TE OGH 1985/2/14 8Ob3/85

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Veröffentlicht am 14.02.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj B***** N*****, vertreten durch ihren Vater und gesetzlichen Vertreter A***** N*****, beide *****, vertreten durch Dr. Hubert Stüger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, wider die beklagten Parteien 1.) Firma B*****, 2.) H***** L*****, 3.) O***** Versicherungsanstalt, *****, alle vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 600.000 s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 28. September 1984, GZ 5 R 219/84-18, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 19. Juni 1984, GZ 7 a Cg 58/84-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 17.353,41 (darin S 1.200 Barauslagen und S 1.468,49 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Unbestritten ist, daß sich am 17. 1. 1980 ein Verkehrsunfall ereignete, an dem die Erstbeklagte als Halterin und Eigentümerin, der Zweitbeklagten als Lenker des LKW Steyr mit dem Kennzeichen *****, welcher bei der Drittbeklagten versichert war und die Mutter die Klägerin, C***** N*****, als Lenkerin des PKW Opel Kadett Kombi mit dem Kennzeichen ***** beteiligt waren. Die Mutter der Klägerin war damals im fünften Monat schwanger; die Klägerin kam am 20. 5. 1980 zur Welt. Den gegenständlichen Unfall hat der Zweitbeklagte allein verursacht und verschuldet, da er mit dem von ihm gelenkten LKW infolge Einhaltung einer zu hohen Geschwindigkeit und unter Berücksichtigung der Fahrbahn- und Sichtverhältnisse auf die linke Seite geriet, wodurch er mit dem von der Mutter der Klägerin gelenkten PKW auf der rechten Fahrbahn zusammenstieß. Mit Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 28. 3. 1983, 1 Cg 616/81, hat das Kreisgericht Wels festgestellt, daß die Beklagten der Klägerin gegenüber für alle aus dem Unfall vom 17. 1. 1980 entstehenden Schäden zur ungeteilten Hand zu haften haben, wobei die Haftung der Drittbeklagten auf den mit der Erstbeklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrag beschränkt ist.

Die Klägerin forderte ein Schmerzengeld von S 600.000 s.A. und S 12.900,80 s.A. an Behandlungskosten, Fahrtauslagen und dergleichen. Sie brachte vor, daß sie durch den Unfall einen schweren Zerebralschaden erlitten habe. Es bestünden deutliche Hirnrindenatrophien sowie eine Spastizität durch Schädigung der motorischen Zentren. Die Klägerin könne derzeit auf Grund dieser körperlichen Gebrechen weder sitzen noch stehen, noch krabbeln, noch sich sonst in irgendwelcher Weise fortbewegen. Die deutlichen Hirnschäden seien durch die lange Bewußtlosigkeit und Schockwirkung der Mutter der Klägerin entstanden. Eine Besserung des Zustandes der Klägerin sei in Zukunft nicht zu erwarten. Die Klägerin werde ein dauernder Pflegefall bleiben. Durch die Unfallsverletzungen fehlten der Klägerin alle positiven Entwicklungsfreuden und Anpassungsempfindungen. Es bedeute dies eine schwerste Störung der gesamten Entwicklung und der positiven Lebensfreude. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei ein Schmerzengeld in Höhe von S 600.000 angemessen. Durch Fahrten zu Ärzten, Heilpraktikern, sowohl in Österreich als auch in Deutschland seien Kosten in der Höhe von S 12.900,80 entstanden, die sich aus Behandlungs- und Medikamentenkosten sowie aus Fahrt- und Übernachtungskosten zusammensetzen.

Die beklagten Parteien wendeten ein, daß eine Zukunftsprognose insbesondere in der Richtung, daß die Klägerin ein dauernder Pflegefall bleiben werde, nicht richtig sei. Ein Schmerzengeldanspruch sei deshalb grundsätzlich nicht gerechtfertigt, da die Klägerin subjektiv ihre Situation nicht wahrnehmen könnte und auch über keine Beschwerden klage.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 607.508 s.A., darin S 600.000 s.A. Schmerzengeld zu, und wies das Mehrbegehren von S 5.392,80 s.A. ab.

Die nur gegen den Schmerzengeldzuspruch gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Abweisung des gesamten, allenfalls des S 200.000 übersteigenden Schmerzengeldanspuches; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr der Schmerzengeldanspruch strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Am 17. 1. 1980 fuhr die Mutter der Klägerin mit dem oben angeführten PKW ohne Gurt von Vöcklabruck nach St. Georgen. Sie war damals im fünften Monat schwanger. Auf der Attersee-Landesstraße kam ein LKW der erstbeklagten Partei, gelenkt vom Zweitbeklagten, der einen Schneepflug überholte, entgegen und stieß mit dem Fahrzeug der Mutter der Klägerin zusammen. Bei diesem Unfall erlitt die Schwangere eine Gehirnerschütterung, einen rechtsseitigen Gesichtsschädelbruch, verschiedene Wunden im Bereich der Glabella und des Nasenrückens, einen offenen Nasenbeintrümmerbruch, einen rechtsseitigen Speichenbruch, einen linksseitigen Oberarmbruch, einen Außenknöchelbruch rechts sowie einen Schock. Sie war vier bis fünf Stunden bewußtlos. Die Klägerin kam am 20. 5. 1980 mit einem schweren unfallsbedingten Cerebralschaden zur Welt. Die Klägerin ist von fast normaler Größe, jedoch untergewichtig. Der körperliche Schaden ist auf einen Hirnschaden in Form eines Hirnschwundes zurückzuführen. Die Muskelkraft ist durch die Nervenschädigigung nicht entsprechend. Durch Schädigung der motorischen Zentren besteht eine Spastizität, die vor allem an den unteren Gliedmaßen ausgebildet ist. Die Klägerin kann sich noch nicht selbständig aufsetzen, krabbeln oder sich sonst fortbewegen. Gehen und Stehen ist überhaupt unmöglich. Neben dem körperlichen Schaden besteht auch ein geistiger Rückstand. Die Klägerin kann im Binet-Simon-Test die Aufgaben des dritten Lebensjahres nicht lösen. Sie kann sich nur schwer orientieren, versteht einige Worte und kann auch einige nachsprechen, allerdings kaum verständlich. Sie hat schon Blickzuwendungen, ist aber in der geistigen Reife stark zurückgeblieben. Ein normaler Schulbesuch wird sicher unmöglich sein. Die Klägerin wurde im Krankenhaus Vöcklabruck der Bobath-Therapie unterzogen, was jedoch zu keinem wesentlichen sichtbaren Erfolg führte. Sie wird ein dauernder Pflegefall bleiben. Daß sie nicht über Schmerzen klagt, ist darauf zurückzuführen, daß das Gehirn als solches schmerzfrei ist. Die Schmerzen sind im übertragenen Sinne als allgemeines Unlustgefühl aufzufassen. Die Klägerin erfaßt die eigene Situation nicht, weil sie gar nichts anderes kennt und sie von den Eltern sehr gut betreut wird. Durch Pflegemängel würden sehr leicht Beschwerden eintreten und körperliche Unlustgefühle entstehen. Die Klägerin wird kaum jemals einen Beruf ergreifen können und befindet sich etwa auf dem Niveau eines sechs bis sieben Monate alten Kindes.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß die verletzungsbedingte Behinderung der Klägerin diese insbesonders in ihrem kindlichen Bewegungsdrang beeinträchtige. Diese Beeinträchtigung habe zweifellos Unlustgefühle und seelische Schmerzen zur Folge, die durch ein angemessenes Schmerzengeld abzugelten seien. Wenn die Klägerin bedingt durch ihren Gehirnschaden sich ihrer schweren Behinderung wohl nicht in vollem Umfang bewußt sei, so sei ein solches volles Bewußtsein für das zuzuerkennende Schmerzengeld ohne Belang, da es für den Schmerzengeldanspruch nicht erforderlich sei, daß der Verletzte seine Schmerzen bei klarem Bewußtsein erlebe und rational verarbeite. Auf Grund dieser Erwägungen und im Hinblick darauf, daß die bei der Klägerin zu erwartende Entwicklung keine bedeutende Änderung ihres Zustandes bringen wird, erscheine der Zuspruch eines Schmerzengeldbetrages von S 600.000 als durchaus angemessen und gerechtfertigt.

Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes billigte das Berufungsgericht auch dessen rechtliche Beurteilung.

Der Revisionsgrund nach § 503 Abs. 1 Z 2 ZPO liegt nicht vor, was nicht weiter zu begründen ist (§ 510 Abs. 3 ZPO).

In der Rechtsrüge führen die Beklagten aus, nach den Feststellungen verspüre die Klägerin auf Grund der unfallskausalen Verletzungen keine Schmerzen und könne ihre eigene Situation nicht erfassen. Es gebühre ihr daher kein Schmerzengeld. Bezüglich der Höhe des Schmerzengeldes hält die Revision ein solches von höchstens S 200.000 für angemessen.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß die Klägerin nach den unbekämpften Feststellungen in ihrer geistigen Reife zwar stark zurückgeblieben ist, sie versteht jedoch einige Worte und kann auch einige nachsprechen. Sie hat zwar durch ihre Hirnverletzung keine körperlichen Schmerzen; die Schmerzen sind jedoch im übertragenen Sinn als allgemeines Unlustgefühl aufzufassen. Diese psychische Beeinträchtigung der Klägerin begründet aber entgegen der Auffassung der Revision sehr wohl einen Anspruch auf Schmerzengeld, da nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schmerzen zu berücksichtigen sind (vgl. ZVR 1971/204 uva). Für den Anspruch auf Schmerzengeld ist nicht erforderlich, daß der Verletzte die Schmerzen mit klarem Bewußtsein erlebt und rational verarbeitet (vgl. SZ 44/150 ua). Wenn die Klägerin nach den Feststellungen ihre Situation nicht erfaßt, weil sie gar nichts anderes kennt und sie von den Eltern gut betreut wird, bedeutet das, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, keineswegs, daß die Klägerin auch in Hinkunft außer Stande sein wird, ihre tragische Situation zu erfassen und darunter zu leiden. Die Klägerin wird ein dauernder Pflegefall bleiben und sie kann sich weder selbständig aufsetzen noch krabbeln oder sich sonst fortbewegen. Mit ihrer trotz der schweren geistigen Behinderung fortschreitenden Entwicklung wird die Klägerin beim Vergleich mit den Möglichkeiten ihrer gesunden Mitmenschen ihre eigene schwere Behinderung doch erkennen können und darunter leiden. Dem Berufungsgericht ist auch beizupflichten, daß es nicht gerechtfertigt ist, im vorliegenden Fall einen Schmerzengeldanspruch der Klägerin zu verneinen, während etwa einem Verletzten ab dem Zeitpunkt, da sein Bewußtsein nicht mehr gänzlich ausgeschaltet war, Schmerzengeld zuzuerkennen ist (vgl. ZVR 1979/101 ua). Ohne Rechtsirrtum hat daher das Berufungsgericht den Schmerzengeldanspruch der Klägerin dem Grunde nach bejaht. Was die Höhe des Schmerzengeldes anlangt, ist dem Berufungsgericht ebenfalls darin zu folgen, daß wegen der außerordentlichen Schweren der Hirnverletzungen und der damit für das gesamte Leben der Klägerin verbundenen Folgen selbst unter Bedachtnahme darauf, daß sie ihren Leibes- und Geisteszustand objektiv nicht zu beurteilen und die Tragik ihres Schicksals nicht voll zu erfassen vermag, der Zuspruch eines Betrages von S 600.000 an Schmerzengeld gerechtfertigt ist.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E05330

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00003.850.0214.000

Im RIS seit

16.01.1995

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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