TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/2 2004/16/0266

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Veröffentlicht am 02.06.2005
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Index

E3R E02100000;
E3R E02200000;
E3R E02202000;
E3R E02300000;
E3R E02400000;
E6J;

Norm

31992R2913 ZK 1992 Art204 Abs1 lita;
31992R2913 ZK 1992 Art204 Abs3;
31992R2913 ZK 1992 Art4 Z21;
31993R2454 ZKDV 1993 Art859;
61998CJ0048 Soehl und Soehlke VORAB;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der V A.S. Türkei, vertreten durch Dr. Michael Mathes und Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Marc Aurel-Straße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Zollsenat 1 (W), vom 22. Oktober 2004, Zl. ZRV/0058-Z1W/02, betreffend Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 7. Mai 2001 schrieb das Hauptzollamt Graz der beschwerdeführenden Partei für das im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren an das Hauptzollamt Graz angewiesene Versandgut nach Art. 204 Abs. 1 lit. a zweiter Halbsatz und Abs. 3 Zollkodex (ZK) in Verbindung mit den §§ 2 Abs. 1 und 108 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) die Eingangsabgabenschuld samt Abgabenerhöhung in der Höhe von S 467.317,-- (EUR 33.961,25) vor. In der Begründung dieses Bescheides führte das Hauptzollamt Graz aus, die eingangsabgabenpflichtigen Waren seien auf der Straße in Carnet TIR Verfahren (Inhaberin des Verfahrens war die beschwerdeführende Partei) am 2. Mai 2001 aus der Türkei über ein österreichisches Grenzzollamt in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden. Der Lenker des Beförderungsmittels habe am 2. Mai 2001 im Bereich des näher bezeichneten Speditionsunternehmens in Österreich den angelegten Zollverschluss vorsätzlich ohne Beisein eines Zollorganes abgenommen. Durch die widerrechtliche Abnahme des Raumverschlusses seien die Pflichten aus dem Verfahren, nämlich die Waren unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen, nicht erfüllt worden und damit sei die Zollschuld für die beschwerdeführende Partei gemäß Art. 204 ZK entstanden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die beschwerdeführende Partei vor, die Zollschuld könne durch das Öffnen des Raumverschlusses entweder für das Speditionsunternehmen, welches die Öffnung des Raumverschlusses veranlasst habe, oder für den Lenker des Beförderungsmittels entstanden sein. Der Lenker des Beförderungsmittels sei angewiesen worden, zum Speditionsunternehmen zu fahren. Dort sei er weiter angewiesen worden, seine Zollunterlagen herauszugeben und den Raumverschluss zu öffnen. Der Raumverschluss sei vom Lenker des Beförderungsmittels nach ausdrücklicher Weisung des Speditionsunternehmens geöffnet worden. Dieses habe daher durch die ausdrückliche Weisung zur Öffnung des Raumverschlusses gegen die Pflichten aus dem Verfahren verstoßen, weshalb die Zollschuld für das Speditionsunternehmen entstanden sei. Das Verhalten des Lenkers des Beförderungsmittels sei dem Speditionsunternehmen zuzurechnen, weil die Handlung im Machtbereich dieses Speditionsunternehmens stattgefunden habe und dies auf Grund einer ausdrücklichen Weisung des Speditionsunternehmens. Die Waren seien, nachdem sie ihren Empfängern überbracht worden seien, ordnungsgemäß verzollt worden und der vorgeschriebene Zoll sei von den Zollschuldnern entrichtet worden. Der Warenempfänger in Frankreich habe die Waren beim Zollamt in Straßburg ordnungsgemäß verzollt und einen Abgabenbetrag bezahlt. Nachdem dieser Betrag in Frankreich bereits bezahlt worden sei, stelle die Verzollung in Österreich eine unzulässige Doppelbelastung dar und sei nicht rechtmäßig. Auch in Österreich sei der Zoll bereits vom Zollschuldner bezahlt worden, weshalb die Waren in Österreich bereits ordnungsgemäß verzollt seien. Weiters bekämpfte die beschwerdeführende Partei die Nichtanführung der Rechtsgrundlagen für die Vorschreibung der Einfuhrumsatzsteuer, die herangezogene Bemessungsgrundlage und die Vorschreibung der Abgabenerhöhung. Vorgelegt wurde weiters ein Gedächtnisprotokoll des Lenkers des Beförderungsmittels, in dem angegeben wird, dass die Entfernung der Zollplombe auf Grund der Anweisung einer Bediensteten des Speditionsunternehmens erfolgt sei.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 11. Juli 2001 wies das Hauptzollamt Graz die Berufung als unbegründet ab.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Administrativbeschwerde wiederholte die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen ihr Berufungsvorbringen. Weiters wurde als Beweis der Lenker des Beförderungsmittels als Zeuge dafür namhaft gemacht, dass auf Grund der Aufforderung durch das Speditionsunternehmen bei ihm der Eindruck entstanden sei, dass dieses als zugelassener Empfänger zur Abnahme des Zollsiegels befugt sei und weiters dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 859 ZK-DVO vorlägen, weshalb die Vorschreibung der Einfuhrzollschuld gemäß Art. 204 Abs. 1 ZK zu entfallen habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid ergänzte die belangte Behörde den Spruch des Bescheides erster Instanz vom 7. Mai 2001 dahingehend, dass nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a zweiter Halbsatz und Abs. 3 ZK in Verbindung mit Art. 859 ZK-DVO in der Fassung bis zum 30. Juni 2001 und Art. 213 ZK sowie in Verbindung mit den §§ 2 Abs. 1 und 108 Abs. 1 ZollR-DG am 2. Mai 2001 die Abgabenschuld entstanden sei. Im Übrigen wurde die Administrativbeschwerde als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides heißt es, im Beschwerdefall sei durch die eigenmächtige Verschlussabnahme durch den Lenker des Beförderungsmittels eine Verletzung der Pflichten des Carnet-TIR-Verfahrens bzw. des externen Versandverfahrens erfolgt, nämlich der Verpflichtung, die Versandware mit unverletzten Zollverschlüssen von der Abgangszollstelle zur Bestimmungszollstelle zu befördern, sodass der Zollschuldtatbestand des Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a zweiter Fall ZK für den Pflichteninhaber verwirklicht worden sei. Verfahrensinhaber des Carnet-TIR-Verfahrens sei gemäß den von der türkischen Zollbehörde ausgestellten Papieren die beschwerdeführende Partei. Sie habe damit die aus dem Verfahren sich ergebenden Verpflichtungen und Verantwortungen ungeachtet des Umstandes übernommen, dass sie sich für die Anmeldung und Durchführung des Verfahrens eines Erfüllungsgehilfens bediene, dessen Verhalten der beschwerdeführenden Partei zuzurechnen sei und der allenfalls bei einer Pflichtverletzung neben der beschwerdeführenden Partei ebenfalls zum Zollschuldner gemäß

Artikel 204 Abs. 3 ZK werde. Die beschwerdeführende Partei und der Lenker des Beförderungsmittels seien Gesamtschuldner nach Art. 213 ZK. Da die Zollzuwiderhandlung in Österreich erfolgt und festgestellt worden sei, sei Österreich gemäß Art. 454 ZK-DVO der für die Erhebung der Eingangsabgaben zuständige Mitgliedstaat.

Art. 204 Abs. 1 letzter Halbsatz ZK schließe das Entstehen einer Zollschuld dann aus, wenn es sich um eine Verfehlung minderen Grades handle, die sich nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt habe. Es sei daher zu prüfen, ob die Regelungen des Art. 859 ZK-DVO eine Heilung der begangenen Pflichtverletzung bewirkt hätten. Voraussetzung dabei sei auch, dass eine in den neun Fallgruppen des Art. 859 ZK-DVO umschriebene Verfehlung vorliege. Die rechtswidrige Abnahme des Zollverschlusses sei in den Heilungstatbeständen des Art. 859 ZK-DVO nicht angeführt. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre werde die Auffassung vertreten, dass es sich bei diesen Fallgruppen um eine taxative Aufzählung handle, die nicht durch rechtsanwendende Organe erweitert werden könne (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. November 1999, Rs C-48/98; Witte, Kommentar zum Zollkodex3, Artikel 204, Rz 59). Da im materiellen Abgabenrecht die Rechtslage zum Zeitpunkt der Verwirklichung des abgabenrelevanten Sachverhaltes zur Anwendung komme, seien die durch die Verordnungen der Kommission mit Wirkung ab 1. Juli 2001 vorgenommenen Änderungen in Art. 859 ZK-DVO nicht anzuwenden. Da somit eine Heilung der Pflichtverletzung im Sinne des Art. 859 ZK-DVO schon deswegen nicht in Betracht komme, erübrige sich ein Eingehen auf das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen. Der Katalog der Heilungstatbestände in Art. 859 ZK-DVO umschreibe nur objektive Tatbestände. Daher erübrige sich auch ein weiteres Eingehen auf den erhobenen Einwand, der Lenker des Beförderungsmittels habe den Eindruck gehabt, die Spedition sei als zugelassener Empfänger zur Verschlussabnahme befugt gewesen. Zu dem Einwand, die Zollschuld sei nicht für die beschwerdeführende Partei, sondern für das Speditionsunternehmen entstanden, weil die Verschlussverletzung in den Betriebsräumen und auf Weisung einer Firmenangestellten erfolgt sei, werde darauf verwiesen, dass bezüglich des Vorfalls am 2. Mai 2001 mit dem Lenker des Beförderungsmittels eine Niederschrift aufgenommen worden sei, bei der er zu Beginn darauf hingewiesen habe, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei und daher um Beiziehung eines Dolmetschers ersuche. Dem sei die Behörde nachgekommen, der zur Einvernahme beigezogene Dolmetsch habe, wie auch der Lenker des Beförderungsmittels und der Leiter des Amtshandlung die Niederschrift unterfertigt. In der Niederschrift habe der Lenker des Beförderungsmittels zu Protokoll gegeben, dass er seit sieben Jahren im internationalen Transportverkehr tätig sei, ihm Zollabfertigungen geläufig seien und er den Sinn eines Zollverschlusses verstehe. Die Angestellte des Speditionsunternehmens habe ihm zu verstehen gegeben, dass "der Zoll" gegen 15.00 Uhr eintreffen werde und er bis dahin warten solle. Zu diesem Vorgang sei auch die Speditionsangestellte als Zeugin einvernommen worden. Diese habe angegeben, dass sie den Lenker des Beförderungsmittels angewiesen habe, "bis zum Eintreffen des Zolls" um ca. 15.00 Uhr zu warten und dass sie ihn weder aufgefordert habe, den Zollverschluss abzunehmen, noch mit der Entladung zu beginnen. Zwischen 15.00 und 15.15 Uhr sei der Fahrer wieder in ihrem Büro erschienen und habe weitere Weisungen erbeten. Da das Eintreffen des Zollorgans unmittelbar bevorgestanden sei, habe sie ihm zu verstehen gegeben, den LKW an einen freien Platz im Bereich der Rampe zu stellen, sie habe ihn aber weder aufgefordert, den Zollverschluss abzunehmen, noch mit der Entladung zu beginnen.

Mit den Aussagen der Zeugin konfrontiert, habe der Lenker des Beförderungsmittels bestätigt, dass ihm von der Speditionsangestellten gesagt worden sei, sich einen freien Platz an der Rampe zu suchen, er aber nicht zur Abnahme des Zollverschlusses aufgefordert worden sei und dass er diesbezüglich auch nicht nachgefragt habe. Er habe das aber so aufgefasst, dass er in Anbetracht des unmittelbar bevorstehenden "Eintreffens des Zolls" auch den Verschluss abnehmen sollte, weil ja auch ein Zuschieben zur Rampe ohne Öffnen der Ladetüre und vorheriger Verschlussabnahme nicht möglich gewesen wäre. Kurz nach Beginn der Entladung sei er dann von einem Angestellten der Speditionsfirma aufgefordert worden, mit dem Entladen sofort aufzuhören. Auf Grund dieser übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen sei erwiesen, dass die Verfehlung der unbefugten Verschlussabnahme dem Lenker des Beförderungsmittels und nicht einem Mitarbeiter des Speditionsunternehmens zuzurechnen sei, sodass eine Einbeziehung des Speditionsunternehmens in den Kreis der Zollschuldner durch eine wie immer geartete Verfehlung nicht in Betracht komme. Der relevante Kern der Sache sei durch die Vernehmungen hinreichend geklärt und es sei in Anbetracht der übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen nicht zu ersehen, dass der Lenker des Beförderungsmittels aus Nervosität unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe. In dieser Hinsicht sei der erstinstanzlichen Beweiswürdigung zu folgen, dass diese zunächst getätigten Aussagen des Lenkers des Beförderungsmittels der Wahrheit entsprächen und nicht sein nachgereichtes Gedächtnisprotokoll mit der veränderten Version des Vorfalls. Eine nochmalige mündliche Erörterung des Sachverhaltes sei somit nicht zielführend und habe daher unterbleiben können.

In Folge der Pflichtverletzung entstehe im Versandverfahren gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK für die gesamte Ware nicht nur die Abgabenschuld für den Zoll, sondern gemäß § 2 Abs. 1 ZollR-DG auch für die Einfuhrumsatzsteuer. Die Eingangsabgabenschuld sei am 2. Mai 2001 entstanden und vom örtlich zuständigen Hauptzollamt Graz buchmäßig erfasst worden. Der Betrag sei zur Gänze offen, sodass der Einwand der beschwerdeführenden Partei, die Einfuhrumsatzsteuer sei vom Steuerschuldner bereits bezahlt, unrichtig sei. Ein Schuldnerwechsel oder Schuldbeitritt einer anderen Person würde im Akt aufscheinen. Sollten in Frankreich nochmals Eingangsabgaben entrichtet worden sein, dann wäre dies jedenfalls rechtsgrundlos erfolgt. Es liege eine Gesamtschuld des Inhabers des Carnet-TIR-Verfahrens und des Lenkers des Beförderungsmittels gemäß Art. 213 ZK vor.

Bei der Heranziehung eines von mehreren Zollschuldnern habe die Zollbehörde Ermessen gemäß § 20 BAO zu üben. Unter dem Billigkeitsaspekt sei im externen Versandverfahren bzw. im Carnet-TIR-Verfahren zunächst zu beachten, dass die beschwerdeführende Partei Verfahrensinhaberin sei und im Vergleich zum Lenker des Beförderungsmittels den stärkeren wirtschaftlichen Bezug zu dem Vorgang habe. Der Verfahrensinhaber schließe das für den Transport zugrunde liegende Rechtsgeschäft ab, stelle den Antrag zur Durchführung des Zollverfahrens bei der Zollbehörde, führe den Transport für seine Rechnung durch und bediene sich für die Abwicklung dieser Vorgänge der von ihm ausgewählten Erfüllungsgehilfen. Dem Verfahrensinhaber sei die Beförderung der Waren unter zollamtlicher Überwachung anvertraut und dieser übernehme die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens einschließlich des damit verbundenen Risikos, als Abgabenschuldner auch für fremdes Fehlverhalten einstehen zu müssen. Er habe eine besondere Garantenstellung, welche die primäre Heranziehung zur Abgabenleistung rechtfertige. Unter dem Zweckmäßigkeitsaspekt sei auf die Einbringung bzw. Einbringlichkeit der Abgaben zu achten. Die im internationalen Transportgewerbe tätige beschwerdeführende Partei sei im Vergleich zum Lenker des Beförderungsmittels der wirtschaftlich leistungsfähigere Zollschuldner. Unter Abwägung dieser Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsargumente sei die beschwerdeführende Partei zur Leistung der Eingangsabgabenschuld heranzuziehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem gesetzlich gewährleisteten "Recht auf Nichtfeststellung der Entstehung der Abgabenschuld mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen" verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wird im Zusammenhang mit einen Transport mit Carnet TIR oder einem Versandvorgang mit Carnet ATA in einem bestimmten Mitgliedstaat eine Zuwiderhandlung festgestellt, so erhebt gemäß Art. 454 Abs. 2 ZK-DVO, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung, dieser Mitgliedstaat die Zölle und anderen gegebenenfalls zu entrichtenden Angaben unbeschadet strafrechtlicher Maßnahmen gemäß den gemeinschaftlichen oder innerstaatlichen Vorschriften.

Gemäß Art. 91 Abs. 1 ZK können Nichtgemeinschaftswaren und Gemeinschaftswaren im externen Versandverfahren zwischen zwei innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelegenen Orten befördert werden.

Nach Art. 91 Abs. 2 Buchstabe b Z 1 ZK erfolgt die Beförderung nach Art. 91 Abs. 1 ZK mit Carnet TIR (TIR-Übereinkommen), sofern eine solche Beförderung außerhalb der Gemeinschaft begonnen hat oder enden soll.

Gemäß Art. 92 Abs. 1 ZK endet das externe Versandverfahren und die Verpflichtungen des Inhabers sind erfüllt, wenn die in dem Verfahren befindlichen Waren und die erforderlichen Dokumente entsprechend den Bestimmungen des betreffenden Verfahrens am Bestimmungsort der dortigen Zollstelle gestellt werden.

Nach Art. 4 Z 21 ZK ist Inhaber des Zollverfahrens die Person, für deren Rechnung die Zollanmeldung abgegeben wird, oder die Person, der die Rechte und Pflichten der vorgenannten Person im Zusammenhang mit einem Zollverfahren übertragen worden sind.

Gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Artikel 203 ZK genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

Gemäß Abs. 3 des Art. 204 ZK ist Zollschuldner die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.

Die Zollbehörden betrachten gemäß Art. 860 ZK-DVO eine Zollschuld als im Sinne des Art. 204 Abs. 1 des ZK entstanden, es sei denn, der vermutliche Zollschuldner weist nach, dass die Voraussetzungen des Art. 859 ZK-DVO erfüllt sind.

Art. 859 ZK-DVO in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung (vor dem 1. Juli 2001) hat auszugsweise folgenden Inhalt:

"Folgende Verfehlungen gelten im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des ZK als Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern

-

es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen;

-

keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt;

-

alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen:

...

              2.              Im Falle von Waren im Versandverfahren, das Überschreiten der Gestellungsfrist der Waren bei der Bestimmungszollstelle, sofern die Gestellung nachträglich erfolgt;"

Im Beschwerdefall ist durch das widerrechtliche Abnehmen des zur Sicherung der Nämlichkeit der beförderten Waren angelegten Raumverschlusses durch den Lenker des Beförderungsmittels eine Zuwiderhandlung im Carnet TIR Verfahren erfolgt. Damit war eine Pflichtverletzung gegeben, die den Tatbestand des Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK verwirklichte.

Die im Beschwerdefall vorliegende Verfehlung ist keine in Art. 859 ZK-DVO in der vor dem 1. Juli 2001 anzuwendenden Fassung angeführte Verfehlung, die sich auf die Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat. Die Aufzählung der Verfehlungen in Art. 859 ZK-DVO ist taxativ (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. November 1999, Rs C-48/98). Im Versandverfahren war in der vor dem 1. Juli 2001 anzuwendenden Fassung nur das Überschreiten der Gestellungsfrist eine angeführte Verfehlung, nicht aber die Verletzung des Zollverschlusses. Die Zollschuld entstand daher im Beschwerdefall nach Art. 204 ZK. Dies auch dann, wenn kein Versuch vorlag, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen, oder dem Lenker des Beförderungsmittels keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte.

Die beschwerdeführende Partei war Inhaber des Zollverfahrens und sie hatte die aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens sich ergebenden Pflichten zu erfüllen. Durch das widerrechtliche Verhalten des Lenkers des Beförderungsmittels entstand für sie nach Art. 204 Abs. 3 ZK die Zollschuld, weil eine der Pflichten nicht erfüllt wurde.

Die belangte Behörde hat weiters ihre Ermessensentscheidung - wie im Sachverhalt dargestellt - begründet. Entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Partei rechtfertigen die von der belangten Behörde angeführten Gründe die Heranziehung der beschwerdeführenden Partei zur Entrichtung der nach Art. 204 ZK entstandenen Zollschuld.

Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid zu dem Schluss gekommen, der Lenker des Beförderungsmittels habe den angebrachten Zollverschluss nicht über Weisung des Speditionsunternehmens, sondern eigenmächtig entfernt, ohne den in der Administrativbeschwerde als Zeugen namhaft gemachten Lenker des Beförderungsmittels zu hören und ohne konkret die Gründe anzuführen, weshalb seine Anhörung durch die belangte Behörde unterblieben ist.

Dieser in der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel ist im Beschwerdefall aber deswegen nicht wesentlich, weil unabhängig davon, ob die Entfernung des Zollverschlusses über Weisung einer Speditionsangestellten erfolgt ist oder nicht, die Zollschuld jedenfalls für die beschwerdeführende Partei als Inhaberin des Verfahrens entstanden ist. Dass die Innehabung des Verfahrens bereits auf das Speditionsunternehmen übergegangen wäre, wird selbst in der Beschwerde nicht behauptet. Dem Verfahrensmangel kommt daher im Beschwerdefall bei der Vorschreibung der Eingangsabgabenschuld keine Relevanz zu.

Die Einvernahme des Lenkers des Beförderungsmittels als Zeugen zu der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 859 ZK-DVO konnte mit Recht unterbleiben, weil die Frage, ob die Verletzung des Zollverschlusses im Versandverfahren in der taxativen Aufzählung der Heilungstatbestände des Art. 859 ZK-DVO in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung angeführt war, als Rechtsfrage nicht in einem Ermittlungsverfahren zu klären war, in dem der beantragte Zeuge zu hören gewesen wäre. Auf die weiteren Voraussetzungen des Art. 859 ZK-DVO, die ein Zollschuldner nachzuweisen hat, kam es nicht mehr an.

Aus den angeführten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte nach § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. Juni 2005

Gerichtsentscheidung

EuGH 61998J0048 Soehl und Soehlke VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004160266.X00

Im RIS seit

20.07.2005

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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