TE OGH 1986/6/10 5Ob308/86

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Veröffentlicht am 10.06.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz W***, Angestellter, Wien 22., Eipeldauerstraße 23/48/2/5, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Tobias R***, Rechtsanwalt, Wien 1., Stephansplatz 4, als Masseverwalter im Konkurs (S 80/84 des Erstgerichtes) über das Vermögen der Firma P*** & M***, Wien 3., Esteplatz 4, wegen Feststellung einer Konkursforderung (Streitwert: 28.309,86 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24. Jänner 1986, GZ 3 R 263/85-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 30. September 1985, GZ 35 Cg 482/84-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.309,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 480,-- S an Barauslagen und 257,25 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 15. September 1969 bei der nunmehrigen Gemeinschuldnerin, über deren Vermögen das Erstgericht am 6. Juni 1984 das Konkursverfahren eröffnete, angestellt. Am Tage vor der Konkurseröffnung bot die Gemeinschuldnerin sämtlichen Arbeitnehmern die Dienstfreistellung an, womit diese jedoch nicht einverstanden waren. Noch am 6. Juni 1984 führte der Kläger in St. Pölten Serviceleistungen für die Gemeinschuldnerin durch; zusammen mit anderen Bediensteten brachte er den Fuhrpark vom

3. Bezirk in die Triesterstraße. Am Nachmittag des 6. Juni 1984, als die Eröffnung des Konkurses im Betrieb bekannt geworden war, erhielten sämtliche Arbeitnehmer eine Dienstfreistellungserklärung der Gemeinschuldnerin (zum Wortlaut dieser Freistellungserklärung siehe Beilage E: "Ich bestätige.... [Name des Dienstnehmers] vorübergehende Dienstfreistellung am 1984 06 06 mit Wahrung aller seiner Ansprüche und anerkenne seine Bereitschaft, bis zur Lösung des Dienstverhältnisses in der Firma P*** & M*** tätig zu sein"). Darauf wurden die Arbeitnehmer über Weisung des Masseverwalters nicht mehr in den Betrieb gelassen, der am 9. Juni 1984 gerichtlich versiegelt wurde. Bereits am 8. Juni 1984 kündigte der Masseverwalter sämtliche Arbeitnehmer, ohne vorher den Betriebsrat von der Kündigungsabsicht informiert zu haben (zum Wortlaut dieser schriftlichen Kündigung siehe Beilage F: "Als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der reg. Firma P*** & M*** kündige ich Ihr Dienstverhältnis zum nächstmöglichen gesetzlichen Termin auf"). In der Folge beschäftigte der Masseverwalter noch einige Arbeitnehmer zur Abwicklung laufender Geschäfte (unter anderem Verkauf von Waren, Erbringung von Serviceleistungen). Am 19. Juni 1984 erklärte der Kläger den vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO. Am 20. Juni 1984 sprach der Masseverwalter eine neuerliche Kündigung des Klägers aus.

Der Kläger meldete am 4. Juli 1984 im Konkurs eine Gehaltsforderung einschließlich Sonderzahlungen sowie den Anspruch auf Abfertigung im Ausmaß von sechs Monatsgehältern, Urlaubsentschädigung und Kündigungsentschädigung samt anteiliger Sonderzahlungen an, wovon der Beklagte 161.925 S anerkannte. Mit der am 11. Oktober 1984 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger die Feststellung der bestrittenen Forderung von 28.309,86 S als Konkursforderung. Er brachte vor: Die Freistellung der Dienstnehmer am 6. Juni 1984 sei nur vorübergehend erfolgt. Die Gemeinschuldnerin habe dabei seine Bereitschaft, bis zur Lösung des Dienstverhältnisses tätig zu sein, anerkannt. Die vom Masseverwalter am 8. Juni 1984 ausgesprochene Kündigung des Dienstverhältnisses sei unwirksam, weil der Masseverwalter den Betriebsrat von der Kündigungsabsicht nicht informiert habe. Die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates sei am 8. Juni 1984 noch nicht beendet gewesen, weil (damals) keine dauernde, sondern bloß eine vorübergehende Betriebseinstellung vorgelegen sei. Im Betrieb sei auch noch nach der Konkurseröffnung gearbeitet worden. Das Dienstverhältnis habe daher erst durch den vorzeitigen Austritt des Klägers am 19. Juni 1984 geendet. Gemäß § 29 AngG habe er Anspruch auf die Kündigungsentschädigung, berechnet bis 19. September 1984. An diesem Tage wäre der Kläger bereits über 15 Jahre bei der Gemeinschuldnerin tätig gewesen, sodaß er Anspruch auf eine Abfertigung in der Höhe von sechs Monatsentgelten habe. Die Höhe der bestrittenen Forderung ergebe sich (unter Berücksichtigung einer Korrektur wegen zuviel anerkannter Beträge) aus der Differenz der Abfertigung, berechnet auf der Basis von vier bzw. sechs Monaten.

Der Beklagte bestritt dieses Vorbringen, beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein: Der Betrieb sei bereits am 5. Juni 1984 geschlossen worden. Die Dienstnehmer seien unter Wahrung ihrer Ansprüche dienstfrei gestellt worden. Der Beklagte habe am Tage der Konkurseröffnung einen bereits geschlossenen Betrieb übernommen, der in der Folge nicht wieder eröffnet worden sei. Lediglich die vorliegenden Bestellungen seien noch ausgeliefert worden. Dazu habe der Beklagte die Buchhalterin und einen Arbeiter neu angestellt. Die von ihm am 8. Juni 1984 ausgesprochene Kündigung sei wirksam, weil die Befragung des Betriebsrates wegen der Schließung des Unternehmens überflüssig gewesen sei. Die bestrittene Forderung steht der Höhe nach außer Streit. Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte in rechtlicher Hinsicht aus:

Der Masseverwalter sei bei der nach § 25 KO innerhalb Monatsfrist nach der Konkurseröffnung vorzunehmende Kündigung eines Angestellten an gesetzliche Kündigungsbeschränkungen gebunden. Daraus ergebe sich, daß der Masseverwalter die Kündigungsbeschränkungen des Arbeitsverfassungsgesetzes (im folgenden ArbVG) zu beachten habe. Der Betriebsrat sei vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers vom Betriebsinhaber nur dann zu verständigen, wenn seine Tätigkeit nicht schon vorher beendet sei. Gemäß § 62 ArbVG beende eine dauernde Einstellung des Betriebes vorzeitig die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates. Das bedeute, daß der Betrieb als solcher untergegangen sein müsse. Dabei gewinne der Begriff der Betriebsidentität auch in diesem Zusammenhang Bedeutung. Immer dann, wenn trotz einer Änderung von Elementen des Betriebes nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen angenommen werden könne, daß der alte Betrieb fortbestehe (Betriebsidentität), könne von dessen Einstellung nicht gesprochen werden. Doch existiere im gegenständlichen Fall nicht einmal ein Nachfolgeunternehmen und daher sei auch kein Fortbestand des Betriebes gegeben, welcher Umstand den Masseverwalter zu einer Verständigung des Betriebsrates vor der Kündigung verpflichtet hätte. Die Einstellung des Betriebes müsse eine dauernde sein. Die Dauer der Einstellung müsse subjektiv und objektiv nachweisbar sein, das heiße, es müßten vom Betriebsinhaber in der Absicht, den Betrieb für eine nicht absehbare Zeit zu beendigen (subjektiv), tatsächliche Vorkehrungen getroffen worden sein (objektiv). Dies sei noch am 6. Juni 1984, am Tage der Konkurseröffnung, der Fall gewesen, als der ehemalige Betriebsinhaber M*** auf Weisung des Masseverwalters das Geschäft zugesperrt, niemanden mehr hereingelassen und den Geschäftsschlüssel dem Masseverwalter übergeben habe. Daß noch Arbeitnehmer vom Masseverwalter beschäftigt worden seien, habe der Abwicklung gedient. Eine Fortsetzung des Betriebes könne daraus nicht erschlossen werden. Die dauernde Einstellung des Betriebes bewirke die Beendigung der Tätigkeitsperiode des Betriebsrates von selbst, es bedürfe daher keiner behördlichen Entscheidung. Demnach sei der Betriebsrat von der am 8. Juni 1984 ausgesprochenen Kündigung nicht mehr zu verständigen gewesen.

Die Kündigung sei schriftlich erfolgt, wobei der Zustelltag als Tag der Kündigung gelte. Die Kündigung als einseitige Willenserklärung des einen Vertragsteiles müsse dem anderen Vertragsteil zur Kenntnis gebracht werden, wobei die postordnungsgemäße Zustellung am Wohnort des Angestellten genüge; die Verweigerung der Kenntisnahme habe auf die Wirkung der Kündigung keinen Einfluß. Sohin ergebe sich - unter Berücksichtigung der dazwischen gelegenen Pfingstfeiertage - als Tag der Kündigung der 12. Juni 1984. Durch die Kündigung werde das Dienstverhältnis bloß in das Auflösungsstadium versetzt; die Auflösung selbst werde erst mit Ablauf der Kündigungsfrist bewirkt. Da der Masseverwalter bei einer außerordentlichen Kündigung nach § 25 KO zwar an die gesetzliche Kündigungsfrist des § 20 Abs 2 AngG, nicht aber daran gebunden sei, daß sonst das Dienstverhältnis durch Kündigung nur "mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres" gelöst werden könne, sei die Kündigungsfrist, die gemäß § 20 Abs 2 AngG nach dem vollendeten fünften Dienstjahr drei Monate betrage, mit 12. September 1984 abgelaufen. Gemäß § 23 AngG gebühre dem Angestellten bei Auflösung des Dienstverhältnisses eine Abfertigung, wobei die für die Entstehung bzw. Höhe des Abfertigungsanspruches maßgebende Dauer des Dienstverhältnisses vom Antritt des Dienstes bis zur Auflösung des Dienstverhältnisses zu berechnen sei. Zeitpunkt der Auflösung sei bei einem Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit der Ablauf der ordnungsgemäßen Kündigungsfrist. Kündige der Dienstgeber vor Ablauf des 15. Dienstjahres, so gebühre die Abfertigung im Ausmaß des sechsfachen Monatsentgeltes, wenn das

15. Dienstjahr wenigstens am letzten Tag der Kündigungsfrist vollendet sei. Da dies im gegenständlichen Fall nicht zutreffe - das

15. Dienstjahr wäre am 15. September 1984 vollendet gewesen, die Kündigungsfrist sei bereits mit 12. September 1984 abgelaufen -, gebühre die Abfertigung nicht im Ausmaß des sechsfachen Monatsentgeltes.

Das Berufungsgericht gab der Klage statt und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Es führte aus:

Der vom Kläger vertretenen Auffassung, daß der Betrieb am Tage seiner (ersten) Kündigung durch den Masseverwalter (8. Juni 1984) noch nicht endgültig eingestellt gewesen sei, sei beizupflichten. Nur eine dauernde Einstellung des Betriebes beende vorzeitig den Bestand des Betriebsrates gemäß § 62 Z 1 ArbVG. Der Betrieb müsse bereits als solcher untergegangen sein. Vorübergehende Betriebsstillegungen bewirkten nicht die vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrates. Die Dauer der Einstellung müsse subjektiv und objektiv nachweisbar sein, das heiße, es müßten vom Betriebsinhaber in der Absicht, den Betrieb für eine nicht absehbare Zeit zu beendigen, tatsächliche Vorkehrungen getroffen worden sein, die die etwa behauptete Absicht auch in einem hohen Maße wahrscheinlich machten. Solche Maßnahmen seien in der Regel:

Auflösung der Arbeitsverhältnisse, Zurücklegung der Gewerbeberechtigung, Veräußerung der sachlichen Betriebsmittel, Ausverkauf der Produkte und Verkauf der Rohstoffe, Abbruch der Beziehungen zu den Kunden und Lieferanten, kurz die Liquidierung der Betriebsmittel. In der Regel müßten mehrere dieser Maßnahmen mit der Einstellungsabsicht zusammentreffen, um den Tatbestand der dauernden Betriebsstillegung zu erfüllen. Der Zeitpunkt der Betriebsstillegung könne nur im Einzelfall beurteilt werden. Meist werde der Beginn des Liquidierungsprozesses noch vor, sein Ende schon nach der faktischen Betriebseinstellung liegen (Floretta-Strasser, Kommentar zum ArbVG 348 f).

Den getroffenen Feststellungen zufolge habe die Gemeinschuldnerin vor der Konkurseröffnung keine solchen Maßnahmen zur Stillegung des Betriebes gesetzt. Ihre in einer Betriebsversammlung (am Tage vor der Konkurseröffnung) erklärte Absicht, die Dienstnehmer dienstfrei zu stellen, habe sie mangels Zustimmung derselben nicht bewirken können. Die Dienstfreistellung von Arbeitnehmern ließe auch noch nicht auf die Absicht der dauernden Betriebseinstellung schließen. Erst am Tage der Konkurseröffnung habe der Inhaber der Gemeinschuldnerin eine von den Betriebsräten verfaßte Dienstfreistellungserklärung unterschrieben (Beilage E). Der Kläger sei noch am Tage der Konkurseröffnung für die Gemeinschuldnerin tätig gewesen. Auch die Anordnung des Masseverwalters, die Arbeitnehmer nicht mehr in das Unternehmen zu lassen, habe noch nicht die dauernde Beendigung des Betriebes herbeigeführt, weil es sich dabei nur um eine vorläufige Maßnahme habe handeln können. Gemäß § 115 Abs 1 KO dürfe das Konkursgericht die Schließung eines Unternehmens nur anordnen oder bewilligen, wenn aufgrund der Erhebungen feststehe, daß anders eine Erhöhung des Ausfalles, den die Konkursgläubiger erlitten, nicht vermeidbar sei. Die Wiedereröffnung eines Unternehmens dürfe es nach Abs 3 dieser Bestimmung nur anordnen oder bewilligen, wenn bei dieser eine Erhöhung des Ausfalles voraussichtlich vermeidbar sei. Nach der Eröffnung des Konkurses obliege daher dem Masseverwalter die Pflicht zur Prüfung, ob ein Unternehmen des Gemeinschuldners fortgeführt oder wiedereröffnet werden könne (§ 81 Abs 1 KO). Eine Entscheidung darüber habe am 8. Juni 1984 noch nicht vorliegen können, der Beklagte habe eine solche auch nicht behauptet. Daher sei am Tage des Ausspruches der Kündigung durch den Masseverwalter am 8. Juni 1984 die Prüfung der Frage der Fortführung des Unternehmens noch nicht abgeschlossen gewesen. Von einer endgültigen Einstellung des Betriebes an diesem Tage habe somit nicht die Rede sein können. Damit habe aber auch noch nicht die Funktionsperiode des Betriebsrates gemäß § 62 Z 1 ArbVG beendet sein können. Da der Masseverwalter die Kündigung vom 8. Juni 1984 ohne die Befragung des Betriebsrates ausgesprochen habe, sei ihr gemäß § 105 Abs 2 ArbVG keine Wirkung zugekommen. Das Dienstverhältnis des Klägers habe daher erst mit dessen vorzeitigem Austritt gemäß § 25 Abs 1 KO vom 19. Juni 1984 geendet. Gemäß § 29 AngG habe der Kläger in einem solchen Fall Anspruch auf das vertragsmäßige Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße Kündigung durch den Arbeitgeber (Masseverwalter) verstrichen wäre. Dabei handle es sich um einen Schadenersatzanspruch, bei dem das Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unwiderleglich vermutet werde (Kuderna, Das Verschulden des Arbeitgebers am vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, RdA 1984, 8 ff, insbesondere 16). Da der Masseverwalter das Dienstverhältnis mit dem Kläger gemäß § 25 Abs 1 KO nur unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen hätte lösen können, wäre die dreimonatige Kündigungsfrist im Falle einer durch ihn am 19. Juni 1984 erfolgten Kündigung am 15. September 1984, dem Tage, an dem der Kläger das

15. Arbeitsjahr vollendet gehabt hätte, noch nicht abgelaufen gewesen. Gemäß § 23 AngG habe der Kläger somit Anspruch auf eine Abfertigung im Ausmaß von sechs Monatsentgelten. Der sich daraus ergebende Betrag sei der Höhe nach mit dem Ausmaß der bestrittenen Forderung außer Streit gestellt worden.

Die Revision sei gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Stillegung eines Betriebes durch den Masseverwalter und deren Einfluß auf die Funktionsdauer des Betriebsrates nicht vorliege.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die vom Berufungsgericht mit Recht nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig erkannte Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteiles.

Der Kläger beantragt, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

In Ausführung der Rechtsrüge vertritt der Beklagte zusammengefaßt den Standpunkt, daß der Betrieb des gemeinschuldnerischen Unternehmens im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers durch ihn bereits dauernd eingestellt gewesen sei. Daraus folge, daß der Bestand des Betriebsrates im vorgenannten Zeitpunkt eo ipso erloschen gewesen sei und demnach die Kündigung des Klägers der Zustimmung des Betriebsrates nicht bedurft habe. Das Berufungsgericht hätte daher bei richtiger rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes das Ersturteil bestätigen müssen. Diesem Standpunkt kann nicht beigepflichtet werden:

Ist der Gemeinschuldner Arbeitgeber und ist das Arbeitsverhältnis bereits angetreten worden, so kann es innerhalb eines Monats vom Tage der Konkurseröffnung vom Arbeitnehmer durch vorzeitigen Austritt, wobei die Konkurseröffnung als wichtiger Grund gilt, vom Masseverwalter unter Einhaltung der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder der zulässigerweise vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen gelöst werden (§ 25 Abs 1 KO). Der Masseverwalter ist bei Ausübung seines außerordentlichen Kündigungsrechtes nach § 25 Abs 1 KO an die gesetzlichen (kollektivvertraglichen oder zulässigerweise vereinbarten kürzeren) Kündigungsfristen und an die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen, insbesondere an jene des ArbVG, nicht aber an die verschiedenen Kündigungstermine gebunden (Arb. 9857 mwN; Arb. 10.377; zur Bindung des Masseverwalters bei Ausübung des Kündigungsrechtes nach § 25 Abs 1 KO an die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen nach dem ArbVG vgl. auch Floretta-Strasser, Kommentar zum ArbVG 631, Schwarz-Holzer-Holler, Das Arbeitsverhältnis bei Konkurs und Ausgleich 243 f, Holzer, Insolvenz und Arbeitsverhältnis, RdA 1984, 315). Gemäß § 105 Abs 1 ArbVG hat der Betriebsinhaber (nach Konkurseröffnung der Masseverwalter) vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers den Betriebsrat zu verständigen, der innerhalb von fünf Arbeitstagen hiezu Stellung nehmen kann. Der Betriebsinhaber (nach Konkurseröffnung der Masseverwalter) hat auf Verlangen des Betriebsrates mit diesem innerhalb der Frist zur Stellungnahme über die Kündigung zu beraten. Eine vor Ablauf dieser Frist ausgesprochene Kündigung ist rechtsunwirksam, es sei denn, daß der Betriebsrat eine Stellungnahme bereits abgegeben hat (§ 105 Abs 2 ArbVG). Ein Arbeitnehmer kann also vom Arbeitgeber (Masseverwalter) erst nach Durchführung dieses betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens - nach Verständigung und Stellungnahme des Betriebsrates bzw. nach Verstreichen der Fünftagefrist zur Stellungnahme des Betriebsrates - rechtswirksam gekündigt werden; im Falle der Verletzung dieses betriebsverfassungsrechtlichen Gebotes ist die Kündigung rechtsunwirksam (Floretta-Strasser aaO 620; vgl. auch Holzer aaO). Löst ein Angestellter sein Arbeitsverhältnis gemäß § 25 Abs 1 KO innerhalb eines Monates vom Tage der Konkurseröffnung durch vorzeitigen Austritt auf, so erwirbt er mit diesem Zeitpunkt den Anspruch auf Abfertigung (Gegenschluß aus § 23 Abs 7 AngG). Auf Umstände, die sich nach dem Erwerb des somit schon in diesem Zeitpunkt auch der Höhe nach bestimmten Anspruches auf Abfertigung ereignen, kommt es nicht an. Wendet man den aus § 29 Abs 1 AngG und § 1162 b ABGB abzuleitenden allgemeinen Grundsatz, daß ein Arbeitnehmer, der ungerechtfertigt entlassen worden oder aus einem vom Arbeitgeber verschuldeten Grund vorzeitig ausgetreten ist, finanziell so zu stellen ist, als wäre sein Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß aufgelöst worden, auf die für den Erwerb und die Bemessung der Abfertigung maßgebliche Dienstzeit des Arbeitnehmers an, so ist der zwischen dem tatsächlichen und rechtlichen Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einerseits und dem fiktiven Endzeitpunkt des Arbeitsverhältnisses andererseits liegende Zeitraum in die zurückgelegte Dienstzeit einzurechnen und die Abfertigung unter Zugrundelegung dieses längeren Zeitraumes zu bemessen (Arb. 10.407 mwN).

Aus den vorstehenden Darlegungen ergibt sich, daß die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites - wie die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit den Parteien richtig erkannt haben - von der Beantwortung der Frage abhängt, ob die Tätigkeitsdauer des im Betrieb der Gemeinschuldnerin gewählten Betriebsrates im Zeitpunkt der (ersten) Kündigung des Klägers durch den Beklagten bereits gemäß § 62 Z 1 ArbVG infolge dauernder Betriebseinstellung von selbst (Floretta-Strasser aaO 348 und 349 f) geendet hatte. Ein Betrieb ist eingestellt, wenn er als solcher untergegangen ist. Dies ist nicht der Fall, wenn trotz einer Änderung von Elementen des Betriebes (Betriebsinhaber, Betriebsmittel und Beschäftigte - zu einer organisatorischen Einheit mit einheitlichem Betriebszweck zusammengefaßt -, auf Dauer berechnete Tätigkeit; vgl. Floretta-Strasser aaO 200 ff in Verbindung mit 348 f) nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen und nach der Verkehrsauffassung angenommen werden kann, daß der (alte) Betrieb fortbesteht (vgl. Floretta-Strasser aaO 206 f in Verbindung mit

349e. Nur eine schon erfolgte, nicht auch eine erst bevorstehende Betriebseinstellung bewirkt das Ende des Betriebsrates (SozM

II B 238; Floretta-Strasser aaO 349). Die Einstellung des Betriebes muß eine dauernde sein; vorübergehende (zeitweilige) Betriebseinstellungen bewirken die vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrates nicht (Arb. 7764; Floretta-Strasser aaO 349). Die Dauer der Betriebseinstellung muß subjektiv und objektiv nachweisbar sein, daß heißt, es müssen vom Betriebsinhaber in der Absicht, den Betrieb für eine nicht absehbare Zeit zu beenden, tatsächliche Vorkehrungen getroffen worden sein, welche die etwa behauptete Absicht auch in einem hohen Maße wahrscheinlich machen. Solche Maßnahmen sind in der Regel die Auflösung der Arbeitsverhältnisse, die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung, die Veräußerung der sachlichen Betriebsmittel, der Ausverkauf der Produkte und der Verkauf der Rohstoffe, der Abbruch der Beziehungen zu Kunuen und Lieferanten, also die Liquidierung der Betriebsmittel. In der Regel werden mehrere dieser Maßnahmen mit der Einstellungsabsicht zusammentreffen müssen, um den Tatbestand der dauernden Betriebsstillegung zu erfüllen. Eine dauernde Betriebsstillegung ist ein äußerst komplexer Vorgang, der sich auch zeitlich meist länger hinzieht. Daraus ergeben sich in der Praxis bei der zeitlichen Fixierung der vorzeitigen Beendigung der Funktionsperiode des Betriebsrates große Schwierigkeiten. Allgemeine Regeln lassen sich hiefür kaum aufstellen; auf das Ausscheiden des letzten Arbeitnehmers abzustellen, ist in jeder Hinsicht zu schematisch. Der Beginn des Liquidierungsprozesses wird meist noch vor und sein Ende unter Umständen schon nach der faktischen Betriebseinstellung, auf die es allein ankommt, liegen. Die Frage kann nur im Einzelfall entschieden werden (Floretta-Strasser aaO 349; siehe auch SZ 56/1).

Beachtet man diese Grundsätze, von denen im wesentlichen auch die Vorinstanzen und die Parteien bei ihrer Argumentation ausgehen, und berücksichtigt man überdies die Aufgaben, die den Organen der Arbeitnehmerschaft des Betriebes - insbesondere dem Betriebsrat - im ArbVG zugewiesen sind (vgl. Floretta-Strasser aaO 233 ff, 251 ff), sowie die Stellung der Organe der Belegschaft im Konkurs eines Unternehmers (vgl. § 75 Abs 3 Z 2, § 88 Abs 1, § 173 Abs 5 KO je idF des IRÄG BGBl. Nr. 370, 1982), dann gelangt man mit dem Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Betrieb der Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt der (ersten) Kündigung des Klägers durch den Beklagten noch nicht dauernd eingestellt war, die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates also noch nicht geendet hatte und die (erste) Kündigung des Klägers daher mangels vorangegangener Verständigung des Betriebsrates rechtsunwirksam blieb. Weder das (von den Arbeitnehmern nicht akzeptierte) Anbot der nachmaligen Gemeindschuldnerin vom Vortag der Konkurseröffnung, sämtliche Arbeitnehmer dienstfrei zu stellen, noch der Eigenantrag auf Konkurseröffnung vom 6. Juni 1984 und die am Nachmittag dieses Tages ausgestellten Erklärungen betreffend die vorübergehende Dienstfreistellung der Arbeitnehmer noch die in der Folge von der Gemeinschuldnerin über Weisung des Masseverwalters ausgesprochene Weigerung, ihre Arbeitnehmer in den Betrieb einzulassen, können - selbst in ihrer Gesamtheit - nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen und der Verkehrsauffassung als tatsächliche Vorkehrungen gewertet werden, die im Sinne der obigen Ausführungen eine bereits im Zeitpunkt der (ersten) Kündigung des Klägers möglicherweise bestandene Absicht der dauernden Betriebseinstellung in hohem Maße wahrscheinlich machen würden. Das Berufungsgericht hat mit Recht hervorgehoben, daß es sich bei den genannten Vorkehrungen lediglich um vorläufige Maßnahmen handelte, und dabei zutreffend auf die Bestimmungen der §§ 81 Abs 1 und 115 Abs 1 und 3 KO sowie darauf Bedacht genommen, daß der Beklagte das Vorliegen einer endgültigen Entscheidung über die Betriebseinstellung auch gar nicht behauptet hat. Es kann auch nicht gesagt werden, daß die Beachtung des § 105 Abs 1 ArbVG den Zweck des dem Masseverwalter im § 25 Abs 1 KO eingeräumten außerordentlichen Kündigungsrechtes vereiteln würde; sie hat höchstens zur Folge, daß die Kündigung fünf Arbeitstage später ausgesprochen werden kann.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Festsetzung der Entlohnung nach § 21 Abs 1 Satz 2 RATG sind nicht gegeben.

Anmerkung

E08418

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0050OB00308.86.0610.000

Dokumentnummer

JJT_19860610_OGH0002_0050OB00308_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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