TE OGH 1986/6/25 1Ob582/86

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Veröffentlicht am 25.06.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Voritzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Bernd K***, geboren am 6.12.1967, Schüler, vertreten durch seine Eltern Wilhelm und Ilse K***, alle Dornbirn, Eisengasse 12, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1.) Anton M***, Landwirt, Schwarzenberg, Buchen 44, und 2.)

H***-B*** Schilift D***-H*** OHG, Schwarzenberg, beide vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen S 170.000 s.A. und Feststellung (Streitwert S 31.000), infolge von Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 19. November 1985, GZ 1 R 270/85-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 18. Dezember 1984, GZ 7 Cg 2823/84-37, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Parteien wird nicht, der Revision der klagenden Partei wird hingegen Folge gegeben; die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"1.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 170.000 samt 4 % Zinsen aus

S 30.000 vom 18.6.1982 bis 22.4.1983, aus S 45.000 vom 23.4.1983 bis 9.10.1984 und aus S 170.000 seit 10.10.1984 sowie die mit

S 73.126,90 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 6.650,62 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

2.) Die beklagten Parteien haben der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle künftigen Nachteile aus dem Unfall am 10.2.1982 in Schwarzenberg jeweils zur Hälfte einzustehen."

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10.2.1982 benützte der Kläger den von der zweitbeklagten Partei betriebenen Alpenblicklift im Gemeindegebiet von Schwarzenberg (Bezirk Bregenz) und fuhr dann mit seinen Schiern auf der Familienabfahrt dieses Liftes zu Tal. Dabei stieß er gegen eine bergwärts fahrende Pistenraupe, deren Lenker der Erstbeklagte und deren Halter die zweitbeklagte Partei waren, und wurde dabei schwer verletzt. Er erlitt einen Riß des Serosaüberzuges des absteigenden Darms, einen Bruch des linken Oberschenkels, offene Brüche beider Unterschenkel mit Zerreißung der vorderen Schlagader und der Streckmuskulatur, einen Abriß des Großzehenstreckers und eine Schädigung des Fußhebernervs. Infolge der Verletzung mußte er vier Tage sehr starke, 18 Tage starke, 49 Tage mittelstarke und 176 Tage lang leichte Schmerzen erdulden. Die Verletzungen und die deshalb notwendig gewordenen Operationen hatten erhebliche und deutlich wahrnehmbare Narbenbildungen im Bereich des Bauches, der Außenseite des linken Oberschenkels, am linken Unterschenkel, an der Außenseite des linken Kniegelenks, an der Innenseite des linken Unterschenkels, am linken Vorfuß, im Bereich des linken oberen Sprunggelenks und der vorderen linken Schienbeinkante sowie am rechten Unterschenkel zur Folge. Der linke Unterschenkel und der linke Oberschenkel sind deutlich muskelverschmächtigt, der Vorfuß ist vermehrt blau-rot gefärbt; die Großzehe steht in Beugestellung, die übrigen Zehen stehen in leichter Krallenstellung. Das untere Sprunggelenk links ist vollkommen eingeschränkt. Es besteht ein deutlicher hinkender Barfußgang links, der Fersengang ist links nicht möglich. Außerdem besteht eine deutliche Schwellneigung des linken Unterschenkels bei gleichzeitiger Muskelverschmächtigung und Störung des Hautgefühls. Ein Strafverfahren wurde vom Bezirksgericht Bezau gemäß § 90 StPO eingestellt.

Der Kläger begehrte zuletzt die Verurteilung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zum Ersatz seines mit S 170.000 bezifferten Schadens und ferner die Feststellung, daß ihm die beklagten Parteien für alle künftigen Nachteile aus dem Unfall zur ungeteilten Hand jeweils zur Hälfte einzustehen hätten. Das Pistengerät sei ohne jedwede Absicherung unterwegs gewesen; der Kläger habe es wegen einer sichtbehindernden Bodenerhebung erst im letzten Augenblick wahrnehmen können. Die zweitbeklagte Partei hafte auf Grund des Beförderungsvertrages für das Verschulden des Erstbeklagten gemäß § 1313 a ABGB. Überdies sei sie selbst auch zur Pistensicherung verpflichtet gewesen. Angesichts der Verletzungen und der damit verbundenen Folgen seien ein Schmerzengeld von S 300.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 40.000 gerechtfertigt; daraus errechne sich unter Berücksichtigung eines gleichteiligen Mitverschuldens des Klägers der Klagsbetrag. Die beklagten Parteien bestritten jedwedes Verschulden. Der damals schon 14-jährige Kläger sei imstande gewesen, die wesentlichsten FIS-Regeln zu beachten. Er sei nicht auf Sicht und überhaupt mit weit überhöhter Geschwindigkeit abgefahren und über einen Hügel gesprungen, ohne das talseits gelegene Gelände einsehen zu können. Die zweitbeklagte Partei sei überdies passiv nicht legitimiert. Das begehrte Schmerzengeld sei nicht angemessen, das Feststellungsinteresse fehle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der Erstkläger sei im Unfallszeitpunkt Dienstnehmer der zweitbeklagten Partei gewesen. Diese setze schon seit 1959 im Bereich ihrer Lifte Pistenraupen ein; bei dem 1971/72 in Betrieb genommenen Alpenblicklift habe sie auf den Einsatz von Pistenraupen - vor allem während des Liftbetriebs - nirgends hingewiesen. Es habe auch keine innerbetriebliche Anweisung, Pistenraupen während der Liftbetriebszeiten auf der Schipiste nicht einzusetzen, gegeben. Die Dienstnehmer der zweitbeklagten Partei hätten die Pistenraupen nach Anweisung des Betriebsleiters oder aus eigenem Entschluß in Betrieb genommen, wenn es ihrer Meinung nach der Zustand der Piste erforderte. Dennoch sei es vorher nie zur Kollision eines Schifahrers mit einer Pistenraupe gekommen. Am Unfallstag seien keine witterungsbedingten Sichtbehinderungen vorhanden gewesen; die präparierte Piste der Familienabfahrt habe aus festgefahrenem Pulverschnee bestanden; vereiste Stellen habe es nicht gegeben. Der Lift (ein Schlepplift) sei um 10 Uhr in Betrieb genommen worden. Kurz vor 11 Uhr sei der Erstbeklagte mit der Pistenraupe der zweitbeklagten Partei bergwärts gefahren; er habe die Familienabfahrt präparieren wollen, weil sich in deren gesamten Bereich Buckel befunden hätten; außerdem habe er Herbert B*** mit dem notwendigen Werkzeug zur Liftstütze 5 fahren wollen. Auf der Familienabfahrt seien nur wenige Schifahrer unterwegs gewesen. Dem Erstbeklagten sei es bekannt gewesen, daß Schifahrer - vor allem Schüler - immer wieder über die letzte Kuppe vor der Unfallstelle hinaussprangen und dabei Weiten von mehr als 8 m erzielten. Die vom Erstbeklagten gelenkte Pistenraupe Marke Kässbohrer sei (einschließlich des Glättebrettes), 4,5 m breit, 4,2 m lang und 2,67 m hoch; sie habe ein Eigengewicht von 4,3 t und ein höchstzulässiges Gesamtgewicht von 5,8 t. Die Höchstgeschwindigkeit betrage in der Stufe I 15, in der Stufe II 21 km/h. Auf dem orangefarbenen Dach sei eine Rundumleuchte montiert; die Hupe habe zur Unfallszeit die Lautstärke einer gewöhnlichen PKW-Hupe erreicht. Bei der Bergfahrt habe der Erstbeklagte zum - talwärts - rechten Rand der etwa 25 m breiten präparierten Piste einen Abstand von etwa 4 bis 4,5 m eingehalten. Während der Fahrt sei die Rundumleuchte ständig in Betrieb gewesen. Der Erstbeklagte sei in der Geschwindigkeitsstufe I mit schneller Schrittgeschwindigkeit gefahren und habe ständig das vor ihm liegende Gelände beobachtet. Der Kläger sei zur Unfallszeit 14 Jahre alt und etwa 1,75 cm groß gewesen. Ob er bei vorangegangenen Abfahrten an diesem Tag einer Pistenraupe begegnete, könne nicht festgestellt werden. Bei der Unglücksabfahrt sei er von seinem Bruder und zwei Freunden im Alter zwischen elf und 14 Jahren begleitet gewesen. Sie seien etwa 150 m vor der Unfallstelle stehengeblieben. Von dieser Stelle an verlaufe die Abfahrt etwa 250 m geradlinig; 127 m nach dieser Stelle befinde sich jedoch eine Kuppe, von der die Strecke zu der rund 23 m entfernten Unfallstelle im Winkel von etwa 45 Grad abfalle. Die Abfahrt weise auf der erwähnten 127 m langen Strecke über eine Länge von rund 30 m ein Gefälle von zunächst 20 Grad und danach über etwa 50 m ein solches von 45 Grad auf und falle dann zur Kuppe nur mehr geringfügig ab. Bei einer Talfahrt anläßlich des Ortsaugenscheins am 21.3.1984 sei die Strecke von 127 m in einer mittleren Geschwindigkeit von 38 km/h durchmessen worden. Die gesamte Strecke von der Stillhalteposition bis zur Kollisionsstelle sei in Abfahrtshocke in zwölf Sekunden zurückgelegt worden; daraus lasse sich eine Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers von etwa 50 km/h errechnen. Als der Kläger aus seiner Stillhalteposition losgefahren sei, sei die Pistenraupe noch etwa 171 m entfernt und für den Kläger nicht sichtbar gewesen. Das orangefarbene Dach der Raupe mit der Rundumleuchte sei für den Kläger erst auf eine Distanz von rund 30 m sichtbar geworden; da sei der Kläger jedoch nur mehr 5 m von der Kuppe entfernt gewesen. Vorher habe der Erstbeklagte talwärts fahrende Schifahrer gleichfalls nicht wahrnehmen können. Berücksichtige man, daß zur Unfallszeit festgefahrener Pulverschnee vorhanden gewesen sei, müsse die Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers noch höher gewesen sein, so daß die Pistenraupe im Zeitpunkt des Losfahrens des Klägers weniger als 21 m von der Unfallstelle entfernt gewesen sei. Auch dann, als der Kläger losgefahren sei, habe keine gegenseitige Sicht zwischen dem Erstbeklagten und ihm bestanden. Das Gelände nach der letzten Kuppe weise im - talwärts gesehen - linken Bereich kein derart steiles Gefälle auf wie in der Mitte und am rechten Rand. Wäre der Erstbeklagte mit der Pistenraupe dort - talwärts gesehen - am linken Rand bergwärts gefahren, wäre die Pistenraupe für den Kläger in dem Zeitpunkt, in welchem er losgefahren sei, bereits sichtbar gewesen; die Pistenraupe wäre dann auch nie aus dem Sichtbereich des Klägers verschwunden. Der Kläger und seine Begleiter seien unmittelbar hintereinander in Abfahrtshocke und Schußfahrt geradlinig zu Tal gefahren; der Kläger habe sich der Kuppe in einem Seitenabstand von rund 8 m zum rechten Pistenrand genähert. Der Erstbeklagte habe durch längere Zeit die Hupe betätigt. Günther J***, der den Vorfall beobachtet habe, habe den Kläger und seine Begleiter durch Zurufe und Handzeichen auf die Gefahr aufmerksam machen wollen, doch habe der Kläger diese nicht wahrgenommen. Der Kläger sei über die Kuppe etwa 8 m weit hinausgesprungen und habe der Pistenraupe durch einen Linksschwung ausweichen wollen; dennoch sei er gegen das bereits angehaltene Gerät geprallt. Er habe vor dem Überfahren der Kuppe weder die Hupsignale noch das Motorengeräusch vernommen; talwärts fahrende Schifahrer hätten die Hupsignale infolge der geringen Lautstärke und der Eigengeräusche nicht wahrnehmen können.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Passivlegitimation der zweitbeklagten Partei, weil der Kläger mit ihr einen Beförderungsvertrag abgeschlossen habe, der sie verpflichte, den Fahrgästen sichere Abfahrtstrecken zur Verfügung zu stellen. Es könne ihr jedoch eine Verletzung solcher Verkehrssicherungspflichten nicht vorgeworfen werden. Angesichts einer Pistenbreite von 25 m dürfe ihr nicht zugemutet werden, einen Warnposten vorauszuschicken, um die abfahrenden Schifahrer auf die Pistenraupe aufmerksam zu machen. Der Erstbeklagte habe darauf vertrauen dürfen, daß talwärts fahrende Schifahrer kontrolliert und auf Sicht führen. Er habe das Gerät auch noch vor der Kollision zum Stillstand bringen können. Der Kläger habe grob fahrlässig gegen die anerkannten Eigenregeln des Schilaufs verstoßen, indem er trotz Sichteinschränkung auf die Kuppe zugefahren sei, von der er bei seiner Geschwindigkeit abheben habe müssen. Ihn treffe daher das Alleinverschulden am Unfall. Das Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz sei nicht anwendbar. Das Gericht zweiter Instanz gab dem Leistungsbegehren des Klägers mit S 113.333,34 und seinem Feststellungsbegehren dahin statt, daß es aussprach, die beklagten Parteien hätten für nachteilige Folgen zur ungeteilten Hand im Ausmaß eines Drittels einzustehen; das Leistungsmehrbegehren von S 56.666,66 und das Feststellungsmehrbegehren (Haftung zur Hälfte) wies es ab, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 15.000 bzw. S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige, und ließ die Revision zu. Es führte aus, den Erstbeklagten treffe ein Mitverschulden. Er habe eine Fahrlinie gewählt, in welcher ihm zwölf Sekunden lang die Sicht auf abfahrende Schifahrer verstellt gewesen sei. Dabei wäre es ihm ein leichtes gewesen, am rechten Pistenrand bergwärts zu fahren, um dann das steil abfallende Gelände unterhalb der Kuppe talwärts fahrend zu präparieren, wie das auch sonst üblich sei. Es sei ihm überdies bekannt gewesen, daß besonders jugendliche Schifahrer häufig die Geländekante überspringen und sodann mit hoher Geschwindigkeit und ohne Möglichkeit, die Richtung zu korrigieren, weiterfahren. Dem Erstkläger habe es auf Grund seiner Erfahrung auch nicht verborgen bleiben können, daß Schifahrer hinter einer Kuppe weder durch das Motorengeräusch noch durch ein Hupsignal auf das entgegenkommende Pistengerät aufmerksam gemacht werden könnten, sei es doch allgemein bekannt, daß Geräusche durch Geländehindernisse stark abgeschwächt würden; er habe sich deshalb keineswegs auf die Wirksamkeit der Hupe und das Motorengeräusch als Alarmsignale verlassen dürfen. Mit einer bergwärts fahrenden Pistenraupe müsse der abfahrende Schifahrer keinesfalls als Hindernis rechnen. Die Liftgäste seien auch auf die Pistenpräparierung während der Betriebszeiten nicht aufmerksam gemacht worden. Erst nach dem Unfall sei eine Warntafel aufgestellt worden. Für die Abwendung der mit dem Betrieb eines solchen Gerätes verbundenen erheblichen Gefahren sei von denjenigen Sorge zu tragen, die als Lenker oder als Halter - dieser durch entsprechende Anweisungen über die Art der Durchführung der Präparierung - darauf Einfluß nehmen könnten. Die Außerachtlassung der dem Beklagten zumutbaren Vorsicht beim Betrieb der Pistenraupe sei ihm als Fahrlässigkeit zur Last zu legen, so daß er für die Folgen des Unfalls einzustehen habe. Der Erstbeklagte sei Erfüllungsgehilfe der zweitbeklagten Partei, die dem Kläger aus dem Beförderungsvertrag für die gefahrlose Benützung der von ihr mittels des Liftes erschlossenen und präparierten Piste als Halterin hafte. Sie habe dann auch dafür einzustehen, daß der Benützer nicht durch ungewöhnliche Hindernisse oder sonst nicht zu erwartende Gefahrenquellen zu Schaden komme. Die Sicherung des dem Kundenkreis auf der Schipiste eröffneten Verkehrs sei demnach eine vertragliche Nebenpflicht aus dem Beförderungsvertrag. Der vom Erstbeklagten zugefügte Schaden sei der zweitbeklagten Partei gemäß § 1313 a ABGB zuzurechnen. Außerdem gereiche es ihr selbst zum Verschulden, weil sie nicht Vorsorge getroffen habe, daß die abfahrenden Schifahrer nicht vor der Pistenraupe gewarnt wurden, wenn sie die Piste in nicht einsehbarem Bereich präparierte. Da sich die Anteile an der Schadensverursachung nicht bestimmen ließen, hafteten die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand. Das Mitverschulden des Klägers bestehe darin, daß er in krasser Weise gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen habe. Das lasse eine Verschuldensteilung von 1:2 zu Lasten des Klägers als gerechtfertigt erscheinen. Außerdem sei die Haftung für die Gefährlichkeit des Betriebes der Pistenraupe kraft analoger Anwendung der Haftpflichtgesetze anzunehmen. Gefährlich sei ein Betrieb, wenn er die Interessen Dritter infolge seiner Beschaffenheit mit einer das gewöhnliche Ausmaß der im modernen Leben stets bestehenden Gefährlichkeit wesentlich übersteigenden Art gefährde. Im vorliegenden Fall biete sich ein Vergleich mit der Halterhaftung nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz an. Hier wie dort handle es sich um den Betrieb von durch freigemachte technische Energie angetriebenen Fahrzeugen auf Landflächen, so daß schon der bestimmungsgemäße Betrieb die sich erfahrungsgemäß dort frei bewegenden Menschen regelmäßig und allgemein gefährden könne. Dem schweren Kettenfahrzeug auszuweichen, falle manchem Schifahrer nicht immer leicht. Die Besonderheiten des Schilaufs könnten gerade bei dem häufig zu beobachtenden Massenbetrieb die ungewollte Berührung, die dann schwerste Verletzungen hervorrufe, begünstigen. Pichler (Pisten, Paragraphen, Schiunfälle, 93) sei darin zu folgen, daß Pistenfahrzeuge selbstfahrende Arbeitsmaschinen seien und weder als Kraftfahrzeuge im Sinne des Kraftfahrgesetzes den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes noch den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung unterworfen seien. Da es eine gesetzliche Regelung für den Betrieb von Pistenfahrzeugen nicht gebe, biete sich die analoge Anwendung des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes an. Demnach habe der Halter unter anderem für Körperverletzungen beim Betrieb einzustehen; die Haftung wäre dann nur bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 9 EKHG ausgeschlossen. Im übrigen habe der Oberste Gerichtshof noch vor dessen gesetzlicher Einordnung als Eisenbahn (§ 6EisbG) auch den Betrieb von Einsesselliften kraft Analogie den gefährlichen Betrieben gleichgestellt; dessen Gefährlichkeit stehe die Pistenraupe in nichts nach. Wende man demnach § 7 Abs.1 EKHG analog an, gelange man angesichts des erheblichen Mitverschuldens des Klägers gleichfalls zur Schadensteilung von 1:2 zu seinen Lasten. Die Schwere der Verletzungen, die Dauer der Schmerzen und die Dauerfolgen rechtfertigten der Höhe nach ein Schmerzengeld von S 300.000 ebenso wie die Entstellungen eine Verunstaltungsentschädigung von S 40.000. Zu bejahen sei im Hinblick auf die noch immer bestehenden Verletzungsfolgen auch das Feststellungsinteresse.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Streitteilen gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Rechtsmittel sind zulässig; deren Erledigung ist - wie noch zu zeigen sein wird - zwar nicht von der vom Gericht zweiter Instanz als im Sinne des § 502 Abs.4 Z 1 ZPO erheblich bezeichneten Rechtsfrage der analogen Anwendbarkeit des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes auf den Betrieb von Pistenraupen abhängig; es ist jedoch, wenn das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, auch auf andere erhebliche Rechtsfragen einzugehen. Zur Frage, ob und inwieweit den Lenker einer Pistenraupe, der das Gerät auf der präparierten Schipiste innerhalb uneinsehbaren Geländes während des Liftbetriebs ohne besondere Warneinrichtung bergwärts fährt, ein Verschulden trifft, fehlt Rechtsprechung. Berechtigt ist nur die Revision des Klägers.

Beide Streitteile wenden sich nur gegen die Beurteilung der Verschuldensfrage durch das Berufungsgericht. Die Vorinstanzen trafen - unbekämpft - die Feststellung, daß der Kläger am 10.2.1982 mit der zweitbeklagten Partei einen Beförderungsvertrag abgeschlossen hatte (AS 256). Auf Grund eines solchen Vertrages trifft den Liftunternehmer die Pistensicherungspflicht jedenfalls dann, wenn die Pisten - wie hier - von ihm angelegt und präpariert werden (ZVR 1982/286; vgl. auch EvBl.1973/198). Diese Verkehrssicherungspflicht darf zwar nicht überspannt werden, weil abfahrende Schifahrer Hindernisse und Gefahren, die sich aus dem Wesen der Schiabfahrt ergeben, auf sich nehmen und selbst bewältigen müssen; sie dürfen aber auf eine sorgfältige Anlage der Piste, die unvorhergesehene Gefahren ausschließt, vertrauen. Insbesondere vor gefährlichen Hindernissen hat der Liftunternehmer als Pistenhalter die abfahrenden Liftgäste zu schützen und die Schifahrer vor allem auch vor von ihm zu welchem Zweck auch immer - also auch wegen der Erhaltung der Piste - geschaffenen Hindernisse zumindest zu warnen (vgl.ZVR 1982/286 mwN). Soweit der Erstbeklagte mit der Pistenraupe auf der Schipiste bergwärts fuhr, um die Piste zu präparieren bzw. einen Monteur zwecks Ausbesserungsarbeiten zu einer bestimmten Liftstütze zu bringen, war er damit in Erfüllung einer die zweitbeklagte Partei gegenüber den Liftbenützern treffenden Vertragsnebenpflicht tätig und somit deren Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 1313 a ABGB, so daß sie für sein Verschulden wie für eigenes einzustehen hat.

Die beklagten Parteien bestreiten nach wie vor, daß dem Erstbeklagten ein Verschulden an dem Unfall zur Last falle. Sie wenden sich insbesondere gegen den Vorwurf, die zweitbeklagte Partei habe die Liftbenützer nicht auf den Einsatz des Pistengeräts während der Liftbetriebszeit aufmerksam gemacht: Wäre der Kläger auf Sicht gefahren, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Bei dieser Argumentation übersehen die beklagten Parteien, daß sie das Verschulden des jugendlichen Klägers keineswegs ihrer eigenen Verantwortung - vor allem aus der Pistensicherungspflicht - enthebt. Schifahrer dürfen durch den Einsatz von Pistengeräten nicht mehr behindert bzw. gefährdet werden, als dies das Wesen der Pistenpflege zwangsläufig mit sich bringt; der pistensicherungspflichtige Unternehmer hat die durch den Einsatz solcher Fahrzeuge ausgelösten Gefahren für abfahrende Schiläufer, soweit dies möglich und zumutbar ist, auszuschalten. Demnach sollen solche für Schifahrer gefährlichen Geräte nach Möglichkeit während der Liftbetriebszeit nicht eingesetzt werden. Erweist sich der Einsatz aber während des allgemeinen Schibetriebs - etwa wegen Veränderungen der Schneedecke - als unumgänglich, so sind die Schifahrer vom Liftunternehmer - gerade bei Pisten mit unübersichtlichen oder engen Passsagen - durch geeignete Maßnahmen, zB durch die Aufstellung deutlich sichtbarer Warntafeln, vor dem Einsatz des Gerätes zu warnen (Pichler, "Pisten, Paragraphen, Schiunfälle", 95 f). Solche Maßnahmen hat die zweitbeklagte Partei unterlassen; zutreffend legt das Berufungsgericht diese Unterlassung der zweitbeklagten Partei als Eigenverschulden zur Last. Diese bestreitet zwar in der Revision, daß sie diese Warnpflicht getroffen habe, argumentiert aber auch in diesem Zusammenhang lediglich mit dem unvorsichtigen Fahrverhalten des Klägers. Bezeichnend ist, daß die zweitbeklagte Partei nach dem Unfall allgemeine Hinweistafeln, die vor dem Einsatz von Pistengeräten warnen, bei den Liftstationen anbringen ließ (AS 240). Diese Unterlassung fällt auch dem Erstbeklagten zur Last, weil er sein Verhalten auf das Fehlen solcher Maßnahmen einzurichten hatte.

Daß der Lenker eines Pistengeräts beim Befahren der Piste während der Liftbetriebszeit äußerst vorsichtig zu Werke gehen muß, kann angesichts der von einem solchen nur schwer manövrierfähigen Fahrzeug ausgehenden Gefahren für abfahrende Schiläufer nicht zweifelhaft sein. Es genügt nicht, die Warnleuchte einzuschalten und die Hupe laufend zu betätigen. Vor allem wenn das Fahrzeug infolge sichtbehindernden Geländes von abfahrenden Schiläufern längere Zeit hindurch nicht wahrgenommen werden kann und die Hupsignale sowie der Motorlärm infolge des von den Schiern ausgehenden Geräusches nicht hörbar sind, ist für den Lenker im Bereich enger oder unübersichtlicher Stellen der Piste äußerste Vorsicht geboten. An solchen Stellen muß ein Warnposten aufgestellt werden (Pichler a.a.O. 96).

Der Erstbeklagte war geländekundig und im Umgang mit dem Gerät erfahren. Er kannte die nicht einsehbare Stelle und wußte, daß vor allem jugendliche Schifahrer die Kuppe immer wieder übersprangen und dabei außerstande waren, für sie plötzlich auftauchenden Hindernissen rechtzeitig auszuweichen oder vor ihnen anzuhalten. Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß der Erstbeklagte als erfahrener Lenker eines solchen Gerätes auch wissen mußte, daß die akustischen Signale der im Unfallszeitpunkt unzureichenden Hupe und das Motorengeräusch infolge der von den gleitenden Schiern ausgehenden Eigengeräusche und der schallhemmenden Kuppe nicht oder nahezu nicht wahrzunehmen waren. Der Erstbeklagte hätte, wie von den Vorinstanzen festgestellt wurde, auf der Piste in einer Fahrlinie bergwärts fahren können, bei deren Einhaltung das Gerät für entgegenkommende Schifahrer stets sichtbar geblieben wäre; überdies fuhr ein Monteur, der notfalls ohne weiteres als Warnposten eingesetzt hätte werden können, wenn auch der nicht einsehbare Bereich der Piste präpariert werden mußte, auf der Pistenraupe mit. Soweit die beklagten Parteien in der Revision behaupten, die Warnleuchte auf dem Dach des Geräts sei ohnedies stets sichtbar gewesen, gehen sie nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, weil das orangefarbene Dach der Pistenraupe und die Rundumleuchte für den Kläger erstmals aus einer Entfernung von etwa 30 m sichtbar wurden (AS 243); die weiteren Ausführungen im Rechtsmittel, die von der Pistenraupe ausgehende Gefahr wäre um nichts geringer gewesen, wenn der Erstbeklagte die Mulde unterhalb der sichtbehindernden Kuppe talwärts fahrend präpariert hätte, werden schon durch die vorangestellten Erwägungen über den Begegnungsverkehr widerlegt. Im übrigen wäre der Erstbeklagte eben verpflichtet gewesen, einen Warnposten aufzustellen, wenn auch diese Maßnahme für den Schutz abfahrender Schiläufer unzureichend gewesen sein sollte.

Hat der Erstbeklagte somit nicht die wegen der besonderen Gefährlichkeit gebotene äußerste Vorsicht an den Tag gelegt, so trifft ihn ein erhebliches Verschulden an dem Unfall, für das auch die zweitbeklagte Partei einzustehen hat. Keine Frage kann es sein, daß der Kläger durch seine unvorsichtige Fahrweise dem grundlegenden Gebot des Fahrens auf Sicht zuwidergehandelt hat; er hat dem auch dadurch Rechnung getragen, daß er seinem Klagebegehren ein Mitverschulden zur Hälfte zugrunde legte. Stellt man das schuldhafte Fahrverhalten des Klägers dem Verschulden der beklagten Parteien gegenüber, so kann dieses - vor allem auch mit Rücksicht auf das Alter des Klägers, der erst wenige Monate vor dem Unfall grundsätzlich verschuldensfähig (§ 153 ABGB) geworden war - nicht geringer geachtet werden als der Sorgfaltsverstoß des ersteren. In Stattgebung der Revision des Klägers ist deshalb das Klagebegehren zur Gänze für berechtigt zu halten.

Liegt der zweitbeklagten Partei selbst ein Verschulden zur Last und hat sie auch für das Verschulden des Erstbeklagten als ihres Erfüllungsgehilfen einzustehen, so muß nicht noch geprüft werden, ob und inwieweit sie von einer Betriebsgefahrenhaftung betroffen ist; die vom Berufungsgericht als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs.4 Z 1 ZPO bezeichnete Frage der analogen Anwendbarkeit des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes kann somit auf sich beruhen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E08507

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00582.86.0625.000

Dokumentnummer

JJT_19860625_OGH0002_0010OB00582_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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