TE OGH 1986/2/11 5Ob512/86

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Veröffentlicht am 11.02.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Griehsler, Dr.Jensik, Dr.Zehetner und Dr.Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred F***, Steuerberater, Am Steinbühel 27 b, 4020 Linz, vertreten durch Dr.Heinz Buchmayr, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Alois B***, Gastwirt, Am Steinbühel 27 a, 4020 Linz, vertreten durch Dr.Franz Kriftner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 18.November 1985, GZ. 2 R 255/85-14, womit aus Anlaß der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 29.Mai 1985, GZ. 5 Cg 301/84-10, die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.069,75 S bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 240,- S an Barauslagen und 257,25,- S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Im Verfahren 5 Cg 171/84 des Erstgerichtes begehrte der Kläger Alfred F***, seinen Nachbarn Alois B*** schuldig zu erkennen, auf seinem Grundstück in Linz, Am Steinbühel 27 a jede Lärmerzeugung, insbesondere durch den nicht genehmigten Gebrauch von Verstärkeranlagen, soweit dadurch das von der Gewerbebehßrde zugestandene Maß von maximal 25 dB(A) überschritten werde, zu unterlassen. In diesem Verfahren wurde die mündliche Streitverhandlung am 9.7.1984 geschlossen; mit Urteil vom 10.7.1984 wurde die Klage abgewiesen, weil die gewerbebehßrdliche Genehmigung der Betriebsanlage des Beklagten durch den Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie (Bescheid vom 17.10.1983, GZ 303.699/9-III-3/83) gemäß § 364 a ABGB einen Unterlassungsanspruch ausschließe. Am 11.7.1984 wurde den Streitteilen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5.6.1984, mit dem der genannte Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie aufgehoben wurde, zugestellt.

Mit der am 7.8.1984 erhobenen Klage begehrte Alfred F*** die Wiederaufnahme des Verfahrens des Erstgerichtes 5 Cg 171/84. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 5.6.1984 sei bereits vor Schluß der Verhandlung des Vorprozesses existent geworden, dem Kläger aber erst mit dessen Zustellung zur Kenntnis gekommen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 5.6.1984 stelle daher eine neue Tatsache im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO dar. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 24.9.1984 wurde auf Antrag des Klägers das Rechtsmittelverfahren in der Rechtssache 5 Cg 171/84 wegen dieser Wiederaufnahmsklage unterbrochen (§ 545 ZPO). Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes sei erst nach Schluß der mündlichen Streitverhandlung rechtswirksam geworden und bilde daher keinen Wiederaufnahmsgrund.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren nach Durchführung einer Verhandlung ab. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes habe erst durch die Zustellung an die Parteien Rechtswirkungen entfaltet, es sei daher erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung im Hauptprozeß erfolgt. Eine nachträgliche Aufhebung eines Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof stelle keinen Wiederaufnahmsgrund dar.

Das Gericht zweiter Instanz hob das erstgerichtliche Urteil aus Anlaß der dagegen erhobenen Berufung des Klägers auf und wies die Wiederaufnahmsklage als zur Bestimmung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung ungeeignet zurück, wobei es aussprach, daß der Wert des Beschwerdegegenstandes, über den es entschieden habe, 15.000 S übersteigt.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus:

Gründe sich ein Urteil auf einen Bescheid einer Verwaltungsbehßrde, sei nach Lehre und Rechtsprechung das diesen Bescheid aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes eine rechtlich bedeutsame Tatsache, die jedoch zur Zeit des Vorprozesses vorhanden gewesen sein müsse. Wenn der Bescheid erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz aufgehoben worden sei, sei die Erhebung einer Wiederaufnahmsklage ausgeschlossen (Fasching IV 508; SZ 29/27; RZ 1955, 46). Entscheidend sei daher für den vorliegenden Fall, ob das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vor oder nach Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz ergangen sei. Die Rechtswirksamkeit eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes trete mit dessen Zustellung ein (Oberndorfer, Die ßsterreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit 181; VwSlg. 8.798 A/1975). Erst mit Zustellung an eine der Parteien gelte das Erkenntnis als erlassen. Davor entfalte es auch keine Wirkungen. Auf den Zeitpunkt der Willensbildung bei einem kollegial eingerichteten Organ komme es nicht an (vgl. VfSlg. 9.428/1982). Entgegen der Ansicht des Klägers sei das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes damit erst am 11.7.1984, dem Tag der Zustellung, somit nach Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz, wirksam geworden. Die Wiederaufnahmsklage kßnne daher nicht auf dieses Erkenntnis gestützt werden. Werde die Wiederaufnahmsklage aber auf keinen gesetzlich zulässigen Grund gestützt, sei darüber nicht urteilsmäßig zu erkennen, sondern die Klage gemäß § 538 Abs 1 ZPO sofort mit Beschluß zurückzuweisen. Das Erstgericht hätte daher die Klage nicht mit Urteil ab-, sondern mit Beschluß zurückweisen müssen. Aus Anlaß der Berufung sei daher das erstgerichtliche Urteil aufzuheben und die Wiederaufnahmsklage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückzuweisen gewesen (Fasching IV 543; JBl 1957, 270; JBl 1954, 98).

Gegen diesen berufungsgerichtlichen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen, das in der Rechtssache 5 Cg 171/84 ergangene Urteil zu beseitigen und dem Erstgericht die Sachentscheidung aufzutragen.

Der Beklagte beantragte in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Hinblick auf den Bewertungsausspruch des Berufungsgerichtes und den Umstand, daß es sich um einen verfahrensbeendenden Beschluß handelt (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO) zulässig, aber nicht berechtigt.

In seinem Rekurs beharrt der Kläger auf dem Standpunkt, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (vom 5.6.1984) stelle eine vor Schluß der Verhandlung erster Instanz entstandene Tatsache dar, weshalb der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gegeben sei. Dem kann nicht gefolgt werden.

Die Wiederaufnahmsklage bezweckt die Aufhebung einer (wenngleich noch nicht rechtskräftigen) gerichtlichen (die Sache erledigenden) Entscheidung wegen eines schweren Fehlers bei der Gewinnung der Entscheidungsgrundlage, sei es wegen Verstßßen gegen das Strafrecht beim Zustandekommen der Entscheidung (§ 530 Abs 1 Z 1 bis 4 ZPO), sei es wegen Außerachtlassung oder änderung einer identischen oder präjudiziellen Entscheidung (§ 530 Abs 1 Z 5 und 6 ZPO) oder wegen neuer Tatsachen und Beweismittel, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO) (vgl. Fasching, Lehrbuch Rdz 2053). Im vorliegenden Fall soll ein Wiederaufnahmsgrund darin liegen, daß durch ein vor Schluß der Verhandlung erster Instanz gefaßtes, den Prozeßparteien aber erst nach diesem Zeitpunkt zugestelltes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes jener Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie aufgehoben worden sei, auf den sich das das Klagebegehren abweisende Urteil des Erstgerichtes gestützt hatte. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt den Standpunkt vertreten, daß bei einer solchen nachträglichen Aufhebung eines Verwaltungsbescheides die Erhebung einer Wiederaufnahmsklage ausgeschlossen ist, ein allfälliger Exekutionstitel nur mittels Feststellungsklage oder - nach Einleitung der Exekution - durch eine Oppositionsklage bekämpft werden kann (SprR Nr. 45 neu = SZ 29/27; 1 Ob 205/56; 3 Ob 406/57; 6 Ob 139/59; 7 Ob 575/76; 4 Ob 81/80). Wenn der Rekurswerber meint, es sei hier der Wiederaufnahmsgrund der Z 7 des § 530 Abs 1 ZPO erfüllt, so übersieht er, daß als neue Tatsachen oder neue Beweismittel - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte - nur solche in Betracht kommen, die zur Zeit des Vorprozesses schon vorhanden waren und in diesem hätten benützt werden kßnnen; es kommen also nicht Tatsachen oder Beweismittel in Betracht, die erst nachher eingetreten sind (vgl. SZ 22/180; 5 Ob 531/80; Fasching IV 510). Der Rekurswerber mßchte aus dem - vor dem Schluß der mündlichen Streitverhandlung liegenden - Datum des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes ableiten, daß die Betriebsanlagengenehmigung die dem Klagebegehren im Vorprozeß den Boden entzogen hatte (§ 364 a ABGB), in dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr existent gewesen sei. Dies trifft aber nicht zu. Die Einbringung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ändert an den Wirkungen des in Rechtskraft erwachsenen Verwaltungsbescheides nichts (vgl Obendorfer, aaO, 116; Hauer-Leukauf, Handbuch des ßsterreichischen Verwaltungsverfahrens, 295). Da die Rechtswirksamkeit eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichteshofes - wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung ebenfalls richtig erkannte - erst mit dessen Zustellung zumindest an eine der Parteien eintritt und die Zustellung dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes hier erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz erfolgte, ist die in dem den Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie über die gewerbebehßrdliche Genehmigung der Betriebsanlage des Beklagten aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zu erblickende rechtlich bedeutsame Tatsache zur Zeit des Vorprozesses (bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung) noch nicht vorhanden gewesen. Die hier nach dem für die Fällung der Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt eingetretene Unrichtigkeit der Entscheidungsgrundlage kann somit kein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO sein (vgl. RZ 1955, 46). Fehlt es aber an der Qualifikation der Tatsache oder des Beweismittels als neu im Sinne dieses Wiederaufnahmsgrundes, so geht auch der Hinweis des Rekurswerbers auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 6 ZPO ins Leere, der einer bereits früher ergangenen rechtskräftigen Entscheidung über denselben Anspruch oder dasselbe Rechtsverhältnis zum Durchbruch verhelfen soll; für das Vorliegen jenes Wiederaufnahmsgrundes ist hingegen nur entscheidend, ob die Rechtswirksamkeit des für das im Vorprozeß ergangene Urteil maßgeblichen Bescheides der Verwaltungsbehßrde vor oder nach dem Schluß der mündlichen Streitverhandlung des Vorprozesses beseitigt wurde.

Unter den gegebenen Umständen besteht daher kein Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abzugehen, wonach die nachträgliche Aufhebung eines Verwaltungsbescheides, auf den sich das im Vorprozeß ergangene Urteil gründet, weder analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO noch gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO als Wiederaufnahmsgrund anerkannt wird (vgl. Fasching IV 508). Dem Rekurs mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.

Anmerkung

E07492

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0050OB00512.86.0211.000

Dokumentnummer

JJT_19860211_OGH0002_0050OB00512_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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