TE OGH 1985/4/18 8Ob504/85

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Veröffentlicht am 18.04.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Melber und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtsasche der klagenden Partei Karl H*****, vertreten durch Dr. Walter Kossarz, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, wider die beklagte Partei Maria H*****, vertreten durch Dr. Peter Fiegl, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. November 1984, GZ. 11 R 220/84-16, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 3. Mai 1984, GZ. 3 Cg 213/83-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufungen beider Streitteile aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte zunächst die Scheidung seiner am 29. 7. 1975 vor dem Standesamt W***** geschlossenen Ehe mit der Beklagten gemäß § 55 Abs 3 EheG, weil die häusliche Gemeinschaft der Streitteile, die schon vorher getrennt gelebt hätten, seit 1976 zur Gänze aufgehoben sei. In der Folge stützte er sein Scheidungsbegehren auch auf § 49 EheG im wesentlichen mit der Begründung, daß die Beklagte entgegen ihren Versprechungen nicht bereit gewesen sei, in das Haus des Klägers zu ziehen, obwohl dort eine ausreichende Wohnmöglichkeit bestanden hätte. Im Juni 1976 sei es zu einer Auseinandersetzung der Streitteile gekommen, in deren Verlauf der Kläger von der Beklagten und ihren Eltern gröblich beschimpft worden sei. Seither habe die Beklagte den Kontakt zum Kläger völlig abgebrochen.

Die Beklagte erklärte, dem Scheidungsbegehren nicht entgegenzutreten, beantragte aber, ein Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen. Die Streitteile hätten nicht vereinbart, daß die Beklagte zum Kläger ziehen solle, sondern daß das Haus der Beklagten in G***** umgebaut werden sollte. Zu diesem Zweck hätten die Streitteile bald nach der Eheschließung Kontakt mit Baumeister und Kreditinstitut aufgenommen und Baupläne zeichnen lassen. Später habe dann der Kläger erklärt, er wünsche keinen solchen Umbau. Darüber hinaus habe der Kläger entgegen seiner ursprünglichen Zusage die kirchliche Eheschließung mit der Beklagten später abgelehnt. Im Juni 1977 habe der Kläger die Beklagte im Zuge einer Auseinandersetzung grob beschimpft und mißhandelt. Seither sei er nicht mehr zur Beklagten gekommen. Er habe auch keine freiwilligen Unterhaltszahlungen mehr für die drei ehelichen Kinder geleistet.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem gleichteiligen Verschulden. Es traf Feststellungen – unter anderem zur vereinbarten Wohnsitzfolge und zur geplanten kirchlichen Eheschließung –, deren Wiedergabe im einzelnen unterbleiben kann. Es beurteilte den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Streitteile gemäß dem §§ 49, 60 EheG zu scheiden sei.

Dieses Urteil wurde nur hinsichtlich des Verschuldensausspruches von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.

Nach dem Inhalt des Protokolles über die mündliche Berufungsverhandlung vom 6. 11. 1984 wurden in dieser Verhandlung „die Aussagen des Klägers AS 42 ff und der Beklagten AS 47 ff“ (richtig wohl 27 ff) verlesen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers keine Folge. Hingegen gab es der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes, das in seinem Ausspruch über die Scheidung der Ehe der Streitteile unbekämpft geblieben ist, im übrigen dahin ab, daß es aussprach, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger trifft. Das Berufungsgericht traf zur vereinbarten Wohnsitzfolge und zur geplanten kirchlichen Eheschließung andere Feststellungen als das Erstgericht und übernahm im übrigen die Feststellungen des Erstgerichtes als unbekämpft. Rechtlich beurteilte es den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß ein auf § 49 EheG gestützter Scheidungsanspruch des Klägers nicht bestehe, weil der Beklagten schwere Eheverfehlungen im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht anzulasten seien. Hingegen sei das auf § 55 Abs 3 EheG gestützte Scheidungsbegehren des Klägers berechtigt. Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe sei allein dem Kläger anzulasten; dies sei gemäß § 61 Abs 3 EheG im Urteil auszusprechen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft sie insoweit, als die Ehe nicht aus dem überwiegenden Verschulden der Beklagten geschieden wurde, aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil „im Verschuldensausspruch dahingehend abzuändern, daß festgestellt wird, daß das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe die Beklagte trifft“; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Das Berufungsgericht ist insbesondere in der für die Beurteilung dieses Rechtsstreites sicher erheblichen Frage der Wohnsitzvereinbarung der Streitteile von den Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen, nachdem es im Sinne der Bestimmungen der §§ 463, 281a ZPO die Protokolle über die von den Streitteilen im Verfahren erster Instanz deponierten Aussagen zumindest zum Teil verlesen hat.

Daß dies ohne Beweisbeschluß geschah, ist im Revisionsverfahren nicht wahrzunehmen, weil dieser Vorgang nicht im Sinne des § 196 Abs 1 ZPO gerügt wurde (Fasching Kommentar II 952 und die dort zitierte Rechtsprechung).

Die Beurteilung der Frage, ob eine verläßliche Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstrichters nur auf Grund des unmittelbaren Eindruckes der Zeugen und Parteien, also auf Grund einer unmittelbaren Beweisaufnahme, oder aber auf Grund einer Beweisaufnahme gemäß § 281a ZPO möglich ist, gehört dem Bereich der im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren Beweiswürdigung an (1 Ob 30/84). Soweit daher der Kläger in seiner Verfahrensrüge darzutun versucht, daß sich das Berufungsgericht überhaupt nicht mit der Verlesung von Beweisergebnissen des Verfahrens in erster Instanz begnügen hätte dürfen, kann ihm nicht gefolgt werden. Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge in dieser Hinsicht nur vor, wenn das Berufungsgericht entgegen einem von einer Partei gestellten ausdrücklichen Antrag von einer neuen unmittelbaren Beweisaufnahme Abstand genommen und sich mit der bloßen Verlesung des Akteninhaltes begnügt hätte (7 Ob 5/84; 1 Ob 30/84). Dies ist im vorliegenden Fall, in dem keine der Parteien einen derartigen Antrag gestellt hat, nicht geschehen.

Mit Recht rügt der Kläger aber einen dem Berufungsgericht unterlaufenen Verfahrensmangel, der darin zu sehen ist, daß das Berufungsgericht nicht alle Beweisergebnisse des Verfahrens in erster Instanz, die das Erstgericht bei Gewinnung der von ihm getroffenen Feststellungen und die das Berufungsgericht selbst bei Gewinnung der von ihm getroffenen abweichenden Feststellungen verwendete, verlesen hat. Will das Berufungsgericht von Feststellungen des Erstgerichtes abgehen, dann hat es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweismittel zu wiederholen und darf sich nicht mit der Wiederholung einzelner Beweismittel begnügen, auch wenn es im Sinne des § 281a ZPO eine mittelbare Beweisaufnahme durchführen kann (Fasching Zivilprozeßrecht Rdz. 1808). Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Abgehen von der Beweiswürdigung des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht nur zulässig, wenn dieses sämtliche mit dem fraglichen Beweisthema im Zusammenhang stehenden Beweise, auf die das Erstgericht die bekämpfte Feststellung gründete und auf die das Berufungsgericht seine abweichende Feststellung gründen will, wiederholt hat; andernfalls liegt eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens im Sinne des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO vor (SZ 23/112; ZVR 1965/43 uva.; zuletzt 8 Ob 97/82; 1 Ob 632/82; 1 Ob 2/83).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht, wie sich aus den Ausführungen zur Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil ergibt, bei seinen Feststellungen über die Wohnsitzvereinbarung der Streitteile auf die Aussage der Zeugin K***** zumindest insoweit Bezug genommen, als es diese Aussage für unglaubwürdig erachtete (S 15 des Urteiles des Erstgerichtes). Das Berufungsgericht hat seine abweichenden Feststellungen über die Wohnsitzvereinbarung der Streitteile auch auf die Aussagen der Zeuginnen K***** und W***** gestützt (S 5 f des Urteiles des Berufungsgerichtes). Abgesehen davon, daß die Aussage des Klägers als Partei im Verfahren erster Instanz nach dem Inhalt des Protokolles über die Berufungsverhandlung nur teilweise verlesen wurde, wurden die Aussagen der beiden genannten Zeuginnen überhaupt nicht verlesen. Unter diesen Umständen hat aber das Berufungsgericht gegen den oben dargestellten Grundsatz, daß von der Beweiswürdigung des Erstgerichtes auch im Fall der mittelbaren Beweisaufnahme im Sinne des § 281a ZPO nur dann abgegangen werden darf, wenn sämtliche Beweise, auf die das Erstgericht seine Feststellung gründete und auf die das Berufungsgericht seine abweichende Feststellung gründen will, wiederholt wurden, verstoßen. Dies macht der Kläger mit Recht als Mangel des Berufungsverfahrens im Sinne des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO geltend.

Es war daher in Stattgebung der Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufungen beider Streitteile aufzutragen, ohne daß auf die Ausführungen in der Rechtsrüge des Klägers einzugehen ist. Das Berufungsgericht wird, wenn es Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen hat, im Sinne der oben dargestellten Grundsätze alle Beweise, auf die das Erstgericht diese Feststellungen stützte und auf die das Berufungsgericht seine abweichenden Feststellungen stützen will, zu wiederholen haben, sei es durch unmittelbare Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 281a ZPO durch vollständige Verlesung der Protokolle über die diesbezüglichen Beweisaufnahmen im Verfahren erster Instanz.

Erst wenn auf diese Weise in mängelfreier Form die entsprechenden Tatsachengrundlagen gewonnen sind, wird zur rechtlichen Beurteilung Stellung genommen werden können.

Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E131362

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00504.850.0418.000

Im RIS seit

29.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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