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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des Z, geboren 1984, vertreten durch Mag. Erich Hochauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fütterergasse 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. August 2002, Zl. SD 914/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 19. August 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 5 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der in Wien geborene Beschwerdeführer sei im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft, ausgenommen unselbstständiger Erwerb".
Am 29. November 2000 sei der Beschwerdeführer als Beifahrer eines Kfz in Deutschland festgenommen worden, weil er gemeinsam mit dem Fahrzeuglenker fünf Jugoslawen nach Deutschland geschleppt habe. Auftraggeber dieser Schleppung sei sein Bruder gewesen, der die illegale Einreise der Jugoslawen von Ungarn nach Österreich und dann weiter nach Deutschland organisiert habe. Wie der Beschwerdeführer niederschriftlich angegeben habe, habe er bereits am 26. November 2000 gemeinsam mit seinem Bruder zwei illegal aufhältige Kosovo-Albaner von Österreich nach Deutschland geschleppt und dafür ATS 1.000,-- (EUR 72,67) bekommen. Auch diesmal hätte er von seinem Bruder Geld bekommen. Vom Amtsgericht Passau sei der Beschwerdeführer (nach Ausweis der Verwaltungsakten: am 19. Dezember 2000) deswegen zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden.
Der in § 36 Abs. 2 Z. 5 FrG normierte Tatbestand sei verwirklicht, weshalb die Voraussetzung zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. gegeben sei.
Der Beschwerdeführer sei ledig und für ein am 1. Juni 2000 geborenes Kind sorgepflichtig. Familiäre Bindungen bestünden weiters zu seinem Vater, mit dem er im gemeinsamen Haushalt lebe. Zweifelsfrei sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen gewesen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen - dringend geboten sei. Wer, wie der Beschwerdeführer, auf Geheiß eines anderen Fremde in Mitgliedstaaten der Europäischen Union schleppe, dafür Geld erhalte und diesen anderen bei der gewerbsmäßigen Ausübung seiner "Schleusungsgeschäfte" unterstütze, gefährde schwer wiegend das einen hohen Stellenwert genießende öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens. Eine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose sei daher nicht möglich gewesen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei dringend geboten und sohin im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.
Der Beschwerdeführer sei zwar in Wien geboren und habe hier die Volksschule und mit verhältnismäßig geringem Erfolg die Hauptschule besucht, habe jedoch trotz ausdrücklicher Aufforderung lediglich eine Bestätigung seines Vaters vorweisen können, dass er auch in der Vorschulzeit in Österreich gelebt habe. Hierfür und auch für die Rechtmäßigkeit dieses behaupteten Aufenthalts geforderte Bescheinigungsmittel sei der Beschwerdeführer schuldig geblieben. Zweifel hierüber seien deshalb berechtigt gewesen, weil er noch in der vierten Volksschulklasse nicht nur in seiner Muttersprache unterrichtet worden sei, sondern auch einen besonderen Förderunterricht in der deutschen Sprache genossen habe, im ersten Jahr der Hauptschule in Deutsch negativ beurteilt worden sei und im Polytechnikum (wie auch in einer großen Anzahl anderer Gegenstände) nicht beurteilt worden sei. Da die polizeiliche Meldung des Beschwerdeführers in Wien während seiner ersten sechs Lebensjahre keinen Beweis dafür liefere, dass er auch tatsächlich in dieser Zeit in Österreich gelebt habe, sei angesichts aller Umstände von einem ständigen (rechtmäßigen) Aufenthalt des Beschwerdeführers in Wien während der Vorschulzeit nicht auszugehen gewesen. Trotzdem erweise sich die ihm insgesamt zukommende Integration als keinesfalls gering. Zu bedenken sei allerdings gewesen, dass die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch sein Fehlverhalten entsprechend an Gewicht gemindert werde. Ebenso sei zu berücksichtigen gewesen, dass er bereits in jugendlichem Alter Vater eines Kindes geworden sei, ohne dass mit diesem oder der Mutter ein gemeinsamer Haushalt bestünde. Auch unter Annahme der vollen Integration des Vaters des Beschwerdeführers sei das Gewicht der zu ihm bestehenden familiären Bindung insofern zu relativieren gewesen, als der Beschwerdeführer bereits volljährig sei. Insgesamt sei das dem Beschwerdeführer zuzuschreibende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet zwar gewichtig, jedoch keinesfalls besonders ausgeprägt. Dem sei das maßgebliche große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Schlepperkriminalität gegenübergestanden. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse am Verlassen des Bundesgebietes. Dabei habe die belangte Behörde auch berücksichtigt, dass er den Kontakt zu seinen Familienangehörigen - wenn auch eingeschränkt - vom Ausland aus aufrecht erhalten könne. Ebenso sei ihm die Erfüllung allfälliger Sorgepflichten vom Ausland aus möglich. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG als zulässig.
Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch nicht im Sinn des § 38 leg. cit. unzulässig. Der Beschwerdeführer habe sich im September 1997 bei seiner Schule und auch bei der Meldebehörde nach Jugoslawien abgemeldet und befinde sich erst seit Juni 1998 wieder in Österreich. Zum Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes sei er weder mindestens zehn Jahre rechtmäßig auf Dauer niedergelassen gewesen, noch hätte ihm zu diesem Zeitpunkt mangels zehnjährigen, ununterbrochenen Hauptwohnsitzes in Österreich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden können. Er sei auch nicht von klein auf im Bundesgebiet aufgewachsen. Trotz ausdrücklicher Aufforderung habe er keine Bescheinigungsmittel vorgelegt, die einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich während der Vorschulzeit hätten glaubhaft erscheinen lassen. Vielmehr sei der Schluss gerechtfertigt, dass er seine maßgebliche Sozialisation eben nicht in Österreich, sondern in seinem Heimatstaat erfahren habe, weil anders nicht einsichtig sei, wieso er noch in der vierten Volksschulklasse in seiner Muttersprache habe unterrichtet werden müssen und eines Förderunterrichtes in der deutschen Sprache bedurft habe. Dazu komme, dass er vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht seit mindestens drei Jahren in Österreich niedergelassen gewesen sei.
Da darüber hinaus keine besonderen, zu seinen Gunsten sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.
Vor Ablauf der festgesetzten Gültigkeitsdauer könne nicht erwartet werden, dass in Anbetracht des dargelegten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers einerseits und unter Berücksichtigung seiner familiären Bindungen andererseits die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bekämpft u.a. die von der belangten Behörde im Grund des § 37 FrG vorgenommene Interessenabwägung und bringt vor, dass der Beschwerdeführer seit seiner Geburt in Österreich lebe, hier ordnungsgemäß die Schule besucht habe, über eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung verfüge, ein regelmäßiges Einkommen erziele und krankenversichert sei. Er habe mit seiner Lebensgefährtin ein am 1. Juni 2000 geborenes Kind, sei für dieses sorgepflichtig und komme seiner Sorgepflicht nach. Auch seien die getroffenen Feststellungen bei weitem nicht ausreichend, um die Art und Schwere der Straftat des Beschwerdeführers und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild zu beurteilen.
2. Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG ist die belangte Behörde von dem Umstand, dass der Beschwerdeführer am 6. März 1984 in Wien geboren wurde, und von dessen inländischen Aufenthalt in der Zeit ab Schuleintritt (laut der in den Verwaltungsakten enthaltenen, mit der Berufung des Beschwerdeführers vorgelegten Schulbesuchsbestätigung: ab September 1990) sowie davon ausgegangen, dass dieser inländische Aufenthalt seit 1990 (lediglich) in der Zeit von September 1997 bis Juni 1998 unterbrochen war. Sie hat weiters zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er hier die Volksschule, die Hauptschule und den Polytechnischen Lehrgang besucht hat, Vater eines am 1. Juni 2000 geborenen Kindes ist, mit dem er allerdings nicht zusammenlebt, für dieses sorgepflichtig ist, mit seinem Vater im gemeinsamen Haushalt lebt und über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft, ausgenommen unselbstständiger Erwerb" verfügt.
Diesen festgestellten, sehr gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an seinem weiteren Aufenthalt in Österreich steht gegenüber, dass er im Alter von 16 Jahren, nämlich am 26. November 2000 und 29. November 2000, jeweils als Beifahrer im Auftrag seines Bruders gemeinsam mit diesem bzw. dem Fahrzeuglenker an der Schleppung von zuerst zwei und dann fünf Fremden nach Deutschland mitwirkte, wofür er beim ersten Mal EUR 72,67 erhielt und ihm für das zweite Mal ein Entgelt versprochen wurde; dafür ist er vom (deutschen) Amtsgericht Passau (am 19. Dezember 2000) zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Wenn auch mit diesem Fehlverhalten ein wesentliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung des Schlepperunwesens verbunden ist, so hat dieses öffentliche Interesse in Anbetracht der festgestellten Gesamtdauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers - wobei aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervorgeht, dass dieser Aufenthalt unrechtmäßig gewesen sei - und der obgenannten familiären Bindungen doch gegenüber seinen persönlichen Interessen zurückzustehen.
Von daher erübrigte es sich darauf einzugehen, ob, wie die Beschwerde vorbringt, der unstrittig auch in der Zeit vor Beginn seines Schulbesuches in Österreich polizeilich gemeldete Beschwerdeführer - sieht man von der Unterbrechung seines inländischen Aufenthaltes von September 1997 bis Juni 1998 ab - seit seiner Geburt, somit auch im Vorschulalter, in Österreich gelebt hat und hier ein regelmäßiges Einkommen erzielt.
3. Da somit die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beurteilung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 14. Juni 2005
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002180208.X00Im RIS seit
07.07.2005