TE OGH 1986/2/18 4Ob166/85

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.02.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dipl.Ing. Otto Beer und Johann Friesenbichler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peco D***, Hilfsarbeiter, Wien 15., Eduard Sueß-Gasse 14/2/23, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*** B***- und

B*** mbH in Wien 15., Anschützgasse 1, vertreten durch Dr. Wolfgang Emberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 32.513,25 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 1. Juli 1985, GZ 44 Cg 96/85-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 12. Oktober 1984, GZ 2 Cr 90/84-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.309,75 bezeichneten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 480,-- Barauslagen und S 257,25 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Nach dem auf das Arbeitsverhältnis der Prozeßparteien anzuwendenden § 9 Abschnitt II Z 1 des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe erhalten Arbeitnehmer, die so weit weg von ihrem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) arbeiten, daß ihnen eine tägliche Rückkehr zu ihrem Wohnort (Familienwohnsitz) nicht zugemutet werden kann, ein in der Z 2 der Höhe nach näher bestimmtes Trennungsgeld, sofern sie nicht unentschuldigt von der Arbeit fernbleiben.

Der Kläger begehrt mit der Behauptung, seine Ehegattin und die drei ehelichen Kinder hätten im September 1982 den Wiener Wohnsitz aufgegeben und seien nach Jugoslawien zurückgekehrt, wo sie seither lebten, für die Zeit ab August 1983 die Zahlung eines der Höhe nach außer Streit gestellten Betrages von zuletzt S 32.513,25 brutto sA an näher aufgeschlüsseltem Trennungsgeld.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Der Wohnsitz des Klägers liege nach wie vor in Wien. Er führe mit seiner sich im Ausland aufhaltenden Ehegattin keinen gemeinsamen Haushalt, zumal er sie nur im Urlaub besuche. Die Bestimmung des Kollektivvertrages über den Anspruch auf Trennungsgeld setze aber eine gemeinsame Haushaltsführung mit den übrigen Familienmitgliedern voraus. Das Ergebnis der Auffassung des Klägers verstieße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil im Inland beschäftigten ausländischen Arbeitnehmern ein zusätzliches Entgelt zustünde, das inländischen Arbeitnehmern in gleichgelagerten Fällen nicht gebühre. Der Anspruch auf Trennungsgeld bestehe auch deshalb nicht zu Recht, weil der Kläger eine polizeiliche Wohnsitzbestätigung vom Ort der Haushaltsführung, die nach dem § 9 Abschnitt II Z 3 KV eine Anspruchsvoraussetzung bilde, nicht vorgelegt habe.

Außer Streit steht folgender Sachverhalt: Der Kläger lebt seit 1973 in aufrechter Ehe. Seine Ehefrau lebte mit drei minderjährigen ehelichen Kindern, für welche der Kläger Familienbeihilfe bezieht, bis 30. September 1982 mit dem Kläger in Wien und seither in Jugoslawien (Mazedonien). Der Kläger fährt im Jahr zweimal für je 2 Wochen auf Urlaub nach Hause. Er hat eine jugoslawische amtliche Bestätigung über seinen Familienwohnsitz bisher der beklagten Partei nicht vorgelegt (die Vorlage erfolgte erst im Zuge des Rechtsstreits, Beilage B vom 10. September 1984). Die beklagte Partei hat dem Kläger ein Quartier nicht zur Verfügung gestellt; er wohnt seit dem 6. April 1977 in Wien 15., Eduard-Sueß-Gasse 14/2/23. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, der Klammerausdruck "Familienwohnsitz" habe zur Folge, daß es auf den im Inland gelegenen Wohnort des ausländischen Arbeitnehmers nicht ankomme. Familienwohnsitz sei der Wohnort, an dem die Ehegattin des im Inland arbeitenden Klägers mit den Kindern lebe. Da dem Kläger eine tägliche Rückkehr zu diesem Familienwohnsitz nicht zugemutet werden könne, habe er Anspruch auf Trennungsgeld.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und billigte dessen Rechtsauffassung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Bei der nach den §§ 6 und 7 ABGB vorzunehmenden Auslegung der normativen Bestimmungen des Kollektivvertrages (Arb. 9567 uva; Kuderna, Die Auslegung kollektivvertraglicher Normen und Dienstordnungen sowie deren Ermittlung im Prozeß, DRdA 1975, 161 168 f.) ist davon auszugehen, daß vor dem am 1. April 1983 in Kraft getretenen, auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe der Anspruch auf Trennungsgeld jenen Arbeitnehmern zustand, die so weit weg von ihrem ständigen Wohnort entfernt arbeiteten, daß ihnen eine tägliche Rückkehr zu ihrem Wohnort nicht zugemutet werden konnte. Der neue Kollektivvertrag brachte insofern eine Änderung des alten als nach dem Wort "Wohnort" jeweils das Wort "Familienwohnsitz" in Klammer beigefügt wurde.

Entgegen der in der Revision vertretenen Meinung hat diese Anordnung der beiden Worte keinen inneren Widerspruch zur Folge. Sowohl dem Wortlaut als auch dem unzweifelhaft in der Berücksichtigung der Trennung des Arbeitnehmers von seiner Familie und des dadurch erhöhten Aufwandes liegenden Normzweck nach soll für den Anspruch auf Trennungsgeld grundsätzlich der Wohnort des Arbeitnehmers entscheiden. Wenn aber die Familie des Arbeitnehmers ihren Sitz an einem vom ständigen Wohnort des Arbeitnehmers verschiedenen Ort hat und der Arbeitnehmer von seiner Familie derart getrennt lebt, daß ihm nicht zugemutet werden kann, zu diesem Ort (Familienwohnsitz) täglich zurückzukehren, soll er ebenfalls Anspruch auf Trennungsgeld haben. Diese Regelung trägt offenkundig jenem besonderen Umstand Rechnung, daß ein Arbeitnehmer mit seiner Familie einen gemeinsamen Wohnsitz hat, daß er aber an einem Ort arbeitet, der von diesem Familienwohnsitz so weit entfernt ist, daß ihm eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann und er daher am Arbeitsort oder in dessen Nähe ständig zu wohnen gezwungen ist. Die mit der getrennten Haushaltsführung verbundenen Mehrkosten sollen durch das für diesen Fall vorgesehene Trennungsgeld abgegolten werden. Wie oft ein solcher Arbeitnehmer tatsächlich zu seinem Familienwohnsitz zurückkehrt, ist gleichgültig, solange er nur den gemeinsamen Wohnsitz der Familie aufrechterhält. Diese Überlegungen treffen auch auf den Kläger zu. Er hat zwar seinen ständigen Wohnort am Arbeitsort, seine Familie jedoch ihren Wohnsitz (Familienwohnsitz) in Jugoslawien. Eine tägliche Rückkehr zu diesem Familienwohnsitz kann dem Kläger infolge der großen Entfernung nicht zugemutet werden, er verbringt aber seine Urlaube an diesem Familienwohnsitz. Daß dieser Familienwohnsitz erst während des Arbeitsverhältnisses begründet worden ist, vermag daran nichts zu ändern, daß seither der Familienwohnsitz in Jugoslawien liegt. Der Einwand der beklagten Partei, dem Anspruch auf Trennungsgeld stehe der Umstand entgegen, daß die Begründung des Familienwohnsitzes durch den Kläger erfolgt sei, ist nicht recht verständlich, weil die Begründung eines Wohnsitzes in aller Regel von einem Willensentschluß der betreffenden Person abhängt. Ob dies vor oder während des Arbeitsverhältnisses erfolgt, ist für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Familienwohnsitzes ohne Belang. Ebenso wenig kann eine Ungleichbehandlung ausländischer und inländischer Arbeitnehmer erkannt werden, weil die Bestimmung des § 9 Abschnitt II Z 1 KV ebenso auf inländische Arbeitnehmer anzuwenden ist wie auf ausländische. Ein inländischer Arbeitnehmer, der in Wien arbeitet und dessen Familie etwa in Vorarlberg lebt, erwirbt ebenso wie ein ausländischer Arbeitnehmer den Anspruch auf Trennungsgeld. Ob diese Bestimmung in der Praxis mehr auf inländische oder mehr auf ausländische Arbeitnehmer Anwendung findet, ist auf ihre Rechtswirksamkeit ohne Einfluß. Die einen breiten Raum einnehmenden Revisionsausführungen über die steuerrechtliche Behandlung des Trennungsgeldes und den steuerrechtlichen Begriff des Familienwohnsitzes sind für die Auslegung der kollektivvertraglichen Bestimmung, die einen Zusammenhang mit steuerrechtlichen Vorschriften und Grundsätzen nicht erkennen läßt, ebenfalls nicht relevant. Dem von der beklagten Partei aus steuerrechtlichen Bestimmungen gezogenen Schluß, die Abänderung des Kollektivvertrages habe nur insofern eine Änderung der Rechtslage im Vergleich zum alten Kollektivvertrag gebracht, als nunmehr auch Arbeitnehmer, die am Arbeitsort lediglich über eine Schlafstelle oder ein gleichartiges Firmenquartier verfügen und damit einen ständigen Wohnort am Arbeitsort aufweisen, Anspruch auf Trennungsgeld haben, fehlt jede kollektivvertragliche Grundlage. Eine solche nur für das Steuerrecht geltende Einschränkung kann dem Kollektivvertrag nicht entnommen werden, zumal der Begriff "Familienwohnsitz" dann ohne Inhalt wäre. Im übrigen bliebe auf der Grundlage dieser Auffassung der beklagten Partei auch unverständlich, daß darin eine Änderung der alten Rechtslage zu erblicken wäre, weil in diesen Fällen auch nach dem alten Kollektivvertrag ein ständiger Wohnort und daher ein Anspruch auf Trennungsgeld bestanden hätten.

Da die beklagte Partei in ihren Revisionsausführungen auf die Bestimmungen des § 9 Abschnitt II Z 3 und auf ihre daraus abgeleitete Auffassung, die Vorlage einer polizeilichen Wohnsitzbestätigung sei eine Anspruchsvoraussetzung, nicht mehr zurückkommt, genügt es, auf die zutreffenden Darlegungen des Berufungsgerichts sowie darauf zu verweisen, daß die Vorlage einer solchen Bestätigung nach dem Wortlaut der zitierten Bestimmung für die "Feststellung des Anspruchs" und nicht etwa für das Entstehen des Anspruchs gefordert wird. Daß der Familienwohnsitz in Jugoslawien liegt, steht überdies außer Streit.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E07626

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0040OB00166.85.0218.000

Dokumentnummer

JJT_19860218_OGH0002_0040OB00166_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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