TE OGH 1985/10/2 3Ob572/85

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Veröffentlicht am 02.10.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Pflegschaftssache für den mj. Reinhard Mario A, geb. 12. Juni 1981, wohnhaft bei der Mutter Ingrid A, 8010 Graz, Neuholdaugasse 62, infolge Revisionsrekurses der Mutter Ingrid A, Angestellte, 8010 Graz, Neuholdaugasse 62, vertreten durch Dr. Gerda Gerersdorfer-Reisch, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 24. Mai 1985, GZ 3 R 84/85-102, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 25. Jänner 1985, GZ 13 P 148/82-90, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die elterlichen Rechte für den mj. Reinhard Mario A, geboren 12. Juni 1981, stehen der Mutter zu (Beschluß ON 27 und 31). Bisher war das Besuchsrecht des Vaters dahin geregelt, daß er das Kind jedes 1. und 3. Wochenende im Monat von Samstag 9 h bis Sonntag 18 h, weiters jeweils von Palmsonntag bis Karsamstag und für drei Wochen im Sommer zu sich nehmen könne (Beschluß vom 22. Dezember 1983, ON 38).

Am 4. Mai 1984 beantragte die Mutter, das Besuchsrecht dahin zu ändern, daß der Vater das Kind zwar jede Woche, aber dafür nicht über Nacht, nämlich jeweils am Sonntag von 9 bis 18 h zu sich nehmen könne, ferner für drei Wochen im Sommer, nicht aber während der Karwoche (Antrag ON 66).

Die Mutter machte geltend, es hätten sich auf Grund der bisherigen Ausübung des Besuchsrechtes psychische Schwierigkeiten und nachteilige Wirkungen ergeben, die für das Kind im derzeitigen zarten Alter sehr abträglich und entwicklungsschädigend seien. Vor allem das auswärtige übernachten sei schädlich, da das Kind an die Anwesenheit der Mutter beim Schlafengehen gewohnt sei. Das Kind sei nach dem Besuch überreizt, nervös und hektisch und rufe nach der Mutter. Als Beweismittel bot die Mutter u.a. die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Parteienvernehmung an. Der Vater sprach sich gegen eine Änderung des Besuchsrechtes aus. Das zuständige Jugendamt befürwortete nach Beiziehung der psychischen Beratungsstelle den Antrag der Mutter nicht und verwies darauf, daß auch das übernachten im Haushalt des Vaters wertvoll sei. Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter ab (Punkt 2 des Beschlusses ON 90).

Es ging davon aus, daß sich der Vater wiederverehelicht habe und in einer guten familiären Atmosphäre lebe. Für Reinhard Mario zeige der Vater ein starkes Engagement. Bei den Besuchen beim Vater werde das Kind immer von allen Familienangehörigen des Vaters gut und liebevoll behandelt. Das Kind zeige, daß ihm sehr am Kontakt mit dem Vater liege. Zwischen Vater und Mutter herrschten hingegen erhebliche Spannungen, was immer wieder zu Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechtes führe. Daraus ergäben sich Irritationen im emotionalen Bereich des Kindes. Das Gericht zweiter Instanz bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes.

Das Gericht zweiter Instanz ließ eine ergänzende Stellungnahme der psychologischen Beratungsstelle des Magistrats der Stadt Graz einholen und gelangte auf Grund dieser Stellungnahme zu der ergänzenden Feststellung, daß sich das Kind bei den Besuchen mühelos auf das Familienleben beim Vater einstelle und sich dabei wohlfühle. Das Kind bewege sich ungezwungen und fröhlich. Beim Vater herrsche eine herzliche und angenehme Familienatmosphäre. Gewisse Schwierigkeiten nach der Rückkehr zur Mutter hingen damit zusammen, daß es der Mutter schwer falle, die gute Beziehung des Kindes zum Vater zu akzeptieren und zu verkraften. Die Unruhe der Mutter übertrage sich so auf suggestivem Wege auf das Kind. Im Interesse der Erhaltung der guten Beziehung des Kindes zum Vater sei aber die übernachtung beim Vater empfehlenswert.

Auf Grund dieser Stellungnahme in Verbindung mit den Feststellungen des Erstgerichtes war das Gericht zweiter Instanz der Ansicht, daß die Beibehaltung des bisherigen Besuchsrechtes mit den übernachtungen beim Vater dem Wohl des Kindes entspreche. Es sprächen besondere Umstände des Falles, nämlich die gute Atmosphäre in der Familie des Vaters dafür, von der sonst üblichen Regel hier abzugehen. Seit der Festsetzung des Besuchsrechtes hätten sich übrigens auch keine Änderungen ergeben, so daß schon deshalb der Antrag der Mutter unberechtigt sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter wegen Nichtigkeit und offenbarer Gesetzwidrigkeit mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, daß ihrem Antrag auf Abänderung des Besuchsrechtes stattgegeben werde oder ihn aufzuheben.

Die Nichtigkeit wird im Revisionsrekurs damit begründet, daß es einen einem Nichtigkeitsgrund gleichkommenden Verfahrensmangel darstelle, wenn man die Begutachtung durch den Sachverständigen während der Zeit, da sich das Kind beim Vater scheinbar wohlfühle, und nicht während der Zeit vornehme, da das Kind irritiert zur Mutter zurückkomme. Weshalb die Probleme auf die Mutter und nicht auf das auswärtige übernachten zurückzuführen seien, werde nicht schlüssig begründet. Es gehe nicht an, nur auf die positiven Wirkungen des bisher gehandhabten Besuchsrechtes (während das Kind sich beim Vater wohl fühlt), nicht aber auf die ebenfalls vorhandenen negativen Auswirkungen (wenn es wieder bei der Mutter sei) Bedacht zu nehmen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines auswärtigen übernachtens werde nicht begründet und seien die diesbezüglichen Argumente des Gerichtes zweiter Instanz unverständlich.

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liege darin, daß die Entscheidung der zweiten Instanz von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweiche, wonach ein so kleines Kind tunlichst nicht auswärts übernachten solle. Die in einigen Entscheidungen gegebenen speziellen Sonderverhältnisse lägen hier nicht vor. Durch die Entscheidung der zweiten Instanz werde daher das Wohl des Kindes völlig mißachtet, das Argument, es habe sich seit der Festsetzung des Besuchsrechtes, deren Änderung angestrebt werde, nichts geändert, treffe nicht zu, sondern erst kurze Zeit nach dem ersten Besuche im Sinne der getroffenen Regelung hätten sich die vorgetragenen Mängel ergeben.

Mit diesen Ausführungen vermag die Mutter jedoch keinen gemäß § 16 Abs 1 AußStrG zulässigen Anfechtungsgrund aufzuzeigen. Von einem Verfahrensverstoß vom Gewicht einer Nichtigkeit (Nullität) im Sinne des § 16 AußStrG kann nur gesprochen werden, wenn die dem Gericht nach § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG auferlegte Stoffsammlung so mangelhaft geblieben wäre, daß dadurch Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens, wie etwa die Bedachtnahme auf das Wohl des Kindes, vollkommen außer acht gelassen worden wären (EFSlg. 37.363, 42.369, 44.696). Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Sicherlich hätte auch noch näher erhoben werden können, wie sich das Kind unmittelbar nach einem Besuch beim Vater und einer dort stattgefundenen übernachtung bei der Mutter verhält. Aber auch die durchgeführten Erhebungen beim Vater stellten eine mögliche Grundlage für die Beurteilung des Kindeswohles dar. Eine Nichtigkeit wird daher von der Mutter nicht aufgezeigt.

Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (EFSlg. 42.327, 44.642). Die nähere Gestaltung des Besuchsrechtes ist im Gesetz nicht geregelt, so daß hier schon begrifflich keine offenbare Gesetzwidrigkeit in Betracht kommt, wenn die nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Kriterien in die Ermessensfrage einbezogen wurden (EFSlg. 44.666). Auf das Wohl des Kindes haben die Vorinstanzen Bedacht genommen. Es ist zwar richtig, daß im allgemeinen bei Kleinkindern die Besuche tunlichst ohne übernachtungen beim anderen Elternteil stattfinden sollen, weil solche übernachtungen zur Beunruhigung des Kindes führen können (vgl. dazu Entscheidungen von Gerichten zweiter Instanz wie EFSlg. 38.261, 40.766). Andererseits kann aber ein Kind im Alter zwischen drei und sechs Jahren bei gutem Kontakt mit dem zu besuchenden Elternteil, bei ausreichender Nächtigungsmöglichkeit und gesicherter Aufsicht durchaus auch über ein Wochenende beim anderen Elternteil bleiben (vgl. auch Schüch in B 1980, 66). Es kann daher nicht gesagt werden, daß es auf jeden Fall dem Wohl des Kindes widerspricht, wenn ein jetzt schon vier Jahre altes Kind alle zwei Wochen beim Vater übernachtet, wo es nach den getroffenen Feststellungen sehr vertraut ist. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt daher nicht vor. Inwieweit die Ansicht der zweiten Instanz zutrifft, der Antrag der Mutter sei schon mangels einer Änderung der Verhältnisse seit der früheren Besuchsrechtsregelung unbegründet, ist bei dieser Sach- und Rechtslage nicht entscheidungswesentlich. Der Revisionsrekurs war daher wegen Fehlens der Anfechtungsvoraussetzungen des § 16 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.

Anmerkung

E06508

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0030OB00572.85.1002.000

Dokumentnummer

JJT_19851002_OGH0002_0030OB00572_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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