TE OGH 1986/6/17 14Ob95/86

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Veröffentlicht am 17.06.1986
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Walter Haindl und Johann Herzog als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaus M***, Musiklehrer, Gurtis Nr. 38, vertreten durch Dr. Anna Jahn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei VEREIN ZUR F*** DES M*** IM WALGAU,

vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen S 177.040,60 sA (Revisionsstreitwert S 128.474,80), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 4. März 1986, GZ Cga 35/85-20, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 28. August 1985, GZ Cr 339/84-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.657,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 514,35 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1.7.1977 bis 30.6.1984 Direktor der Musikschule der beklagten Partei. Das Arbeitsverhältnis wurde durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei S 177.040,60 sA. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus S 29.594,30 an restlicher Abfertigung, S 132.042,60 an Überstundenentgelt für die Zeit vom 1.5.1981 bis 31.5.1984, S 6.900 an Sitzungsgeldern und S 8.513,70 an Jahresausgleich für das Jahr 1983.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe auf die Geltendmachung eines Entgelts für Überstunden ausdrücklich verzichtet. Er habe die Überstunden zum Teil anstelle der ihm als Direktor obliegenden Führung der administrativen Agenden verrichtet, sodaß durch die Überstunden eine Verlängerung seiner Dienstzeit nicht eingetreten sei. Der Kläger habe als Direktor die von den Lehrern der Schule verrichteten Überstunden in die hiefür vorgesehene Stundenliste eingetragen. Für sich habe er keine Überstunden eingetragen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Teilbetrag von S 45.115,80 sA zu (davon entfallen S 29.594,30 auf restliche Abfertigung, S 3.450 auf Sitzungsgelder, S 3.557,80 auf Überstundenentgelt für den Monat Mai 1984 und S 8.513,70 auf den Jahresausgleich) und wies das Mehrbegehren von S 131.929,80 sA ab. Es vertrat die Auffassung, der Anspruch auf das (abgewiesene) Überstundenentgelt bestehe infolge Verzichts des Klägers nicht zu Recht; ein für Sitzungsgelder begehrter Teilbetrag von S 3.450 sei verjährt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs.1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende noch wesentliche Feststellungen:

Der Kläger hatte als Leiter der Musikschule der beklagten Partei vereinbarungsgemäß 26 Wochenstunden zu leisten. Davon entfielen 13 auf den Unterricht und der Rest auf die administrativen Arbeiten. Im Jahr 1978 wurde die Zahl der Unterrichtsstunden auf 5 verringert, weil die administrativen Arbeiten und die Führung des Schulbetriebes in 13 Wochenstunden nicht zu bewältigen waren. Auf das Dienstverhältnis der Parteien kam das Vorarlberger Gemeindebedienstetengesetz unter Berücksichtigung des Angestelltengesetzes zur Anwendung.

Der Kläger hatte keine geregelte Arbeitszeit; deren Einteilung war ihm überlassen. Die für die administrativen Arbeiten notwendige Arbeitszeit kann nicht genau festgestellt werden. In der Musikschule waren 20 bis 25 Lehrer beschäftigt, die rund 600 Schüler in zwölf Gemeinden unterrichteten. Die Musikschule wird durch Einnahmen aus den Schulgeldern, Landes- und Bundesförderung, Erlöse aus der Vermietung von Musikinstrumenten und Einnahmen aus Konzertveranstaltungen finanziert. Ausgaben sind die Personalkosten und der Sachaufwand. Abgänge werden von den 12 Mitgliedsgemeinden abgedeckt.

In der Zeit vom 1.7.1977 bis 31.12.1978 verrechnete der Kläger nur einmal 5 Überstunden für November 1978, im Jahr 1979 keine. Im Jahr 1980 verrechnete er für den Mai 12, für den Juni 13 und für den Oktober 8 Überstunden. Für alle diese Überstunden erhielt er das ihm dafür zustehende Entgelt. Ob er in der Zeit vom 1.7.1977 bis Oktober 1980 über die verrechneten Überstunden hinaus Überstunden verrichtet hat, kann nicht festgestellt werden.

Nach dem Jahr 1980 verzeichnete der Kläger erstmals wieder im August 1983 insgesamt sieben Überstunden. Er machte ferner am 2.3.1984, 27.3.1984 und 30.4.1984 Überstunden geltend. Die vom Kläger in der Zeit von 1977 bis 1983 verzeichneten und ihm bezahlten Überstunden hingen jedenfalls zum Teil mit einem "Tag der offenen Tür" und mit zusätzlichen Probenarbeiten zusammen.

Der Kläger hat sich sehr für seine Tätigkeit engagiert. Der Aufbau der Musikschule, die Schüler und Lehrer sowie das Musizieren in der Region Walgau waren ihm ein Herzensanliegen. Aus diesem Grund verrichtete er über die von ihm nach dem Vertrag zu erbringenden fünf Pflichtstunden hinaus Überstunden. Dies war dem Vorstand der beklagten Partei bekannt. Wenn dieses Thema zur Sprache kam, wies der Kläger mehrfach darauf hin, daß er über die fünf Pflichtstunden hinaus Mehrleistungen in Form von Überstunden erbringe, die er aber nicht (bezahlt) verlange. Der Kläger leistete über die bereits festgestellten und ihm bezahlten Überstunden hinaus in den Schuljahren 1980/81 bis 1982/83 weitere regelmäßige Überstunden im Gesamtausmaß von 704,19 Stunden. In der Zeit vom Oktober 1983 bis April 1984 leistete er ebenfalls Überstunden. Das hiefür anfallende Entgelt machte er in der Höhe von S 36.000 der beklagten Partei gegenüber geltend. Dieser Betrag wurde ihm ausgezahlt. Aufgabe des Klägers war ua. die Erstellung von sogenannten Lehrerlisten, in welchen das tatsächliche Ausmaß der Unterrichtsstunden eines jeden Lehrers aufschien. Der Kläger übergab diese Listen dem Kassier Josef M***; sie waren, wie dem Kläger bekannt war, die Grundlage für die vom Kassier vorzunehmende Gehaltsabrechnung. In diesen Lehrerlisten verzeichnete der Kläger für alle Lehrer etwaige Überstunden, jedoch nie seine eigenen. Er gab nie in irgendeiner Weise irgendeinem Organ der beklagten Partei gegenüber die Absicht zu erkennen, die von ihm laufend erbrachten Überstunden jemals zu verrechnen. Er erklärte im Gegenteil, wenn das Gespräch auf dieses Thema kam, er leiste mehr als er müsse, verlange dafür aber nichts. Er führte in den Lehrerlisten hinsichtlich seiner Person nur die 26 Wochenstunden der Vollbeschäftigung an, obwohl ihm bekannt war, daß diese Listen für den Kassier die Grundlagen der Gehaltsabrechnungen waren. Die vom Kläger im Juli bzw. August 1983 geltend gemachten und ihm bezahlten Überstunden waren nicht regelmäßig geleistete Überstunden; sie entstanden vielmehr bei Sonderanlässen.

Aufgabe des Klägers war es auch, die Unterlagen für die Landesförderung zu erstellen. Er mußte vor allem die Erhebungsbögen ausfüllen bzw. durch die Lehrer ausfüllen lassen. In diesen Erhebungsbögen war die Gesamtanzahl der Unterrichtsstunden anzuführen. In dieser Gesamtstundenanzahl wurden jeweils auch die vom Kläger tatsächlich geleisteten Unterrichtsstunden angeführt. Aufgabe des Kassiers war es dann, den Kostenaufwand der Schule, die Einnahmen sowie den Abgang für das betreffende Schuljahr anzuführen. In den Personalkosten waren nur tatsächlich verrechnete und an die Lehrer ausgezahlte Kosten enthalten. Die (Kosten für die) vom Kläger regelmäßig geleisteten, von ihm jedoch nicht verrechneten und ihm nicht bezahlten Überstunden waren in diesen Kostenbeträgen nicht enthalten. Die Erhebungsbögen wurden an die zuständige Landesbehörde weitergeleitet.

Der Kläger war bei den jährlichen Hauptversammlungen der beklagten Partei anwesend. Bei diesen Versammlungen wurde die Geschäftsgebarung des Vorjahres geprüft und abgeschlossen. Den Prüfern standen die vorgenannten Lehrerlisten zur Verfügung. Der Kläger war bei den Beschlußfassungen über die Rechnungsabschlüsse der Schuljahre 1980 bis 1983 anwesend, ohne jemals die Richtigkeit der Abschlüsse mit der Behauptung zu bemängeln, er habe Mehrleistungen erbracht, die ihm nicht abgegolten worden seien. Als in der im Herbst 1983 stattgefundenen Vorstandssitzung die Frage der Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers in dessen Anwesenheit angeschnitten wurde, wies der Kläger darauf hin, daß er sehr viele Überstunden mache und das "kostenlos bzw. gratis". Nach dieser Vorstandssitzung machte der Kläger erstmals wieder regelmäßig geleistete Überstunden geltend, und zwar im Ausmaß von zwei Wochenstunden. Das Überstundenentgelt hiefür wurde an ihn ausgezahlt. Er erhielt ein solches Überstundenentgelt in der Folge bis Jänner 1984. Am 14.1.1984 faßte der Vorstand der beklagten Partei den Beschluß, den Kläger zu kündigen.

In einer am 1.2.1984 stattgefundenen außerordentlichen Vollversammlung der beklagten Partei erklärte der Kläger, "daß ihm die Schule am Herzen liege und er in den letzten fünf Jahren statt fünf Wochenstunden ständig mehr Stunden Unterricht gehalten habe, dies aber gratis". Am 13.7.1984, nach Einbringung der Klage, beantragte der Kläger die Berichtigung des über die vorerwähnte Versammlung geführten Protokolls in der Richtung, daß er die Überstunden gehalten habe, "ohne diese verrechnet zu haben". Über Beschluß der Vollversammlung wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 1.3.1984 zum 30.6.1984 gekündigt. Die im Ausmaß von 704,19 festgestellten Überstunden machte der Kläger erstmals mit Schreiben vom 30.4.1984 geltend.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Kläger habe aus den näher angeführten Gründen ausdrücklich und rechtswirksam auf das Überstundenentgelt, soweit er keine Überstunden verzeichnet habe, verzichtet. Die mit der Klage dennoch erfolgte Geltendmachung eines Überstundenentgelts verstoße gegen Treu und Glauben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich, soweit das Berufungsgericht die Abweisung des auf Überstundenentgelt entfallenden Teiles des erstgerichtlichen Urteils im Umfang eines Betrages von S 128.474,80 sA bestätigte, die Revision des Klägers aus den Gründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren in diesem Umfang stattzugeben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit ist schon deshalb nicht begründet, weil der Revisionswerber die Feststellungen des Berufungsgerichtes mißverstanden hat. Nach den Feststellungen wurden zwar in den Erhebungsbögen die gesamten vom Kläger tatsächlich geleisteten Unterrichtsstunden - somit auch die Überstunden - angeführt; unter den in den Erhebungsbögen angeführten Personalkosten waren hingegen nur die tatsächlich verrechneten und an die Lehrer ausgezahlten Kosten, somit nicht das vom Kläger nicht verrechnete Überstundenentgelt enthalten. Diese Feststellungen stehen mit den Beweisergebnissen nicht im Widerspruch. Daß unter den in den Erhebungsbögen angeführten Kostenbeträgen auch die vom Kläger weder geltend gemachten noch an ihn ausgezahlten Überstunden enthalten gewesen wären, wird vom Revisionswerber selbst nicht behauptet.

Der in der Rechtsrüge vertretenen Auffassung, ein rechtswirksamer Verzicht des Klägers auf das den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende Überstundenentgelt liege nicht vor, kann nicht zugestimmt werden. Nach ständiger Rechtsprechung (Arb. 9510 mwH) kann ein stillschweigender Verzicht des Arbeitnehmers (§ 863 ABGB) auf unabdingbare Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht schon bei bloßer Unterlassung der Geltendmachung während eines längeren Zeitraumes, sondern immer erst dann angenommen werden, wenn die verspätete Geltendmachung der Ansprüche im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstößt. Im vorliegenden Fall hat aber der Kläger nicht nur durch schlüssige Handlungen, sondern sogar durch wiederholte ausdrückliche Erklärungen auf die Geltendmachung eines Entgelts für die laufend und nicht bloß aus außergewöhnlichen Anlässen geleisteten Überstunden verzichtet. Er erklärte wiederholt, daß er zwar Überstunden erbringe, daß er sie aber nicht bezahlt verlange. Dazu kommt, daß der Kläger durch die Unterlassung der Geltendmachung des Überstundenentgelts und durch die Unterlassung der Aufnahme des entsprechenden, von ihm nicht bezogenen Überstundenentgelts in die in den Erhebungsbögen enthaltenen Kostenbeträge die Inanspruchnahme entsprechender Förderungsmittel durch die beklagte Partei in diesem Umfang zumindest erschwerte. Da er in seiner Eigenschaft als Leiter der Musikschule für die Anführung von Überstunden in den Lehrerlisten und das Ausfüllen der Erhebungsbögen selbst verantwortlich war, konnte die beklagte Partei unter Bedachtnahme auf die ausdrücklichen Erklärungen des Klägers und sein Verhalten bei der Genehmigung der Rechnungsabschlüsse nach Treu und Glauben nicht damit rechnen, er werde ein Überstundenentgelt seinen ausdrücklichen Erklärungen und seinem schlüssigen Verhalten zuwider für die Vergangenheit geltend machen, zumal die Unterrichtsstunden des Klägers im Hinblick auf seine administrative Tätigkeit, deren Ausmaß aber nicht genau bekannt war, auf fünf herabgesetzt worden waren. Da der Kläger überdies zu den näher festgestellten Zeitpunkten besondere Überstunden verrechnete (und auch bezahlt erhielt), mußte unter Bedachtnahme auf das übrige Verhalten des Klägers bei der beklagten Partei der Eindruck entstehen, er verlange tatsächlich für seine Mehrleistungen kein Entgelt. Den Untergerichten ist daher beizustimmen, daß der Kläger rechtswirksam auf die Geltendmachung des den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Überstundenentgelts verzichtet hat, sodaß dem Klagebegehren in diesem Umfang die Berechtigung fehlt. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E08161

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00095.86.0617.000

Dokumentnummer

JJT_19860617_OGH0002_0140OB00095_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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