TE OGH 1985/2/19 11Os4/85

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Veröffentlicht am 19.02.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Februar 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kohlegger als Schriftführer in der Strafsache gegen Ernst Friedrich P*** wegen des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3. Oktober 1984, GZ 20 m Vr 3.109/84-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Dolezel, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 17.Mai 1964 geborene beschäftigungslose Ernst Friedrich A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, sich in der Nacht zum 11.März 1984 in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen zu haben, seine Mutter Charlotte B zu töten, indem er sie zuerst mit beiden Händen am Hals würgte und sie sodann mit einem Schuhband drosselte, bis ihr Blut aus Nase und Ohr floß. Die Geschwornen hatten (jeweils mehrheitlich mit fünf zu drei Stimmen) die anklagekonform auf Mord lautende Hauptfrage 1 verneint, die Eventualfrage 4

nach Totschlag aber bejaht; die Zusatzfragen 5 und 6 nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) bzw. verschuldeter voller Berauschung (§ 287 Abs. 1 StGB) waren (jeweils stimmeneinhellig) verneint worden. Eine Beantwortung der weiters gestellten Fragen hatte sohin zu entfallen.

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer nur auf den Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Nach Ansicht der Anklagebehörde ist die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung zunächst deshalb unrichtig, weil sich der Schwurgerichtshof damit begnügte, zur Erklärung des Begriffs der Gemütsbewegung auf die für Laienrichter unverständlichen Ausdrücke 'sthenische' und 'asthenische Affekte' hinzuweisen und (in Klammer) für jeden dieser Rechtsbegriffe ohne nähere Erklärung unzureichende Beispiele anzuführen, ohne alle denkbaren Möglichkeiten einer Gemütsbewegung zu erörtern. Daß die Geschwornen durch die Mangelhaftigkeit dieses Teils der Rechtsbelehrung zu einem unrichtigen Verständnis des Begriffs der Gemütsbewegung gelangten, zeige sich aus der sinnwidrigen Begründung in der Niederschrift für die Bejahung der (auf Totschlag lautenden) Eventualfrage 4 ('allgemein begreifliche heftige Gemütserregung durch Erziehungsmangel, Milieuschädigung, Zuwendungsmangel ....'). Die für den Begriff der Gemütsbewegung (im Sinn des § 76 StGB) den Geschwornen erteilte schriftliche Rechtsbelehrung entspricht dem Gesetz (ÖJZ-LSK 1975/185, 1977/95). Der Schwurgerichtshof war nicht verpflichtet, alle denkmöglichen oder konkret in Betracht kommenden Tatvarianten, welche diesem - zudem schon allgemein sprachgebräuchlichen - Ausdruck entsprechen, zu erörtern. Die Unterscheidung zwischen sthenischen und asthenischen Affekten war zwar im gegebenen Zusammenhang entbehrlich, sie war jedoch keineswegs geeignet, die Geschwornen bei ihrem Wahrspruch über den Inhalt des Begriffes der Gemütsbewegung auf einen falschen Weg zu weisen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführte Niederschrift gemäß dem § 331 Abs. 3 StPO kann zum Nachweis eines Irrtums der Geschwornen aber nicht herangezogen werden, weil die Erwägungen, von denen sich die Mehrheit der Geschwornen leiten ließ, nicht zum Wahrspruch gehören. Aus ihrem Inhalt kann weder der von der Staatsanwaltschaft angerufene Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO noch ein anderer Nichtigkeitsgrund abgeleitet werden (vgl. Mayerhofer-Rieder 2 , II/2 Nr. 10 ff. zu § 331 StPO). Im Ergebnis berechtigt ist aber der weitere Beschwerdeeinwand, den Geschwornen sei der Rechtsbegriff der 'allgemeinen Begreiflichkeit' der heftigen Gemütsbewegung nicht hinreichend erläutert und ihnen dadurch die Möglichkeit genommen worden, eine unmißverständliche, alle Aspekte des Falles erfassende Beurteilung vorzunehmen. Der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 8 StPO liegt nämlich nicht nur dann vor, wenn die Rechtsbelehrung erhebliche sachliche Unrichtigkeiten enthält, sondern auch dann, wenn sie derart unvollständig ist, daß infolgedessen die Geschwornen ohne die nach den Umständen des Falles erforderliche Belehrung über für ihren Wahrspruch wesentliche Rechtsbegriffe gelassen wurden, schließlich auch dann, wenn die Belehrung in einem Grade undeutlich oder widerspruchsvoll ist, daß die Geschwornen irregeleitet werden konnten (SSt. 43/3 u.v.a.). Er derartiger Mangel haftet aber der den Geschwornen zur Eventualfrage 4

nach dem Verbrechen des Totschlages nach dem § 76 StGB gegebenen Rechtsbelehrung an, die in der bekämpften Passage lautet:

'Aber nicht jede Gemütsbewegung ist für die Annahme der Privilegierung ausreichend; die Gemütsbewegung muß vielmehr allgemein begreiflich, heftig und zur Tatzeit noch nicht abgeklungen sein.

Allgemein begreiflich ist eine Gemütsbewegung, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, d.h. wenn ein Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen des Einzelfalles in eine solche Gemütsverfassung geraten.' Damit wurde den Geschwornen der Begriff der allgemein begreiflichen Gemütsbewegung in der Bedeutung des § 76 StGB im Sinn der ständigen Judikatur zwar allgemein abgegrenzt, nämlich einerseits dahin, daß der Gemütszustand im Verhältnis zu seinem Anlaß jedermann verständlich sein muß, sich also ein Durchschnittsmensch vorstellen kann, auch er wäre in der Lage des Täters (in dessen psychischer Anspannung) in eine solche Gemütsverfassung geraten; andererseits dahin, daß es danach jedermann verständlich ist, eine derartige Gemütsbewegung könne in eine Endphase münden, in der sich der Täter zu einer vorsätzlichen Tötung hinreißen ließ (EvBl. 1982/80 und 167). Die Belehrung läßt aber den Hinweis vermissen, daß die allgemeine Begreiflichkeit der Gemütsbewegung auch einer rechtsethischen Bewertung zu unterziehen ist und danach ihre Ursache sittlich verständlich sein muß. Eine (wenn auch heftige) Gemütsbewegung kann jedenfalls dann nicht als allgemein begreiflich beurteilt werden, wenn sie in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild des Täters, somit in seinem Charakter oder in seinen allenfalls vorhandenen verwerflichen Leidenschaften, Veranlagungen oder Neigungen, nicht aber in den äußeren Tatumständen wurzelt (Moos im WK, RN 37-39, Kienapfel BT 2 , RN 29-31, Leukauf-Steininger 2 RN 5-7, jeweils zu § 76 StGB die dort zitierten und viele andere Entscheidungen).

Zieht man zur Kontrolle, ob diese Unvollständigkeit (- im gewissen Sinn wohl auch Undeutlichkeit -) der Rechtsbelehrung in diesem Fall geeignet war, die Geschwornen bei ihrem Verdikt irrezuführen, die Gutachten der beiden vernommenen Sachverständigen heran, wonach es sich beim Angeklagten um eine schizoide Persönlichkeit handelt, die Hinweise auf mangelnde Realitätsbezogenheit, Selbstunsicherheit, Haltlosigkeit und mangelnde Identitätsbildung bietet, und er schon immer zu seiner Mutter in einem problematischen Verhältnis stand (ON 11 und 14 in Verbindung mit S 383, 384), zeigt sich ganz deutlich, daß gerade diese Charaktereigenschaften (des Angeklagten) wesentliche Beurteilungskriterien dafür sind, ob die zur Tötungshandlung führende, letztlich durch die sexuellen Annäherungsversuche seiner alkoholisierten Mutter ausgelöste Gemütsbewegung im dargelegten Sinn noch allgemein verständlich ist. Eine eingehende Prüfung in diese Richtung war den Geschwornen aber verwehrt, weil sie dahingehend nicht belehrt wurden. Der sohin mit Nichtigkeit behaftete Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil mußten aufgehoben und die Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 349 Abs. 1 StPO).

Anmerkung

E05045

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00004.85.0219.000

Dokumentnummer

JJT_19850219_OGH0002_0110OS00004_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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