TE OGH 1986/4/22 2Ob18/86

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Veröffentlicht am 22.04.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei WIENER A*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Opernring 3-5, vertreten durch Dr.Reinhold Lingner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Engelbert D***, Maschinist, Unterstifting 2,

2.) D*** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Schottenring 15, beide vertreten durch Dr.Eduard Saxinger und Dr.Peter Baumann, Rechtsanwälte in Linz, wegen restlicher 104.752 S s. A., infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9.Oktober 1985, GZ 2 R 108/85,-35, womit infolge Berufung beider Streitteile das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 29.Jänner 1985, GZ 4 Cg 25/82-27, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 52.376 samt 4 % Zinsen seit 22.12.1981 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von S 157.128 samt 4 % Zinsen seit 22.12.1981 wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die Hälfte der mit 70.692,68 S bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten 9.600 S Barauslagen von 5.010,81 S Umsatzsteuer), d.s. 35.346,34 S binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20.Mai 1979 kollidierte der Erstbeklagte mit seinem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW auf der Leonfeldener Bundesstraße (B 126) beim Einbiegen nach links mit dem Motorrad des Johann N***, der den PKW überholen wollte. Bei dem Unfall wurde die auf dem Motorrad mitfahrende Elfriede M*** schwer verletzt. Die klagende Partei begehrt den Ersatz der von ihr als Haftpflichtversicherer des Motorrades an die Geschädigte erbrachten Versicherungsleistungen. Das Alleinverschulden an dem Unfall treffe den Erstbeklagten, weil er plötzlich, ohne die Fahrtrichtungsänderung angezeigt zu haben, nach links eingebogen sei. Die beklagten Parteien behaupten einen vorschriftsmäßigen Einbiegevorgang des PKW. Das Alleinverschulden treffe Johann N***, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und erst unmittelbar vor dem Überholen auf die linke Fahrbahnhälfte gelenkt habe, sodaß er vom Erstbeklagten beim zweiten Blick in den Rückspiegel nicht wahrgenommen habe werden können.

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei - ausgehend von einer Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten - 157.128 S s.A. zu und wies das Mehrbegehren von 52.376 S s.A. ab.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne der gleichteiligen Schadensteilung ab und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig ist.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes verläuft die B 126 im Unfallsbereich geradlinig und weist keine Sichtbehinderungen auf. Die asphaltierte Fahrbahn ist 8,10 m breit. In der Fahrbahnmitte befindet sich eine Leitlinie. Gegenüber der Zufahrt Unterstifting, in die der Erstbeklagte einbiegen wollte, mündet von rechts die Gemeindestraße nach Dietrichschlag ein. 15 m vor der Zufahrt nach Unterstifting ist links eine Hauszufahrt, 20 m vor dieser eine weitere Hauszufahrt und weitere 10 m vorher mündet eine Feldzufahrt in die B 126 ein.

Ca. 90 m vor der Zufahrt nach Unterstifting stellte der Erstbeklagte durch einen Blick in den Rückspiegel fest, daß ihm in größerer Entfernung ein Motorradfahrer und ein PKW folgten. Er betätigte den linken Blinker, fuhr "gegen die Fahrbahnmitte" und verminderte seine Geschwindigkeit von 60 km/h allmählich. Als er sich der Zufahrt auf rund 60 m genähert hatte, betrug sein Abstand zur Fahrbahnmitte nur mehr ca. 20 cm. Johann N*** folgte dem Erstbeklagten mit einer Geschwindigkeit von rund 90 km/h und wollte den PKW überholen. Ca. 60 m vor der Zufahrt nach Unterstifting fuhr er etwa 1,30 m rechts der Leitlinie. Er gab ein akustisches Warnsignal ab und leitete den Überholvorgang ein, indem er sich näher zur Leitlinie hin bewegte. Als er sich dieser auf 85 cm genähert hatte, betrug sein Abstand zum PKW, der sich zu diesem Zeitpunkt der Zufahrt auf 14 bis 16 m genähert hatte, nur mehr 33 bis 35 m. Aus dieser Entfernung und rund 49 m vor der späteren Kollisionsstele leitete Johann N*** ein Bremsmanöver ein, wobei er auf die linke Fahrbahnhälfte geriet und gegen das Hinterrad des mit etwa 25 km/h nach links einbiegenden PKW stieß. Der Erstbeklagte hatte zwar 25 m vor der Kollisionsstelle nochmals in den Rückspiegel geschaut, den Motorradfahrer jedoch übersehen.

Das Erstgericht lastete dem Erstbeklagten an, daß er den etwa in Fahrbahnmitte und "in Überholposition" befindlichen Motorradfahrer übersehen habe. Den Johann N*** treffe ein Mitverschulden, weil er von seinem Überholmanöver nicht Abstand genommen habe, obwohl der PKW-Lenker auf das akustische Warnsignal nicht reagiert habe. Das Erstgericht erachtete eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten für gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht führte zwar eine Beweisergänzung durch, traf jedoch keine ergänzenden oder von den erstgerichtlichen Feststellungen abweichende Feststellungen. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes sei eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angemessen. Mit Rücksicht auf die mehreren Zufahrten nach links sei für den Nachfolgeverkehr keineswegs klar gewesen, wo der Erstbeklagte einbiegen habe wollen. Der Erstbeklagte sei daher zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen und hätte sich vor dem Einbiegen nicht mit einem Blick in den Rückspiegel begnügen dürfen, bei dem er überdies die Position des Motorradfahrers nicht erkennen habe können. Dieses Fehlverhalten des Erstbeklagten wiege aber gleich schwer wie die Nichtbeachtung des linken Blinkers und die Einordnung des PKW zur Straßenmitte durch Johann N***. Den Ausspruch, daß die Revision nicht zulässig sei, begründete das Berufungsgericht damit, daß für die Bestimmung der Verschuldensanteile die Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend seien, denen keine über den konkreten Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung zukomme.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision der beklagten Parteien ist zulässig. Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizupflichten, daß die Kasuistik des Einzelfalles in der Regel eine beispielgebende Entscheidung ausschließt. Grundsätzlichen Fragen der Verschuldensteilung kommt jedoch Erheblichkeit im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu (vgl. Petrasch, Das neue Revisions-(Rekurs-)Recht in ÖJZ 1983, 177).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch zum Teil berechtigt.

Nach § 11 Abs 2 erster Satz StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Fahrtrichtungsänderung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Beabsichtigt der Lenker nach links einzubiegen, so hat er nach § 12 Abs 1 StVO überdies das Fahrzeug, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß niemand zum Überholen angesetzt hat, auf den der Fahrbahnmitte zunächst gelegenen Fahrstreifen seiner Fahrtrichtung zu lenken. Bei Vorhandensein nur eines Fahrstreifens hat er möglichst nahe an die Fahrbahnmitte heranzufahren (ZVR 1975/212 mwN). Maßgebend für die Rechtzeitigkeit der Anzeige der bevorstehenden Änderung der Fahrtrichtung oder des bevorstehenden Wechsels des Fahrstreifens ist es, ob der Zeitraum zwischen der Anzeige der Fahrtrichtungsänderung oder des Fahrstreifenwechsels und der Durchführung für die anderen Straßenbenützer ausreicht, sich auf den angezeigten Vorgang einstellen zu können. Eine Anzeige rund 5 Sekunden oder rund 100 m vor der bevorstehenden Fahrtrichtungsänderung auf einer Bundesstraße wird in der Regel als ausreichend angesehen (ZVR 1971/28, 1964/154). Im vorliegenden Fall betätigte der Erstbeklagte, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß niemand zum Überholen angesetzt hat, rund 90 m vor der Zufahrt den linken Blinker und verminderte seine Geschwindigkeit von 60 km/h in der Folge. Ungeklärt blieb zwar, welcher Zeitraum von der Anzeige der bevorstehenden Fahrtrichtungsänderung bis zu dessen Vornahme verging, selbst bei unverminderter Geschwindigkeit hätte aber der Erstbeklagte für die von ihm noch zu durchfahrende Strecke jedenfalls mehr als 5 Sekunden benötigt. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß Johann N***, der bei Betätigung des linken Blinkers durch den Erstbeklagten mit rund 90 km/h "in größerer Entfernung" dem PKW folgte, ausreichend Zeit gehabt hätte, sich auf den angezeigten Vorgang einzustellen. Der Erstbeklagte ordnete sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch zur Fahrbahnmitte hin ein. Ihm kann daher, wie auch die Vorinstanzen richtig erkannt haben, eine Verletzung der obgenannten Bestimmungen der §§ 11 und 12 StVO nicht angelastet werden. Den Vorinstanzen ist auch darin beizupflichten, daß derjenige Lenker, der den beabsichtigten Abbiegevorgang vorschriftsmäßig angezeigt und sich auch vorschriftsmäßig eingeordnet hat, dennoch verpflichtet ist, vor dem Einbiegen noch einmal nach hinten zu blicken, um sich zu überzeugen, daß das Einbiegen ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer möglich ist, wenn nach den örtlichen Verhältnissen für den Nachfolgeverkehr Zweifel bestehen können, an welcher Stelle die angezeigte Einbiegeabsicht ausgeführt werden soll (ZVR 1978/37, 1970/194 ua). Nach den Feststellungen lagen diese Voraussetzungen vor, ergibt sich doch aus ihnen, daß in kurzem Abstand mehrere Einbiegemöglichkeiten nach links vorhanden waren, sodaß für den Nachfolgeverkehr die tatsächliche Einbiegestelle nicht klar erkennbar war. Der Erstbeklagte hat zwar unmittelbar vor dem Einbiegen einen zweiten Blick in den Rückspiegel gemacht, hiebei jedoch den nachfolgenden Motorradfahrer, der zwar bereits zum Überholen angesetzt hatte, sich aber noch auf der rechten Fahrbahnhälfte befand, übersehen. Dem Erstbeklagten kann daher lediglich zum Vorwurf gemacht werden, den zweiten Blick nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt zu haben. Demgegenüber fällt dem Johann N*** die Nichtbeachtung der vorschriftsmäßigen Anzeige des beabsichtigten Einbiegevorganges des PKW und der Versuch zur Last, den PKW entgegen den Bestimmungen des § 15 Abs 2 lit a StVO links zu überholen. Die für die Schadensteilung maßgeblichen Kriterien sind die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Straßenverkehrs im allgemeinen und im konkreten Fall, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und der Grad der Fahrlässigkeit (ZVR 1982/44 uva), wobei der subjektiven Vorwerfbarkeit und deren Grad entscheidende Bedeutung zukommt (Jabornegg, Probleme des Mitverschuldens bei Verkehrsunfällen in ZVR 1983, 194 mwN). Letzteres haben beide Vorinstanzen bei ihrer Schadensteilung vernachlässigt. Die Nichtbeachtung der vorschriftsmäßigen Anzeige des beabsichtigten Einbiegevorganges durch eine zur Einstellung auf den angezeigten Vorgang ausreichende Zeit rechtfertigt gegenüber einem nicht ausreichend sorgfältigen zweiten Blick in den Rückspiegel vor Ausführung des Einbiegevorganges einen weitaus größeren Schuldvorwurf, wenn der nachfolgende Verkehrsteilnehmer im maßgeblichen Zeitpunkt erst zum Überholen ansetzte und sich noch auf der rechten Fahrbahnhälfte befand. Dies hat aber eine Schadensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Motorradlenkers zur Folge. Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.

Anmerkung

E08004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00018.86.0422.000

Dokumentnummer

JJT_19860422_OGH0002_0020OB00018_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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