TE OGH 1985/3/28 13Os28/85

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Veröffentlicht am 28.03.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.März 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider (Berichterstatter), Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Stöger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Meinrad A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 85 Z. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengerichts vom 27.November 1984, GZ. 22 a Vr 1001/84-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Presslauer, und des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von 6 (sechs) Monaten verhängt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 2.Mai 1956 geborene Angeklagte Meinrad A wurde des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 85

Z. 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt. Ihm liegt zur Last, am 20.Februar 1984 in Alberschwende Walter B durch mehrere Faustschläge in das Gesicht am Körper verletzt zu haben, wobei die Tat blutende Wunden (im Gesicht) sowie eine Subluxation der Linse des rechten Auges, verbunden mit einer starken Herabsetzung des zentralen Sehvermögens auf Lebenszeit (S. 83, 110), zur Folge hatte.

Der gegen diesen Schuldspruch gerichteten, auf § 281 Abs. 1 Z. 5, 9 lit. b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung nicht zu.

Die Mängelrüge vermißt ausreichend begründete Feststellungen, welche die objektive und subjektive Zurechnung des mit den Faustschlägen in das Gesicht des Tatopfers verbundenen Verletzungserfolgs gestatten. Solcherart werden aber dem Urteil anhaftende Feststellungsmängel in Beziehung auf die Qualifikation nach § 85 Z. 1 StGB gerügt; damit wird der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Eine solche Urteilsnichtigkeit liegt nicht vor:

Das Erstgericht nahm als erwiesen an, daß der Angeklagte, ohne sich in dieser Phase des Geschehens in einer Notwehrsituation befunden oder auch nur eine solche als gegeben angenommen zu haben, Walter B aus Wut und örger über dessen vorangegangenes provozierendes Verhalten an der Jacke erfaßt, ihn daran festgehalten und ihm mehrere Faustschläge in das Gesicht versetzt hat. Dieser Angriff hatte neben blutenden Wunden im Gesicht des B eine starke Herabsetzung des zentralen Sehvermögens auf Lebensdauer infolge einer Subluxation der Linse des rechten Auges zur Folge; die Linse und Teile des Glaskörpers mußten entfernt werden (S. 55, 83, 84, 110). Aus diesem Urteilssachverhalt leitete das Gericht die strafrechtliche Haftung des Angeklagten für den schweren Verletzungserfolg ab, weil die Kriterien für die objektive und die subjektive Zurechnung vorlägen: der zwischen den Faustschlägen in das Gesicht und dem Verletzungserfolg bestehende Adäquanzzusammenhang sowie der offenkundig gleichfalls gegebene Risikozusammenhang, ferner die allgemeine Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts (also die Voraussehbarkeit des zum Erfolg führenden Kausalverlaufs) für den Beschwerdeführer.

Damit sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 StGB zutreffend erkannt und rechtsrichtig beurteilt. Die Fahrlässigkeit ist gemäß § 7 Abs. 2 StGB

nach dem Grundsatz der Laienhaftung im Rahmen adäquater Vorhersehbarkeit zu prüfen. Darnach haftet der Täter für die besondere Tatfolge, wenn sie innerhalb des von ihm eingegangenen Gefahrenrisikos gelegen und für ihn nach seinen persönlichen Verhältnissen vorhersehbar gewesen ist (LSK. 1979/322; 1984/170). Daß diese Kriterien auf den Angeklagten zutrafen, wurde ohne Rechtsirrtum bejaht. Zunächst ist die bleibende schwere Schädigung des Sehvermögens des Verletzten für die Faustschläge in das Gesicht keineswegs atypisch. Die Beschwerdebehauptung, daß der 'typische Kausalzusammenhang' zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem dadurch herbeigeführten Verletzungserfolg fehle, entspricht weder der allgemeinen Lebenserfahrung noch findet sie in den Verfahrensergebnissen Deckung. Hat doch der ärztliche Sachverständige in der Hauptverhandlung - dem Beschwerdevorbringen zuwider - ausdrücklich bekundet, daß ein Schlag (in das Gesicht) für eine derartige Augenverletzung typisch ist (S. 84 und 85). Mit der bloßen Verneinung des typischen Kausalverlaufs wird der Sache nach kein Begründungsmangel in der Bedeutung der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO

bezeichnet, sodaß in diesem Vorbringen keine gesetzmäßige Ausführung einer Mängelrüge erblickt werden kann. Daß Walter B auch am rechten Auge getroffen wurde, ergibt sich zwingend aus den im angefochtenen Urteil festgestellten Tatfolgen. Die Beschwerdeausführungen lassen aber auch nicht erkennen, welche weiteren Feststellungen für die Zurechnung des schweren Verletzungserfolgs (im Sinn des § 7 Abs. 2 StGB) noch erforderlich gewesen wären, sodaß der insoweit sachlich geltend gemachte materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO einer prozeßordnungsgemäßen Ausführung entbehrt. Den unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b und 10

StPO

Notwehr bzw. Notwehrüberschreitung relevierenden Beschwerdeausführungen ist folgendes zu erwidern:

Notwehr setzt eine Notwehrsituation, das ist ein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Gut (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen) und die Vornahme einer entsprechenden Notwehrhandlung, das ist die notwendige Verteidigung zur Abwehr dieses Angriffs, voraus. Fehlt es bereits an der Notwehrsituation, scheiden sowohl Notwehr als auch - durch überschreitung des Maßes der gerechtfertigten Verteidigung oder durch offensichtlich unangemessene Verteidigung gekennzeichnete - Notwehrüberschreitung aus (vgl. dazu u.a. Leukauf-Steininger, Komm. 2 , RN. 70, 90 f. zu § 3 StGB). Nach den mängelfreien erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen verhielt sich der dem Angeklagten als aggressiv bekannte, grobschlächtige (S. 109) Walter B anläßlich einer Preisverteilung des örtlichen Schiklubs in einem Gasthaus, dem (damals arbeitslosen) Angeklagten gegenüber dadurch provozierend, daß jener Wein aus dem Pokal des Angeklagten verschüttete, Äußerungen über die Sinnhaftigkeit der Arbeitslosenunterstützung von sich gab und zwei Handbewegungen in Richtung des Gesichtes des Angeklagten machte, wobei es einmal zu einer Streifung (nicht zu einem Schlag, wie die Beschwerde unrichtig behauptet) kam. Der Angeklagte verlor die Beherrschung (S. 110) und unternahm die bereits einleitend wiedergegebenen Tätlichkeiten gegen B.

Unter diesen Voraussetzungen kann mangels eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffs gegen den Beschwerdeführer von einer Notwehrsituation nicht gesprochen werden. Unter Angriff ist nämlich die Verletzung eines geschützten Rechtsguts zu verstehen (Leukauf-Steininger a.a.O., RN. 71); daß es sich bei der Ehre nicht um ein solches handelt, ist durch den Wortlaut des § 3 StGB klargestellt, der eine taxative Aufzählung der notwehrfähigen Rechtsgüter enthält. Die Ehre scheint darin nicht auf. Die vom Beschwerdeführer reklamierte sogenannte offensive Notwehr ist mangels eines unmittelbar drohenden Angriffs zu verneinen (s. dazu u.a. Leukauf-Steininger a.a.O., RN. 82).

Mithin billigte das Erstgericht dem Angeklagten rechtsrichtig schon mangels einer Notwehrsituation weder Notwehr noch Notwehrüberschreitung zu.

Insoweit der Beschwerdeführer in seiner Rechtsrüge nicht vom Urteilssachverhalt ausgeht, sondern von der - wie vorstehend dargelegt, durch diesen nicht gedeckten - Annahme, es habe ein unmittelbar bevorstehender Angriff abgewiesen werden müssen, ist die Beschwerde nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Der Rechtsmittelwerber versucht nämlich damit, seiner vom Schöffengericht in freier Beweiswürdigung abgelehnten Verantwortung (s.S. 111/112) zum Durchbruch zu verhelfen, was auf eine - im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässige und daher unbeachtliche - Bekämpfung der Beweiswürdigung hinausläuft.

Auf die vom Angeklagten im Gerichtstag dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Urkunden war wegen des im Nichtigkeitsverfahren bestehenden Neuerungsverbots (vgl. § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO) nicht einzugehen.

Das Landesgericht verhängte über den Angeklagten nach § 85 StGB unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 140 S, im Fall der Uneinbringlichkeit 180 Tage Freiheitsstrafe. Es wertete bei der Strafbemessung die beiden auf gleicher schädlicher Neigung beruhenden Vorstrafen als erschwerend, hingegen als mildernd die durch die Provokation Walter B'S begründete heftige Gemütsbewegung des Angeklagten und das Teilgeständnis.

Mit seiner Berufung wendet sich der öffentliche Ankläger gegen die Verhängung einer Geldstrafe anstelle der Freiheitsstrafe. Diesem Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.

Die beiden, auf gleicher schädlicher Neigung beruhenden Vorstrafen wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (AZ. U 2046/80 des Bezirksgerichts Bregenz) sowie des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und des tätlichen Angriffs gegen einen Beamten nach § 270 Abs. 1 StGB (AZ. 21 b E Vr 1427/81 des Landesgerichts Feldkirch) weisen den Angeklagten als aggressiven, zu Attacken mit der Faust neigenden Menschen aus. Dieser für die Strafbemessung sehr bedeutende Umstand und der - in der Berufung zutreffend aufgezeigte - rasche Rückfall (Vollzugsdatum zu 21 b E Vr 1427/81 des Landesgerichts Feldkirch: 13. Jänner 1984) gestatten die vom § 37 (hier: Abs. 1) StGB verlangte günstige Verhaltensprognose keinesfalls. Es ist daher eine Freiheitsstrafe im Rahmen der Strafdrohung des § 85 StGB zu verhängen. Mit Rücksicht auf die der Tätlichkeit vorangegangene Provokation vermeint der Oberste Gerichtshof (im Gegensatz zur Berufungswerberin), mit der Verhängung der gesetzlichen Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsentzug das Auslangen zu finden.

Anmerkung

E05400

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0130OS00028.85.0328.000

Dokumentnummer

JJT_19850328_OGH0002_0130OS00028_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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