TE OGH 1986/6/6 8Ob577/86

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Veröffentlicht am 06.06.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Osawaru E***, geboren am 7. April 1982, und der mj. Gretel E***, geboren am 21. Mai 1984, infolge Revisionsrekurses des Vaters Victor E***, Student, Kuhngasse 2/3/45, 1030 Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 28. März 1986, GZ. 15 a R 13/86-74, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 14. Februar 1986, GZ. 26 P 102/83-69, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der am 7.4.1982 geborene Osawaru E*** und die am 21.5.1984 geborene Gretel E*** sind eheliche Kinder des Victor und der Eva E***.

Bezüglich des mj. Osawaru wurde bereits mit rechtskräftigem Beschluß des Erstgerichtes vom 19.5.1982 (ON 3) die gerichtliche Erziehungshilfe angeordnet und die am 9.4.1982 erfolgte Unterbringung dieses Kindes im Zentralkinderheim pflegschaftsbehördlich genehmigt. Mit rechtskräftigem Beschluß des Erstgerichtes vom 20.9.1982 (ON 9) wurde dieses Kind wieder in Pflege und Erziehung der Mutter eingewiesen, doch wurden im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe Besuche in der Mutterberatungsstelle sowie nötige Impfungen und ärztliche Untersuchungen pflegschaftsbehördlich angeordnet. Nachdem die Mutter am 12.11.1984 in stationäre Behandlung der Psychiatrischen Klinik Baumgartner Höhe aufgenommen worden war, wurden die beiden Kinder am gleichen Tag in das Zentralkinderheim überstellt. Am 14. bzw. 16.11.1984 (ON 32 und 33) stellte die Bezirksverwaltungsbehörde beim Erstgericht den Antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe bezüglich der mj. Gretel und Genehmigung der Heimunterbringung beider Kinder.

Der Vater stellte mehrere Anträge, die beiden Kinder in seine Pflege zu übergeben.

Das Erstgericht gab dem Antrag der Bezirskverwaltungsbehörde statt (Punkt 1 des Beschlusses), wies einen bereits am 16.2.1983 gestellten Antrag der Mutter, den mj. Osawaru bei ihr zu belassen, ab (Punkt 2 des Beschlusses) und wies auch die mehrfachen Anträge des Vaters, die Kinder in seine Pflege zu übergeben, ab (Punkt 3 des Beschlusses).

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest;

Eva E*** hat außer den beiden hier in Frage stehenden Kindern noch einen unehelichen Sohn, den am 6.9.1974 geborenen Hichem D***, der sich in Pflege und Erziehung bei seiner Großmutter mütterlicherseits, Stanislawa D***, befindet.

Die Eltern von Osawaru und Gretel haben am 29.6.1982 die Ehe geschlossen; der vor der Eheschließung geborene Osawaru wurde durch die nachfolgende Ehe legitimiert. Die Ehe der Eltern ist nicht harmonisch. Sie lebten mit nur kurzen Unterbrechungen in getrennten Haushalten. Der Vater hat zusammen mit seinem Bruder eine Wohnung in der Kuhngasse im 3.Wiener Gemeindebezirk. Die Mutter wohnte in der Czartoryckigasse im 18.Wiener Gemeindebezirk in einer spärlich eingerichteten Wohnung bis 12.11.1984 zusammen mit den beiden Kindern; zur Zeit hält sie sich bei ihrer Mutter auf. Ihr Verhältnis zu dieser, die vor allem ihren Schwiegersohn ablehnt, ist gespannt. Das eheliche und familiäre Zusammenleben beschränkt sich auf Besuche des Vaters bei der Mutter. Diese beklagt, daß ihr Mann sie dabei überaus unfreundlich behandelt.

Die Mutter hat 1972 maturiert. Ein darauf folgendes Medizin- und Sprachstudium brach sie ab. Danach ging sie für jeweils kurze Zeit verschiedenen Beschäftigungen nach. Seither ist sie ohne Beschäftigung und erhält Aushilfszahlungen vom Sozialreferat der Gemeinde Wien.

Der persönliche Eindruck, den das Gericht von der Mutter gewonnen hatte, war der Anlaß, die Untersuchung ihrer Erziehungsfähigkeit durch einen Sachverständigen für Psychologie und Pädagogik anzuordnen. Sie lehnte es aber ab, sich einer solchen Untersuchung zu unterziehen. Auch heute noch lehnt sie ein fachliches Gutachten ab, weil sie meint, ein solches würde ohnehin zu ihren Ungunsten ausfallen. Gegenüber der Sozialarbeiterin der Wiener Jugendgerichtshilfe erklärte sie, sie wisse, daß sie mit den Kindern allein nicht zurechtkomme und gab an, sie sei nicht der Meinung, daß es den Kindern im Heim schlecht ginge. Sie meinte, sie fühlten sich dort wohl und würden auch gut gepflegt. Der Vater ist nigerianischer Staatsangehöriger. Als solcher entstammt er einem anderen Kulturkreis. Er ist der Meinung, daß ihm als Vater alle Rechte über seine Kinder zustünden; diese Tatsache müßte auch von den Behörden respektiert werden. Sein Verhalten gegenüber den Kindern, zu denen er keine tiefere Beziehung entwickelt hat, ist eher von Besitzdenken und nicht von liebevoller Zuwendung bestimmt. Er veranlaßte, daß die Mutter am 12.11.1984 in die Psychiatrische Klinik Baumgartner Höhe eingewiesen wurde, die sie am 23.11.1984 wieder verließ. Nach Ansicht des behandelnden Arztes wäre ein längerer Aufenthalt in der Klinik erforderlich gewesen. Der durch die Einweisung der Mutter akut gewordene Erziehungsnotstand war der Grund für die Unterbringung der Kinder im Zentralkinderheim, in dem sie sich seither befinden. Anfangs konnte der damals zweieinhalbjährige Osawaru nur drei Worte sprechen; seine Feinmotorik war kaum ausgebildet. Er ist in seiner Entwicklung auch heute noch sehr retardiert, doch hat er durch die Betreuung im Kinderheim sehr viel dazugelernt. Seine motorische und sprachliche Entwicklung wird durch ergonometrische und logopädische Behandlung gefördert; seine epileptischen Anfälle werden von einem Arzt behandelt.

Gretel ist ein altersentsprechend entwickeltes lebhaftes Mädchen. Sie und ihr Bruder haben ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Beide fühlen sich im Zentralkinderheim geborgen und sicher und haben eine sehr gute Beziehung zu den Kinderschwestern. Sie erfahren im Heim Zuwendung, Förderung und Geborgenheit. Dies wird auch durch die Mutter zugestanden.

Zu ihrem Vater, der sie dort besucht, gehen die Kinder nicht gerne, weil sie sich wegen seines auch ihnen gegenüber gesetzten aggressiven Verhaltens vor ihm fürchten.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der weitere Verbleib der Kinder im Zentralkinderheim unbedingt erforderlich sei. Wegen der psychischen Probleme der Mutter und ihrer daraus folgenden seelischen Angespanntheit, die es ihr erschwere, ihre eigene Lebenssituation zu meistern, wäre die Betreuung der Kinder für sie eine zu große Belastung. Dies werde auch durch ihr eigenes Vorbringen bekräftigt.

Der Vater habe nie bei der Familie gewohnt und sich persönlich nie um die Kinder gekümmert. Eine große Wohnung allein biete keine Gewähr dafür, daß die Kinder durch ihn ihren Bedürfnissen entsprechend gepflegt und erzogen würden. Auch von ihm sei nicht zu erwarten, daß er die mit der Erziehung verbundenen Pflichten erfüllen werde.

Im Kinderheim, in dem sich die Kinder wohlfühlten, werde ihnen liebevolle Zuwendung und fachgerechte Betreuung zuteil. Letzteres sei besonders für Osawaru wichtig; er bedürfe wegen seiner Leiden dauernder ärztlicher Betreuung, die im Zentralkinderheim gewährleistet sei.

Ohne den weiteren Verbleib in diesem Heim wäre die Verwahrlosung der Kinder zu befürchten. Damit sei die Voraussetzung des § 2 Abs.2 Z 6 JWG, nach dem auch Minderjährigen nicht österreichischer Staatsbürgerschaft in deren Interesse öffentliche Jugendwohlfahrtspflege zu gewähren sei, erfüllt.

Dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß keine Folge. Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus, Erziehungshilfe sei der Sammelname für eine Reihe von Maßnahmen der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege, die den Zweck hätten, die bei einem Minderjährigen drohende Verwahrlosungsgefahr zu bekämpfen und den Eintritt effektiver Verwahrlosung zu verhüten. Sie habe also grundsätzlich vorbeugenden Charakter. Gerichtliche Erziehungshilfe umfasse alle Maßnahmen, die dem Ziel einer sachgemäßen und verantwortungsbewußten Erziehung dienten; Heimunterbringung gehöre dazu.

Die Schlußfolgerung, die das Erstgericht aus seinen unbedenklichen Feststellungen ziehe, daß nämlich die Heimunterbringung dem Wohl der beiden Kinder diene, sei zutreffend. Alle mit der Sache befaßten Stellen, ob Jugendamt, Wiener Jugendgerichtshilfe oder psychologischer Sachverständiger, seien auch zu dieser Ansicht gekommen. Unter den gegebenen Verhältnissen sei die Heimunterbringung das zur Bewahrung der beiden Kinder vor Verwahrlosung derzeit notwendige Erziehungsmittel. Ein gelinderes Erziehungsmittel, etwa Erziehungsberatung, reiche derzeit nicht aus, um die Verwahrlosungsgefahr zu bekämpfen und den Eintritt effektiver Verwahrlosung zu verhüten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem erkennbaren Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung der von der Bezirksverwaltungsbehörde und der Stattgebung der von ihm selbst gestellten Anträge abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Revisionsrekurs ist unzulässig.

Gemäß § 16 Abs.1 AußStrG findet gegen eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt. Keiner dieser Rechtsmittelgründe wird im Revisionsrekurs des Vaters aufgezeigt.

Das Vorliegen einer Nichtigkeit oder einer Aktenwidrigkeit wird weder im Rechtsmittel des Vaters behauptet noch ist derartiges aus der Aktenlage ersichtlich.

Der Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn ein Fall im Gesetz so ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (EFSlg.44.642 uva.). Auch derartiges zeigt der Rechtsmittelwerber nicht auf. Welche tatsächlichen Umstände im konkreten Einzelfall die Anordnung einer Maßnahme nach § 26 JWG rechtfertigen, ist im Gesetz nicht näher bestimmt; die Entscheidung darüber ist vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes anheimgestellt (EFSlg. 44.672, 44.673 uva.). Wenn im vorliegenden Fall die Vorinstanzen auf Grund des von ihnen festgestellten Sachverhaltes zu dem Ergebnis kamen, daß bei beiden Kindern ein derartiger Erziehungsnotstand vorliege, daß ohne die Anordnung der Erziehungshilfe durch Heimunterbringung der Ausschluß ihrer künftigen Verwahrlosung nicht zu gewährleisten sei, kann darin eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne obiger Ausführungen und insbesondere ein Ermessensmißbrauch im Sinne einer Mißachtung des Grundprinzipes des Wohles der Kinder (vgl. SZ 44/180; EFSlg.

32.647 ua.) nicht erblickt werden. Im übrigen kann mit einem außerordentlichen Revisionsrekurs im Sinne des § 16 Abs.1 AußStrG weder die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft werden (EFSlg. 37.362, 39.783; 8 Ob 583/85 uva.) noch sind in einem derartigen Rechtsmittel Neuerungen zulässig (EFSlg. 35.039, 37.358; 8 Ob 583/85 uva.).

Mangels Geltendmachung eines im § 16 Abs.1 AußStrG normierten Rechtsmittelgrundes war daher der vorliegende Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen.

Anmerkung

E08266

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00577.86.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19860606_OGH0002_0080OB00577_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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