TE OGH 1985/10/3 7Ob631/85

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Veröffentlicht am 03.10.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Doris A, geboren am 16. März 1976, und der minderjährigen Petra A, geboren am 24. Mai 1978, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin Brigitte A, Angestellte, Wien 8.,

Kochgasse 13/2, diese vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 18. Juli 1985, GZ. 43 R 500/85-47, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 25. April 1985, GZ. 7 P 37/81-44, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die minderjährigen Kinder Doris und Petra A sind

gemeinsam mit ihrer Mutter Brigitte A Erbinnen nach ihrem am 20. Oktober 1980 verstorbenen Vater Gerhard A zu je einem Drittel (Einantwortungsurkunde vom 3. Juni 1982, 7 A 800/80-48 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien). In der Verlassenschaftssache nach Gerhard A war der öffentliche Notar Dr. Gustav B als Gerichtskommissär tätig (7 A 800/80-4 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien). Noch vor Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens, am 17. Dezember 1981, wurde hinsichtlich der Bäckerei des Verstorbenen ein Kaufvertrag zwischen der Verlassenschaft nach Gerhard A als Verkäuferin und Herbert C als Käufer bei dem öffentlichen Notar Dr. Gustav B abgeschlossen (Beilage 9 im Akt 7 A 800/80 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien).

Mit Schriftsatz vom 6. März 1985, ON 43, stellten die beiden minderjährigen Kinder den Antrag auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung einer Klage gegen die REPUBLIK ÖSTERREICH. Dr. B habe es bei der Errichtung des Kaufvertrages vom 17. Dezember 1981 schuldhaft unterlassen, die Vertreter der Verlassenschaft darauf hinzuweisen, daß im Falle der Nichterfüllung der in Punkt 11 des Vertrages vorgesehenen Verpflichtung des Käufers, die mit der Veräußerung des Unternehmens verbundene Umsatzsteuer zu berichtigen, die Rechtsnachfolger der Verlassenschaft als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden würden. Herbert C habe die Umsatzsteuer bisher nicht entrichtet. Die Umsatzsteuer sei deshalb samt einem Säumniszuschlag den Erben vorgeschrieben worden. Dr. B habe das Rechtsgeschäft als Gerichtskommissär getätigt; es liege daher eine schuldhafte Rechtsverletzung im Sinne des § 1 AHG vor. Die zur Anerkennung des Ersatzanspruches aufgeforderte Finanzprokuratur habe keine Erklärung abgegeben.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Eine Haftung des Bundes nach § 1 AHG für die Tätigkeit eines Notars trete nur so weit ein, als dieser als Gerichtskommissär im Verfahren Außerstreitsachen tätig gewesen sei. Zu den Agenden des Gerichtskommissärs gehörten die Errichtung der Todfallsaufnahme und die mit dieser im Zusammenhang stehenden unaufschiebbaren Maßnahmen, sowie die anderen im Zuge einer Verlassenschaftsabhanldung erforderlichen Amtshandlungen. Die Errichtung eines Kaufvertrages im Zuge einer Verlassenschaftsabhandlung zähle nicht zu den Aufgaben des Gerichtskommissärs. Dr. B hafte den Parteien lediglich als Vertragsverfasser. Die gegen die REPUBLIK ÖSTERREICH gerichtete Klage sei daher nicht schlüssig.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Die Verfassung eines Kaufvertrages, erfolge sie auch im Rahmen der Verlassenschaftsabhandlung, gehöre nicht zu den Tätigkeiten eines Gerichtskommissärs im Sinne des § 1 GKoärG. Bei seiner Tätigkeit als Verfasser von Privaturkunden im Sinne des § 5 Abs 1 NotO sei der Notar den Parteien nur im Rahmen des § 39 NotO schadenersatzpflichtig; Amtshaftungsansprüche könnten daraus nicht geltend gemacht werden. Darüber hinaus handle es sich bei einem Anspruch nach dem Amtshaftungsgesetz um einen subsidiären Rechtsbehelf, der erst dann zum Tragen komme, wenn alle anderen zumutbaren Mittel zur Abwendung oder zum Ersatz des Schadens vergeblich gewesen seien. Habe ein Geschädigter die Möglichkeit, Ersatz des Schadens ganz oder zum Teil durch geeignete Schritte gegen den Schädiger selbst zu erlangen, werde der Amtshaftungsanspruch in diesem Ausmaß nicht existent. Es sei deshalb der Ausgang jener Verfahren abzuwarten, die die Erben gegen den Käufer Herbert C und den Notar Dr. B angestrengt hätten. Die beiden minderjährigen Kinder bekämpfen den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und beantragen, ihn dahin abzuändern, daß ihrer Klage gegen die D ÖSTERREICH die pflegschaftsbehördliche Genehmigung erteilt werde. Es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, weil über den Antrag ohne Durchführung eines Verfahrens auf Grund der Aktenlage entschieden worden sei. Die angefochtene Entscheidung sei offenbar gesetzwidrig. Der Oberste Gerichtshof sei von der Ansicht, es sei unter einem 'Rechtsmittel' im Sinne des § 2 Abs 2 AHG auch eine Vorausklage gegen einen Mitschädiger zu verstehen, ausdrücklich abgegangen. Der Notar Dr. B sei bei Vertragsabschluß zugleich als Parteienvertreter und als Gerichtskommissär eingeschritten.

Rechtliche Beurteilung

Da das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichtes bestätigt hat, ist der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof gemäß § 16 AußStrG nur im Fall einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität zulässig.

Nichtigkeit begründen nach ständiger Rechtsprechung außer den Nichtigkeitsgründen der Zivilprozeßordnung Verfahrensverstöße, wenn sie von einschneidender Bedeutung sind. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist ein solcher schwerer Verfahrensverstoß. Der Grundsatz des Parteiengehörs fordert aber nur, daß der Partei ein Weg eröffnet werde, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt - oder zur Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruches - vorbringen kann. Rechtliches Gehör ist der Partei auch dann gegeben, wenn sie sich nur schriftlich äußern konnte oder geäußert hat (7 Ob 669/78 ua): Im außerstreitigen Verfahren ist es nicht obligatorisch vorgeschrieben, die Beteiligten mündlich zu vernehmen. Im vorliegenden Fall hatten die beiden minderjährigen Kinder, da sie selbst den Antrag gestellt haben, über den entschieden wurde, die Gelegenheit, ihren Standpunkt in eben diesem Antrag in jeder Weise zu vertreten. Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher keine Rede sein.

Der angefochtenen Entscheidung haftet aber auch eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht an. Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit ist nicht bereits dann gegeben, wenn es sich um eine einfache unrichtige rechtliche Beurteilung handelt (SZ 39/103, EFSlg 39.815 uva).

Vertritt das Rekursgericht in der Frage der Subsidiarität des Amtshaftungsanspruches eine Rechtsansicht, die jener des Obersten Gerichtshofes in früheren Entscheidungen entspricht (SZ 43/167, SZ 43/216 ua), von der der Oberste Gerichtshof aber in der Folge ausdrücklich abgegangen ist (SZ 52/119, SZ 52/186), kann dies zwar (einfache) unrichtige rechtliche Beurteilung, nicht aber offenbare Gesetzwidrigkeit in dem dargelegten Sinn zu begründen, da dem Gesetz (§ 2 Abs 2 AHG) zu dieser Frage eine ausdrückliche und klare Lösung nicht entnommen werden kann.

Aber auch die in den Entscheidungen der Vorinstanzen vertretene Ansicht, der öffentliche Notar Dr. B sei bei Errichtung des Kaufvertrages vom 17. Dezember 1981 nicht als Gerichtskommissär und Beauftragter des Gerichts im Sinne des § 1 Abs 2 NotO, § 1 Abs 1 Z 1 GKoärG, sondern als Verfasser einer Privaturkunde im Sinne des § 5 Abs 1 NotO tätig geworden, ist keinesfalls offenbar gesetzwidrig. Nach § 1 Abs 1 Z 1 GKoärG haben die Notare in Verlassenschaftssachen, soweit ihnen dies vom Gericht aufgetragen wird, folgende Amtshandlungen zu besorgen:

a) die Todfallsaufnahme und die mit dieser im Zusammenhang stehenden unaufschiebbaren Maßnahmen,

b) die anderen im Zuge einer Verlassenschaftsabhandlung erforderlichen Amtshandlungen.

Von der genannten Gesetzesstelle sind alle im zweiten Hauptstück des Außerstreitgesetzes geregelten Amtshandlungen erfaßt (Anm. 3 in Wagner, Notariatsordnung 3 ). Die Errichtung von Verträgen wird im zweiten Hauptstück des Außerstreitgesetzes nicht behandelt. Ist daher auch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Frage, ob ein vom Gericht mit der Durchführung einer Verlassenschaftsabhandlung beauftragter Notar auch bei Errichtung eines Kaufvertrages im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung als Gerichtskommissär tätig wird, nicht vorhanden, spricht doch der Wortlaut des § 1 Abs 2 NotO und des § 1 Abs 1 Z 1 GKoärG dafür, daß der Notar eine solche Privaturkunde nicht in seiner Eigenschaft als Beauftragter des Gerichts verfaßt. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ist daher auch insoweit nicht gegeben. Der Revisionsrekurs erweist sich damit als unzulässig; er war aus diesem Grunde zurückzuweisen.

Anmerkung

E06671

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00631.85.1003.000

Dokumentnummer

JJT_19851003_OGH0002_0070OB00631_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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