TE OGH 1985/6/10 1Ob570/85

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Veröffentlicht am 10.06.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude A, Schauspielerin, Wien 1., Gonzagagasse 12/16, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) B Giselher C Gesellschaft m.b.H. & Co. KG, Lermoos, 2.) B Giselher C Gesellschaft m.b.H., Lermoos, beide vertreten durch Dr. Heinz Bauer und Dr. Harald Hummel, Rechtsanwälte in Innsbruck, und der auf der Seite der beklagten Parteien beigetretenen Nebenintervenientin Firma D Maschinenhandelsgesellschaft m.b.H., Inzing, vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 226.168 s.A.

(Streitwert des Revisionsverfahrens S 199.168 s.A.) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6. Dezember 1984, GZ. 2 R 297/84-32, womit infolge Berufung der beklagten Parteien und des Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12. Juli 1984, GZ. 10 Cg 466/83-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung 1) den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird in Ansehung des Teilbetrages von S 80.000,-- samt 4 % Zinsen von S 30.000,-- vom 19. August 1983 bis 7. Dezember 1983 und von S 80.000,-- seit 8. Dezember 1983 sowie im Kostenausspruch aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuen Entscheidung zurückverwiesen;

2) zu Recht erkannt:

Im übrigen wird das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig erkannt werden, der klagenden Partei den Betrag von S 119.168,-- samt 4 % Zinsen von S 40.000,-- vom 19. August 1983 bis 7. Dezember 1983, von S 89.168,-- vom 8. Dezember 1983 bis 9. Juli 1984 und von S 119.168,-- seit 10. Juli 1984 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20. Jänner 1982 unterzeichneten die erstbeklagte Partei und die Firma D-Maschinenhandelsges.m.b.H., Inzing, (im folgenden: Firma D), einen 'Kaufvertrag', dessen Gegenstand der Erwerb einer D-RUN-Riesenrutschbahn durch die erstbeklagte Partei war, die auf einer vom Käufer nach Planungsunterlagen der Firma D hergestellten Rohtrasse im Bereich des Marienbergsesselliftes Biberwier errichtet werden sollte. Nach § 2 dieses Vertrages verkaufte die Firma D die Rutschbahn mit einer Länge von insgesamt 1200 m 'nach dem neuesten Stand der Technik und der behördlichen Vorschreibungen, insbesondere mit Fahrtauglichkeit und Fahrgastsicherheit auch bei Nässe (Filzbremsen)'. Der genaue Liefer- und Leistungsumfang wurde in einem gesonderten Leistungsverzeichnis angeführt. Der Fixpreis betrug S 4,900.000 ohne Mehrwertsteuer. Zu den von der Verkäuferin zu erbringenden Leistungen gehörte laut § 4 des Vertrages auch die überreichung der Einreichunterlagen. Vor Abschluß dieses Vertrages hatten der Geschäftsführer der erstbeklagten Partei Giselher C sowie der Prokurist der erstbeklagten Partei Dr. Ernst E drei Anlagen, die die Firma D bereits errichtet hatte (Saalfelden, Leutasch, Bad Tölz), besichtigt. Sie lernten dabei den Betrieb der Rodelbahnen kennen; ihnen kam dabei auch zur Kenntnis, daß sich nicht alle Rodler der Beförderungsordnung entsprechend verhielten und daß es zu Stauungen wegen langsamfahrender Rodler kam, was bewirkte, daß Rodler, die nicht bereit waren, hinter langsam abfahrenden Rodlern herzufahren, ihre Gleiter anhielten, um genügend freie Bahn für eine Fahrt mit hoher Geschwindigkeit zu erhalten. Bei den drei Bahnen, die der Geschäftsführer der erstbeklagten Partei sowie Dr. Ernst E besichtigten, waren Gleiter in Verwendung, die keine Auffangbügel an der Rückseite montiert hatten.

In den Unterlagen, die die Firma D entsprechend dem Kaufvertrag der erstbeklagten Partei zwecks Erlangung der behördlichen Betriebsbewilligung zur Verfügung stellte (Unterlagen der Typprüfung), ist bezüglich der Gleiter 'Kessi' folgendes vermerkt:

'1.      11        Baumaße Gleiter 'Kessi' 1.      12        Baumaße

Gleiter 'Kessi' mit Auffangbügel 1.      13        Stückliste

Gleiter 'Kessi' 1.      14        Stückliste Gleiter 'Kessi' mit

Auffangbügel.' Die Firma D hatte in diesen Typprüfungsunterlagen bereits vor übersendung an die erstbeklagte Partei die Punkte 1. 12 und 1. 14 gestrichen; das Gestrichene war aber weiterhin leicht lesbar.

Die Firma D war der Ansicht, daß Gegenstand des Kaufvertrages Gleiter ohne Auffangbügel seien; im Konstruktionsplan des Gleiters, der den Einreichungsunterlagen angeschlossen war, war dementsprechend kein Auffangbügel eingezeichnet. Die Firma D hat in Österreich bis Herbst 1982 ca. zehn Bahnen errichtet, aber nirgends Gleiter mit Auffangbügeln geliefert. Auch in Deutschland verkaufte die Erzeugerin, die Firma DEMAG-Fördertechnik, größtenteils Gleiter ohne Auffangbügel; nur bei extremen Bahnen - zu welchen die in Biberwier nicht gehört - wurden Gleiter mit Auffangbügeln eingesetzt. Die Gleiter ohne Auffangbügel erhielten 1977 die Genehmigung durch die Staatliche Technische überwachung (F) Hessen. Bei dieser Prüfung wurde 'besonders eingehend das mögliche Auffahren eines Gleiters auf einen vorfahrenden oder stehenden Gleiter untersucht'; der Sachverständige der Staatlichen Technischen überwachung Hessen kam zum Ergebnis, die Gleiter könnten in der zugehörigen Bahn bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ausreichend sicher betrieben werden. Auch vom Amt der Tiroler Landesregierung wurde bis 30. August 1982 in keinem Falle die Auflage erteilt, Gleiter mit Auffangbügeln zu verwenden. Dabei war zumindest durch die Einreichunterlagen der Behörde bekannt, daß es Gleiter mit Auffangbügeln gibt und durch diese Vorrichtung eine höhere Fahrgastsicherheit erreicht wird. Die Einreichunterlagen wurden vom technischen Betriebsleiter der erstbeklagten Partei in Biberwier sowie vom Prokuristen Dr. Ernst E kurz durchgesehen; die Streichung der Punkte 1. 12 und 1. 14 bzw. die Tatsache, daß es auch Gleiter mit Auffangbügel gibt, wurde dabei nicht näher beachtet. Die Unterlagen wurden im Vertrauen darauf, daß sie den Bestimmungen des Vertrages zwischen der erstbeklagten Partei und der Firma D entsprachen, zuerst der Gemeinde Biberwier und dann der Bezirkshauptmannschaft Reutte zur Bewilligung weitergeleitet. Auf Grund dieser Unterlagen wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 14. Juni 1982, Zahl 2915/8-82, der erstbeklagten Partei die gewerberechtliche Bewilligung mit einer Reihe von Auflagen mit der Anordnung erteilt, daß die Anlage erst auf Grund einer Betriebsbewilligung in Betrieb genommen werden dürfe. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 9. August 1982 wurde eine bis 31. Oktober 1982 befristete Betriebsbewilligung erteilt; die Bahn war allerdings bereits vor dem 17. Juli 1982 in Betrieb genommen worden. Die an den Berg- und Tatstationen angeschlagenen Beförderungsbedingungen enthalten folgende Hinweise:

A) Die Beförderung von Fahrgästen auf der Sommerrodelbahn erfolgt:

1. Wenn den geltenden Vorschriften und Anordnungen entsprochen wird

...

B) Von der Beförderung sind grundsätzlich ausgeschlossen:

1. Fahrgäste, welche die vorgeschriebene Ordnung nicht beachten, 2. Fahrgäste, die sich den Anordnungen der Bediensteten nicht fügen ...

D)  Besondere Bestimmungen: .......

2. Der Fahrgast begibt sich an die Startrampe der Rodelbahn. Nach

Bereitschaft des Benützers und nach Freigabe der Bahn (durch

Aufleuchten der Ampel auf Grün) muß die Fahrt begonnen werden. Die

Rodel ist so beschaffen, daß    a) durch Vorwärtsdrücken des

Bedienungshebels    beschleunigt werden kann,    b) in der neutralen

Lage eine    Höchstgeschwindigkeit von ca. 5 m/sec (ca.

   20 km/h) erreicht wird,    c) durch Anziehen des Bedienungshebels

die    Bremsen zur Wirkung kommen.

3. Die Gebote für den Benützer an Start und Ziel sind vom Fahrgast zu beachten.

5.

Die Mindestabstände auf den Hinweistafeln sind zu beachten.

6.

Stehen bleiben auf der Strecke ist verboten.

7.

Bei eventuellen notwendig werdenden Fahrtunterbrechungen ist die Bahn sofort mit der Rodel zu verlassen.

Am 17. Juli 1982 ereignete sich der erste Unfall, als in der Talstation ein Gleiter auf einen anderen aufgrund einer Fehlreaktion des Rodlers auffuhr. Am 30. Juli 1982

ereignete sich ein weiterer Unfall, der in einem Sturz ohne Mitwirken eines zweiten Rodlers bestand. Am 16. August 1982 benützte die Klägerin die Rodelbahn; sie hat hiefür ein Entgelt entrichtet. Beim Einstieg zur Bahn befand sich kein Angestellter der erstbeklagten Partei, der dort speziell das Einsteigen überwacht hätte. In der Bergstation des Lifts war ein Angestellter damit betraut, den Fahrgästen beim Aussteigen zu helfen, den Gleiter abzunehmen und diesen auf den Start der Bahn zu legen. Die Fahrsignaleinrichtung arbeitete bestimmungsgemäß und gab nach jeweils 10 Sekunden ein Abfahrtsignal. Dadurch wurde die behördlich vorgeschriebene Einhaltung von Sicherheitsabständen im Startbereich bewirkt.

Aufsichtspersonal im übrigen Verlauf der Bahn war nicht vorhanden. Die Klägerin, die die Bahn bereits durch mehrmaliges Befahren an diesem Tag kennengelernt hatte, fuhr mit Verwandten ab. Die fünf Rodler dieser Gruppe mußten die Gleiter wegen eines extrem langsam fahrenden deutschen Fremdengastes, der ein kleines Kind mitbeförderte und sich bei der Bedienung des Gleiters anscheinend nicht richtig auskannte, stark abbremsen, wodurch schließlich - ein bekanntes Stauphänomen - die gestauten Gleiter zu einem kurzfristigen Stillstand kamen.

Als der Gleiter der Klägerin zum Stillstand gekommen war, hörte sie von hinten schnell abfahrende Gleiter, drehte sich um und rief dem ersten nachkommenden, ihr unbekannten Mädchen zu, es solle anhalten. Diesem Mädchen gelang es, den Gleiter anzuhalten, ohne daß sie auf den Gleiter der Klägerin aufgefahren wäre. Fast im selben Moment fuhr aber ein zweiter dahinter mit hoher Geschwindigkeit nachkommender, mit einem Mädchen besetzter Gleiter kaum gebremst auf den vor ihr befindlichen Gleiter auf, der dadurch auf den Gleiter der Klägerin aufgeschoben wurde, wodurch der Vorderteil des Gleiters in den Rückenbereich der Klägerin stieß. Bis zu diesem Aufreiten war der Gleiter der Klägerin nur ganz kurze Zeit in der Bahn gestanden; ob es der Klägerin möglich gewesen wäre, in dieser kurzen Zeit die Bahn zu verlassen, steht nicht fest. Hätten die Gleiter auf der Rodelbahn die in der technischen Beschreibung aufscheinenden, in dieser aber gestrichenen Auffangbügel gehabt, wäre die Verletzung der Klägerin mit Sicherheit unterblieben. Ohne Auffangbügel wären auch in Zukunft solche Auffahrverletzungen zu erwarten gewesen, zumal der Gleiter so konstruiert ist, daß er beim Bremsen vorne angehoben wird. Der Auffangbügel hat keine Benachteiligung oder Behinderung der auf dem Gleiter sitzenden Person zur Folge. Der Mehrpreis eines Gleiters mit Auffangbügel beträgt bei einem Gleiterpreis von S 4.000 bis S 6.000 S 176,48 zuzüglich Mehrwertsteuer.

Das Amt der Tiroler Landesregierung hat aufgrund des Unfalls der Klägerin die Nachrüstung der auf den Sommerrodelbahnen im Lande Tirol verwendeten Gleiter mit Auffangbügeln vorgeschrieben. Die Klägerin begehrt zuletzt den Betrag von S 226.168 s. A. (S 110.000 Schmerzengeld, S 80.000 Verdienstentgang, S 9.000 Kosten der Kinderbetreuung, S 20.000 Kosten der Haushaltshilfe und S

7.168 Fahrtspesen des Ehegatten). Sie führte zur Begründung des Begehrens aus, die beklagten Parteien hätten es unterlassen, ausreichende Sicherheitsmaßnahmen zur Verhütung von Unfällen auf der von ihnen betriebenen Sommerrodelbahn zu treffen. Die Benützer der Rodelbahn seien nicht ausreichend über die Benützungsweise der zur Verfügung gestellten Gleiter unterrichtet worden; beim Start sei nicht auf die Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes zwischen den einzelnen Rodeln gesorgt worden; die Gleiter seien auch mangelhaft konstruiert, da sie keine ausreichenden Bremsvorrichtungen, vor allem aber keine Schutzvorrichtung gegen Auffahrunfälle, wie sie Auffangbügel darstellten, aufwiesen. Die beklagten Parteien beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Sie brachten vor, die von der erstbeklagten Partei betriebene Rodelbahn sei nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen errichtet, ihr Betrieb sei durch die zuständigen Behörden genehmigt worden. Erst nach dem gegenständlichen Unfall sei im Rahmen einer behördlichen überprüfung der Anlage vom Amt der Tiroler Landesregierung die Auflage erteilt worden, Sicherheitsbügel an den Gleitern anzubringen. Dieser behördlichen Anordnung habe die erstbeklagte Partei dann auch entsprochen. Bis zum Zeitpunkt des Unfalles seien alle erteilten behördlichen Auflagen erfüllt worden, so daß der erstbeklagten Partei ein rechtswidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Die erstbeklagte Partei habe die Rodelbahn auch nicht in Eigenregie konstruiert, sondern eine fertige und im Zustand des Verkaufs konzessionierte und technisch überprüfte Bahn von der Firma D gekauft. Die Projektunterlagen hätten keinen Hinweis auf Sicherheitsbügel enthalten. Auch im Konstruktionsplan der Gleiter, der mit den Genehmigungsunterlagen vorgelegt worden sei, seien keine Auffangbügel eingezeichnet gewesen. Die Klägerin habe durch die Benützung der Rodelbahn das mit der Ausübung dieser Sportart verbundene Risiko übernommen. Es handle sich um einen atypischen Auffahrunfall, der für die beklagten Parteien nicht vorhersehbar gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit dem Teilbetrag von S

199.168 samt 4 % Zinsen aus S 70.000 vom 19. August 1983 bis 7. Dezember 1983, aus S 169.168 vom 8. Dezember 1983 bis 9. Juli 1984 und aus S 199.168 seit 10. Juli 1984 statt, das Mehrbegehren von S 27.000 s.A.

wies es (unbekämpft) ab. Die erstbeklagte Partei habe zwar sämtliche behördlichen Auflagen erfüllt, es seien auch bis zum gegenständlichen Unfall in Österreich und teilweise auch in der Bundesrepublik Deutschland auf keiner vergleichbaren Sommerrodelbahn Gleitertypen mit Auffangbügeln verwendet worden, doch vermöge dies die beklagten Parteien nicht zu entlasten. Mit der Erfüllung der behördlichen Auflagen hätten sie lediglich den Mindestanforderungen an die vom Verantwortlichen zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen entsprochen. Es schließe dies nicht die Möglichkeit aus, daß Unzulänglichkeiten gegeben seien, so daß jedenfalls geprüft werden müsse, ob nicht auch Fachleute zu geringe Anforderungen an die für den Schutz der Benützer der Rodelbahn notwendigen Einrichtungen gestellt haben. Die Genehmigung des Betriebes einer technischen Anlage entlaste deren Eigentümer dann nicht, wenn ihm auf Grund eigener besserer Kenntnis Maßnahmen zur Verhütung von Gefahren zuzumuten seien, was insbesondere dann der Fall sei, wenn ihm bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit Umstände bekannt sein müssen, die weitere Schutzmaßnahmen als erforderlich erscheinen lassen. Die zusätzliche Schutzfunktion der Auffangbügel sei jedem sofort klar einsichtig. Das Bedürfnis nach einer solchen zusätzlichen Schutzmaßnahme sei auch angesichts der Tatsache, daß bei solchen Rodelbahnen immer wieder teilweise durch ein der Benützungsordnung widersprechendes Verhalten von Rodlern Stauungen und Zusammenstöße vorkommen, evident. Angesichts der minimalen Zusatzkosten für die Ausrüstung der Gleiter mit Auffangbügeln sei deren Anbringung auch durchaus zumutbar. Den beklagten Parteien wäre es oblegen, die Einreichunterlagen mit der erforderlichen Sorgfalt zu prüfen; dabei wäre ihnen bekannt geworden, daß es Gleiter mit Auffangbügeln gibt. Wenn sie dennoch die behördliche Genehmigung der Anlage mit einem Gleitertyp ohne Auffangbügel erwirkten, liege darin ein Verschulden, für das die beklagten Parteien einzustehen haben. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht anzunehmen, weil nicht erwiesen sei, daß sie Zeit gehabt hätte, der Beförderungsordnung entsprechend die Bahn zu verlassen.

Das Schmerzengeld sei mit dem Betrag von S 100.000

angemessen, der Verdienstentgang sei mit S 80.000

erwiesen. Unter Anwendung der Bestimmung des § 273 ZPO seien der Zusatzaufwand für Kinderbetreuung mit S 4.000, die Kosten der Haushaltshilfe mit S 8.000 zu bemessen.

Berechtigt sei auch die Forderung auf Ersatz des Betreuungsaufwandes des Ehegatten in der Höhe von S 7.168.

Das Klagebegehren sei demnach mit dem Betrag von S 199.168 gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der gegen den dem Klagebegehren stattgebenden Teil der Entscheidung des Erstgerichts erhobenen Berufung der beklagten Parteien und des Nebenintervenienten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Revision ließ es zu. Der mit der Klägerin abgeschlossene Vertrag habe die beklagten Parteien dazu verpflichtet, die Anlage so zu gestalten, daß sie sich in einem für die Beförderung sicheren und gefahrlosen Zustand befand und das körperliche Wohl der Benützer nicht verletzt oder gefährdet würde. Durch die Anerkennung derartiger Verkehrssicherungspflichten dürfe jedoch der das Schadenersatzrecht beherrschende Verschuldensgrundsatz nicht durch eine vom Verschulden losgelöste Haftung ersetzt werden. Abwehrmaßnahmen gegen gefährliche Zustände seien daher stets nur im Rahmen des Zumutbaren zu treffen; im Einzelfall komme es auch auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an. Für die Sicherung von Gefahrenquellen sei in umso höherem Maße zu sorgen, je weniger angenommen werden könne, daß die von der Gefahr betroffenen Personen ihrerseits sich vor Schädigungen vorzusehen und zu sichern wissen. Für das Ausmaß der Sicherungspflicht sei entscheidend, ob nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle bestehe. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß nach den den beklagten Parteien zugekommenen, für die Behörde bestimmten Einreichungsunterlagen der Typprüfung die Gleitervariante 'mit Auffangbügel' durchgestrichen und dementsprechend auch im Konstruktionsplan des Gleiters ein Auffangbügel nicht eingezeichnet gewesen sei. Es stehe auch fest, daß auf den vor der Bestellung besichtigten Anlagen keine Gleiter mit Auffangbügeln Verwendung gefunden haben. Auch die Verwaltungsbehörde habe bis zum Unfall keine Auflage erteilt, die Gleiter mit Auffangbügeln auszustatten. Es gereiche den beklagten Parteien auch nicht zum Verschulden, wenn ihnen nicht bewußt geworden sei, daß es Gleiter mit Auffangbügeln gebe. In den Einreichungsunterlagen sei diese Variante, wenn auch leserlich, durchgestrichen gewesen. Es sei eine Erfahrungstatsache des täglichen Lebens, daß Durchgestrichenes in der Regel nicht beachtet werde, weil damit zum Ausdruck gebracht werde, daß diesem Teil des Schriftstückes keine Bedeutung zukomme. Da in weiterer Folge auch die zuständige Behörde, die vor Inbetriebnahme einer genehmigungspflichtigen Anlage wohl in erster Linie eine Prüfung auf deren Betriebssicherheit vorzunehmen hatte, keine Auflage erteilte und die Verwendung von Gleitern ohne Auffangbügel genehmigte, obwohl auch ihr das Vorhandensein einer Type mit Auffangbügeln erkennbar war, durften die beklagen Parteien auf die Betriebssicherheit der verwendeten Gleiter vertrauen. Nur dann, wenn ihnen aufgrund eigener besserer Kenntnis weitere Maßnahmen zuzumuten gewesen wären, fiele den beklagten Parteien ein Verschulden zur Last. Daß derartige Unfälle aufgetreten wären, wurde weder behauptet noch bewiesen. Für die mangelnde Gefährlichkeit der verwendeten Gleiter spreche auch, daß die Gleiter im Jahre 1977 die Genehmigung der Staatlichen Technischen überwachung Hessen erhalten hatten. Bei dieser Prüfung sei besonders eingehend das mögliche Auffahren eines Gleiters auf einen vorfahrenden oder stehenden Gleiter untersucht worden; die technische überwachungsstelle sei dabei zum Ergebnis gelangt, die Gleiter könnten in der zugehörigen Bahn bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ausreichend sicher betrieben werden. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände könne in der Verwendung von Gleitern ohne Auffangbügel ein Verschulden nicht erblickt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision der Klägerin kommt Berechtigung zu.

Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, daß der von der Klägerin mit der erstbeklagten Partei abgeschlossene Vertrag über die entgeltliche Benützung der Rodelbahn auch die vertragliche Nebenverpflichtung in sich schließt, die Benützer der Anlage vor Schäden an ihrer körperlichen Unversehrtheit während der Benützung der Anlage zu bewahren (EvBl. 1984/81; EvBl. 1979/1; RZ 1976/92; SZ 45/136; SZ 28/87; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 83). Es gilt als mitvereinbart, daß der Halter der Anlage alles Zumutbare vorkehrt, um eine gefahrenlose Benützung der Anlage zu ermöglichen (EvBl. 1984/81; JBl. 1983, 324). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung tritt bei Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten die Umkehr der Beweislast gemäß § 1298 ABGB ein (JBl. 1979, 654; RZ 1976/92;

EvBl. 1974/138; ZVR 1974/54; SZ 34/50; SZ 28/87; Koziol a.a.O. I 336), so daß den beklagten Parteien der Beweis obliegt, daß die zur Verfügung gestellten Beförderungsmittel nicht gefahrenträchtig waren. Die beklagten Parteien haben darzutun, daß sie die gebotene Sorgfalt bei der Auswahl des dem Benützer der Rodelbahn zur Verfügung gestellten Geräts gewahrt haben oder ihnen die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt wegen zu berücksichtigender subjektiver Gründe nicht möglich war (Reischauer, Der Entlastungsbeweis des Schuldners, 280;

ders., ZVR 1978, 97, 98 Anm. 15, 17 und 17 a; ders. in Rummel, ABGB, Rdz 23 zu § 1298).

Im vorliegenden Fall ist von besonderer Bedeutung, daß der Betrieb

der Rodelbahn vor erteilter behördlicher Genehmigung aufgenommen

wurde. Den beklagten Parteien oblag unter diesen Umständen die

Verpflichtung zu überprüfen, ob ein gefahrloser Betrieb der

Rodelbahn möglch war, dies umsomehr, als Giselher C schon vor

Inbetriebnahme der Anlage bekannt war, daß sich nicht alle Rodler

den Beförderungsbedingungen entsprechend verhalten, daß es wegen

langsam fahrender Rodler immer wieder zu Stauungen kommt und daß

andere Rodler trachten, mit Höchstgeschwindigkeit abzufahren, so daß

mit Zusammenstößen auf der Rodelbahn gerechnet werden mußte.

Es ist auszuschließen, daß bei der vor Erteilung der behördlichen Genehmigung erforderlichen sorgfältigen überwachung des Betriebsgeschehens der erstbeklagten Partei nicht erkennbar gewesen wäre, was sich bei der Rekonstruktion des Unfallsgeschehens durch das Institut für gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck ohne weiteres herausstellte, daß nämlich die Gleiter so gebaut sind, daß sie beim Abbremsen vorne angehoben werden. Es hat auch der Einzelprokurist der erstbeklagten Partei Dr. Ernst E eingeräumt (S 115 d.A.), es könne sein, daß für die beklagten Parteien 'jedenfalls erkennbar war, daß bei dem Bremsmechanismus dieser Gleiter im Falle des Bremsens der Gleiter vorne angehoben wird'. Es war dann aber eine naheliegende Erkenntnis, daß bei einem Auffahrvorgang der auffahrende Gleiter mit seinem vorderen oberen Schalenteil über den hinteren Rand des vorderen Gleiters auffahren konnte und die auf dem vorderen Gleiter sitzende Person der Gefahr von Verletzungen ausgesetzt sein mußte. Diese bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit erkennbare Gefahrenträchtigkeit der Konstruktion hätte die beklagten Parteien zu weiteren Schutzmaßnahmen veranlassen müssen. Wenn der erstbeklagten Partei schon nicht bekannt war, daß Gleiter auch mit Auffangbügeln ausgestattet werden können, wie dies der Typ-Prüfung (Beilage 10) zu entnehmen gewesen wäre, hätte sie sich mit dem Lieferanten der Anlage in Verbindung setzen und klären müssen, welche Möglichkeit zur Verfügung stehen, um der Gefahr des Aufreitens der Gleiter zu begegnen. Daß die Gefahrenträchtigkeit der Gleiter in der Folge auch vom Amt der Tiroler Landesregierung nicht erkannt wurde, vermag die beklagten Parteien unter diesen Umständen nicht zu entlasten. Ein allfälliges Versehen der Behörde mag darauf zurückzuführen sein, daß sie die aus einer vorschriftswidrigen Benützung der Anlage resultierenden Gefahren nicht so klar erkannte, wie die den beklagten Parteien möglich war. Wenn sich die beklagten Parteien auf die Prüfbescheinigung der Technischen überwachung Hessen beziehen, so ist darauf zu verweisen, daß diese Bescheinigung, wie den vorgelegten Beilagen 9 und 10 zu entnehmen ist, ein Gefährt betrifft, das auf Kufen rutscht und zwei Laufrollen zur Beschleunigung aufweist, wogegen die auf der Anlage der erstbeklagten Partei verwendeten Gleiter nicht mit Kufen, sondern mit vier Rollen ausgestattet sind. Die Prüfbescheinigung bezieht sich daher auf ein Gerät anderer technischer Ausstattung. Daß bis zu dem in Rede stehenden Unfall Schadensfälle nicht bekannt wurden, ist bei Erkennbarkeit der Gefahrensituation nicht entscheidend (SZ 46/116).

Die beklagten Parteien habe die geltend gemachte Forderung der Höhe nach schon in der Berufung nur insoweit bekämpft, als das Erstgericht der Klägerin als Verdienstentgang den Betrag von S 80.000 zugesprochen hat, ohne zu klären, ob vom Schadenersatzbetrag Steuern in derselben Höhe zu entrichten sind, wie sie vom entgangenen Verdienst zu entrichten gewesen wären. In diesem Punkt erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, da der Klägerin nur jener Betrag als Schadenersatz zugesprochen werden darf, der ihr bei Fortsetzung der Erwerbstätigkeit (netto) verblieben wäre (SZ 33/50; Koziol a.a.O. I 133, 134). In Ansehung des Teilbetrages von S 80.000 s.A. ist demnach das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens an das Berufungsgericht (§ 496 Abs. 3 ZPO) zurückzuverweisen.

Im übrigen ist die Entscheidung des Erstgerichtes

wiederherzustellen.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die §§ 52 Abs. 2, 392 Abs. 2 ZPO.

Anmerkung

E06108

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00570.85.0610.000

Dokumentnummer

JJT_19850610_OGH0002_0010OB00570_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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