TE OGH 1986/1/15 1Ob694/85

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.1986
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna MÜA, Hausfrau, Gießen-Wiesegg, Gießener Straße 101, BRD, vertreten durch Dr. Klaus Reisch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagten Parteien 1) Elisabeth B, Branderbäuerin, 2) Oswald C, Bauernsohn, beide Aurach 16, beide vertreten durch Dr. Bernhard Heitzmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 90.000,--) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Juli 1985, GZ 2 R 143/85-31, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. Februar 1985, GZ 11 Cg 604/81-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.268,18 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 424,38 Umsatzsteuer und S 600,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten betreiben in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Aurach auf Grundstücken, die im Eigentum des Alois B stehen, einen ca. 30 ha großen Wildpark, durch den ein ca. 2 m breiter Spazierweg führt. Das Rotwild kann sich im Wildpark frei bewegen, für das Steinwild und Schwarzwild gibt es eigene kleine Gehege. Die Klägerin besuchte am 27.9.1980 gemeinsam mit ihrem Ehegatten als Mitglied einer von Helmut D geleiteten Reisegruppe den Wildpark Aurach. Helmut D bezahlte für die gesamte Reisegruppe das Entgelt für den Eintritt; er erhielt hierüber einen Kassenbeleg ausgestellt, jedoch keine Eintrittskarten. Auf den Eintrittskarten ist in Kleindruck der Vermerk "Für Verletzungen und Beschädigungen an Menschen und Tieren, die durch das Verweilen im Wildpark entstehen, wird keine wie immer geartete Haftung übernommen" angebracht. Im Wildpark wurde die auf dem Spazierweg gehende Klägerin von einem Hirsch angegriffen und über die Böschung hinuntergeschleudert. Sie erlitt hiedurch einen Oberarmtrümmerbruch, einen mehrfachen Bruch des Schambeins sowie Quetschungen. Die Klägerin hatte drei Wochen schwere, vier Wochen mittelschwere und anschließend leichte Schmerzen. Der Unfall ereignete sich in der Brunftzeit der Hirsche, die in den Zeitraum September und Oktober fällt. Während der Brunftzeit befinden sich die Hirsche in höchster Erregung; sie nehmen aus diesem Grund fast kein Futter auf und befinden sich dauernd in einem Reizzustand. Durch das im Wildpark Aurach verfügte Verbot, die Wege zu verlassen, kann der Kontakt zwischen Mensch und Tier nicht ausgeschaltet werden, weil das Rotwild auch die Spazierwege kreuzt. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich am 14.9.1980, bei dem Karl E von einem Hirsch verletzt wurde.

Die Klägerin begehrt ein Schmerzengeld in der Höhe von S 75.000,-- sowie die Feststellung der solidarischen Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem Unfall vom 27.9.1980. Die Beklagten hätten jedenfalls während der Brunftzeit der Hirsche für eine entsprechende Verwahrung der Tiere zu sorgen, weil die Tiere in dieser Zeit besonders aggressiv seien und demnach eine besondere Gefahr für die Besucher darstellten.

Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Sie hätten für den von der Klägerin erlittenen Schaden nicht einzustehen, weil das freie Herumlaufen von Wildtieren zum Charakteristikum eines Wildparks gehöre und die Klägerin in Kenntnis dieses Umstandes den Wildpark besucht habe. Sowohl auf den Eintrittskarten als auch auf mehreren deutlich sichtbar aufgestellten Hinweistafeln sei ein Haftungsausschluß ersichtlich. Die Klägerin treffe ein überwiegendes Mitverschulden, weil sie versucht habe, einen Hirsch zu füttern, was verboten sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte die Haftung der Beklagten gemäß § 1320 ABGB, weil Hirsche, insbesonders während der Brunftzeit, eine besondere Gefahr für Menschen darstellen und daher besondere Vorsichtsmaßnahmen vom Halter zu treffen gewesen wären.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,-- jedoch nicht S 300.000,-- übersteigt. Es erklärte die Revision für zulässig.

Das Berufungsgericht stellte nach teilweiser Beweiswiederholung ergänzend fest:

Am 27.9.1980 habe sich direkt an der Kasse des Kassengebäudes, das sich etwa fünf Meter vor dem Eingang zum Wildpark befindet, sowie auf einem Querbalken des Kassengebäudes eine Hinweistafel in der Größe von 60 x 40 cm mit folgendem handgeschriebenen Text befunden: "Achtung! Tiere nicht füttern und nicht anfassen, keine Haftung für Verletzungen durch Tiere, Weg nicht verlassen, Wildtiere sind keine Haustiere!". Die Klägerin habe die Hinweistafel an der Kasse und am Querbalken nicht wahrgenommen, ebensowenig ihr Ehegatte Ernst MÜA.

Das Berufungsgericht führte aus, durch die Anbringung von Warntafeln werde der Verwahrungspflicht des Tierhalters in Ansehung eines gefährlichen Tiers, wie es ein Hirsch während der Brunftzeit sei, nicht entsprochen. Der auf den Eintrittskarten angeführte Haftungsausschluß sei ohne Bedeutung, weil die Klägerin keine Eintrittskarte erhalten habe und daher diese Vertragsbestimmung nicht habe zur Kenntnis nehmen können. Der Haftungsausschluß wäre auch bei grober Fahrlässigkeit, wie sie hier vorliege, nicht wirsam. Im übrigen billigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstrichters, daß die Beklagten der ihnen obliegenden Verpflichtung zur gehörigen Verwahrung des Tieres (§ 1320 ABGB) nicht entsprochen hätten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision der Beklagten kommt Berechtigung nicht zu.

Gemäß § 1320 zweiter Satz ABGB ist der Halter eines Tieres für jeden Schaden verantwortlich, der in der besonderen Tiergefahr seine Ursache hat, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Als Tierhalter ist nach Rechtsprechung und Lehre derjenige anzusehen, der das Tier dauernd in seiner Gewahrsame hat, die Herrschaft über das Tier ausübt und somit regelmäßig sein Verhalten erzwingen kann (SZ 55/180; SZ 26/121; Wolff in Klang Komm. 2 VI 110), somit derjenige, der im eigenen Namen bzw. Interesse darüber zu entscheiden hat, wie das Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen ist (JBl. 1983, 379; SZ 55/180; SZ 55/62; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 403; Ehrenzweig, System 2 II/1, 675). Im Gegensatz zum Jagdberechtigten, der nicht Halter des außerhalb von Gehegen oder Tiergärten lebenden Wildes seines Reviers ist, ist die Tierhaltereigenschaft des Betreibers eines Wildparks zu bejahen (Veit, ZVR 1958, 46).

Für die Haltereigenschaft ist die tatsächliche, unabhängige, d. h. nicht von Anordnungen dritter Personen abhängige Sachherrschaft entscheidend; auf eine bestimmte rechtliche Beziehung zum Tier kommt es nicht an (Koziol aaO 404; Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 7 zu § 1320); es sind daher auch die Eigentumsverhältnisse am Tier für die Haltereigenschaft nicht entscheidend (SZ 55/62; Reischauer aaO Rdz 7 zu § 1320), so daß es im vorliegenden Fall keiner Klärung der Frage bedarf, ob die im Tierpark befindlichen Tiere im Eigentum des Eigentümers der Liegenschaft oder aber der Beklagten (als deren Pächter) stehen. Wird ein Tier von mehreren Personen gemeinsam gehalten und sind bei jeder von ihnen die Haftungsvoraussetzungen gegeben, weil keiner für die erforderliche Verwahrung gesorgt hat, haften sie als Mithalter solidarisch (JBl. 1982, 150; SZ 55/62; Koziol aaO 405; Reischauer aaO Rdz 8 zu § 1320). Die Beklagten betreiben den Wild- und Naturpark Aurach in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie sind daher im vorgenannten Sinn Mithalter, die, soferne die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, solidarisch für eingetretene Schäden zu haften haben (vgl. JBl. 1969, 556; Welser, GesRZ 1979, 16, 18).

Das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung hat in elastischer und den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragender Weise zu erfolgen; die Gefährlichkeit des Tiers, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und gegebenenfalls auch eine Abwägung der Interessen spielen eine Rolle (JBl. 1982, 150; SZ 55/62). Der Tierhalter haftet bei Unterlassung der nach den bekannten oder erkennbaren Eigenschaften eines Tiers erforderlichen und nach der Auffassung des Verkehrs vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen (ZVR 1984/19; SZ 55/62; ZVR 1975/78;

ZVR 1974/140, JBl. 1965, 624; SZ 35/45 u.a.; Koziol aaO 407;

Reischauer aaO Rdz 12 zu § 1320). Bei besonderer Gefährlichkeit ist besondere Sorgfalt geboten; es darf nur eine Verwahrung dergestalt, daß niemand geschädigt werden kann, nicht verlangt werden, weil dies zur reinen Erfolgshaftung führen könnte (JBl. 1982, 494; SZ 52/86;

ZVR 1979/130; SZ 25/278; Koziol aaO 408; Reischauer aaO Rdz 12 zu § 1320). Vom Halter eines Tierparks ist zu verlangen, daß er sich hinreichende Kenntnis von der Eigenart und der spezifischen Gefährlichkeit der im Tierpark gehaltenen Tiere verschafft; er hat für den Mangel der entsprechenden Kenntnisse und demgemäß der erforderlichen Vorkehrungen nach dem Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB einzustehen (vgl. Reischauer aaO Rdz 12 zu § 1320). Hirsche während der Brunftzeit befinden sich, wie im Verfahren nicht strittig ist, in einem andauernden Reizzustand und in besonderer Erregung. Die Kenntnis dieses Zustandes ist von den Beklagten, die den Tierpark betreiben, zu fordern. Die Tiere stellen demnach während der Brunftzeit eine besondere Gefahrenquelle dar, so daß die Möglichkeit der Schadenszufügung in besonderem Maße besteht. Gewiß trifft es zu, daß der Besucher eines Wildparks damit rechnen muß, Wildtieren und nicht gezähmten, zahmen oder Haustieren zu begegnen. Er nimmt damit auch gewisse Gefahren, die sich aus der Begegnung mit Wildtieren ergeben können, in Kauf. Die Schutzpflicht des Tierhalters, wie sie sich aus § 1320 ABGB ergibt, wird dadurch aber nicht aufgehoben (vgl. Koziol aaO I 254). Besucher eines Tierparks, zu denen erfahrungsgemäß auch Kinder und ältere Personen zählen, müssen keineswegs damit rechnen, ohne besondere Warnung auch Tieren zu begegnen, die, wie Hirsche während der Brunftzeit, in besonderem Maße und auch auf den den Besuchern zugewiesenen Gehwegen gefährlich sind. Wenn für die körperliche Sicherheit gefährliche Tiere im Wildpark gehalten werden, sind besondere Schutzvorkehrungen erforderlich. In Betracht kommt insbesondere eine (zeitweise) Absonderung dieser Tiere und deren Haltung im Gehege, wie dies zB beim Steinwild im Tierpark der Beklagten gehandhabt wird. Eine Interessenabwägung, wie sie Platz zu greifen hat, wenn ein Tier für objektiv gerechtfertigt Zwecke, zB als Lawinensuchhund oder als Wachhund, verwendet wird (vgl. JBl. 1982, 150), führt im vorliegenden Fall zu keiner Minderung der Sorgfaltsanforderungen, weil ein besonders schutzwürdiges Interesse daran, auch gefährliche Tiere in einem Tierpark frei herumlaufen zu lassen, nicht erkennbar ist.

Nach den vom Berufungsgericht ergänzten Feststellungen befanden sich am Kassengebäude handgeschriebene Anschläge in der Größe von ca. 40 x 60 cm, wonach "keine Haftung für Verletzungen durch Tiere" übernommen wird. Die Tafel wurde von der Klägerin nicht wahrgenommen. Grundsätzlich kann auf jedes Recht verzichtet werden, sofern es nicht nach seiner Zweckbestimmung unverzichtbar oder der Verzicht durch positive Anordnung des Gesetzes (vgl. z.B. § 6 Abs. 1 Z 9 KSchG) ausgeschlossen ist; dies gilt auch für künftige Rechte und insbesondere für den Vorausverzicht auf Schadenersatzansprüche, die sogenannte Freizeichnung (SZ 52/57; SZ 48/22; Klang in seinem Kommentar 2 VI 527, 528). Solche Verzichtserklärungen sind aber als Ausschaltung von grundsätzlich zustehenden Rechten einschränkend auszulegen. Es ist herrschende Auffassung, daß Vereinbarungen über den Ausschluß der Haftung nur insoweit als wirksam angesehen werden können, als die Vertragspartner bei Abschluß überhaupt mit der Möglichkeit einer Schadensverursachung rechnen konnten. Es kommt darauf an, ob es sich um einen Schaden aus den für das Rechtsverhältnis typischen oder wenigstens im Einzelfall voraussehbaren Gefahren handelt (SZ 52/57; SZ 31/57). Als verzichtbar werden nur voraussehbare und kalkulierbare Risken angesehen (JBl. 1979, 483). In Fällen von Personenverletzungen wird die Freizeichnung, insbesondere bei entgeltlichen Verträgen, als unwirksam erachtet (Koziol aaO I 353). Selbst wenn man aber im vorliegenden Fall Freizeichnung grundsätzlich zulassen und darüber hinaus annehmen wollte, daß der Anschlag von Besuchern des Tierparks bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrgenommen werden mußte, wäre der Haftungsausschluß ohne Bedeutung. Er könnte sich keinesfalls auf Schäden beziehen, mit denen ein Besucher des Tierparks nicht zu rechnen braucht; der Besucher eines Tierparks muß aber nicht damit rechnen, daß aggressive und für die körperliche Sicherheit gefährliche Tiere, wie es Hirsche während der Brunftzeit sind, frei im Wildpark und auf Wegen herumlaufen. Er kann sich vielmehr darauf verlassen, daß der Betreiber des Tierparks für die erforderliche Verwahrung solcher Tiere sorgen wird.

Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E07219

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00694.85.0115.000

Dokumentnummer

JJT_19860115_OGH0002_0010OB00694_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten