TE OGH 1985/5/29 9Os86/85

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Veröffentlicht am 29.05.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Mai 1985 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Rechberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Rene Josef A wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 27.März 1985, GZ. 9 Vr 1817/84-52, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen, welcher im übrigen (nämlich zu den Hauptfragen 2. und 7.) unberührt bleibt, in Ansehung der Hauptfrage 1., ferner das angefochtene Urteil, das ansonsten (und zwar in den auf dem Wahrspruch zu den Hauptfragen 2. und 7. fußenden Punkten II. bis

VII. des Schuldspruchs) unberührt bleibt, im auf dem obbezeichneten Wahrspruch zur Hauptfrage 1. beruhenden, zu Punkt I.

1) und 2) ergangenen Schuldspruch wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB sowie demzufolge auch im Strafausspruch, ferner im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht Klagenfurt zurückverwiesen, dem gemäß § 349 Abs. 2 StPO

aufgetragen wird, die unberührt gebliebenen Teile des Wahr-(und Schuld-)spruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rene Josef A (neben anderen strafbaren Handlungen) des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt, weil er versucht hat, nachgenannte Personen vorsätzlich zu töten, nämlich 1) am 7.Juli 1984 in Pontnig den Gendarmeriebeamten Albin B durch Abfeuern von zwei Schüssen aus einer abgesägten doppelläufigen Schrotflinte gegen dessen Oberkörper, und 2) am 10.Juli 1984 in Bazora (Gemeinde Gurtis) den Kriminalbeamten Johann C durch Abfeuern von zwei Pistolenschüssen gegen dessen Rücken.

Dieser Schuldspruch beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonform gestellte Hauptfrage einstimmig bejaht hatten; die für den Fall deren Verneinung gestellte Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB

blieb demzufolge unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Der Sache nach nur den zuvor bezeichneten Schuldspruch (wegen versuchten Mordes) bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO

gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt. Hinsichtlich des vom Angeklagten in Beschwerde gezogenen Punktes wurde den Geschwornen in der Rechtsbelehrung (S. 81 f/II) über den Begriff des bedingten Vorsatzes folgende Belehrung erteilt:

'Beim bedingten Vorsatz strebt der Täter die Verwirklichung des Unrechtssachverhaltes (Tod eines anderen Menschen) nicht an, sondern handelt um anderer Zwecke willen (z.B. wie im gegenständlichen Fall die Verhinderung einer Amtshandlung, nämlich der Feststellung der Identität und der Festnahme durch Gendarmeriebeamte). Der Täter hält es allerdings ernstlich für möglich, daß seine Handlung neben dem, was er mit ihr anstrebt, auch den Tod des anderen Menschen zur Folge haben kann (Abgabe von Schüssen auf Gendarmeriebeamte)'. Der Beschwerdeführer wendet unter dem Gesichtspunkt einer im Ergebnis einer Unrichtigkeit gleichkommenden Unvollständigkeit der den Geschwornen zur Hauptfrage 1. erteilten Rechtsbelehrung ein, daß diese eine Erläuterung (bloß) des intellektuellen Vorsatzelementes (also des vorherigen Bedenkens eines Sachverhalts) enthalte, während das Sich-Abfinden mit einem Sachverhalt (als voluntatives Vorsatzelement) vollkommen unerörtert geblieben sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes stellen Mängel der Rechtsbelehrung dann den Nichtigkeitsgrund der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO dar, wenn die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung in Beziehung auf die an sie gestellten Fragen entweder sachliche Unrichtigkeiten enthält oder derart unvollständig ist, daß sie zu Mißdeutungen hinsichtlich der gesetzlichen Merkmale der dem/den Angeklagten zur Last gelegten strafbaren Handlung, zu irriger Auslegung der in einer an die Geschwornen gerichteten Frage enthaltenen Ausdrücke des Gesetzes oder zu Irrtümern über das Verhältnis der Fragen zueinander Anlaß geben könnte. Im vorliegenden Fall wird in der Rechtsbelehrung zur subjektiven Tatseite zum einen (an sich unzulässig) auf den konkreten Sachverhalt Bezug genommen und damit der Rahmen der schriftlichen Rechtsbelehrung nach § 321 StPO - wonach selbst die bloße Anführung von Beispielen, welche auch nur den Anschein eines Eingehens auf den konkreten Sachverhalt erwecken können, tunlichst zu unterbleiben hat (vgl. ÖJZ-LSK. 1979/356; Melnizky in JBl. 1973, 356) - überschritten und zum anderen (und vor allem) der bedingte Vorsatz nicht erschöpfend erläutert, weil die Geschwornen nur über dessen Wissenskomponente, nicht aber darüber hinaus auch über die erforderliche Willensbildung eines bedingt vorsätzlich handelnden Täters unterrichtet wurden. Denn der bloße Hinweis, der mit einem derartigen Vorsatz agierende Täter 'hält es ernstlich für möglich, daß seine Handlung neben dem, was er mit ihr anstrebt, auch den Tod eines anderen Menschen zur Folge haben kann', stellt sich in rechtlicher Beziehung als Ausgangspunkt sowohl eines Handelns mit bedingtem Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB) als auch eines Handelns mit (bloß) bewußter Fahrlässigkeit (§ 6 Abs. 2 StGB) dar. Der Unterschied zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit liegt erst in der beabsichtigten Fortsetzung des Willensbildungsprozesses, nämlich darin, ob der Täter sich mit der als naheliegend erkannten Tatbildverwirklichung auch innerlich - bewußt und damit positiv, obgleich nicht unbedingt billigend (vgl. 10 Os 174/83, 10 Os 33/83, 10 Os 10/82 u.a.) - abgefunden hat (in welchem Fall er bedingt vorsätzlich handelt) oder nicht, woraus lediglich auf bewußte Fahrlässigkeit geschlossen werden kann (vgl. hiezu Leukauf-Steininger Kommentar 2

RN. 14 ff., Nowakowski im Wiener Kommentar Rz. 13 ff. jeweils zu § 5).

Die schriftliche Rechtsbelehrung ließ solcherart die Geschwornen über einen wesentlichen Punkt im unklaren und war - Gegenteiliges kann auch der (als Prüfstein dienenden) Niederschrift der Geschwornen (§ 331 Abs. 2 StPO) nicht entnommen werden - geeignet, zu Mißverständnissen über die subjektive Tatseite beim Mord zu führen. Sie erweist sich darum als im Sinne der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO unrichtig und der Wahrspruch der Geschwornen zur Hauptfrage 1 sowie der darauf fußende Schuldspruch (Punkt I 1 und 2) wegen des Verbrechens des versuchten Mordes als nach dieser Gesetzesstelle nichtig.

Der begründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß §§ 285 e, 344 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben und über dieses Rechtsmittel sowie die Berufung spruchgemäß zu erkennen. Im zweiten Rechtsgang wird außerdem zu beachten sein, daß der Angeklagte nach der Aktenlage (vgl. S. 111/II) seit 7.Jänner 1985, 20,30 Uhr, zu diesem Verfahren in Untersuchungshaft angehalten wird (§ 38 StGB).

Anmerkung

E05662

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00086.85.0529.000

Dokumentnummer

JJT_19850529_OGH0002_0090OS00086_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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