TE Vwgh Erkenntnis 2005/5/23 2005/06/0030

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Veröffentlicht am 23.05.2005
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
25/02 Strafvollzug;

Norm

B-VG Art50 Abs2;
Europäische Charta Regional- Minderheitensprachen 2001;
StVG §85 Abs1;
StVG §85 Abs3;
StVG §85;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des GP, derzeit in der Justizanstalt G in G, vertreten durch Mag. Friedrich Filzmaier, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 22, gegen den Bescheid der Vollzugskammer des Oberlandesgerichtes Graz vom 4. November 2002, Zl. Vk 24/02, betreffend eine Angelegenheit gemäß dem StVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde in Spruchpunkt 1) der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters vom 9. September 2002 (Nichtausführung in die Justizanstalt Wien-Josefstadt in der Zeit vom 6. September 2002 bis 29. September 2002) keine Folge gegeben. In Spruchpunkt 2) wurden die Anträge des Beschwerdeführers, ihm die Verfahrenshilfe in vollem Umfang zu gewähren und das Verfahren "in der Sprache der Minderheit der Ungarn in der Republik Österreich" durchzuführen, abgewiesen.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer in der Justizanstalt G eine wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB verhängte lebenslange Freiheitsstrafe verbüße. Mit Schreiben vom 6. August 2002 habe die israelitische Kultusgemeinde Wien alle Häftlinge mosaischen Glaubens (der Beschwerdeführer gehöre nach dem Personalblatt dieser Glaubensgemeinschaft an) für die Zeit vom 6. September 2002 bis 29. September 2002 in die Justizanstalt Wien-Josefstadt eingeladen, um dort das jüdische Neujahrsfest zu feiern. Der Beschwerdeführer habe sein Interesse an der Teilnahme an dieser Feier bekundet. Auf Grund einer Ladung des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen G für den 26. September 2002 habe der Anstaltsleiter am 9. September 2002 entschieden, dass der Beschwerdeführer - nachdem von Seiten der Justizanstalt Rücksprache mit dem zuständigen Richter gehalten worden sei - zur Einvernahme beim Bezirksgericht für Zivilrechtssachen G ausgeführt werde.

Durch diese Entscheidung erachte sich der Beschwerdeführer in seinem verfassungsrechtlich zugesicherten Recht der freien Religionsausübung verletzt. Die Beschwerde sei aber nicht begründet. Aus der Vorschrift des die Seelsorge betreffenden § 85 StVG ergebe sich kein Recht eines Strafgefangenen, an einer in einer anderen Justizanstalt stattfindenden religiösen Feierlichkeit teilzunehmen. Im Übrigen habe die bekämpfte Entscheidung des Anstaltsleiters auch dem Umstand Rechnung getragen, dass die Einvernahme vor dem Bezirksgericht für Zivilrechtssachen G wegen eines vom Beschwerdeführer eingebrachten Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Zusammenhang mit einem von ihm angestrebten Zivilverfahren stattgefunden habe. Diese Entscheidung habe somit den Interessen des Beschwerdeführers Rechnung getragen.

Zu Spruchpunkt 2) werde ausgeführt, dass Verfahrenshilfe im Verfahren vor den Vollzugskammern von Gesetzes wegen nicht in Betracht komme, ebenso wenig stehe Strafgefangenen - der Beschwerdeführer beherrsche im Übrigen schon nach dem Inhalt seiner schriftlichen Eingaben die deutsche Sprache ausgezeichnet - das Recht zu, sich in diesem Verfahren der ungarischen Sprache zu bedienen. Die entsprechenden Anträge seien daher abzuweisen gewesen.

Was die weiteren zahlreichen Anträge des Beschwerdeführers betreffe, sei darauf zu verweisen, dass sich diese auf ein beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien anhängiges Verfahren bezögen, der Vollzugskammer mangle es an jeder Kompetenz, über in diesem Verfahren gesetzte Akte der unabhängigen Rechtsprechung im Beschwerdeverfahren zu entscheiden.

Insoweit der Beschwerdeführer die Erlassung verschiedener "rechtsmittelfähiger" Bescheide beantrage, sei er darauf zu verweisen, dass ein Vollzugskammerbescheid nur dann ergehen könne, wenn eine entsprechende Beschwerde gegen eine konkrete Entscheidung vorliege.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung im Recht auf freie Religionsausübung, insbesondere auf Teilnahme an religiösen Veranstaltungen "seiner Glaubensgemeinschaft sowie Praktizierung seiner Religion durch die Aufnahme lediglich koscheren Essens", wie auch im Recht auf Verwendung seiner ungarischen Muttersprache im Verkehr mit Ämtern und Behörden geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, ohne eine Gegenschrift zu erstatten und ohne einen Antrag auf Kostenersatz für die Aktenvorlage zu stellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist festzustellen, dass die Entscheidung über eine allfällige Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf freie Religionsausübung in Art. 14 Abs. 1 StGG ("volle Glaubensfreiheit" für jedermann) bzw. in Art. 9 Abs. 1 EMRK (Anspruch u.a. auf Religionsfreiheit) durch einen letztinstanzlichen Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 144 B-VG in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fällt (vgl. auch Art. 133 Z. 1 B-VG).

§ 85 StVG (BGBl. Nr. 144/1969 i.d.F. BGBl. Nr. 799/1993) regelt auf einfachgesetzlicher Ebene in Bezug auf die Seelsorge in Strafanstalten Folgendes:

"Seelsorge

§ 85. (1) Jeder Strafgefangene hat das Recht, in der Anstalt am gemeinschaftlichen Gottesdienst und an anderen gemeinsamen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen und Heilsmittel sowie den Zuspruch eines an der Anstalt bestellten oder zugelassenen Seelsorgers zu empfangen. Der Anstaltsleiter kann aus Gründen der Sicherheit und Ordnung nach Anhörung des Seelsorgers Strafgefangene von der Teilnahme am Gottesdienst und an anderen Veranstaltungen ausschließen.

(2) Einem Strafgefangenen ist auf sein ernstliches Verlangen auch zu gestatteten, in der Anstalt den Zuspruch eines nicht für die Anstalt bestellten oder zugelassenen Seelsorgers seines eigenen Bekenntnisses zu empfangen. Die Entscheidung hierüber steht dem Anstaltsleiter zu.

(3) Ist in der Anstalt für ein Bekenntnis ein Seelsorger weder bestellt noch zugelassen, so ist dem Strafgefangenen auf sein Verlangen nach Möglichkeit ein Seelsorger namhaft zu machen, an den er sich wenden kann. Diesem ist der Besuch des Strafgefangenen zu dessen seelsorgerischer Betreuung zu gestatten.

(4) Strafgefangenen ist zu gestatten, auch außerhalb der Besuchszeiten (§ 94 Abs. 1) während der Amtsstunden den Besuch eines Seelsorgers zu empfangen. Der Inhalt der zwischen dem Strafgefangenen und dem Seelsorger geführten Gespräche ist nicht zu überwachen. Im Übrigen gelten für solche Besuche die §§ 94 und 95 dem Sinne nach."

Im Zusammenhang mit dieser Bestimmung (insbesondere dessen Abs. 3) macht der Beschwerdeführer geltend, dass sich Strafgefangene, die einer Religionsgemeinschaft zugehörten, für die ein entsprechender Seelsorger in der Anstalt nicht bestellt sei, um einen entsprechenden Kontakt zu einem solchen Seelsorger bemühen könnten und dieser Kontakt ihnen auch grundsätzlich zu bewilligen sei. Ausgehend davon, dass Angehörige mosaischen Glaubens ohnedies nur in sehr geringem Umfange in der Justizanstalt G ihren religiösen Bedürfnissen und den religiösen Feiern nachkommen könnten, sei den Strafgefangenen sohin unter Bedachtnahme des Grundrechtes auf freie Religionsausübung jedenfalls nach Möglichkeit auch die Teilnahme an Festlichkeiten der eigenen Religionsgemeinschaft zu ermöglichen. Dieses Recht sei dem Beschwerdeführer dadurch vorenthalten worden, dass seinem Antrag auf Überstellung in eine andere Justizanstalt zur Feier eines wesentlichen Festes der eigenen Religionsgemeinschaft nicht entsprochen worden sei. Die Hauptfeier, das "Rosch-ha-Schana" Fest, habe im Zeitraum vom 6. bis 8. September 2002 stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Anstaltsleitung über die Ausführung überhaupt noch nicht entschieden gehabt. Die Teilnahme an diesem Fest wäre ohne Beeinträchtigung der Einvernahme im Rechtshilfeweg vor dem Bezirksgericht für Zivilrechtssachen G am 26. September 2002 möglich gewesen. Wäre der Beschwerdeführer der Justizanstalt Josefstadt überstellt worden, hätte der erkennende Richter des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien den Beschwerdeführer statt der Einvernahme im Rechtshilfewege selbst einvernehmen können.

Dem ist entgegenzuhalten, dass § 85 Abs. 1 StVG, der gemäß dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 1999, VfSlg. Nr. 15.614, dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Religionsausübung Rechnung trägt, jedem Strafgefangenen nur ein Recht einräumt, in der Anstalt am gemeinschaftlichen Gottesdienst und an anderen gemeinsamen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1999, Zl. 97/20/0600). Auch § 85 Abs. 3 StVG räumt dem Strafgefangenen in dem Falle, dass in der Anstalt für ein Bekenntnis ein Seelsorger weder bestellt noch zugelassen ist, die Möglichkeit ein, dass ein Seelsorger namhaft zu machen ist, an den er sich wenden kann. Einem solchen Seelsorger ist nach dieser Regelung der Besuch des Strafgefangenen zu dessen seelsorgerischer Betreuung zu gestatten. Auch diese Regelung geht in Bezug auf einen namhaft gemachten Seelsorger davon aus, dass dieser Seelsorger den betreffenden Strafgefangenen in der Anstalt besuchen kann. Aus § 85 StVG ergibt sich kein Recht des Strafgefangenen, an religiösen Veranstaltungen in einer anderen Strafanstalt teilzunehmen.

Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, dass er Angehöriger der ungarischen Minderheit in Österreich sei und dass er sich als solcher in seinem Recht auf Verwendung der ungarischen Muttersprache im Umgang mit Ämtern und Behörden verletzt erachte. Auf Grund der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen und diverser weiterer gesetzlicher Bestimmungen sei das Ungarische in Österreich Minderheitensprache, es komme dieser auch das gleiche Recht zu wie anderen Minderheitensprachen, wie etwa dem Slowenischen oder dem Kroatischen. Im Hinblick darauf, dass sein Aufenthaltsort nicht freiwillig gewählt sei, seien ihm jene Rechte zuzubilligen, welche der ungarischen Minderheit in Teilen Österreichs zugebilligt würden, in welchen sie einen besonderen Schutz genössen. Es müsse ihm daher eingeräumt werden, mit Behörden und Ämtern in der ungarischen Sprache zu korrespondieren, da ansonsten eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung der ungarisch-stämmigen Minderheit in Österreich gegenüber staatsvertraglich besser gestellten Minderheiten bestünde.

Gemäß Art. 66 Abs. 4 des Staatsvertrages von Saint-Germain-en-Laye (StGBl. Nr. 303/1920) werden unbeschadet der Einführung einer Staatssprache durch die österreichische Regierung nicht Deutsch sprechenden österreichischen Staatsangehörigen angemessene Erleichterungen beim Gebrauche ihrer Sprache vor Gericht in Wort oder Schrift geboten werden.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 B-VG ist die deutsche Sprache, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.

Gemäß § 1 Abs. 2 VolksgruppenG, BGBl. Nr. 396/1976, sind Volksgruppen im Sinne dieses Bundesgesetzes die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nicht deutscher Muttersprache und eigenem Volkstum.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 3 VolksgruppenG sind durch Verordnungen der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates nach Anhörung der in Betracht kommenden Landesregierung festzulegen:

"3. Die Behörden und Dienststellen, bei denen zusätzlich zur deutschen Amtssprache die Verwendung der Sprache einer Volksgruppe zugelassen wird, wobei jedoch das Recht der Verwendung dieser Sprache auf bestimmte Personen oder Angelegenheiten beschränkt werden kann."

Die gemäß § 2 Z. 3 und Abs. 2 VolksgruppenG erlassene Verordnung der Bundesregierung über die Bestimmung der Gerichte, Verwaltungsbehörden und sonstigen Dienststellen, vor denen die ungarische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen wird, BGBl. II Nr. 229/2000 (Amtssprachenverordnung - Ungarisch), regelt für österreichische Staatsbürger und Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, vor welchen Gerichten, Verwaltungsbehörden und sonstigen Dienststellen die ungarische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist. Die belangte Behörde fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. In gleicher Weise regeln die Verordnungen der Bundesregierung BGBl. Nr. 307/1077 und BGBl. Nr. 231/1990 für die slowenischen und kroatischen Minderheiten, vor welchen Gerichten, Verwaltungsbehörden und sonstigen Dienststellen die Sprache dieser Volksgruppen als Amtssprache zugelassen ist. Die belangte Behörde ist auch von diesen Verordnungen nicht erfasst. Für die Erlassung dieser Verordnungen sind die in § 2 Abs. 2 VolksgruppenG verankerten Kriterien (u.a. bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen, die zahlenmäßige Größe der Volksgruppe, die Verbreitung ihrer Angehörigen im Bundesgebiet, ihr größenordnungsmäßiges Verhältnis zu anderen österreichischen Staatsbürgern in einem bestimmten Gebiet) maßgeblich.

Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (BGBl. III Nr. 216/2001) beruft, genügt es darauf zu verweisen, dass es sich dabei um einen Staatsvertrag handelt, der gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG mit Erfüllungsvorbehalt abgeschlossen wurde, der durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist (vgl. Walter - Mayer, Bundesverfassungsrecht9, S. 109, Rz. 239 f). Ein solcher Staatsvertrag richtet seine Verpflichtungen an den Gesetzgeber. Für die Rechtsunterworfenen ist ein solcher Staatsvertrag nicht unmittelbar anwendbar. Abgesehen davon betreffen die Regelungen dieses Vertrages für die Sprache Ungarisch in Österreich das ungarische Sprachgebiet im Land Burgenland und Ungarisch im Land Wien.

Wenn der Beschwerdeführer weiters rügt, dass die belangte Behörde nicht über seinen Antrag betreffend die mangelnde Verabreichung von koscheren Speisen entschieden hätte, ergibt sich daraus keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, da dieser Antrag - wie es auch dem Vorbringen entspricht - nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist.

Die Beschwerde war insgesamt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 23. Mai 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005060030.X00

Im RIS seit

23.06.2005

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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