TE OGH 1986/1/28 1Ob714/85

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Veröffentlicht am 28.01.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christian K***, Pensionist, geboren am 4.Dezember 1931 in Eisenkappel-Vellach, Ebriach, wohnhaft Ebriach 57, vertreten durch den Kurator Dr. Ludwig Karnicar, Univ.Ass., Graz, Rechbauerstraße 39, dieser vertreten durch Dr. Johann Tischler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Gottfriede K***, Wirtschaftsleiterin, geboren am 30. November 1932 in Eisenkappel-Vellach, Ebriach, wohnhaft in Graz, Auergasse 8 b/1/7, vertreten durch Dr.Heinz Napetschnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 18.September 1985, GZ 4 R 137/85-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 19.April 1985, GZ 27 Cg 57/84-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.877,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 308,85 S Umsatzsteuer und 480 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile heirateten am 4.November 1973. Sie sind österreichische Staatsbürger, die Ehe blieb kinderlos. Zum Zeitpunkt der Eheschließung war der Kläger als Erzieher in Judenburg tätig und wohnte dort im Heim. Die Beklagte arbeitete während der Saisonen in Fremdenverkehrsbetrieben, dazwischen hielt sie sich in ihrem Elternhaus in Kärnten auf. Erst im Jahre 1974 erlangte der Kläger eine aus einem einzigen, ca. 24 m 2 großen Raum bestehende Mietwohnung in Graz, die von den Streitteilen als Übergangslösung betrachtet wurde. Die Beklagte verbrachte einen Teil ihrer beschäftigungslosen Zeit in dieser Wohnung, teilweise wohnte sie mit Zustimmung und über Anregung des Klägers im Elternhaus. Führte die Beklagte den Haushalt des Klägers, erhielt sie von ihm ein monatliches Wirtschaftsgeld von 1.000 S bis 2.000 S. Außerdem zahlte der Kläger die Miete und die Krankenzusatzversicherungsprämien für die Beklagte und deren Tochter aus erster Ehe. Erst im Dezember 1979 wurde der Kläger Mieter einer ca. 68 m 2 großen Wohnung in Graz. Dort lebten die Streitteile von Dezember 1979 bis Anfang Mai 1980. Dann fuhr die Beklagte zur Aufnahme ihrer Saisonstelle nach Pörtschach. Der Kläger zog am 28.Juni 1980 aus der Ehewohnung aus. Seither wohnt er in seinem Elternhaus in Ebriach. Bis 1981 zahlte der Kläger zwar noch den Mietzins für die Grazer Wohnung, im Frühjahr 1982 kündigte er den Mietvertrag auf. Der Beklagten gelang es aber, unter Nachzahlung des Mietzinsrückstandes selbst einen Mietvertrag über diese Wohnung abzuschließen.

Der Kläger erlitt in den Jahren 1976, 1978 und im Oktober 1979 Schlaganfälle. Seit 1.Oktober 1979 befindet er sich in Pension. Nach dem letzten Schlaganfall war der Kläger bis zum 13.Dezember 1979 in stationärer Behandlung. Der Kläger hat sich seither nicht mehr erholt, es treten nur phasenweise Verbesserungen auf. Sein psychisch-geistiges Zustandsbild ist gekennzeichnet durch Wortfindungsstörungen, Ausdrucksstörungen, häufiges Versprechen, Verlangsamung des Gedankenablaufes, Konzentrationsschwäche, Schwerfälligkeit im Denken, Störung der Merk- und Gedächtnisfunktionen und insbesondere durch eine allgemeine Hirnleistungsschwäche mit Herabsetzung des Kritik- und Urteilsvermögens. Er ist zumindest zum Teil von fixen unabänderbaren Vorstellungen beherrscht. Zudem sind die rechtsseitigen Gliedmaßen als Folge dieser Schlaganfälle in der Kraft reduziert. Die Beklagte verblieb nach dem dritten Schlaganfall des Klägers wohl bis Anfang Mai 1980 zu Hause und versorgte den Kläger. Auf Grund des bereits im Herbst 1979 abgeschlossenen Arbeitsvertrages sah sie sich jedoch veranlaßt, Anfang Mai 1980 die Saisonarbeit in Pörtschach wieder aufzunehmen. Der Kläger hat sich zwar nicht energisch dagegen ausgesprochen, er hat darunter aber doch entscheidend gelitten. Er war als Folge des dritten Schlaganfalles Anfang Mai 1980 zwar nicht mehr hilflos, er hätte sich zur Not gerade noch selbst versorgen können. Er litt aber weiterhin an den Störungen der Merk- und Gedächtnisleistungen sowie der Wortfindung. Der Kläger fühlte sich nach dem Wegziehen der Beklagten alleingelassen und vernachlässigt, er war verzweifelt. Wohl hat die Beklagte den Kläger alle zwei oder drei Wochen besucht, hat Lebensmittel mitgebracht sowie vorgekocht. Der Pflegebedürftigkeit des Klägers war dadurch aber nicht wesentlich abgeholfen. Für die Beklagte wäre diese Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit des Klägers bei innerer Anteilnahme durchaus erkennbar gewesen. Sie hat dies aber entweder nicht erkannt oder nicht darauf reagiert. Bei einem Nichtantritt ihres Saisonpostens hätte sie ihren Dienstgeber zwar in Schwierigkeiten gebracht und auch eventuell den Ruf ihrer Verläßlichkeit verloren, sonstige Nachteile hätte sie aber nicht zu befürchten gehabt. Die Beklagte bezog bei freier Station in den Jahren 1978 bis 1983 zwischen 9.000 S und 15.500 S monatlich, der Kläger in demselben Zeitraum 13.800 S bis 15.600 S monatlich.

Eine zu 11 Cg 215/80 des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Kläger eingebrachte, auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage wurde von ihm am 24.Juli 1981 zurückgezogen. Die Zurückziehung der Klage unter Verzicht auf den Anspruch wurde mit Beschluß vom 3.August 1981 zur Kenntnis genommen. Am 19.Oktober 1980 erhob der Kläger gegen die Beklagte beim Landesgericht Klagenfurt zu 27 Cg 422/80 eine Klage auf Herausgabe seines PKWs. Nachdem ihm dieser von seiner Stieftochter zurückgestellt worden war, schränkte er das Begehren auf Kosten ein. Er wurde aber mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 24.Mai 1983 ON 32 zum Ersatz der Prozeßkosten an die Beklagte verurteilt.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG. Die Ehe sei durch die berufsbedingte Abwesenheit der Beklagten zerrüttet, der Kläger hätte nach mehreren Schlaganfällen der Betreuung durch die Beklagte bedurft.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens, allenfalls den Ausspruch, daß der Kläger an der Zerrüttung der Ehe allein schuldtragend sei. Für den Kläger sei in der Saison 1980 in Pörtschach im Parkhotel ein Zimmer reserviert worden. Dort sollte er mit der Beklagten Aufenthalt nehmen. Der Kläger habe somit die häusliche Gemeinschaft grundlos aufgegeben, er habe für den Unterhalt der Beklagten nicht entsprechend gesorgt, ihre Beschäftigung im Mai 1980 habe sie in Pörtschach aufnehmen müssen, da sie bereits im Herbst 1979 bindend einen Dienstvertrag abgeschlossen habe. Der Kläger habe im Frühjahr 1982 grundlos das Mietverhältnis an der seinerzeitigen Ehewohnung aufgekündigt, die Beklagte habe nur durch Nachzahlung des Mietzinsrückstandes ihr Mietrecht aufrecht erhalten können. Mit Rücksicht auf das Alter der Streitteile und die Dauer der Ehe würde die Aufhebung der Ehe die Beklagte schwerer treffen als den Kläger die Aufrechterhaltung. Die Beklagte weise noch keine ausreichenden Pensionsversicherungszeiten auf. In der Zurückziehung der seinerzeitigen Scheidungsklage sei eine Verzeihung zu erblicken.

Das Erstgericht gab dem Scheidungsbegehren statt. Der Kläger habe die Zerrüttung der Ehe nicht allein oder überwiegend verschuldet. Jeder Ehegatte sei verpflichtet, seine berufliche Arbeit so einzuteilen und sich in seiner vom berechtigten Erwerbsstreben und beruflichen Ehrgeiz getragenen Berufsausübung so einzuschränken, daß er entsprechende Zeit für den anderen Ehegatten aufbringe. Führe das gegenteilige Verhalten des Ehegatten in der Berufsausübung dazu, daß der andere gegen seinen Willen überwiegend allein gelassen werde, könne ein überwiegendes berufliches Engagement eine Eheverfehlung darstellen. Der körperliche und geistige Zustand des Klägers im Frühjahr 1980 hätte besonderen Beistand und Hinwendung durch die Beklagte notwendig gemacht. Der Kläger hätte dies von der Beklagten nicht ausdrücklich verlangen müssen, zumal diese den pflegebedürftigen Zustand nicht habe übersehen können. Das Alleingelassenwerden bei teilweiser Hilflosigkeit habe bewirkt, daß die Rückkehr des Klägers ins sorgende Elternhaus nicht als alleiniges oder überwiegendes Verschulden angesehen werden könne. Eine Unterhaltsverletzung durch den Kläger liege nicht vor, die Ehe sei unheilbar zerrüttet. Die im § 55 Abs 2 EheG vorgesehene Härteabwägung habe, da den Kläger nicht das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung treffe, nicht stattzufinden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Entscheidend sei lediglich, ob der Kläger im Juni 1980 die Ehewohnung verlassen habe dürfen, ohne hiedurch die eheliche Gemeinschaft schuldhaft zu zerrütten. Auch wenn sich der Kläger damals zur Not habe selbst versorgen können, sei er doch nicht verhalten gewesen, eine solche Notversorgung durchführen zu müssen, um der Beklagten die auswärtige Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Die Beklagte sei dem Kläger gemäß § 90 ABGB beistandspflichtig gewesen. Dieser Beistand habe auch die Sorge um das körperliche und geistige Wohlbefinden umfaßt. Da der Beklagten erkennbar gewesen sei, daß der Kläger auf ihren Beistand durch ihre persönliche Anwesenheit angewiesen gewesen sei, hätte sie die eigene Erwerbstätigkeit hintanstellen, sich finanziell einschränken und die Pflege und Betreuung des Klägers aufnehmen müssen. Auf den Vorschlag, dem Kläger die Wohnungsnahme im Personalzimmer der Beklagten auf ihrem Arbeitsplatz anzubieten, habe der Kläger angesichts seines reduzierten Geisteszustandes und dem notorischen Wunsch solcher Personen, im eigenen Familienkreis zu bleiben, um Außenstehenden nicht unangenehm auf- und zur Last zu fallen, nicht eingehen müssen. Da die Beklagte aber dem Kläger keine Alternative habe bieten können, hätte dieser Grund genug gehabt, die Ehewohnung, in der er ohne Ansprache und Betreuung zurückgeblieben gewesen sei, zu verlassen und zu seinem Bruder zu ziehen. Dadurch sei keine tiefere Zerrüttung der Ehegemeinschaft bewirkt worden als durch das monatelange Alleinlassen des Klägers durch die Beklagte in der Ehewohnung. Für den Ausspruch eines überwiegenden oder gar alleinigen Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung sei daher kein Raum.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO), nicht vor.

Die Beklagte stützte ihre Behauptung, der Kläger sei an der Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend schuld, in erster Instanz darauf, daß der Kläger die häusliche Gemeinschaft grundlos aufgegeben, für ihren Unterhalt nicht entsprechend gesorgt und im Frühjahr 1982 grundlos das Mietverhältnis an der seinerzeitigen Ehewohnung aufgekündigt habe. Da bei annähernd gleichem Einkommen und gleichen Bedürfnissen der Streitteile dem Kläger eine Unterhaltsverletzung nicht vorgeworfen werden kann (SZ 52/6; SZ 50/128 ua), ist für die Entscheidung maßgebend, ob der Kläger im Sinne des § 92 Abs 2 ABGB aus wichtigen persönlichen Gründen berechtigt war, gesondert Wohnung zu nehmen. Dies ist zu bejahen. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Beklagte, die in der Wintersaison 1979/80 den Kläger nach seinem Schlaganfall sehr wohl betreut hatte, dadurch, daß sie im Mai 1980 auf Grund eines schon 1979 abgeschlossenen Dienstvertrages einen Saisondienstposten in Pörtschach annahm, ihre gemäß §§ 44, 90 ABGB obliegende, gerade im Krankheitsfall aktuell werdende Beistandspflicht verletzte. Aus der Gestaltung des bisherigen gemeinsamen Ehelebens folgt, daß die frühere saisonalen Berufstätigkeiten der Beklagten mit Willen und Billigung des Klägers erfolgten. Der Kläger ist nach den Feststellungen des Erstgerichtes zumindest nicht ernsthaft an die Beklagte herangetreten, sie möge wegen seines schicksalhaften Krankheitszustandes bei ihm bleiben und den Dienstposten nicht antreten. Die Beklagte hat sich im Rahmen ihrer durch ihre auswärtige Beschäftigung gegebenen Möglichkeiten in der Folge auch sehr wohl um den Kläger gekümmert und ihn in regelmäßigen zeitlichen Abständen betreut. Dennoch war der Kläger auf Grund seines Leidens insbesondere psychisch derart beeinträchtigt, daß er sich allein gelassen und vernachlässigt fühlte und dadurch verzweifelt war. Wenn der Kläger unter diesen Umständen beschloß, in sein Vaterhaus zurückzukehren, war diese gesonderte Wohnungsnahme aus persönlichen Gründen keine schwere Eheverfehlung.

Die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit der Beklagten und die berechtigte gesonderte Wohnungsnahme durch den Kläger führten zur vollständigen Zerrüttung der Ehe, wurde doch nach Saisonende die Lebensgemeinschaft nicht wieder aufgenommen. Keiner der Streitteile behauptete aber, daß die Nichtaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft zu diesem Zeitpunkt dem anderen als Verschulden zuzurechnen wäre. War aber die durch das Auseinanderleben der Streitteile von niemandem verschuldete Zerrüttung der Ehe bereits spätestens Herbst 1980 eingetreten, kann, da es zu keiner Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft mehr kam, in der einseitig vorgenommenen Aufkündigung der seinerzeitigen Ehewohnung in Graz durch den Kläger im Mai 1982 eine die Zerrüttung herbeiführende Eheverfehlung nicht erblickt werden. Kann dem Kläger aber ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe nicht angelastet werden, fehlt es sowohl an den Voraussetzungen für eine Abwägung im Sinne des § 55 Abs 2 EheG als auch für einen Verschuldensausspruch im Sinne des § 61 Abs 3 EheG. Trifft an der Zerrüttung der Ehe niemanden ein Verschulden, ist auch irrelevant, welche Rechtswirkungen die Zurückziehung der zu 11 Cg 215/80 des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Kläger eingebrachten auf § 49 EheG gestützten Scheidungsklage für dieses Verfahren hat.

Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E07455

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00714.85.0128.000

Dokumentnummer

JJT_19860128_OGH0002_0010OB00714_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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