TE OGH 1985/7/4 7Ob21/85

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Veröffentlicht am 04.07.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Architekt Dipl.Ing. Eva A, Inhaberin des 'SCHLOSSHOTELS MARTINSCHLOSS', Klosterneuburg, Martinstraße 34-36, vertreten durch Mag. Dr. Herwig Emmer-Reissig, Rechtsanwalt in Klosterneuburg, wider die beklagte Partei B C D E,

Versicherungs-AG, Wien 2., Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Otto Hellwich, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 102.613,68 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. Februar 1985, GZ 4 R 265/84-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. November 1984, GZ 28 Cg 365/83-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin brachte vor, sie sei als Eigentümerin des F G in Klosterneuburg auch Inhaberin des Grundstücks, auf dem das Hotel errichtet sei. Einer ihrer Arbeitnehmer habe bei Gärtnerarbeiten ein Brettchen mit zwei verrosteten Nägeln in das tiefe Gras geworfen. Der Gatte der Klägerin sei beim Durchqueren des Gartens am 1. April 1984 auf einen Nagel dieses Brettchens, das für ihn unsichtbar gewesen sei, getreten. Der Nagel sei durch die Schuhsohle in die Gelenkskapsel der zweiten Zehe des linken Fußes gedrungen; dies habe eine Blutvergiftung und Bakterienverseuchung zur Folge gehabt. Der Gatte der Klägerin habe dreimal operiert werden müssen und sei noch heute gehbehindert. Die Klägerin, die bei der beklagten Versicherungsanstalt am 1. April 1984 haftpflichtversichert gewesen sei, hafte für die Folgen des ihrem Gatten durch ihren Arbeitnehmer zugefügten Schadens. Sie habe der Beklagten von dem Vorfall am 4. Mai 1984 Meldung erstattet und am 24. Mai 1984 die Ansprüche ihres Mannes an Krankenhaus- und Arztkosten von zusammen S 102.613,68 befriedigt. Die Klägerin habe die Befriedigung dieser Ansprüche nach den Umständen der Verletzung und der unbestrittenen Haftung für den Verrichtungsgehilfen nicht ohne offenbare Unwilligkeit verweigern können. Die Beklagte lehne den Ersatz des von der Klägerin bezahlten Betrages ab.

Die Beklagte stellte außer Streit, daß die Klägerin hinsichtlich des Gast- und Schankgewerbes H G in Klosterneuburg bei ihr haftpflichtversichert sei und daß sich der Gatte der Klägerin auf diesem Grundstück auf die von der Klägerin geschilderte Weise verletzt habe. Sie beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, nach den AHVB 1963 idF der AHVB 1978, Art. 7 Punkt 6.1., bestehe kein Versicherungsschutz aus Schäden, die Angehörigen des Versicherungsnehmers zugefügt werden, wobei als Angehöriger unter anderem der Ehegatte gelte. Eine Deckung sei daher im vorliegenden Fall nicht gegeben. Darüber hinaus handle es sich beim Gatten der Klägerin nicht um einen Gast des Hotels G, sodaß auch deshalb die abgeschlossene Haftpflichtversicherung nicht zum Tragen komme. Eine erweiterte Haftung für jeden Benützer der Liegenschaft sei nicht gegeben. Nach den AHVB 1978 sei der Versicherungsnehmer nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Versicherers Forderungen anzuerkennen. Anerkenne er solche Forderungen dennoch, sei die Deckung nach Art. 8 Punkt 3.3. AHVB 1978 verwirkt. Darüber hinaus habe der Versicherungsnehmer nach Art. 8 Punkt 1. AHVB 1978 alles ihm Zumutbare zu tun, um den entstandenen Schaden gering zu halten. Die Klägerin aber habe an ihren Gatten einen Betrag von S 102.613,68 gezahlt. Die Klägerin habe gegen ihren Gatten beim Landesgericht für ZRS Wien wegen eines Jagdunfalls, an dem sie das Verschulden ihres Gatten behaupte, eine Forderung von S 1 Mill. geltend gemacht. Um den Schaden so gering wie möglich zu halten, wäre eine Kompensation diese Anspruches mit dem Klagsbetrag notwendig gewesen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf folgende Feststellungen:

Dem Versicherungsvertrag zwischen den Streitteilen liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung AHVB 1978 sowie die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung EHVB 1978 zugrunde.

Nach Art. 1 der AHVB 1978 ist der Versicherungsfall ein Schadensereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen könnten. Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen.

Nach Art. 7 Punkt 6.1. AHVB 1978 besteht kein Versicherungsschutz aus Schäden, die Angehörigen des Versicherungsnehmers zugefügt werden. Als Angehöriger gilt unter anderen der Ehegatte.

Der Art. 8 AHVB 1978 normiert als Obliegenheit, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt:

'Punkt 3.3. Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen'.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, es sei der Risikoausschluß des Art. 7 Punkt 6.1. der AHVB 1978 gegeben. Meine die Klägerin, die Angehörigenklausel sei nur anzuwenden, wenn der Schadenersatzanspruch auf eigenes Verschulden des Versicherungsnehmers gestützt werde, nicht jedoch auf den Fall einer Schadensherbeiführung durch Dritte, für die der Versicherungsnehmer hafte, so könne für eine derartige Auslegung der AHVB 1978 keinerlei Hinweis gefunden werden. Die Klägerin habe überdies dadurch gegen die im Art. 8 Punkt 3.3. der AHVB 1978 normierte Obliegenheit verstoßen, daß sie ohne vorherige Zustimmung des Versicherers den Schadenersatzanspruch anerkannt und bezahlt habe. Bei Verletzung dieser Obliegenheit trete nach Maßgabe des § 6 VersVG Leistungsfreiheit ein. Der Fall des § 154 Abs 2 VersVG - daß nämlich der Versicherungsnehmer die Befriedigung des Dritten oder die Anerkennung seines Anspruches nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte - sei nicht gegeben. Es sei anläßlich der Befriedigung des Geschädigten durch die Klägerin unberücksichtigt geblieben, ob den Geschädigten nicht allenfalls ein Mitverschulden treffe, und es sei auch nicht beachtet worden, ob und in welcher Eigenschaft die Klägerin für ein Versehen eines ihrer Bediensteten ihrem Gatten gegenüber schadenersatzpflichtig habe werden können. Es müßte geprüft werden, ob überhaupt eine Haftung der Klägerin ihrem Gatten gegenüber bestehe, da dieser das ihr gehörige Grundstück nicht notwendigerweise als Gast ihres Unternehmens habe benützen müssen. Es könne daher nicht davon gesprochen werden, daß die Forderung des Gatten der Klägerin offensichtlich begründet sei und eine Nichtanerkennung einen Verstoß gegen die guten Sitten bedeuten würde.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es setzte sich in ausführlicher Weise mit der in der Berufung erhobenen Einwendung auseinander, die Angehörigenausschlußklausel des Art. 7 Punkt 6.1. der AHVB 1978 sei sittenwidrig, und kam zum Ergebnis, daß Sittenwidrigkeit nicht gegeben sei. Die Revision sei für zulässig zu erklären gewesen, da zur Frage der Sittenwidrigkeit der Angehörigenausschlußklausel der AHVB 1978 eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision, in der die Klägerin neuerlich den Standpunkt vertritt, die Angehörigenausschlußklausel der AHVB sei sittenwidrig, ist unzulässig.

Im österreichischen Zivilprozeß besteht im Rechtsmittelverfahren strenges Neuerungsverbot (§§ 482, 504 ZPO). Es umfaßt sowohl das Vorbringen von neuen Tatsachen und Beweismitteln als auch die Geltendmachung neuer Ansprüche und neuer Einreden (Fasching, Lehrbuch, Rdz 1725 ff). Die Sittenwidrigkeit einer Vereinbarung ist nach ständiger Rechtsprechung nicht von Amts wegen, sondern nur über Einrede wahrzunehmen (EvBl 1961/95, SZ 46/69, MietSlg. XXIV/18 ua). Dem Vorbringen der Klägerin vor dem Erstgericht ist nicht zu entnehmen, daß sie den Standpunkt vertritt, die Angehörigenausschlußklausel sei sittenwidrig. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rechtsmittelverfahren kann daher, da sie gegen das Neuerungsverbot verstoßen, nicht Bedacht genommen werden.

Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt daher nicht von der Lösung einer iS des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage ab.

Eine amtswegige Prüfung anderer Rechtsfragen hatte bei dieser Rechtslage nicht stattzufinden (Petrasch, ÖJZ 1983, 178). Die Revision war daher zurückzuweisen.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens hatte zu entfallen, weil die beklagte Partei in der von ihr erstatteten Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerin hingewiesen hat.

Anmerkung

E06289

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00021.85.0704.000

Dokumentnummer

JJT_19850704_OGH0002_0070OB00021_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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