversetzungen ist eine allenfalls noch erfolgte bescheidmäßige Absprache der obersten Dienstbehörden über die Zurechnung von Zeiten nach §9 oder §20 in der am 30. September 2000 geltenden Fassung unwirksam."

Die Vorgangsweise des Bundespensionsamtes sei daher gesetzeskonform und korrekt gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der u.a. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des Art3 Z10 (betreffend §9 PG), Z28 (betreffend die Inkrafttretensbestimmung des §58 Abs35 PG) und Z36 (iW betreffend die Übergangsbestimmung des §62j PG) des Pensionsreformgesetzes 2000 sowie des Art49 Z18a (betreffend die Ergänzung des §62j Abs2 PG) des Budgetbegleitgesetzes 2001 behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Mit Erkenntnis vom 16. März 2001 G150/00 hat der Verfassungsgerichtshof ua. Art3 Z28 und Z36 des Pensionsreformgesetzes 2000 als verfassungswidrig aufgehoben.

II. 1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

2. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 1. März 2000. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 15. Februar 2001 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

4. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides u.a. die oben unter Pkt. I.4. bezeichneten, mit dem dort genannten Erkenntnis als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.

5. Der Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10404/1985, 10515/1985). Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von Schilling 4.500,- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B242.2001

Dokumentnummer

JFT_09989373_01B00242_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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