TE OGH 1982/11/4 13Os112/82

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Veröffentlicht am 04.11.1982
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.November 1982

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Müller-Dachler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Günther A wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengerichts vom 16.April 1982, GZ. 10 Vr 622/82-9, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Oberlaner und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Stöger, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil zur Gänze aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Günther A wird von der Anklage, am 31.Oktober 1981 in Klagenfurt den Mario B dadurch, daß er diesen mit einem Fixiermesser mit 10 cm Klingenlänge in den Oberbauch stach, mit einem Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzt (13 cm lange, unter der Haut verlaufende Stichwunde) und hiedurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen.

Mit ihren Berufungen werden beide Parteien hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Günther A des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB schuldig erkannt.

Nach den Urteilsfeststellungen hielt er sich in den Morgenstunden des 31.Oktober 1981 in Klagenfurt in der Bar 'Kikeriki' auf, wurde dort von dem stark alkoholisierten und als Gewalttäter bekannten Mario B zunächst völlig grundlos geohrfeigt und dann - als ihm der Angeklagte nachging und ihn zur Rede stellen wollte - mit dem Fuß getreten. Als A nun neuerlich auf B zuging, kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf beide zu Boden stürzten; dabei kam B auf den Angeklagten zu liegen und traktierte ihn mit Faustschlägen (S. 77). In dieser Situation zog der Angeklagte ein Fixiermesser und stach seinen Widersacher in den Oberbauch. B erlitt dadurch eine leichte Verletzung, und zwar eine 13 cm lange, unter der Haut verlaufende Stichwunde.

Bei der rechtlichen Beurteilung ging das Gericht davon aus, daß der (erste) Angriff des B mit der Verabreichung der Ohrfeigen abgeschlossen war, die weiteren Vorgänge aber vom Angeklagten provoziert wurde. Er könne sich nicht auf Notwehr berufen, weil er im Zug eines Raufhandels, den er im Vertrauen auf den Besitz eines Springmessers fortgesetzt habe, seinem Gegner schließlich einen gezielten Stich versetzte.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu. Die Urteilsfeststellungen lassen keinesfalls die Annahme zu, daß der Angeklagte einen Angriff des B nur um der Abwehr willen provoziert hat (sg. 'Absichtsprovokation') und sich deshalb nicht auf Notwehr berufen kann. Eine nicht in diesem Sinn qualifizierte, aber sonst schuldhafte Provokation verpflichtet zwar zum Ausweichen vor dem provozierten Angriff, schließt aber Notwehr als letztes Mittel und damit eine solche Rechtfertigung der Tat nicht aus (EvBl. 1978/45, Steininger, Die Notwehr in der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, ÖJZ. 1980, 232).

Den Urteilskonstatierungen zufolge ging der Beschwerdeführer nach dem (abgeschlossenen) Angriff des B auf diesen zu, worauf es zu einem Handgemenge kam. An einem Raufhandel beteiligte Personen können sich zwar nicht schlechthin zur Rechtfertigung der jeweils selbst ausgeübten Gewalt auf eine Notwehrlage berufen. Eine solche Situation und damit gerechte Notwehr (§ 3 StGB) ist im Raufhandel nur beschränkt, so beispielsweise dem einzuräumen, der weiteren beachtlichen Angriffen ausgesetzt ist, obwohl er bereits überwunden und wehrlos ist, oder der selbst den Raufhandel (d.h. seine eigenen Angriffshandlungen) erkennbar aufgegeben hat, ebenso dem, gegen den sich ein vom Gegner ausgehender inadäquater Waffengebrauch richtet, der die Gegenseitigkeit von Angriffen und Abwehr sprengt (EvBl. 1973/223, 1974/103, RZ. 1973/59 u.a.).

Gegenständlichenfalls lautet die nach dem Vorgesagten letztlich entscheidungswesentliche Urteilsfeststellung dahin, daß 'B auf den Angeklagten zu liegen kam und diesen mit Fäusten bearbeitete' (S. 77). Mithin war eine einseitige Eskalation des Raufhandels gegeben, lag doch der Beschwerdeführer schon wehrlos auf dem Boden und mußte seitens des auf ihm liegenden B weitere, weder in ihrer Dauer noch in ihren Folgen absehbare, keineswegs ungefährliche Angriffe auf seine leibliche Unversehrtheit, nämlich eine Mehrzahl von Faustschlägen hinnehmen. In dieser Lage ist dem Rechtsmittelwerber zuzubilligen, daß er, als er mit dem Messer in den Oberbauch des Angreifers stach, sich nur der Verteidigung bediente, die notwendig war, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf seine körperliche Integrität abzuwehren (§ 3 StGB). Eine das Maß verläßlicher, d.h. wirksamer Abwehr überschreitende Reaktion kann, dies sei nochmals mit aller Deutlichkeit klargestellt, bei der erforderlichen Betrachtung der Situation aus der dem Täter möglichen Perspektive (ex ante) in dem Messerstich nicht erblickt werden. Folglich ist die verübte schwere Körperverletzung (§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB) durch Notwehr gerechtfertigt.

Demnach war der Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO Folge zu geben, gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO sogleich in der Sache selbst zu erkennen und der Angeklagte von der wider ihn erhobenen Anklage freizusprechen, ohne daß es einer Erörterung der weiteren Beschwerdepunkte bedurfte.

Mit ihren Berufungen waren beide Parteien auf diese Entscheidung zu verweisen.

Mit dem Schuldspruch geht das Einziehungserkenntnis unter. Indes war dieses ohnehin nichtig (§ 281 Abs. 1 Z. 11 StPO), weil Gegenstände, die auch rechtmäßigem Gebrauch dienen und von jedermann frei erworben und besessen werden dürfen, nicht der Einziehung (§ 26 StGB) unterliegen (LSK. 1978/143). Als ein solcher Gebrauchsgegenstand ist auch ein Fixiermesser (mit Feststellvorrichtung für die Klinge) anzusehen (SSt. XLI/25).

Anmerkung

E03911

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0130OS00112.82.1104.000

Dokumentnummer

JJT_19821104_OGH0002_0130OS00112_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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