TE OGH 1986/6/3 14Ob75/86

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Veröffentlicht am 03.06.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Martin Mayr und Dr. Walter Geppert als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josefa H***, Köchin, Linz, Figulystraße 21, vertreten durch Dr. Erich Wöhrle und Dr. Winfried Sattlegger, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Leopold und Rosina K*** KG Hotel "Zur Lokomotive", 2.) Leopold

K***, Kaufmann, und 2.) Walter K***, Kaufmann, alle Linz, Weingartshoferstraße 40, und vertreten durch Dr. Helfried Krainz und Dr. Bernhard Aschauer, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 244.732,27 brutto sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. November 1985, GZ 12 Cg 22/85-25, womit infolge Berufungen aller Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Linz vom 28. März 1985, GZ 2 Cr 184/84-13, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.422,97 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 947,54 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt von den beklagten Parteien - die Zweit- und Drittbeklagten sind Komplementäre der erstbeklagten Partei, der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin - die Zahlung eines der Höhe nach außer Streit stehenden Betrages von insgesamt S 244.732,27 sA an Kündigungsentschädigung, anteiliger Jahresremuneration, Urlaubsentschädigung und Abfertigung mit der Begründung, am 22. April 1984 ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Die Entlassung sei gerechtfertigt, weil die Klägerin am 20. April 1984 weisungswidrig Waren aus der Küche dem Kellner ohne Bon übergeben habe. In den letzten Jahren sei ein beträchtlicher Warenschwund festgestellt worden; es bestehe der Verdacht, daß die Klägerin daran beteiligt gewesen sei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Teilbetrag von S 124.223,24 sA zu und wies das Mehrbegehren von S 120.509,03 sA ab. Es hielt die Entlassung wegen Pflichtenvernachlässigungen für gerechtfertigt. Die Klägerin habe am 20. April 1984 Waren ohne Bon ausgegeben, habe ein Päckchen eines Stammgastes in der Küche in Verwahrung genommen und schließlich sei ein nicht aufklärbarer Warenschwund in der Zeit, in der die Klägerin für die Küche verantwortlich gewesen sei, aufgetreten. Die Zweit- und Drittbeklagten treffe aber an der Entlassung ein Mitverschulden, weil sie Bestellungen durch Stammgäste in der Küche gebilligt und damit zur Möglichkeit eines Versehens beigetragen hätten. Ebenso sei die ohne Aufzeichnung und ohne Bonierung erfolgte Entnahme von Speisen durch Familienangehörige der Zweit- und Drittbeklagten eine "verwirrungsstiftende Fehlerquelle" gewesen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung zum Teil dahin ab, daß es dem Klagebegehren zur Gänze stattgab. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende noch wesentliche Feststellungen:

Die Klägerin war seit 11. September 1955 im Unternehmen der erstbeklagten Partei bzw. deren Rechtsvorgänger als Köchin beschäftigt. Sie hatte schon bei den Eltern der Zweit- und Drittbeklagten jahrzehntelang eine Vertrauensstellung inne. Seit dem Jahr 1981 führten der Zweit- und der Drittbeklagte das Hotel und Restaurant gemeinsam. Sie stellten in den letzten Jahren immer wieder Unregelmäßigkeiten fest; insbesondere fehlten Waren und der Wareneinsatz war im Verhältnis zu den Erlösen zu groß. Der Verdacht richtete sich gegen die Arbeitnehmer und damit auch gegen die Klägerin. Andere Beschäftigte teilten dem Zweitbeklagten mit, sie hätten beobachtet, daß die Klägerin den Erlös für verkaufte Waren in die Tasche gesteckt und nicht abgeliefert habe und daß Lieferanten in der Küche gesessen seien und das Geld dafür nicht abgeliefert worden sei. Diese Arbeitnehmer sagten, sie seien es leid, immer verdächtigt zu werden; die wahre Schuldige sei die Klägerin. Es gab aber keine konkreten Beweise gegen diese. An den ungeklärten Abgängen änderte auch die Anschaffung einer Bonierkasse nichts. Vor allem Brigitte S***, eine Schwägerin des Zweitbeklagten, hatte die Klägerin in Verdacht, für die Unregelmäßigkeiten verantwortlich zu sein; sie beschloß, auf die Klägerin genau aufzupassen. Am 29. Jänner 1984 wollte eine Angestellte nach Arbeitsschluß vier Tortenstücke mitnehmen. Damit sie nicht vorher in den im ersten Stock gelegenen Umkleideraum gehen mußte, um ihr Geld zu holen, bezahlte sie die Tortenstücke der Klägerin schon am Morgen. Diese gab das Geld zunächst in ihre Schürze, weil sie es erst bei der Übergabe der Tortenstücke in die Geldlade geben wollte. Diese Vorgangsweise sollte dazu dienen, den Zusammenhang zwischen Warenausgabe und Geldeinnahme herzustellen. Beim Verlassen der Küche mit den Tortenstücken wurde die betreffende Angestellte von Brigitte S*** gefragt, ob sie schon bezahlt habe. Als die Angestellte die Frage bejahte, sah Brigitte S***, daß die Klägerin Geld aus ihrer Schürzentasche in die Geldlade legte. Sie stellte die Klägerin zur Rede, die ihr daraufhin den Grund dafür erklärte. Brigitte S*** ließ diese Erklärung nicht gelten, sondern warnte die Klägerin und forderte sie auf, ihr Verhalten zu ändern; es zahle sich nicht aus, weil doch die Klägerin nicht mehr lang da sein werde. Vor dem Heringsschmaus 1984 verschwanden aus dem Betrieb 10 kg Scampi. Die gegen unbekannte Täter erstattete Strafanzeige blieb ergebnislos. Es wurde daraufhin eine Anordnung erlassen, wonach Waren aus der Küche außerhalb der Arbeitszeit des Drittbeklagten nur gegen Vorweisung eines Kassabons ausgegeben werden dürfen. Weiters wurde eine Regelung für das Essen des Personals getroffen sowie das Betreten und Verlassen der Arbeitsräume mit Gepäckstücken jeglicher Art verboten. Die Nichtbefolgung dieser Anordnungen sollte als Diebstahl angesehen sowie mit Anzeige und Entlassung geahndet werden. Auswärts gekaufte Waren durften nicht "durch den Betrieb gehen".

Diese Anordnung wurde allen Arbeitnehmern zur Kenntnis gebracht. Der Klägerin war insbesondere klar, daß die Anordnung den Zweck verfolgte, alle möglichen Fehlerquellen auszuschalten. Am 20. April 1984 bestellte Auguste E***, ein

jahrzehntelanger Stammgast, zwischen 14,30 und 15,30 Uhr wie üblich direkt in der Küche bei der Klägerin eine größere Portion Topfenstrudel zum Preis von S 34,--. Diese Portion wurde dann von dem bei der Bestellung in der Küche anwesenden Kellner Josef P*** in der Gaststube serviert. Die Ausgabe durch die Klägerin erfolgte, ohne daß Josef P*** einen Bon vorgewiesen oder die Klägerin einen solchen von ihm verlangt hätte. Am selben Tag übergab Auguste E*** der Klägerin ein Paket mit Schinken zur Aufbewahrung. Derartige Gefälligkeiten waren diesem Stammgast gegenüber seit vielen Jahren üblich; daran hat sich auch nach der Entlassung der Klägerin nichts geändert.

Am selben Tag holte Brigitte S*** um etwa 16 Uhr aus der Küche eine Portion Seehecht und trug sie in Begleitung von Karoline K***, der Ehefrau des Drittbeklagten, in die Gaststube. Eine Bonierung von Speisen war in einem solchen Fall nicht üblich. Unmittelbar vor dem Eingang in die Gaststube trafen die beiden Frauen auf Hermann G***, einen Bekannten der Familie der Dienstgeber, der sich in der Gaststube an ihren Tisch setzte. Brigitte S*** überließ ihre Portion Seehecht dem Kellner P*** und holte aus der Küche für sich eine neue Portion. Hermann G*** bestellte sodann beim Kellner einen den Bestandteil eines Menüs bildenden Seehecht, aber ohne Suppe und ohne Nachspeise. Der Kellner erkundigte sich daraufhin bei Karoline K***, was er bonieren solle; er erhielt den Auftrag, ein Menü zu bonieren; G*** würde statt Suppe und Nachspeise eine doppelte Portion Seehecht erhalten. Josef P*** begab sich daraufhin zur Bonierkasse und tippte etwas ein. Zwischen 15,38 Uhr und 17,33 Uhr wurde kein Menü II (Seehecht) boniert. Die erste derartige Bonierung erfolgte erst um 17,34 Uhr. Der Geschäftsbetrieb war am 20. April 1984 schwach. Josef P*** servierte Hermann G*** die Portion Seehecht um etwa 16,15 Uhr. Die Klägerin erhielt von P*** bei der Ausgabe des für Hermann G*** bestimmten Seehechts keinen Bon. Der Kellner brachte der Klägerin erst erheblich später einen Bon mit dem Bemerken, es handle sich um das Essen von Hermann G***. Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich dabei um die Bonierung eines Menüs II um 17,34 Uhr handelte. Am 20. April 1984 waren um 14 Uhr noch acht Portionen vorgebratenen Seehechts vorhanden, um 18 Uhr nur mehr eine Portion. Der Koch Christian H*** erhielt vom Drittbeklagten um 14 Uhr eine Rüge, weil er zu viele Portionen Seehecht vorgebraten habe. Der Koch hatte von 14 Uhr bis 18 Uhr dienstfrei. Als er um 18 Uhr wieder den Dienst antrat, war er froh, daß nur mehr eine Portion Seehecht vorhanden war. Personalessen wird nicht boniert. Insgesamt wurde von 14 Uhr bis 18 Uhr nur ein Menü II boniert.

Die Klägerin und Josef P*** hatten am 21. April 1984 dienstfrei. Am 22. April 1984 erstattete der Zweitbeklagte, der von Karoline K*** und Brigitte S*** über die festgestellten Unregelmäßigkeiten bei der Bonierung am Abend des 21. April 1984 informiert worden war, die Anzeige und sprach die Entlassung der Klägerin aus. Nach der Entlassung meldeten einige im Betrieb beschäftigte Jugoslawinnen Beobachtungen, die auf Unregelmäßigkeiten der Klägerin hindeuteten, ohne jedoch konkrete Vorwürfe erheben zu können. Die gegen die Klägerin erstattete Strafanzeige wurde von der Staatsanwaltschaft Linz am 5. Juli 1984 abgelegt.

Der Vater des Zweit- und Drittbeklagten hat nach dem zwischen diesen Personen abgeschlossenen Übergabsvertrag das Recht der freien Verpflegung aus der Küche des Restaurants. Der Seniorchef machte von diesem Recht übermäßig Gebrauch. Er trug insbesondere heimlich aus der Küche und aus dem Kühlraum Waren weg. Dies war seinen Söhnen nicht recht. Der Drittbeklagte sagte gelegentlich zu Arbeitnehmern, er werde seinem Vater "die Hände abhauen", wenn er ihn beim Wegtragen von Nahrungsmitteln aus der Küche erwische. Der Klägerin waren diese Warenentnahmen durch den Seniorchef unangenehm, weil der Drittbeklagte ihre Angabe, der Vater habe die fehlenden Waren genommen, für eine Ausrede hielt. Das Schreiben Seite 17 des Strafaktes wurde in Gegenwart des Zweitbeklagten, seiner Ehefrau und einer Dolmetscherin von Brigitte S*** verfaßt und von der Zeugin C*** und der Dolmetscherin unterschrieben. Diese Zeugin fand eine Kopie dieses Schreibens einen Tag vor der am 17. November 1985 stattgefundenen Berufungsverhandlung in ihrer Türe vor. Der Zweitbeklagte hatte dieses Schriftstück dort hingelegt, um die Zeugin an den - für die Klägerin nachteiligen - Inhalt ihrer damaligen Aussage zu erinnern. Nicht festgestellt wurde, daß seit dem Ausscheiden der Klägerin aus dem Betrieb kein Warenschwund mehr erfolgte. Es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, daß die Klägerin mit dem Kellner P*** "gemeinsame Sache gemacht hat".

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, die festgestellten Pflichtwidrigkeiten der Klägerin reichten für die Erfüllung des zweiten Tatbestandes des § 82 lit. f GewO nicht aus, zumal diese nur geringfügigen Pflichtwidrigkeiten durch mehrere zusammentreffende Zufälle begünstigt worden seien. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin an der ungerechtfertigten Entlassung lägen nicht vor. Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Dem Vorwurf der Revisionswerber, das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil das Berufungsgericht von einer vom Erstgericht getroffenen Feststellung abgewichen sei, ohne die diesbezüglichen Beweisaufnahmen unmittelbar durchgeführt zu haben, ist entgegenzuhalten, daß das Berufungsgericht im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren gemäß dem § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG das Verfahren neu durchzuführen hat (Neuverhandlungsgrundsatz), daß es aber die in erster Instanz aufgenommenen Beweisaufnahmeprotokolle verlesen kann, soweit es nicht eine Beweiswiederholung für erforderlich erachtet oder eine der Parteien Einsprache gegen die Verlesung erhebt. Nach dem Inhalt des über die Berufungsverhandlung vom 23. Oktober 1985 aufgenommenen Protokolls haben die Parteien gegen die Verlesung der erstgerichtlichen Beweisaufnahmeprotokolle ausdrücklich keine Einsprache erhoben. Ob aber das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung für erforderlich hält, fällt in die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbare Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes. Ein Verfahrensmangel liegt daher nicht vor. In der Rechtsrüge halten die Revisionswerber an ihrer Auffassung fest, die festgestellten Pflichtenvernachlässigungen der Klägerin seien so schwerwiegender Natur, daß die Entlassung gerechtfertigt sei. Ob die Klägerin ein Verschulden treffe, sei für diese Beurteilung belanglos. Die Entlassung sei aber nicht nur nach dem § 82 lit. f GewO gerechtfertigt; da die Klägerin "zumindest im Zusammenwirken mit P*** durch die Ausgabe eines Topfenstrudels an E***, wofür der Erlös nicht abgeliefert worden sei, einen strafbaren Tatbestand gesetzt habe", läge der Entlassungstatbestand des § 82 lit. d GewO vor.

Diesen Auffassungen kann nicht gefolgt werden.

Der festgestellte Sachverhalt rechtfertigt nicht die Annahme, die Klägerin habe gemeinsam mit Josef P*** im Zusammenhang mit der Ausgabe einer Portion Topfenstrudel an Auguste E*** eine strafbare Handlung zum Nachteil der beklagten Parteien begangen, so daß die Entlassung aus dem Grunde des § 82 lit. d GewO gerechtfertigt sei. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Klägerin mit Josef P*** "gemeinsame Sache gemacht habe". Abgesehen davon, daß die Staatsanwaltschaft Linz die gegen die Klägerin erhobene Anzeige abgelegt hat, erlauben die Feststellungen über das Unterlassen der Bonierung keinen Schluß auf einen Diebstahl, eine Veruntreuung, einen Betrug oder eine sonstige strafbare Handlung der Klägerin. Es steht nämlich nicht fest, daß diese vorsätzlich zum Nachteil der beklagten Parteien oder zu ihrem eigenen Vorteil gehandelt hat; sie hat vielmehr, begünstigt durch die noch zu erörternden Umstände, das Essen ausgegeben, ohne vom Kellner einen Bon verlangt zu haben.

Zu prüfen ist noch, ob der festgestellte Sachverhalt die Voraussetzungen einer beharrlichen Pflichtenvernachlässigung im Sinne des zweiten Tatbestandes des § 82 lit. f GewO erfüllt. Der Vorfall vom 29. Jänner 1984 (Ausgabe von vier Tortenstücken an eine Arbeitskollegin) begründete keine Pflichtenvernachlässigung. Die Klägerin hatte das Geld nur deshalb zunächst in die Tasche ihrer Schürze gegeben, weil sie die Tortenstücke ihrer Arbeitskollegin erst am Nachmittag, sohin zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt ausfolgte. Unmittelbar nach der Übergabe der Tortenstücke gab sie aber das Geld in die Geldlade. Diese Vorgangsweise war sachlich begründet und läßt keinen Rückschluß auch nur auf eine Vernachlässigung der Dienstpflichten zu.

Das gleiche gilt für die Aufbewahrung eines Schinkenpaketes für Auguste E***, weil derartige Gefälligkeiten diesem Stammgast gegenüber seit vielen Jahren üblich waren und sogar auch nach der Entlassung der Klägerin üblich blieben. Wenn auch in der von den beklagten Parteien erlassenen Anordnung verfügt war, daß "auswärts gekaufte Waren nicht durch den Betrieb gehen durften", mußte die Klägerin, falls die Beklagten mit dieser Anordnung überhaupt derartige Gefälligkeiten ins Auge gefaßt haben sollten, nicht annehmen, daß eine letztlich auch im Interesse des Unternehmens liegende kurzfristige Aufbewahrung einem jahrzehntelangen Stammgast gegenüber verboten sein solle. Die Beibehaltung dieser Übung nach der Entlassung der Klägerin zeigt, daß dieses Verbot zumindest Auguste E*** gegenüber keine Geltung haben sollte.

Die Klägerin hat am 20. April 1984 eine Portion Topfenstrudel zum Preis von S 34,-- dem Kellner Josef P*** für Auguste E*** ausgefolgt, ohne einen Bon zu erhalten und ohne einen solchen vom Kellner zu verlangen. Hiebei ist aber zu bedenken, daß Auguste E*** die Bestellung, wie üblich, unmittelbar in der Küche vorgenommen hat und daß der Kellner gerade anwesend war, den Topfenstrudel sofort in Empfang nahm und in die Gaststube trug. Die Unterlassung der Entgegennahme eines Bons war daher ein Versehen, das durch die vom üblichen Vorgang abweichenden Umstände begünstigt wurde. Eine Pflichtenvernachlässigung, die es für die beklagten Parteien unzumutbar erscheinen ließe, die Klägerin, die seit nahezu drei Jahrzehnten unbeanstandet ihren Dienst verrichtet hatte, weiter zu beschäftigen, lag insofern nicht vor.

Zu der für Hermann G*** servierten Portion Seehecht steht lediglich fest, daß die Klägerin diese Portion dem Kellner Josef P*** ausgefolgt hat, ohne einen Bon zu erhalten, daß jedoch der Kellner der Klägerin später einen Bon mit dem Hinweis auf das Essen dieses Gastes übergab. Wohl war die Klägerin verpflichtet, den Bon bereits anläßlich der Übergabe dieser Portion an den Kellner zu verlangen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Vorgang, wie den Feststellungen zu entnehmen ist, auch in diesem Fall vom üblichen abwich, so daß auch dieses Versehen der Klägerin in einem wesentlich milderen Licht erscheint.

Die Unterlassung beider Bonierungen wiegt auch in ihrem Zusammenhang nicht so schwer, daß eine die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Klägerin ausschließende beharrliche Vernachlässigung der Pflichten angenommen werden könnte. Eine solche ist nämlich nur dann tatbestandsbegründend im Sinne des § 82 lit. f GewO, wenn sie beharrlich erfolgt ist. Darunter ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Pflichtenvernachlässigung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verletzung der Pflichten gerichteten Willens zu verstehen. Die Pflichtenvernachlässigung muß sich daher entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, daß mit Grund auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers geschlossen werden kann. Vor dem Ausspruch der Entlassung muß daher der Arbeitnehmer in der Regel ermahnt oder wiederholt zur Erfüllung seiner Pflichten aufgefordert worden sein. Dazu sind zwar der Gebrauch bestimmter Worte und auch die Androhung der Entlassung nicht erforderlich. Es genügt, wenn der Arbeitnehmer auf die Vernachlässigung seiner Pflichten hingewiesen und in einer dem Ernst der Lage angepaßten Weise zur Einhaltung seiner Pflichten aufgefordert worden ist. Eine Ermahnung kann aber nur dann unterbleiben, wenn die Weigerung derart eindeutig und endgültig ist, daß eine Ermahnung als bloße Formalität sinnlos erscheinen müßte. Entscheidend ist, daß der Arbeitgeber den durch seine Arbeitsverweigerung hervorgerufenen Ernst der Situation erkennen kann (Kuderna, Das Entlassungsrecht, 72 f; DRdA 1979, 24; Arb. 9691, 9493, 8617 ua).

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin an einem Tag

(20. April 1984) in zwei Fällen, die jedoch durch die festgestellten näheren Umstände in einem besonderen, für die Klägerin milderen Lichte erscheinen, Essen geringfügigen Wertes, ohne einen Bon zu verlangen, ausgegeben. Gerade diese beiden Fälle zeigen deutlich, welche Bedeutung einer Ermahnung nicht zuletzt beim Vorliegen eines jahrzehntelangen Arbeitsverhältnisses zukommt. Selbst wenn man die beiden Verstöße der Klägerin nicht mehr als geringfügige Ordnungswidrigkeiten ansehen könnte, läge daher mangels Ermahnung eine tatbestandsmäßige Pflichtenvernachlässigung nicht vor. Daraus folgt, daß die Entlassung der Klägerin ungerechtfertigt war und das auf dieser Grundlage geltend gemachte, der Höhe nach außer Streit stehende Klagebegehren berechtigt ist.

Ein Mitverschulden der Klägerin an der Entlassung im Sinne des § 1162 c ABGB kommt nicht in Betracht, weil diese Rechtsfigur nicht dazu dient, im Falle einer ungerechtfertigten Entlassung die den Arbeitgeber aus diesem Grund treffenden Rechtsfolgen zu mindern (Kuderna aaO, 51 f; derselbe in DRdA 1967, 181 ff; Arb. 10.222 mwH). Das schuldhafte Verhalten des Arbeitnehmers im Falle seiner ungerechtfertigten Entlassung, das im Zusammenwirken mit einem ebenfalls schuldhaften Verhalten des Arbeitgebers, das über eine Entlassungserklärung hinausreichen muß, für die Entlassung ursächlich ist, kann also nicht in einem zum Ausspruch der Entlassung nicht ausreichenden Verhalten des Arbeitnehmers, sondern muß in einem davon unabhängigen, zusätzlichen, für den Ausspruch der Entlassung kausalen Verhalten des entlassenen Arbeitnehmers liegen (Kuderna aaO).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E08184

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00075.86.0603.000

Dokumentnummer

JJT_19860603_OGH0002_0140OB00075_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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