TE OGH 1986/5/26 8Ob528/86

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Veröffentlicht am 26.05.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Caroline S***, geboren am 23.11.1980, 5360 St.Wolfgang, Markt Nr.6, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft G***, Abteilung Jugendfürsorge, Außenstelle BAD I***, als Amtsvormund, diese vertreten durch Dr. Josef Raffl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die beklagte Partei Berta S***, 6382 Kirchdorf Nr.433, vertreten durch Dr. Herwig Grosch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 26. November 1985, GZ 3 a R 342/85-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 17. April 1985, GZ 4 C 320/84-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, das von ihr bewohnte Haus Kirchdorf Nr.433 samt Nebenräumlichkeiten binnen 14 Tagen von ihren Fahrnissen zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben, abgewiesen wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 13.246,20 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin die USt. von S 1.204,20), die mit S 5.375,48 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin die USt. von S 488,68) und die mit S 2.719,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die USt. von S 247,20) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Räumung des Hauses Kirchdorf 433 samt Nebenräumlichkeiten. Die Klägerin sei die außereheliche Tochter und alleinige Erbin des am 26.9.1980 verstorbenen August S***. Sie habe die Erbserklärung bereits abgegeben. August S*** sei Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 652 II KG Kirchdorf gewesen. Die Beklagte sei die geschiedene Gattin des Vaters der Klägerin und bewohne dieses Haus ohne Rechtstitel. Sie bezahle auch kein Benützungsentgelt. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach ihrer Ehescheidung habe sie die Lebensgemeinschaft mit August S*** nie aufgegeben, sie hätten vielmehr vorgehabt, wiederum zu heiraten. Zwischen ihr und August S*** sei vereinbart worden, daß sie das Haus weiterhin benützen könne. Sie habe Aufwendungen für das Haus getätigt, dem geschiedenen Mann den Haushalt geführt, die Todfallskosten bezahlt sowie Darlehensrückzahlungen für das Eigenheim übernommen; insgesamt habe sie eine Forderung von S 597.365,20 an die Verlassenschaft. Sie sei nicht verpflichtet, ohne Sicherheitsleistung die Liegenschaft herauszugeben oder zu räumen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf nachstehende Feststellungen:

Die Beklagte und der am 26.9.1980 verstorbene August S***, der Vater der Klägerin, haben am 20.10.1962 miteinander die Ehe geschlossen. August S*** war damals bereits Eigentümer der Liegenschaft EZ 652 II KG Kirchdorf mit dem darauf erbauten Haus Nr.433 in Kirchdorf. Die Ehe wurde am 6.10.1969 rechtskräftig geschieden. Während der aufrechten Ehe bewohnte die Beklagte zusammen mit August S*** das Haus Nr.433 in Kirchdorf. Nach der Scheidung blieb die Beklagte in diesem Haus, ohne ein Entgelt zu bezahlen. Sie führte August S*** den Haushalt und erhielt hiefür von ihm Wirtschaftsgeld. Über eine Entlohnung für die Haushaltsführung wurde nie gesprochen; es wurde eine solche auch nicht stillschweigend zugrunde gelegt.

Im Jahre 1978 lernte August S*** die Mutter der Klägerin Hannelore S*** kennen. Im Juni 1980 zog August S*** aus seinem Haus 433 in Kirchdorf aus und übersiedelte zu Hannelore S*** nach St.Wolfgang, Markt Nr.6. Bis zum Jahre 1980 erwähnte August S*** immer wieder gegenüber der Beklagten, deren Tochter Belinda S***, die nach der Scheidung von der Beklagten zur Welt gebracht wurde und von der er glaubte, daß sie seine Tochter sei, sowie gegenüber Freunden und Bekannten, daß Belinda S*** einmal "alles erben soll" und daß die Beklagte bis zur Volljährigkeit von Belinda S*** im Haus 433 wohnhaft bleiben könne. Nach diesem Zeitpunkt solle Belinda entscheiden, ob sie die Mutter bei sich behalten wolle oder nicht. Nach dem Juni 1980 wollte August S***, daß die Beklagte das Haus Nr.433 in Kirchdorf räume, weil er das Haus zu verkaufen beabsichtigte, um eine neue Existenz mit Hannelore S*** in St.Wolfgang, Markt Nr.6 aufzubauen.

Nach dem Tod von August S*** am 26.9.1980 bewohnte die Beklagte die Liegenschaft Kirchdorf Nr.433 allein mit ihrer Tochter. Es konnte nicht festgestellt werden, daß der Beklagten oder ihrer Tochter Belinda S*** von August S*** "vertraglich" ein Recht zur unentgeltlichen Weiterbenützung der Liegenschaft in EZ 652 II KG Kirchdorf mit dem darauf erbauten Haus 433 in Kirchdorf eingeräumt worden wäre. Die Beklagte bezahlte der Klägerin als Erbin des Hauses Kirchdorf 433 für die Benützung dieses Objektes kein Entgelt.

Die Klägerin ist die außereheliche Tochter und alleinige Erbin des am 26.9.1980 verstorbenen August S***. Sie gab im Verlassenschaftsverfahren A 333/80 des Bezirksgerichtes Bad Ischl die Erbserklärung nach August S*** ab. August S***

verstarb ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Beklagten der Nachweis nicht gelungen sei, daß ihr vom Erblasser August S*** ein unbeschränktes, unentgeltliches Wohnungsrecht vertraglich eingeräumt wurde. Sie sei daher nicht berechtigt, das nach Abgabe der unbedingten Erbserklärung im Eigentum der Klägerin stehende Haus 433 in Kirchdorf zu bewohnen und benütze dieses Objekt seit dem Tod von August S*** am 26.9.1980 titellos. Da ihr auch der Nachweis nicht gelungen sei, daß ihrer Tochter Belinda S*** vom Erblasser ein unbeschränktes Wohnrecht eingeräumt worden wäre, könne sie einen Titel zur Benützung auch von ihrer Tochter nicht ableiten. Das Berufungsgericht verwarf die wegen Nichtigkeit erhobene Berufung der Beklagten, gab ihr im übrigen nicht Folge und bestätigte somit das erstgerichtliche Urteil. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt und erklärte die Revision für zulässig, weil die einschlägige Rechtsprechung nicht ganz einheitlich sei. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes könne, wer im Sinne des § 471 Abs 1 ABGB zur Herausgabe einer Sache verpflichtet ist, diese zur Sicherung seiner fälligen Forderungen wegen des für die Sache gemachten Aufwandes oder des durch die Sache ihm verursachten Schadens mit der Wirkung zurückbehalten, daß er zur Herausgabe nur gegen die Zug um Zug zu bewirkende Gegenleistung verurteilt werden kann. Es bestehe kein Zweifel, daß sich § 471 ABGB auch auf unbewegliche Sachen, nicht aber auf unkörperliche Sachen (Rechte) bezieht. Demgegenüber normiere § 1440 ABGB in seinem zweiten Satz, daß eigenmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand genommene Stücke überhaupt kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation sind. In Ansehung dieser Normen sei daher rechtlich zu überprüfen, auf welche Weise bzw. mit welchem Titel die Beklagte die Liegenschaft nach wie vor benützt. Im Zeitpunkt nach der Ehescheidung hielten die geschiedenen Ehegatten S*** zumindest eine Art Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft aufrecht, sohin eine Beziehung, die zwar nicht einem familienrechtlichen Verhältnis gleich-, aber doch in irgend einer Weise nahekommt. Wenn die Beklagte nach dem Auszug von August S*** mit dessen Zustimmung im Haus verblieben ist, müsse dies - da ein vereinbartes Wohnungsrecht nicht festgestellt werden konnte - als eine Art Verwahrungsvertrag gesehen werden. Ein Verwahrer könne aber die Zurückstellung nicht mit Berufung auf ein ihm zustehendes Zurückbehaltungsrecht (§ 471 und § 1052) verweigern. Wollte man das Rechtsverhältnis, auf welches sich die Beklagte stützt, als Wohnungsleihe oder auch nur als Prekarium qualifizieren, könnte die rechtliche Beurteilung nicht anders ausfallen, weil das Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot des § 1440 auch bei diesen Rechtsgebilden zur Anwendung kommt und Gültigkeit hat. Aber selbst wenn der Beklagten ein Wohnungsrecht zustünde - ein solches könne jedoch aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden - könnte sich die Beklagte nicht auf ein Retentionsrecht nach § 471 ABGB berufen, weil kein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht an Gebrauchs- oder Wohnungsrechten möglich sei. Der Wohnungsberechtigte könne wegen des für die Erlangung, Erhaltung oder Verbesserung der Wohnung gemachten Aufwandes kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 471 geltend machen. Da der Beklagten lediglich der Gebrauch am gesamten Wohnhaus Kirchdorf Nr.433 überlassen wurde, sei für sie nichts zu gewinnen, weil selbst bei Annahme einer Wohnungsleihe oder bei Annahme eines Verwahrungsvertrages ein Retentionsrecht für ihre Investitionen ausgeschlossen wäre. Ein Retentionsrecht am Gebrauchsrecht als solchem komme nicht in Betracht, weil es sich dabei nicht um eine körperliche Sache handelt. Daß keine Feststellungen über die Höhe der Investitionen der Beklagten getroffen wurden, sei demnach für die Entscheidung ohne Bedeutung. Ein ihr persönlich auf Lebenszeit zugestandenes Wohnrecht, welches einer Räumungklage entgegengehalten werden könnte, sei nicht erweislich gewesen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Auszugehen ist von der ständigen Rechtsprechung, daß nur die Feststellung der Willenserklärungen der Parteien eine Tatsachenfeststellung ist, während die Auslegung der festgestellten Willenserklärungen eine revisible rechtliche Beurteilung darstellt (Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 413; Fasching IV 333; 8 Ob 241/70; 1 Ob 45/72; 3 Ob 587/80; 1 Ob 660/83; 8 Ob 554/84 uza). Wenn daher die Vorinstanzen "feststellten", daß vertraglich ein Recht zur unentgeltlichen Weiterbenützung des Hauses Kirchdorf 433 der Beklagten nicht eingeräumt worden sei, haben sie damit in Wirklichkeit die getroffenen Feststellungen einer rechtlichen Beurteilung unterzogen. Die Feststellungen lauteten dahin, daß August S*** nach der Scheidung der Ehe im Jahre 1969 bis zum Jahr 1980, also über 10 Jahre weiterhin mit der Beklagten zusammenwohnte und dieser sowie seiner jedenfalls nach der Scheidung der Ehe geborenen Tochter Belinda gegenüber immer wieder erklärte, daß die Beklagte bis zur Volljährigkeit Belindas im Hause Kirchdorf Nr.433 bleiben kann. August S*** hat daher die Lebensgemeinschaft mit der Beklagten durch über ein Jahrzehnt weiterhin aufrecht erhalten. Mit der Aufnahme einer Lebensgemeinschaft allein entstehen zwar keine dinglichen und obligatorischen sowie auch keine familienrechtlichen Beziehungen; der Lebensgefährte, der Eigentümer des Hauses ist, das die Lebensgefährten bewohnten, kann also jederzeit, jedenfalls aber nach Aufhebung der Gemeinschaft, die Räumung des Hauses verlangen. Eine Ausnahme besteht aber dann, wenn die (ehemalige) Lebensgefährtin einen von der Lebensgemeinschaft unabhängigen Rechtstitel besitzt (1 Ob 62/73 ua). Berücksichtigt man nun die oben dargestellten Erklärungen S*** gegenüber der Beklagten, wonach sie jedenfalls bis zur Großjährigkeit seiner auch von ihm als sein Kind angesehenen Tochter Belinda im Hause bleiben kann und hält sich dabei vor Augen, daß diese Zusicherung durch mehr als ein Jahrzehnt der Lebensgemeinschaft beider tatsächlich zugrunde gelegt wurde, kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Beklagten damit ein zumindest bis zur Großjährigkeit Belindas dauerndes Wohnungsrecht im Hause Kirchdorf Nr.433 eingeräumt wurde. Ein solches Wohnungsrecht kann auch stillschweigend begründet (MietSlg.21.043) und mit nur obligatorischer Wirkung vereinbart werden (1 Ob 62/73 ua); die Prüfung dieser Frage ist unter Berücksichtigung der Übung des redlichen Verkehrs nach objektiven Maßstäben vorzunehmen (MietSlg.23.044; 1 Ob 62/73 ua).

Geht man von der getroffenen Feststellung aus, daß Belinda S*** nach der Scheidung der Beklagten von August S***, also nach dem 6.10.1969, geboren wurde, so ist jedenfalls der für die Beendigung des Wohnungsrechtes gestellte Termin derzeit nicht abgelaufen. Bloß durch die einseitige Sinnesänderung August S***, daß nun die Beklagte nach seinem Auszug aus dem Haus, in dem die Lebensgemeinschaft so lange Zeit aufrecht erhalten worden war, ebenfalls das Haus verlassen müsse, konnte aber das bis dahin eingeräumte und auch tatsächlich in Anspruch genommene Wohnungsrecht der Beklagten nicht seine Wirksamkeit verlieren. Daß er eine tatsächliche Beendigung des Dauerschuldverhältnisses aus wichtigen Gründen herbeigeführt hätte, ist nicht erwiesen. Es bedarf daher keines weiteren Eingehens mehr auf Fragen des Retentionsrechtes der Beklagten wegen Aufwendungen am Haus, weil sich das Klagebegehren aufgrund der getroffenen Feststellungen und der daraus zu ziehenden rechtlichen Schlüsse als unberechtigt erweist.

Der Revision war somit Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen waren dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E08264

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00528.86.0526.000

Dokumentnummer

JJT_19860526_OGH0002_0080OB00528_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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