TE OGH 1985/5/21 2Ob48/84

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Veröffentlicht am 21.05.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz A, Zahntechniker, 9500 Villach, Tafernerstraße 38/9/65, vertreten durch Dr. Rudolf Pototschnig, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagten Parteien

1. Horst B, Angestellter, 9500 Villach, Trattengasse 64, 2. C D E F AG, 1011 Wien, Tegetthoffstraße 7, beide vertreten durch Dr. Anton Knees, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 100.000 s.A. und Feststellung (Streitwert S 100.000), Gesamtstreitwert S 200.000, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17. Mai 1984, GZ 6 R 48/84-63, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 16. Jänner 1984, GZ 23 Cg 474/81-56, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben;

zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 23. März 1978 ereignete sich auf der Staatsstraße (SS) 13 im Gemeindegebiet von Tavagnacco, Italien, ein Verkehrsunfall, an dem der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs in Österreich zugelassenen, in welchem der Kläger mitfuhr, sowie Guido G als Lenker und Halter eines in Italien zugelassenen PKWs beteiligt waren. Der Kläger erlitt bei dem Unfall Verletzungen.

Der Kläger forderte mit der am 21. September 1981 erhobenen Klage an Schmerzengeld S 100.000 s.A. und stellte auch ein Feststellungsbegehren. Der Erstbeklagte habe den Unfall mitverschuldet und hiedurch seine mit der Zusage der unentgeltlichen Beförderung nach Udine und zurück verbundenen vertraglichen Nebenpflichten verletzt, weshalb die Rechtssache nach österreichischem Recht zu beurteilen sei. Alle Maßnahmen zur Abwendung der Verjährung seien eingehalten worden. Die Verschlimmerung des epileptischen Leidens im Zusammenhalt mit den zurückgebliebenen Narben rechtfertige die Höhe des Schmerzengeldbetrages.

Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens, weil es nach dem anzuwendenden italienischen Recht an den Voraussetzungen für die Geltendmachung des Klagsanspruches fehle. Sie wendeten auch Verjährung ein.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 15.000 s.A. zu und stellte die Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallfolgen, hinsichtlich allfälliger Schmerzengeldansprüche jedoch nur im Ausmaß von drei Vierteln, fest. Das Mehrbegehren von S 85.000 und das Feststellungsbegehren auf Haftung der Beklagten zu einem weiteren Viertel auch für allfällige künftige Schmerzengeldansprüche, wurden abgewiesen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge;

hingegen wurde der Berufung des Klägers teilweise Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes, das hinsichtlich des Feststellungsausspruches bestätigt wurde, im übrigen im Sinne des Zuspruches von S 22.500 s.A. und der Abweisung des Mehrbegehrens von S 77.500 s.A. abgeändert.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, insgesamt S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung des Urteiles der zweiten Instanz und Zurückverweisung der Rechtssache an eine der Vorinstanzen; hilfsweise wird Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung beantragt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Das Erstgericht hat folgende, für das Revisionsverfahrens wesentliche Feststellungen getroffen.

Barbara H und die Schwester des Klägers, Liselotte A, beide damals noch nicht 18 Jahre alt und daher nicht im Besitz eines Führerscheins, baten um den 21. März 1978 den Erstbeklagten Horst B, mit dem sie befreundet waren, mit ihnen am 23. März 1978 nach Udine zu fahren, wo sie einkaufen wollten. Der Kläger, der ebenfalls keinen Führerschein hatte, schloß sich auf Befragen seiner Schwester an. Der Erstbeklagte, der den Kläger erst am Vormittag des 23. März 1978 bei der Abfahrt nach Udine kennenlernte, stimmte dem Vorschlag zu. Nach dem Zweck dieser Fahrt - Tagesausflug nach Udine zum Zwecke des Einkaufes - war zwischen dem Erstbeklagten und seinen Fahrgästen stillschweigend vereinbart, daß der Fahrzeuglenker seine Begleiter mit dem PKW wieder nach Villach zurückbringe. Die Ankunft in Villach war für 22,oo Uhr geplant. Der Erstbeklagte erhielt für diese Fahrt von keinem seiner Fahrgäste irgendein Entgelt, sonstige Gegenleistung oder Fahrtkostenbeteiligung. Auch die Bezahlung des Abendessens durch den Kläger lehnte er ab. Nachdem der Kläger und der Erstbeklagte verschiedene Lokale besucht hatten, trafen sie sich am Abend mit Liselotte A um 20,00 Uhr in einem Lokal, während sich Barbara H um eine halbe oder eine Stunde verspätete, sodaß die für 22,00 Uhr vorgesehene Rückfahrt nach Villach nicht mehr möglich schien. Der Erstbeklagte hatte am Nachmittag und am Abend etwas Alkohol getrunken; es konnte aber nicht festgestellt werden, welche Alkoholmenge er genossen bzw. welchen Grad der Alkoholisierung er erreicht hatte und ob er deswegen fahruntauglich gewesen wäre. Der Kläger, seine Schwester und Barbara H bemerkten beim Erstbeklagten Alkoholgeruch; der Kläger äußerte Bedenken gegen die Mitfahrt mit dem Erstbeklagten und fragte, ob es nicht besser wäre, mit dem Zug zu fahren, worauf der Erstbeklagte dem Kläger oder der Barbara H die Lenkung des Fahrzeuges überlassen wollte, was wiederum von den anderen wegen des Fehlens der Fahrerlaubnis abgelehnt wurde. Der Erstbeklagte entschloß sich dann doch, den Wagen selbst zu lenken, und bat den Kläger, auf der Fahrt etwas aufzupassen. Im Gemeindegebiet von Tavagnacco, wenige Kilometer nördlich von Udine, mündet von rechts (Osten) eine Autobahnabfahrt in die geradeaus nach Norden verlaufende Staatsstraße 13.

Die SS 13 ist hier mindestens 10 m breit und mit je zwei Fahrstreifen in Richtung Norden und in Richtung Süden versehen. Die Höchstgeschwindigkeit auf dieser Straße ist mit 70 km/h begrenzt. Die im letzten Teil ebene Autobahnabfahrt mündet in einem spitzen Winkel in die SS 13 und ist - durch Verkehrszeichen angezeigt - gegenüber der SS 13 benachrangt. Die Einmündung ist für die von Süden auf der SS 13 kommenden Verkehrsteilnehmer gut einsehbar, von der SS 13 durch eine weiße Sperrlinie getrennt und mit einem langen Beschleunigungsstreifen für die Einfahrt in die SS 13 ausgestattet, sodaß ein Einfahren in die SS 13 in einem sehr flachen Winkel möglich ist. Zur Unfallszeit (21,30 Uhr) war es finster; die Fahrbahn war infolge Regenwetters naß, die Unfallstelle nicht beleuchtet. Der Erstbeklagte fuhr mit seinem PKW VW-Golf (Kennzeichen K 212.276) aus Udine auf der SS 13 in Richtung Norden (Tarvis). Rechts vorne saß der Kläger, der die vorhandenen Sicherheitsgurte nicht angelegt hatte. Barbara H und Liselotte A saßen hinten. Der Erstbeklagte fuhr schnell; der Kläger ermahnte ihn mehrmals vergeblich, die Geschwindigkeit zu vermindern. Als sich der Erstbeklagte dem Unfallsbereich bei der Einmündung der Autobahnabfahrt in die SS 13 mit einer Geschwindigkeit zwischen 73 und 83 km/h näherte, fuhr auf der Autobahnabfahrt Guido G aus Padua mit dem PKW Fiat 127 (Kennzeichen PD 383.488) mit zwei Passagieren, um in die SS 13 in Richtung Norden einzubiegen. Hinter ihm fuhr Rudolfo B*** mit einem PKW und beobachtete den Unfall vor sich. Der Erstbeklagte verminderte seine Geschwindigkeit geringfügig durch Gaswegnahme, als er den auf der Autobahnabfahrt herunterfahrenden PKW des Guido G wahrnahm, und war bremsbereit. Guido G hielt etwa 1/2 m außerhalb der Sperrlinie vor der SS 13 kurz an und fuhr dann in die SS 13 in Richtung Norden ein. Der Erstbeklagte konnte nicht mehr bremsen, lenkte sein Fahrzeug nach links und stieß mit der rechten vorderen Ecke gegen die linke hintere Hälfte des Fiat 127. Aus den Fahrzeugschäden läßt sich eine überdeckung der Fahrzeuge mit rund 50 % ableiten, wobei der VW-Golf des Erstbeklagten gegenüber dem Fiat nach links versetzt war. Unmittelbar nach dem Zusammenstoß hatte der VW-Golf eine Geschwindigkeit von 56 km/h und der Fiat von 51 km/h. Durch den Zusammenstoß wurde die Geschwindigkeit des VW-Golf um rund 20 km/h abgebaut, sodaß eine Kollisionsgeschwindigkeit nicht unter 70 km/h, aber auch nicht über 80 km/h vorlag. Bei einer Geschwindigkeit des VW-Golf des Erstbeklagten von 70 km/h war dessen Lenker noch rund 90 m hinter dem Fiat 127, als dieser anfuhr. Bei einer Kollisionsgeschwindigkeit des VW-Golf von 80 km/h würde sich dieser Abstand auf 105 m vergrößern. Die objektive Erkennbarkeit der Einfahrt des Fiat in die Staatsstraße trat mit dem überfahren des östlichen Fahrbahnrandes ein. Der Fiat erreichte diese Stelle etwa 6 m oder 2,85 sec.

nach dem Anfahren, sodaß für den Erstbeklagten eine Vorrangverletzung des Guido G ca. 2,7 sec. vor dem Unfall erkennbar war. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Längsabstand zwischen beiden Fahrzeugen 34 bis 42 m. Der Erstbeklagte hätte bis zur Unfallsstelle noch 50 bis 58 m zurückzulegen gehabt. Da sich der Fiat 127 beschleunigend in dieselbe Richtung wie der Erstbeklagte bewegte, hätte beim Erstbeklagten eine mittlere Bremsverzögerung von 3,6 bis 4,1 m/sec. 2 (stärkere Betriebsbremsung) ausgereicht, um ohne Kollision die Geschwindigkeit an die des Fiat anzugleichen; der Erstbeklagte hätte bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 73 km/h auf 25 km/h und bei einer solchen von 83 km/h auf 38 km/h verzögern müssen. Zum überholen des Fiat hätte der Erstbeklagte sein Fahrzeug mindestens um 1 m nach links versetzen müssen.

Hiezu wären bei den gegebenen Fahrbahnverhältnissen einschließlich der Reaktions- und Einleitzeit mindestens 2 sec. notwendig gewesen. Da von der Erkennbarkeit der Vorrangverletzung bis zur Kollision 2,7 sec. vergingen, wäre ein Ausweichen nach links möglich gewesen, allerdings mit einem Fahrstreifenwechsel verbunden. Der Erstbeklagte wäre mit seiner linken PKW-Seite mindestens 1 m in den der Fahrbahnmitte zu gelegenen Fahrstreifen gekommen.

Durch den Anprall des VW-Golf an den Fiat 127 wurde der nicht angeschnallte Kläger nach vorne geschleudert, sodaß er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe stieß. Der Kläger erlitt dadurch eine leichte Gehirnerschütterung, mehrfache Rißquetschwunden im Gesicht und Einsprengungen von kleinen Glassplittern in die Haut und in den rechten Augapfel. Ein seit dem 2. Lebensjahr des Klägers bestehendes epileptisches Anfallsleiden, das in den letzten Jahren vor dem Unfall infolge regelmäßiger Behandlung nur geringe Beschwerden verursacht hatte, verschlechterte sich durch den Unfall für die Dauer eines halben bis eines ganzen Jahres; der Grad der Verschlimmerung des Anfallsleidens ist nicht objektivierbar. Der Kläger war wegen der Unfallsverletzungen vom 23. bis 25. März 1978 im Krankenhaus Udine, vom 25.

bis 29. März 1978 im Landeskrankenhaus Villach, vom 12. bis 13. April 1978 im Landeskrankenhaus Klagenfurt (Augenabteilung) und vom

5. bis 9. Juni 1978 in der Augenabteilung des Landeskrankenhauses Graz, wo der Glassplitter aus dem rechten Auge operiert wurde, somit insgesamt 13 Tage lang in stationärer Behandlung. Die Rißquetschwunden und die Verletzung des Augapfels sind abgeheilt. Die durch den Unfall verursachten Schmerzen und sonstigen Unannehmlichkeiten, einschließlich der Narbenschmerzen, Glassplitterverletzungen und der durch die Verschlimmerung der Epilepsie ausgelösten Beschwerden (Anfälle, Kopfschmerzneigung) lassen sich - komprimiert auf den 24-Stundentag - mit zwei Tagen mittelstarken und 28 Tagen leiten Schmerzen einschätzen. Die Rißquetschwunden hinterließen Narben im Gesicht. Zwei kleine Narben sind in der rechten Stirnhälfte, eine im Bereich der rechten Augenbraue des rechten Augenlids, eine am Nasenrücken und eine an der Kinnunterseite; diese Narben sind schmal, nicht verfärbt, nicht hervorstehend und beeinträchtigen daher nicht das Aussehen des Klägers. Eine weitere Narbe reicht von der Schleimhaut der Unterlippe senkrecht über die Unterlippe bis in den Bereich unterhalb der Unterlippe; sie ist 23 mm lang und 9 mm breit, nicht verfärbt und nicht hervorstehend, fällt aber im Bereich unterhalb der Lippe durch das Fehlen der Behaarung auf; diese Narbe beeinträchtigt geringfügig das Aussehen des Klägers. Durch eine kosmetische Operation kann die Fläche dieser Narbe verkleinert und das Aussehen des Klägers damit verbessert werden. Diese Operation würde unter der Voraussetzung eines komplikationslosen Operations- und Heilungsverlaufes derzeit S 4.827,60

kosten sowie einen Tag starke und fünf Tage leichte Schmerzen verursachen und mit einem Krankenhausaufenthalt von drei Tagen verbunden sein. Alle diese Narben beeinträchtigen nicht die darunter liegende mimische Muskulatur. Etwa 1 1/2 Jahre nach dem Unfall trat ein Glassplitter im Bereich unterhalb des Kinns aus der Haut. Bis zur Entfernung des Glassplitters aus dem Auge am 8. Juni 1978 war das Sehvermögen des Klägers beeinträchtigt. Die Verletzungen des Klägers - ausschließlich am Kopf - wären nicht, auf keinen Fall aber in diesem Umfang, aufgetreten, wenn der Kläger im PKW des Erstbeklagten angeschnallt gewesen wäre.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, der Kläger, Barbara H und Liselotte A, alles in Villach wohnhafte österreichische Staatsbürger, hätten am 28. März 1978 in Villach einen Vertrag geschlossen, mit dem der Erstbeklagte sich verpflichtete, mit seinem PKW den Kläger, seine Schwester und Barbara I unentgeltlich nach Udine und am selben Tag wieder zurück nach Villach zu führen. Dieser unentgeltliche Beförderungsvertrag sei als Vertrag eigener Art zu beurteilen; mit der unentgeltlich übernommenen Verpflichtung zur Beförderung der Fahrgäste nach Udine und zurück sei auch die Nebenpflicht des Erstbeklagten verbunden gewesen, für das körperliche Wohlbefinden der Fahrgäste während der Fahrt zu sorgen und das Fahrzeug so zu lenken, daß die Fahrgäste nicht zu Schaden kommen. Bei Verletzung einer vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflicht trete die Umkehr der Beweislast ohne Rücksicht auf die Art des Vertragsverhältnisses ein. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen bestimme das auf die außervertragliche zivilrechtliche Haftung aus einem Straßenverkehrsunfall anzuwendende Recht. Ersatzansprüche aus einem im Inland zwischen Österreichern geschlossenen Beförderungsvertrag seien daher nach österreichischem Recht zu beurteilen, auch wenn sich der Schadensfall im Ausland ereignet habe. Für die Beurteilung des Verschuldens an dem Verkehrsunfall bei Udine seien die in Italien geltenden Verkehrsvorschriften heranzuziehen. Guido G habe durch das Einfahren in die SS 13 aus der benachrangten Autobahnabfahrt den Vorrang des Erstbeklagten verletzt und daher ein Verschulden an dem Unfall zu verantworten. Der Erstbeklagte habe durch überschreiten der im Unfallsbereich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h (um 3 bis 13 km/h) - trotz Ermahnung durch den Kläger - gegen eine am Unfallsort geltende Verkehrsvorschrift verstoßen; durch die verspätete Reaktion auf das verkehrswidrige Verhalten des Guido G habe er außerdem seine vertragliche Sorgfaltspflicht gegenüber seinen Fahrgästen verletzt. Der Erstbeklagte hafte dem Kläger daher gemäß §§ 1295 und 1311 ABGB für den Ersatz seines Schadens, und zwar gemäß §§ 1301 f. ABGB solidarisch mit Guido G; die Haftung der Zweitbeklagten sei im § 63 KFG begründet. Die dreijährige Verjährungsfrist sei durch das Anerkenntnis des Vertreters des Erstbeklagten gegenüber dem Vertreter des Klägers am 30. März 1979 unterbrochen worden. Die Zweitbeklagte habe überdies auf die Einrede der Verjährung bis 31. Dezember 1982 verzichtet; dieser Verzicht gelte im Hinblick auf das Einverständnis des Erstbeklagten mit der Regelung des Schadens des Klägers durch die Zweitbeklagte auch für den Erstbeklagten. Die von den Beklagten erhobene Prozeßeinrede der Verjährung sei in Anbetracht des einmal erklärten Verjährungsverzichts und der rechtzeitigen Klagserhebung vom 31. Dezember 1982

unerheblich; soweit diese Einrede auf Bestimmungen des italienischen Rechts gegründet werde, sei sie wegen der Anwendung österreichischen Rechts auf den Schadensfall nicht zu beachten; ihre Geltendmachung sei wegen des vereinbarten Verjährungsverzichts und der in Österreich geltenden Vertragsfreiheit sittenwidrig und verstoße gegen den ordre public. Die Verletzungen des Klägers, die mit ihrer Behandlung und Heilung verbundenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten, die vorübergehende Verschlimmerung des epileptischen Anfallsleidens für die Dauer eines Jahres und alle damit zusammenhängenden Beschwerden einschließlich der sicherlich anzunehmenden seelischen Schmerzen und Angstzustände sowie die mit einer kosmetischen Operation der Narbe an der Unterlippe verbundenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten (unter der Annahme eines komplikationslosen Operations- und Heilungsverlaufes) rechtfertigten die Bemessung des Schmerzengeldanspruches des Klägers mit S 20.000. Da der Kläger im Unfallszeitpunkt nicht angeschnallt war, habe er sich im Sinne der ständigen Rechtsprechung ein Viertel Mitverschulden hinsichtlich seines Schmerzengeldanspruches anrechnen zu lassen, so daß ihm S 15.000 zuzusprechen gewesen seien. Der Kläger habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden, da eine Operation der Narbe an der Unterlippe angezeigt sei und naturgemäß nicht vorhergesehen werden könne, welche Kosten damit verbunden sein und ob die Operation und die Heilung komplikationslos verlaufen werden.

Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren für mängelfrei und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich.

Zu den Rechtsrügen der Berufungen führte die zweite Instanz aus, es sei den Beklagten beizupflichten, daß auf Verkehrsunfälle, an denen mehrere Fahrzeuge beteiligt sind, gemäß Art. 3, 4 lit b des übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, BGBl. 387/1975, das innerstaatliche Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet habe, hier also italienisches Recht, anzuwenden wäre, weil ein unfallsbeteiligtes Fahrzeug in Italien zugelassen sei. Dieses übereinkommen bestimme aber nach seinem Art. 1 Abs 1 lediglich das auf die außervertragliche zivilrechtliche Haftung aus einem Straßenverkehrsunfall anzuwendende Recht. Habe zwischen den Streitteilen aber eine schuldrechtliche Beziehung bestanden, so sei gemäß § 37 J oder zumindest bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 J österreichisches Recht anzuwenden. Das Berufungsgericht teile die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Vereinbarung zwischen dem Erstbeklagten und seinen Gefährten, wonach ersterer die anderen unentgeltlich nach Udine und am selben Tag wieder zurück nach Villach zu fahren hatte, ein Vertrag eigener Art sei. Es könne nämlich nicht gesagt werden, daß hiedurch überhaupt keine Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten entstanden seien. Dieser Vertrag enthalte Elemente des Beförderungs- und des Schenkungsvertrages. Da Unentgeltlichkeit vorliege, werde die Haftung des Erstbeklagten nach der eines Geschenkgebers zu beurteilen sein. Komme der Schenker schuldhaft in Verzug oder werde die Erfüllung durch sein Verschulden unmöglich, so habe er dafür nach den allgemeinen Regeln Schadenersatz wegen Verletzung vertraglicher Pflichten zu leisten, wobei allerdings in der Regel anzunehmen sei, daß die Parteien die Haftung für bloß leicht fahrlässiges Verhalten des Schenkers ausgeschlossen haben. Aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnis ergäben sich für die Beteiligten neben den Haupt- und Nebenleistungsverpflichtungen auch umfassende Schutzpflichten gegenüber der Person und dem Vermögen des Partners. So müsse auch im besonderen Fall eine Schutzpflicht des Erstbeklagten dahin angenommen werden, durch seine Fahrweise die körperliche Unversehrtheit seiner Fahrgäste nicht zu gefährden. Eine Verletzung dieser Schutzpflicht stelle eine positive Vertragsverletzung dar. Die Haftung des Schenkers bei solchen positiven Vertragsverletzungen sei nicht auf Vorsatz beschränkt, sondern bestehe auch für fahrlässiges Verhalten. Ein Haftungsausschluß für bloß leicht fahrlässiges Verhalten könne daher nicht angenommen werden. Durch die Wahl einer etwas überhöhten Geschwindigkeit und durch die verspätete Reaktion auf die Vorrangverletzung durch den italienischen PKW habe der Erstbeklagte zumindest leicht fahrlässig seine vertraglichen Schutzpflichten gegenüber dem Kläger verletzt. Auf Grund der schon vom Erstgericht aufgezeigten Gründe seien daher die Ansprüche des Klägers nach österreichischem Recht zu beurteilen, was auch für die Unterbrechung der Verjährung gelte. Auch diesbezüglich könne auf die zutreffende Begründung des Erstgerichtes verwiesen werden. Das Schmerzengeld sei nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der körperlichen und seelischen Schmerzen des Verletzten, der Art und Schwere seiner Verletzungen, der Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, des Heilungsverlaufes und Dauerfolgen, nach freier überzeugung des Gerichtes global festzusetzen. Wenngleich die Verletzungen des Klägers nicht besonders schwer waren, hätten sie jedoch eine zeitweise Verstärkung der epileptischen Anfälle bewirkt und deutlich sichtbare, wenn auch nicht entstellende Narben im Gesicht hinterlassen. Berücksichtige man noch die Dauer und die Intensität der Schmerzen - die voraussehbaren Auswirkungen einer kosmetischen Operation seien bereits einzubeziehen -, so erscheine ein Schmerzengeldbetrag von S 30.000 angemessen, wovon der Mitverschuldensanteil des Klägers von einem Viertel noch abzuziehen sei.

Die Beklagten führen in ihrer Revision aus, mangels Entgeltlichkeit liege im vorliegenden Fall kein Beförderungsvertrag, der Elemente eines Schenkungsvertrages enthalte, vor. Eine Haftung der Beklagten aus einem Vertrag scheide daher aus; nach dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen sei somit im vorliegenden Fall italienisches Recht anzuwenden, das einschließlich der entsprechenden italienischen Rechtsprechung, von Amts wegen von den Vorinstanzen zu ermitteln gewesen wäre. Nach italienischem Recht hätte wegen Geringfügigkeit der Verletzungsfolgen kein Schmerzengeld zugesprochen werden dürfen, das italienische Recht kenne auch keine Feststellungsklagen. Die Verjährungsverzichtserklärung der Zweitbeklagten wäre nach italienischem Recht nichtig gewesen. Den Erstbeklagten treffe an dem Unfall kein Mitverschulden, weil die geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung gegenüber dem groben Verschulden des Guido G zu vernachlässigen sei. Der Höhe nach wäre ein Schmerzengeld von höchstens S 10.000 gerechtfertigt, wobei die Schmerzen anläßlich einer kosmetischen Operation nicht berücksichtigt werden könnten.

Diesen Ausführungen kann hinsichtlich der Fragen der Haftung der Beklagten aus einer Vertragsverletzung und derjenigen des auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Rechtes im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes bestand zwischen dem Erstbeklagten und seinen Fahrgästen Einvernehmen darüber, daß der Fahrzeuglenker seine Begleiter mit dem PKW zum Einkaufen nach Udine und wieder nach Villach zurückbringe. Die Ankunft in Villach war für 22,00 Uhr geplant. Der Erstbeklagte erhielt für diese Fahrt von keinem seiner Fahrgäste irgendein Entgelt, eine sonstige Gegenleistung oder Fahrtkostenbeteiligung. Auch die Bezahlung des Abendessens durch den Kläger lehnte er ab.

Voraussetzung für die Annahme einer Haftung der Beklagten aus der Verletzung vertraglicher Pflichten wäre das Bestehen eines Vertrages zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten. Es wäre somit erforderlich, daß auf Seiten des Klägers und des Erstbeklagten der übereinstimmende Geschäftswille vorhanden war, durch ihre Willenserklärungen rechtliche Wirkungen auszulösen, die nötigenfalls durch behördlichen Zwang durchgesetzt werden könnten. Anderenfalls läge nur eine unverbindliche Gefälligkeitszusage des Erstbeklagten vor, die mangels eines Bindungswillens im Sinne eines Rechtsfolgewillens für ihn keine Verbindlichkeit gegenüber dem Kläger zum Entstehen bringen konnte (vgl. EvBl 1977/68, SZ 8/14 u. a., Rummel in Rummel, ABGB, Rz 7 zu § 861, Koziol-Welser I 6 68). Im vorliegenden Fall stellt das vom Erstbeklagten aus Gefälligkeit gestattete Mitfahren des Klägers im PKW entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes mangels rechtsgeschäftlichen Charakters weder eine Schenkung dar (vgl. Schubert in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 938), noch kommt schon mangels Entgeltlichkeit eine Qualifikation als Beförderungsvertrag in Betracht (vgl. SZ 34/50, 4 Ob 139/77, Adler-Höller in Klang 2 V 167, Krejci in Rummel, ABGB, Rz 4 und 26 zu § 1165). Der Kläger kann daher im vorliegenden Fall mangels Bestehens eines Vertrages mit dem Erstbeklagten keine Haftung der Beklagten aus einer Verletzung von vertraglichen Pflichten bzw. vertraglichen Nebenpflichten ableiten. Daraus folgt, daß im vorliegenden Fall das Haager übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, BGBl. 1975/387, Anwendung zu finden hat. Dies hat zur Folge, daß im Hinblick auf das Deliktsstatut des Art. 3 des übereinkommens und auf die Beteiligung zweier Kraftfahrzeuge, von denen eines im Staate des Deliksortes Italien zugelassen ist und das andere in einem Vertragsstaat (Österreich), sowie mangels Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes des Art. 4, italienisches Recht anzuwenden ist. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Bestimmungen der §§ 37 und 48 Abs 1 J kämen schon deshalb nicht zur Anwendung, weil sich der Unfall vor dem Inkrafttreten des J (1. 1. 1979) ereignete und überdies gemäß § 53 J Bestimmungen zwischenstaatlicher Vereinbarungen, zu denen auch das Haager Straßenverkehrsübereinkommen zählt (Duchek-Schwind, IPR, Anm. 1 zu § 48, S 101 und Anm. 1 A Punkt 9 zu § 53, S 118) durch das J nicht berührt werden. Da die Vorinstanzen von einer vom Revisionsgericht nicht geteilten Rechtsauffassung ausgehend, die Rechtssache nach österreichischem Recht beurteilt haben, kann derzeit noch nicht gesagt werden, ob die Sachverhaltsfeststellungen für eine Beurteilung nach italienischem Recht ausreichen; eine Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen war daher unvermeidlich.

Im fortgesetzten Verfahren werden die für die Entscheidung des vorliegenden Falles maßgebenden Vorschriften des italienischen Rechtes von Amts wegen zu ermitteln (§ 4 Abs 1 J) sowie von Amts wegen und wie in ihrem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden sein (§ 3 J). Bei der Anwendung des fremden Rechtes sind über die Ermittlung des Gesetzeswortlautes hinaus auch die einschlägige Lehre und Rechtsprechung zu berücksichtigen (vgl. hiezu Anm. 4 zu § 3 und Anm. 1 zu § 4 J in Duchek-Schwind IPR). Dazu erschiene die Einholung von Auskünften des Bundesministeriums für Justiz, wie sie im § 4 Abs 1 J vorgesehen ist, zweckmäßig, zumal damit voraussichtlich auch eine zusammenfassende Darstellung der italienischen Lehre und Rechtsprechung gewonnen werden könnte. Der Revision war daher Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E05743

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0020OB00048.84.0521.000

Dokumentnummer

JJT_19850521_OGH0002_0020OB00048_8400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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