TE OGH 1985/9/12 7Ob11/85

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.1985
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Wurz und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas A, Angestellter, Rankweil, Holzplatz 1, vertreten durch Dr. Burghard Hirn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei B Allgemeine Lebensversicherungs-AG in Wien 1., Bauernmarkt 2, vertreten durch Dr. Alfred Haberhauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 80.000,-- S samt Nebengebühren, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 13. November 1984, GZ 1 R 182/84-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 20. Februar 1984, GZ 2 b Cg 944/83-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird

1.) teilweise dahin abgeändert, daß es als Teilurteil zu lauten hat:

'Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 68.160,-- S samt 4 % Zinsen seit 11.1.1983 zu bezahlen, wird abgewiesen'.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

2.) im übrigen aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens in diesem Umfang gleich Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Auf Grund eines Antrages vom 8.10.1980 schloß die beklagte Partei mit dem Kläger für ihn und die mitversicherte Ehegattin Isolde, die im Juli 1976 eine Magenoperation gehabt hatte, einen Lebensversicherungsvertrag. Die Frau des Klägers ist am 11.1.1983 an Magenkrebs verstorben.

Der Kläger begehrt die Auszahlung der Versicherungssumme. Die beklagte Partei wendete ein, vom Versicherungsvertrag berechtigterweise zurückgetreten zu sein, weil im Versicherungsantrag die Fragen des Versicherers über eine Operation in den letzten zehn Jahren (P. 19) und eine irgendwann bestandene Magenerkrankung (P. 21) wahrheitswidrig verneint und die weitere Frage nach dem Hausarzt (P. 17) nicht beantwortet worden seien. Der Kläger behauptete hiezu, die Magenoperation seiner Ehefrau dem Versicherungsvertreter der beklagten Partei bekanntgegeben zu haben, der aber darauf hingewiesen habe, daß diesem Umstand keine Bedeutung zukomme.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen füllte der Versicherungsvertreter der beklagten Partei, Friedrich C, auf der Rückseite des Antragsformulars die Fragen über den Gesundheitszustand des Klägers und dessen Frau aus. Er las den Eheleuten nicht jede Frage genau und wörtlich vor, sondern nur einige, und wies die Eheleute auch nicht auf die Wichtigkeit der Beantwortung hin. Die Fragen 14 und 17 stellte der Versicherungsvertreter überhaupt nicht, sodaß ihm auch nicht mitgeteilt werden konnte, daß sich die Ehefrau des Klägers einer jährlichen Magenkontrolle zu unterziehen hatte, und der Hausarzt nicht angegeben wurde. Als Friedrich C die Frage laut Punkt 19 stellte, ob sich einer der beiden zu Versichernden in den letzten zehn Jahren einer Operation unterziehen mußte, antwortete ihm der Kläger, daß seine Frau im Jahre 1976 eine Magenoperation durchführen habe lassen. Friedrich C gab darauf die Antwort, daß 'wir dies nicht brauchen', weil eine ärztliche Untersuchung bei der geringen Versicherungssumme ohnehin nicht notwendig sei. Er kreuzte deshalb wider besseres Wissen und trotz der Information durch den Kläger bei dieser Frage 'nein' an und ebenso bei der Frage 21 nach ua. einem Magenleiden. Mit dieser unrichtigen Antwort waren der Kläger und seine Frau, soferne sie das Ankreuzen überhaupt wahrnehmen konnten, einverstanden, weil sie darauf vertrauten, daß diese Angabe für die beklagte Partei nicht wichtig sei. Friedrich C unterließ es schließlich, den Kläger und dessen Frau auf die Leistungsfreiheit des Versicherers bei unrichtiger Beantwortung der Fragen hinzuweisen, weil ohnehin auf dem Fragebogen vor der Unterschrift der Vordruck enthalten war, daß alle Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet würden. Die Eheleute unterschrieben schließlich die Rückseite des Versicherungsantrages unterhalb des Fragebogens, ohne die Fragen noch einmal durchzulesen, und ohne daß ihnen die Unvollständigkeit des Fragebogens oder die unrichtige Ausfüllung aufgefallen wäre. Sie vertrauten den Ausführungen des Versicherungsvertreters. Der Kläger und seine Ehefrau erhielten keinen Durchschlag des Fragebogens mit den angekreuzten Antworten, sodaß es ihnen auch nachher nicht möglich war, sich über die Richtigkeit der ausgefüllten Fragen zu überzeugen. Die Ehefrau des Klägers fühlte sich im Zeitpunkt des Ausfüllens des Versicherungsantrages wohl und gesund; sie und ihr Mann führten die jährliche Magenuntersuchung darauf zurück, daß es üblich sei, Magenoperierte jährlich zu untersuchen.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters liege zwar eine zum Teil unvollständige und unrichtige Ausfüllung des Fragebogens über den Gesundheitszustand der Ehefrau des Klägers vor. Die Fragen 14 und 17 seien aber überhaupt nicht gestellt und die Fragen 19 und 21 vom Versicherungsvertreter wider besseres Wissen entgegen den Angaben des Klägers falsch angekreuzt worden. Allerdings falle dem Versicherungsnehmer grundsätzlich als Verschulden zur Last, wenn er ein unrichtig oder unvollständig ausgefülltes Formular unterfertige, ohne es auf seine Richtigkeit überprüft zu haben. Ein Verschulden des Klägers sei aber dennoch zu verneinen, weil die Antwort des Versicherungsvertreters, daß Angaben über die Magenoperation nicht gebraucht würden, den Kläger und dessen Frau zu der berechtigten Annahme geführt hätten, daß die betreffende Frage ohne Bedeutung sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters und trat dessen rechtlicher Beurteilung bei.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß es dem Versicherungsnehmer bei der Beantwortung von Individualtatsachen, über die er nur aus eigenem Wissen Auskunft erteilen kann, bereits als ein den Vertragsrücktritt des Versicherers rechtfertigendes Verschulden i.S. des § 16 Abs. 3 und § 17 Abs. 2 VersVG anzulasten ist, wenn er das vom Versicherungsvertreter unrichtig oder unvollständig ausgefüllte Formular unterfertigt, ohne es vorher auf seine Richtigkeit überprüft zu haben (JBl. 1977, 375, SZ 54/22 ua). Nach ebenso zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichtes kann eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer aber nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles entschuldigt sein, wenn er vom Versicherungsvertreter über die Pflicht zur Beantwortung der Fragen unrichtig informiert und dadurch veranlaßt wurde, diese anders als gewollt vorzunehmen, etwa weil der Versicherungsvertreter die Auskunft erteilte, daß der Versicherer auf die Beantwortung bestimmer Fragen über die Gesundheit keinen Wert lege (SZ 52/65; Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht 86, 94). Eine Abwägung von Verschuldensanteilen (des Versicherungsvertreters und des Versicherungsnehmers) findet dabei allerdings nach der zutreffenden Ansicht der Revisionswerberin nicht statt. Das Verschulden des Versicherungsnehmers kann aber im Einzelfall durch eine Fehlinformation des Versicherungsvertreters beeinflußt oder ganz ausgeschlossen werden, gleichgültig, ob diese Information selbst schuldhaft oder nicht erfolgte (Ehrenzweig aaO 86, Bruck-Möller, VVG 3 I 330).

Objektiv unrichtige Beantwortung eindeutiger Fragen über Individualtatsachen begründet jedoch in der Regel selbst dann zumindest Fahrlässigkeit, wenn dem Versicherungsvertreter alles klargelegt wurde und dieser erklärte, daß irgendwelche Umstände nicht angezeigt werden müßten (Prölss-Martin, VVG 23 155 mwN). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen der ausdrücklichen Erklärung des Versicherungsvertreters entscheidende Bedeutung zuerkannt, wonach es auf die Operation der Ehefrau des Klägers nicht ankomme. Wegen dieser Erklärung waren der Kläger und seine Frau mit der objektiv unrichtigen Beantwortung der Frage 21 einverstanden und unterschrieben schließlich die Rückseite des Versicherungsantrages, ohne die Fragen noch einmal durchzulesen. Selbst unter der Annahme der Redlichkeit des Revisionsgegners und seiner Frau, also bei Zubilligung ihres guten Glaubens, war die gestellte Frage im Antragsformular aber so deutlich formuliert, daß ihre Verneinung ungeachtet der vom Versicherungsvertreter erteilten Auskunft als schuldhaft angesehen werden muß. Die unbesehene Unterfertigung des vom Versicherungsvertreter ausgefüllten Antragsformulares fällt nach dem oben Gesagten dem Kläger und seiner Frau ebenso zur Last wie die objektive Unrichtigkeit der Verneinung der klar und eindeutig gestellten Frage. Die bloße Belehrung durch den Versicherungsvertreter, daß der Versicherer auf die wahrheitsgemäße Beantwortung dieser Frage keinen Wert lege, widersprach einerseits dem klaren gegenteiligen Inhalt des Formblattes und wurde andererseits auch für einen Laien erkennbar völlig unschlüssig damit begründet, daß bei der geringen Versicherungssumme ohnehin kein ärztlicher Befund notwendig sei. Gerade das Fehlen einer ärztlichen überprüfung ließ bei gehöriger Aufmerksamkeit des Versicherungsnehmers die Notwendigkeit der wahrheitsgemäßen Beantwortung der gestellten Fragen unzweifelhaft erkennen. Dazu kommt im vorliegenden Fall die Schwere der vorangegangenen Operation, gleichgültig, ob der Kläger und seine Frau mit weiteren Krankheitsfolgen oder mit einer Ausheilung rechneten, zumal sich die Frau des Klägers laufenden Untersuchungen unterziehen mußte. Die objektiv wahrheitswidrige Beantwortung der Fragen nach einer erlittenen Operation und nach einer bestehenden oder früher erlittenen Magenerkrankung ist demnach ungeachtet der falschen Information durch den Versicherungsvertreter und des darin liegenden Mitverschuldens desselben nicht entschuldigt. Der Klagsanspruch auf Zahlung der Versicherungssumme von 80.000,-- S besteht demnach nicht zu Recht.

Infolge dieser Rechtslage kommt dem weiteren Vorbringen des Klägers Bedeutung zu, daß die Beklagte wenigstens verpflichtet sei, ihm den Rückkaufswert der Versicherung von 11.840,-- S zu bezahlen, den sie selbst in der Urkunde Beilage ./D genannt und von dem sie aber ungerechtfertigterweise eine angebliche Prämienschuld abgerechnet habe. Die Berechtigung dieses Eventualklagebegehrens wird noch zu prüfen sein. Im übrigen konnte jedoch die Abänderung der vorinstanzlichen Urteile durch Fällung eines Teilurteiles erfolgen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E06681

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00011.85.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19850912_OGH0002_0070OB00011_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten