TE OGH 1985/6/26 1Ob606/85

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Veröffentlicht am 26.06.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eva A, Lehrerin, 8591 Maria Lankowitz 25, vertreten durch Dr. Helmut Destaller, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei B C, Rathausplatz 1, 8580 Köflach, vertreten durch Dr. Gottfried Eisenberger und Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 30.000,-- s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 26. April 1985, GZ. 4 R 104/85-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 23. November 1984, GZ. 3 C 346/84-11, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und in

der Sache selbst durch Urteil zu Recht erkannt:

Das Ersturteil wird wiederhergestellt.

Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.679,05 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (davon S 443,55 Umsatzsteuer und s 800,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Klage vom 24. Juli 1979 begehrte die Klägerin von der beklagten Partei wegen eines am 25. Jänner 1978 im Schulbereich der Knabenvolksschule Köflach erlittenen Unfalls ein Schmerzengeld von S 30.000,-- samt Anhang.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Am 9. Oktober 1979 fand eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung statt, die auf unbestimmte Zeit erstreckt wurde. Am 5. November 1979 erstattete die beklagte Partei einen vorbereitenden Schriftsatz, der dem Klagevertreter mit Verfügung vom 12. November 1979 zur öußerung binnen 14 Tagen zugestellt wurde. Der Klagevertreter erhielt diesen Schriftsatz am 19. November 1979, gab aber keine öußerung ab. Da auch bis Jahresende 1979 keine öußerung einlangte, verfügte das Erstgericht das Abstreichen der Rechtssache im Register ('§ 391 Geo') und blieb in der Folge untätig. Am 17. Juli 1984 gab die Klägerin bekannt, daß sie den Rechtsanwalt gewechselt habe, ersuchte um Akteneinsicht beim Bezirksgericht für ZRS Graz und erstattete am 19. September 1984

einen vorbereitenden Schriftsatz, in dem sie behauptete, der Schriftsatz der beklagten Partei vom 5. November 1979 sei ihr erst jetzt bekanntgeworden. Sie habe den ungerechtfertigten Verfahrensstillstand nicht zu vertreten.

Die beklagte Partei wendete Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung der Klage (§ 1497 ABGB) ein.

In einem weiteren Schriftsatz erstattete die Klägerin ein umfangreiches Vorbringen darüber, daß sie bei ihrem eigenen (früheren) Rechtsanwalt den Fortgang der Rechtssache wiederholt betrieben habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Wenn auch das Abstreichen der Rechtssache im Register irrtümlich erfolgt sei, müsse der Klägerin doch vorgeworfen werden, sich beharrlich nicht betätigt und zur Fortsetzung des Verfahrens nichts unternommen zu haben.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerin das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Eine gesetzliche Anordnung, daß die Nichtbefolgung des Auftrages, sich zu einem Schriftsatz der Gegenseite binnen einer bestimmten Frist zu äußern, zum Verfahrensstillstand führe, bestehe nicht. Eine derartige Rechtsfolge sei auch der Klägerin nie angedroht worden. Das Erstgericht wäre daher verpflichtet gewesen, das Verfahren ohne jeden weiteren Parteiantrag fortzusetzen, obwohl die Klägerin den ihr erteilten Auftrag nicht befolgt habe. Für ein Abstreichen der Rechtssache nach § 391 Abs. 1 Z 7 lit. d Geo habe keine Rechtsgrundlage bestanden. Die Klägerin habe daher damit rechnen dürfen, daß das Erstgericht den Prozeß von Amts wegen fortsetzen werde. Solange das Gericht nicht unmißverständlich zum Ausdruck gebracht habe, daß es das Verfahren nur über Parteiantrag fortzusetzen gedenke, habe für die Klägerin keine Verpflichtung bestanden, von sich aus das säumige Prozeßgericht zu betreiben. Der Klägerin könne daher auch die mehrjährige Untätigkeit nicht zur Last gelegt werden. Verjährung sei daher nicht eingetreten, so daß auf das übrige Parteienvorbringen eingegangen werden müsse, was die Aufhebung des Ersturteils erforderlich mache.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der beklagten Partei ist zulässig. Es entspricht zwar, wie das Rekursgericht zutreffend ausführte, ständiger Rechtsprechung, daß aus der Untätigkeit einer Partei, die nicht verpflichtet war, eine Prozeßhandlung vorzunehmen und damit einem Verfahrensstillstand zu begegnen, nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden kann, es sei ihr an der Erreichung des Prozeßzieles nichts gelegen (Arb. 9.834; EvBl. 1976/6; SZ 46/5; EvBl. 1973/17). Die Frage aber, ob derjenige, der (zunächst) nicht verpflichtet ist, zur Vermeidung der in § 1497 ABGB normierten Rechtsnachteile von sich aus das säumige Prozeßgericht zu betreiben, auf unbegrenzte Zeit untätig bleiben darf, auch wenn er schließlich erkennen muß, daß das Gericht das Verfahren von Amts wegen nicht mehr fortsetzen werde, wurde in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht abschließend geklärt. In der Entscheidung JBl. 1976, 591 wurde diese Rechtsfrage zwar behandelt, bedurfte aber dort keiner abschließenden Prüfung, weil angenommen wurde, daß die Verjährung der Klagsansprüche jedenfalls durch einen zweiten Verfahrensstillstand eingetreten war. Die Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO iVm § 519 Abs. 2 ZPO liegen daher vor.

Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Gemäß § 1497 ABGB wird die Verjährung durch die Erhebung der Klage nur unter der weiteren Voraussetzung unterbrochen, daß 'die Klage gehörig fortgesetzt wird'. Eine nichtgehörige Fortsetzung des Verfahrens läßt die Unterbrechungswirkung der Klage nicht eintreten. Nicht gehörige Fortsetzung im Sinne dieser Gesetzesstelle ist anzunehmen, wenn der Kläger eine ungewöhnliche Untätigkeit bekundet und dadurch zum Ausdruck bringt, daß ihm an der Erreichung des Prozeßzieles nichts gelegen ist (SZ 54/177, Arb. 9.834; JBl. 1978, 210; SZ 41/85 uva; Klang in seinem Komm. 2 VI 656). Bei der Prüfung, ob ein solches Verhalten des Klägers vorliegt, sind vor allem die Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen. (SZ 54/177; SZ 52/30 ua). Es kommt nicht nur auf die Dauer, sondern auch auf die Gründe der Untätigkeit des Klägers an. Entsprechend dem rechtspolitischen Grundgedanken der Verjährung ist aus dem konkreten Verhalten des Klägers zu schließen, ob jenes 'Stillschweigen' vorliegt, welches das Gesetz für die Vollendung der Verjährung fordert (Klang aaO 657). Demgemäß sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß aus der Untätigkeit des Klägers auf Verjährung nicht geschlossen werden kann, wenn er gar nicht gehalten war, eine Prozeßhandlung vorzunehmen, um einem Verfahrensstillstand wirksam zu begegnen (JBl. 1980, 98; Arb. 9.834; EvBl. 1976/6; EvBl. 1974/196;

SZ 41/85; SZ 37/134 ua). Der Berechtigte ist daher nicht verpflichtet, beim säumigen Prozeßgericht zur Vermeidung der in § 1497 ABGB normierten Rechtsnachteile Anträge zu stellen (SZ 52/30;

SZ 46/5; EvBl. 1972/201; SZ 37/134 ua; König JBl 1976, 305). Das kann aber nicht dazu führen, daß ein Kläger auf unbegrenzte Zeit ('ad infinitum') im Prozeß untätig bleiben darf (JBl. 1976, 591). Der Oberste Gerichtshof formulierte nur dahin, daß wenn der Kläger eine Tätigkeit des Gerichtes erwarten konnte oder mußte aus seiner Untätigkeit nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden darf, es sei ihm an der Erreichung des Prozeßzieles nichts gelegen (Arb 9834; SZ 52/30; EvBl 1976/6). Muß der Kläger aber - was gewiß erst nach längerer Zeit der Fall sein wird - erkennen, daß das Gericht, dessen Tätigkeit er zunächst erwarten durfte, von sich aus nicht mehr tätig wird, kann er sich zur Rechtfertigung seiner weiteren Untätigkeit nicht mehr darauf berufen, das Gericht hätte von Amts wegen das Verfahren fortsetzen müssen. Bleibt der Kläger dann weiterhin untätig, ohne daß beachtliche Gründe im Verhältnis zwischen den Parteien vorliegen, muß dieses 'Stillschweigen' den Schluß zulassen, daß ihm an der Erreichung des Prozeßzieles nichts gelegen ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Der (frühere) Rechtsanwalt der Klägerin unterließ es, den (sanktionslosen) Auftrag des Erstgerichtes zu befolgen und sich zum Schriftsatz der Gegenseite innerhalb der ab 19. November 1979 laufenden richterlichen Frist von 14 Tagen zu äußern. Dieses Untätigbleiben des Klagevertreters rechtfertigte zwar das Abstreichen der Rechtssache am Ende des Jahres 1979 gemäß § 391 Abs. 1 Z 1 lit. d Geo und das Untätigbleiben des Gerichtes nicht (SZ 52/30; Arb. 9.834 ua), doch konnte der damalige Klagevertreter, der zudem nach den Behauptungen der Klägerin von ihr etwa ein Jahr nach dem Verfahrensstillstand und in der Folge wiederholt zur Fortsetzung des Verfahrens aufgefordert wurde (AS 50 ff), jedenfalls nach Verstreichen einer längeren Zeit erkennen, daß das Gericht von sich aus nicht mehr tätig werden würde. Das (weitere) Untätigbleiben des Klagevertreters - insgesamt handelt es sich um ein Untätigbleiben in der ungewöhnlichen noch die etwa dreijährige Untätigkeit, die der Entscheidung SZ 37/134 zugrundelag, erheblich überschreitenden Gesamtdauer von fast fünf Jahren, die die gesetzliche Verjährungsfrist übersteigt, - ist somit als 'nichtgehörige Fortsetzung der Klage' zu werten. Die Klägerin kann sich auf die behauptete regelmäßige Aufforderung ihres eigenen Rechtsanwaltes nicht berufen, weil der (rechtfertigende) Grund für die Unterlassung der Festsetzung des Rechtsstreites immer im Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten liegen muß (ZVR 1979/287; SZ 49/106; EvBl. 1976/6; SZ 43/176; EvBl. 1972/201 uva). Unterlassungen des eigenen Rechtsanwaltes fallen, da sie in der eigenen Sphäre liegen, der Klägerin zur Last (ZVR 1979/287; EvBl. 1976/6; vgl. SZ 43/176). Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben und gemäß § 519 Abs. 2 ZPO das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E06111

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00606.85.0626.000

Dokumentnummer

JJT_19850626_OGH0002_0010OB00606_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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