TE OGH 1985/12/11 7Ob41/85

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Veröffentlicht am 11.12.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** P*****, Autohaus in B*****, vertreten durch Dr. Heinrich Hofrichter und Dr. Erwin Bajc, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, wider die beklagte Partei Z***** Versicherungen AG in W*****, vertreten durch Dr. Kurt Konopatsch, Rechtsanwalt in Leoben, wegen 47.500,-- S samt Nebengebühren, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichtes vom 11. Juni 1985, GZ 7 R 78/85-20, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 26. Jänner 1985, GZ 9 Cg 374/84-12, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung allenfalls nach Ergänzung des Berufungsverfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt vom beklagten Kaskoversicherer im Rahmen einer Händlerversicherung die Deckung des Schadens an einem versicherten Fahrzeug, das bei einem Unfall am 28. Oktober 1983 von S***** K***** gelenkt wurde. Die beklagte Partei machte vor allem die Beschränkung des versicherten Risikos gemäß Punkt III der Polizzenklausel Nr. 998-1 auf solche Schadensfälle geltend, bei denen das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer oder einem seiner „Angestellten“ gelenkt wurde. Unbestritten ist, dass der Inhalt dieser Klausel nicht besonders besprochen wurde.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren in der Hauptsache statt. Nach seinen Feststellungen war S***** K***** in den Jahren 1980 und 1981 beim Kläger als Mechaniker beschäftigt gewesen. Schon damals führte er außerhalb seiner Arbeitszeit für den Kläger das Abschleppen von Fahrzeugen durch und er wurde hiefür gesondert entlohnt. Nach seinem Ausscheiden als Mechaniker verrichtete er weiterhin gegen Entgelt wie zuvor Abschleppungen von Fahrzeugen, Botengänge und sonstige ihm aufgetragene Tätigkeiten. Die Entlohnung erfolgte entweder in bar oder gegen Verrechnung mit Waren oder Benzin. Das Abschleppen von Fahrzeugen führte K***** jeweils in seiner Freizeit und vorzüglich am Wochenende durch. Dabei benützte er Fahrzeuge und Vorrichtungen des Klägers. Am 28. Oktober 1983 übernahm S***** K***** den später beschädigten PKW, um damit gegebenenfalls einen Abschleppauftrag durchführen zu können. Einen solchen Auftrag erhielt er in den Nachmittagsstunden. Der Unfall ereignete sich auf der Fahrt von seiner Wohnung zur Wohnung des Werkstättenleiters, um von dort den Werkstättenschlüssel zum Abholen des für das Abschleppen benötigten Nachlaufwagens abzuholen.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters müsse ein Beschäftigter, der gegen Entgelt im Auftrag und Interesse des Versicherungsnehmers tätig werde, einem angestellten Fahrer gleichgesetzt werden. Der Erstrichter verneinte auch eine von der beklagten Partei weiters geltend gemachte Obliegenheitsverletzung und wies nur ein Zinsenmehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens nicht Folge, wohl aber der Berufung der beklagten Partei, und änderte das Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Die zweite Instanz übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters und stellte auf Grund teilweiser Beweisergänzung weiters fest, dass S***** K***** nach dem Ausscheiden als Mechaniker des Klägers Abschlepparbeiten in der Weise ausführte, dass er nahezu jede Woche einmal, je nach dem Anfall, eingesetzt wurde. Wenn ein Fahrzeug abzuschleppen war, wurde er angerufen und nahm das Abschleppen vor, wenn er Zeit hatte. Dabei fuhr er jeweils zunächst mit dem eigenen PKW zum Kläger, stieg dort in das Abschleppfahrzeug um und fuhr dann zum Abschlepport. Er erhielt für das jeweilige Abschleppen, also für die konkrete Leistung, durchschnittlich zwischen 200,-- und 300,-- S bezahlt.

Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei wohl der in den Versicherungsbedingungen enthaltene Ausdruck „Angestellter“ bei einer sinnvollen Auslegung - sowohl nach Gesetzes als auch nach Vertragsrecht - erweiternd dahin zu verstehen, dass es sich nicht um einen Angestellten im Sinn des AngG handeln müsse. Auch Mechaniker, die Reparaturfahrzeuge lenkten oder abschleppten, müssten gleichgestellt werden. Es müsse sich aber doch wenigstens um einen Beschäftigten handeln, der in das Unternehmen des Versicherungsnehmers eingegliedert und in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von diesem abhängig sei. Selbst bei weitherziger Interpretation könne hingegen ein ständig bei einer anderen Firma Beschäftigter, der nur gelegentlich, wenn er gerade Zeit hat, entgeltlich Hilfsdienste versehe, nicht mehr als Angestellter angesehen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Soweit das Berufungsgericht die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens bestätigt hat, wäre ein weiteres Rechtsmittel gemäß § 502 Abs 3 ZPO nF unzulässig, weil danach infolge des gewollten Abgehens des Gesetzgebers der ZVNov 1983 vom Judikat 56 neu auch jede Teilbestätigung unter 60.000,-- S nicht mehr bekämpft werden kann (Fasching, Lehrbuch, Rz 1872, EvBl 1985/45 ua.). Ungeachtet der Anfechtungserklärung des Revisionswerbers (dem ganzen Umfang nach) liegt aber hier eine teilweise Unzulässigkeit der Revision nicht vor, weil dieses Rechtsmittel zum Zinsenmehrbegehren nicht ausgeführt und auch nur beantragt wird, das Ersturteil wiederherzustellen.

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO liegt zwar im vorliegenden Fall nicht in der Frage, nach welchen Kriterien Versicherungsbedingungen auszulegen sind. Wohl ist die Rechtsprechung hierüber uneinheitlich, doch führen beide Auslegungsmöglichkeiten zum gleichen Ergebnis (siehe unten). Die Auslegung der hier strittigen Klausel der anzuwendenden allgemeinen Versicherungsbedingungen betrifft aber eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage, zu der der Oberste Gerichtshof bisher nicht Stellung genommen hat.

Da im Revisionsverfahren auch die Revisionsgegnerin nicht mehr an dem Standpunkt festhält, dass eine strenge Wortinterpretation des Begriffs „Angestellter“ stattfinden müsse, kann auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden, dass die Händler-Kaskoversicherung weitgehend sinnlos würde, wenn auf die Zufälligkeit abzustellen wäre, ob ein im Betrieb des Versicherungsnehmers tätiger Fahrzeuglenker Angestellter im engen Sinn des § 1 AngG oder - was etwa bei Fahrzeugüberstellungen häufig der Fall sein wird - Arbeiter ist. So umfasst zB auch laut Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, I 137, zwar der Begriff des Angestellten jene Personen, die in einem vertraglichen Arbeitsverhältnis mit monatlicher Gehaltszahlung stehen, der Begriff der Angestelltenschaft aber wird auch als Gesamtheit der Arbeiter- und Angestelltenschaft eines Industriezweiges verstanden. Entgegen der Meinung der beklagten Partei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die strittige Klausel dennoch eng auszulegen sei, weil mit ihr das Risiko des Versicherers über die allgemeine Kaskoversicherung hinaus erweitert werde. In beiden Kaskoversicherungszweigen ist nur der Sacheigentümer versichert. Die besondere Klausel beschränkt diesen Versicherungsschutz in Wahrheit sogar, weil es bei der allgemeinen Kaskoversicherung nicht darauf ankäme, wer (in welcher Eigenschaft) das versicherte Fahrzeug gelenkt hat. Für den Standpunkt der Revisionswerberin bringt schließlich auch der Vergleich mit den Versicherungsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland nichts. Dass dort ausdrücklich vom beauftragten oder angestellten Lenker die Rede ist, lässt zwingend weder einen Analogie- noch einen Gegenschluss auf die Bedeutung der österreichischen Klausel zu.

Zur Auslegung des strittigen Begriffs muss in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht besonders besprochen wurden, nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts ohne Erforschung des Parteiwillens der für einen verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Inhalt und Zweck der Klausel untersucht werden (EvBl 1982/94; ähnlich ZVR 1985/105 = VersR 1985/287 und Rummel in Rummel, ABGB, Rz 13 zu § 864a). Selbst bei Anwendung der Unklarheitenregel des § 915 zweiter Halbsatz ABGB müsste die -  nach dem Gesagten hier grundsätzlich gebotene - ausdehnende Auslegung ihre Grenze am Maß der Undeutlichkeit finden. Entscheidend kann es dann aber hier nur darauf ankommen, ob der Lenker eines in der Händler-Kaskoversicherung versicherten Fahrzeugs bei dieser Tätigkeit in der Art eines Angestellten im weitesten Sinn dieses Wortes, nämlich als oder wie ein Betriebsangehöriger tätig war. Die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses ist ohne Belang (Arb 9405 ua). Es kann auch dahingestellt bleiben, ob ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne besonderer Regelungen wie des § 2 Abs 1 ArbGG, des § 1 DHG oder des § 4 Abs 2 ASVG vorliegt. Grundsätzliche Berechtigung kommt nur den Bedenken der Revisionsgegnerin zu, dass die Gewährung des Versicherungsschutzes auch für jeden Einzelauftrag an persönlich und wirtschaftlich unabhängige Fahrzeuglenker das Risiko wegen der schweren Überprüfbarkeit der Betriebszugehörigkeit einer solchen Fahrt unzumutbar erschweren würde und dass ein solcher Lenker nicht mehr als Angestellter anzusehen ist. Eine gewisse Dauer und Regelmäßigkeit des Beschäftigungsverhältnisses und eine gewisse Unselbständigkeit des Lenkers müssen demnach vorliegen (vgl Arb 9491).

Ein Beschäftigtenverhältnis in diesem weiten Sinn ist im vorliegenden Fall zu bejahen. S***** K***** verrichtete zwar nicht auf Grund einer ständigen Anstellung Arbeiten zu vorausbestimmten Zeiten, wohl aber wurde er für die Zwecke des Betriebs des Versicherungsnehmers seit Jahren immer wieder mit dem Abschleppen von Fahrzeugen, Botengängen und sonstigen Tätigkeiten gegen Entgelt beschäftigt. Die Abschlepparbeiten fanden nahezu jede Woche einmal je nach dem Anfall statt. Dem vom Berufungsgericht hervorgehobenen Umstand, dass S***** K***** diese Tätigkeiten jeweils nur vornahm, wenn er dazu auch Zeit hatte, kommt keine entscheidende Bedeutung zu, weil dennoch die Merkmale einer gewissen Regelmäßigkeit der Beschäftigung im Betrieb des Klägers überwiegen, in deren Rahmen S***** K***** auch weisungsgebunden war.

Der vom Berufungsgericht für die Klagsabweisung herangezogene Grund liegt somit nicht vor.

Entgegen der Ansicht der Revisionsgegnerin ist die Rechtssache auch nicht wegen Verletzung der Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen Anzeige des Versicherungsfalles spruchreif im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens. In dieser Richtung steht nur fest, dass sich der Unfall entgegen der Schadensmeldung (ca. 20 Uhr) und der Aussage des Fahrzeuglenkers S***** K***** (ca. 22 Uhr) nach dem Erhebungsbericht der Gendarmerie um 22:20 Uhr ereignet hat. Der Revisionsgegnerin ist zwar dahin zu folgen, dass den Versicherer die Beweislast nur für die objektive Verletzung der Obliegenheit trifft, sodass der Versicherungsnehmer, soweit seine Entlastung überhaupt möglich ist (hier nach § 6 Abs 3 VersVG) sowohl den Beweis seines geringeren oder fehlenden Verschuldens als auch den Kausalitätsgegenbeweis führen muss (Petrasch, ZVR 1985, 65, 68 mwN bei FN 37 f), den hier der Kläger nicht einmal angeboten hat. Die Aufklärungspflicht (auch) in der Kaskoversicherung ist aber als genereller Tatbestand nicht Selbstzweck. Eine Obliegenheitsverletzung liegt deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur vor, wenn im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Es ist also notwendig, dass ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der unterlassenen Meldung eines Unfalls bei der Sicherheitsbehörde oder (wie hier) einer in Details unrichtig erstatteten Meldung an den Versicherer (vgl Prölls-Martin, VVG 23 196 Anm 4 zu § 33 und 198 ff) im nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Dieser Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels müssen vom Versicherer behauptet und bewiesen werden (Petrasch aaO 77 mwN bei FN 155 und 158). In dieser Richtung hat hier die beklagte Partei nichts vorgebracht, obwohl der Unfall (nach dem vorliegenden Protokoll) ohnehin von der Gendarmerie unmittelbar nach dem festgestellten Unfallszeitpunkt erhoben wurde. Demnach hat im vorliegenden Fall die beklagte Partei der zunächst ihr obliegenden Beweispflicht nicht genügt und es bedurfte keiner Beweisführung des Klägers für einen geringeren Grad des Verschuldens oder fehlende Kausalität.

Die Rechtssache ist aber auch im Sinne des Klagebegehrens noch nicht spruchreif. Wohl hat das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen als unbedenklich übernommen. Es hat sich aber über die in der Berufung der beklagten Partei erhobene Mängelrüge - betreffend eine ungerechtfertigte Ablehnung des Beweisantrags, dem Kläger die Bekanntgabe der näheren Daten aufzutragen, welches Fahrzeug von welchem Kunden von welcher Werkstatt zum Unfallszeitpunkt abgeschleppt werden sollte - mit der nach dem oben Gesagten unzutreffenden Rechtsansicht hinweggesetzt, dass es darauf wegen des Fehlens der Angestellteneigenschaft des Lenkers S***** K***** nicht ankomme. Der Beweisantrag kann auch nicht als unzulässiger Erkundungsbeweis angesehen werden. Vielmehr handelte es sich um das Anbot eines Kontrollbeweises zur Prüfung der (rechtserheblichen) Frage, ob es sich nicht doch um eine (von der Revisionsgegnerin behauptete) Privatfahrt gehandelt hat (Fasching, Kommentar III 231, ders, Lehrbuch Rz 659; JBl 1972, 478).

Zur Prüfung, ob dieser behauptete Verfahrensmangel vorliegt, war die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E07351

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00041.85.1211.000

Im RIS seit

10.01.1992

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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